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hatte die erste Sinecure geschaffen. Allein sein Eigensinn war genau so stark wie seine Ehrlichkeit: also hielt auch die Schadenfreude über den getäuschten Hofmarschall genau dem Aerger die Wage, welchen er über sich selbst empfand. Der 5 Doktor feinerseits stieg auch gar beschämt die Marmortreppe hinab, die er so gehobenen Muthes hinangestiegen war. Zum erstenmal im Leben empfand er die ganze Schmach der arbeitslos vertändelten Lehrjahre. Wäre er wirklich ein rechter ausstudirter Doktor gewesen, er hätte seinem edleren Sinne 10 gemäß den also dargebotenen Leibmedicus rund zurückgewiesen und lieber als Landarzt im ärmsten Dorfe elend gelebt, denn nun als ausgemachte beruflose Hofschranze in der Residenz. Er schämte sich sogar um der in seiner Person entwürdigten Wissenschaft willen, obgleich dies doch eigentlich gar nicht 15 seine Wissenschaft war; denn er war ja gerade darum nicht in der Lage, die dieser Wissenschaft geziemende Würde zu behaupten, weil er nichts wußte von dieser Wissenschaft. Allein mit solch bitterer Selbsterkenntniß kam ihm auch zum erstenmale das klare Bewußtsein der hoffnungslosen Zukunft, die 20 vor ihm lag, wenn ihm der Fürst nicht den Leibmedicus an den Kopf geworfen hätte. Heute erst erkannte er den Abgrund, an welchem er bisher leichtsinnig einher geschwebt und hielt sich darum verpflichtet, dem plößlich erschlossenen Pfade der Umkehr nicht auszuweichen. Andern öffnet das Unglück 25 die Augen, ihm das unverdiente Glück. Aehnlich wie beim Fürsten hielten zwei ganz widersprechende Motive seinen Willen in der Schwebe: auch er mußte inwendig von sich abfallen, um zunächst wenigstens äußerlich zu sich selber kommen zu können. Weil er nichts gelernt hatte, schämte 30 er sich seines neuen Amtes und doch mußte er auch wieder

bei diesem Amte ausharren, weil er nichts gelernt hatte.

Fürst und Doktor aber kamen zu dem gleichen Entschluß, die vollendete Thatsache hinzunehmen und ruhig abzuwarten, was sich etwa daraus entwickele, und ein Jeder schwur sich im Stillen heiligstes Schweigen über die wahre Lage der Dinge und den inneren und äußeren Vorgang der ersten Audienz. 5

Der Doktor begann nun seine täglichen Besuche im Schloß. Vom höfischen Leben und höfischer Klugheit wußte er gar nichts. Nur eine orientalische Hofregel war ihm beigefallen, die er früher einmal in einem alten Buche gelesen, und diese murmelte er an jedem Morgen vor sich hin, wenn 10 er die Marmortreppe hinanstieg. Die Regel lautete:

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Kommst du in des Königs Haus,

Geh blind hinein und stumm heraus.“

Und dieser Spruch ward ihm zum schüßenden Zauber.

Die ärztliche Consultation verlief Tag für Tag folgender 15 gestalt. Leibmedicus Müller erschien Schlag 8 Uhr im Arbeitszimmer des Fürsten, der oft schon seit Tagesanbruch hinter Aften und Büchern saß. Das übrige Dienstpersonal mußte sich beim Eintritt des Arztes entfernen, wie es wohl alter Brauch am Hofe war. Allein der jezige Fürst hielt 20 doppelt streng auf diesen Brauch; denn er hatte bekanntlich guten Grund, seine Umgebung im Dunkeln zu lassen über den wunderlichen Dienst des neuen Leibmedicus. Und da er vollends wahrnahm, daß er hiedurch die neugierige Seele des Hofmarschalls auf die Folter spannte, that er doppelt geheim 25 nißvoll mit den ärztlichen Consultationen. Trat der Doktor in das stille Zimmer, so fragte ihn der hohe Herr zuerst nach dem Wetter und dann nach seinem Befinden. Die Antwort auf die erste Frage wechselte mit Regen und Sonnenschein, die zweite Antwort blieb immer die gleiche. Denn der 30 junge Doktor war eben so kerngesund wie der junge Fürst.

Niemals aber wagte es der Leibmedicus nun auch seinerseits den Fürsten nach deffen Befinden zu fragen. Denn er hatte sich, eingedenk des Mahnwortes der ersten Audienz, fest vorgesezt, nur zu antworten, kurz und bündig, wenn er ange5 redet werde und niemals ein weiteres Wort über die Lippen zu bringen. Nachdem also der Fürst erfahren, daß sein Leibarzt gesund sei, arbeitete er ruhig weiter und ließ den Doktor noch beiläufig eine halbe Stunde im Zimmer stehen. Dieser heftete insgemein seinen Blick unverwandt auf die 10 Gobelin-Tapete der gegenüberstehenden Wand, welche eine Saujagd mit gepanzerten Hunden darstellte, zählte die Hunde, die Jäger und Jägerinnen, und die Blätter an den großen Bäumen des Vordergrundes, wagte es aber beileibe nicht, den Blick in andere Regionen des Zimmers umherschweifen 15 zu lassen. Nach Ablauf der halben Stunde wurde er huldvoll verabschiedet.

Die Hofleute, vom Hofmarschall bis zum leßten Lakaien, platten schier vor Neugierde über die tägliche geheime Conferenz des Fürsten mit dem Arzte; sie lauschten an den 20 Schlüssellöchern und hörten nichts; es war todtenstill im Kabinet; die Beiden mußten sich wohl ganz leise im hintersten Winkel besprechen, und so folgerte man denn nicht ohne Grund, daß Doktor Müller der erste und einzige Vertraute des Herrn sei, der einzige Günstling, welchen Casimir 25 unter der oftenfibeln Würde eines Leibarztes zu sich herangezogen.

Natürlich wandten sich die Neugierigen dann auch bald verblümt bald offen an Müller selber, sie schmeichelten, stichelten, quälten, legten ihm Kreuz- und Querfragen vor, 3ɔ allein der sonst so offene und redselige junge Mann war und

blieb verstockt und verschlossen. So meinten die Frager.

In der That aber gab er ganz offene und ehrliche Auskunft wie immer. Denn er sagte einem Jeden, der Fürst rede mit ihm fast nur vom Wetter, sein Dienst sei gleich null, er besige nicht entfernt das Ohr des Herrn, er habe nicht den mindesten Einfluß und es sei die unverdienteste Ehre 5 von der Welt, wenn man ihn einen Vertrauten Seiner Durchlaucht nenne. Kein Mensch glaubte ihm das; Alle hielten sein Schweigen und Leugnen für die Kunst eines geborenen Hofmannes und man wunderte sich nur, daß man dieses eminente Talent des diplomatischen Geheimnisses 10 nicht früher schon bei den lustigen Doktor geahnt habe. Müller lachte im Stillen über die wunderlichen Leute, welche gerade da die feinste Kunst der Lüge spürten, wo er doch nur die ungekünftelte Wahrheit sprach. Am ergötzlichsten aber däuchte es ihm, daß er selber, der die Neugierde der 15 ganzen Stadt entflammte, von einer ganz ähnlichen unbefriedigten Neugier geplagt war. Denn für's Leben gern hätte er doch wissen mögen, was eigentlich den Fürsten bewogen, ihn so unerhört zu gleicher Zeit öffentlich auszuzeichnen und insgeheim zu demüthigen. Allein er war 20 flug genug, die Lösung dieses Räthsels in Geduld und Schweigen abzuwarten.

In wenigen Wochen durchtönte der Ruf von dem Einflusse des neuen Leibmedicus bereits das ganze Ländchen. Als erstes Zeugniß seines wachsenden Ruhmes kam der 25 Brief eines entfernten Vetters aus einem entlegenen Dorf mit einem höchst ergebenen Gesuch. Der Vetter führte einen Specereikram und wollte schon längst neben Kaffee und Zucker auch Schnittwaaren verkaufen. Das wehrte ihm der Schultheiß, weil dessen Vetter im nächsten Flecken mit 32 Schnittwaaren handelte. Nun wandte sich der Vetter des

Leibmedicus an Leßteren, daß er vom Fürsten einen Machtspruch zu seinen Gunsten erwirke und dem schandbaren vetterschaftlichen Protektionswesen des Schultheißen ein Ende mache. Doktor Müller belehrte den Vetter umgehend : 5„Fürsten pflegen sich nicht um den Schnittwaarenverkauf zu kümmern, auch besize ich selber keineswegs den persönlichen Einfluß, welchen man mir fälschlich zuschreibt, und bedaure also, in dieser Sache gar nichts thun zu können.“ Doch siehe nach vierzehn Tagen wurde der ehrliche Leib10 medicus durch ein warmes Dankschreiben des Vetters überrascht, begleitet von dem köstlichsten sechspfündigen Käselaib. Der Vetter hatte inzwischen wirklich die ersehnte Concession erhalten und glaubte, der Doktor habe sie ihm doch ganz heimlich in aller Eile herausgefochten und nur aus 15 Politik den ablehnenden Brief geschrieben; denn schwarz auf weiß müsse ein Hofmann allerdings vorsichtig reden. Und in der That war auch der Leibmedicus die unschuldige Ursache, daß der langjährige Wunsch des Vetters sich nun so rasch erfüllte. Denn dieser hatte im ganzen Dorfe der. 20 maßen mit der Macht seines vetterlichen Gönners geprahlt, daß der Schultheiß Angst kriegte und beigab, bevor noch das gefürchtete Machtwort des Fürsten ankam. Der Schults heiß schrieb nun aber auch an den Leibmedicus, rühmte seinen eben bewiesenen guten Willen, der Müllerschen Familie alle25 zeit zu dienen und bat reumüthig, daß man Vergangenes vergessen und vergeben und ihm doch auch in Zukunft die hohe leibärztliche Gunst nicht versagen möge. Er sei zu jedem Gegendienste ergebenst bereit. Doktor Müller verschenkte und verzehrte seine sechs Pfund Käse in aller Stille 30 und hob die beiden Briefe auf zum ergöglichen Beweise der

Thatsache, daß man wider Wissen, Willen und Verdienst der

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