Page images
PDF
EPUB

Der Zopf des Herrn Guillemain.

Wie hätte sich der alte Friß die Augen gerieben, wenn er vor fünfzig Jahren aus dem Grabe erwacht wäre und der Leipziger Völkerschlacht ein wenig hätte zuschauen dürfen? oder was würde der alte Bonaparte sagen, wenn er heute nur 5 auf einen Tag wiederkäme und seinen Neffen in kaiserlicher Politik hantieren sähe? oder der alte Bach, wenn er eine Beethoven'sche Symphonie hörte? oder unsere Urgroßmutter, wenn sie vom Himmel herunter einen Eilzug gewahrte, wie er gleich einer feuerschnaubenden Schlange durch die Land- 10 schaft zischt?

So hat schon Mancher gefragt, und große und kleine Kinder plagen sich überhaupt gerne mit der Räthselfrage, was ein Verstorbener wohl sagen würde, der plößlich wiederkommend, die ganze Welt verändert fände. Ist inzwischen gar so 15 handumkehrt Vieles neu und besser geworden, worauf Jener bei Lebzeiten vergebens hoffte, dann denken wir, der Mann. wird gehörig staunen und sich freuen und zugleich sich ärgern, daß er vor drei oder sechs Jahren hat sterben müssen; uns aber rechnen wir es fast als einen Ruhm an, daß wir so 20 gescheidt waren, noch etliche Jahre länger zu leben und die Sonne nach dem Nebel abzuwarten.

ΙΟ

Ich erinnere mich aus meiner Jugend, daß einmal in meines Vaters Hause unter Freunden von solchen Dingen geredet ward. Mein Vater durchschnitt das ziellose Für und Wider mit der Frage, ob denn Niemand den Herrn Guille5 main von Mainz kenne, der sei ja fünf Jahre lang so gut wie verstorben gewesen und plößlich wiedergekommen in eine neue Welt, die mittlerweile fast genau so geworden, wie er sich's gewünscht habe; der könne am besten erzählen, wie es einem da zu Muthe sei.

Ich hörte das nur so im Vorbeigehen; denn als zwölfjähriger Bube lief ich nur eben im Zimmer ab und zu; aber die wenigen aufgefangenen Worte arbeiteten und wühlten in meiner Einbildungskraft, zumal ich noch vernahm, daß Herr Guillemain ein unglücklicher Mensch geworden sei durch die 15 wunderliche Gnade halbwegs sterben und dann wiederkommen zu dürfen, um eine neue Welt, welche er geträumt, plöglich aufgebaut zu sehen, wie das Kind am Weihnachtsabend den flimmernden Christbaum.

Als ich darum kurz nachher mit dem Vater wieder einmal 20 nach Mainz kam, bat ich ihn, er möge mir heute eine rechte Merkwürdigkeit zeigen, und als er mich fragte, was ich denn sehen wolle, ob den Eichelstein oder die Martinsburg oder die Menagerie auf der Messe, antwortete ich: „Ich will nichts weiter sehen als den Herrn Guillemain." Mein Vater er25 widerte lächelnd: „wenn's möglich ist.“

Nach manch ermüdendem Straßengange, wobei ich jeden Begegnenden vergebens darauf ansah, ob er nicht etwa Herr Guillemain sei, kehrten wir ein in den „drei Kronen." Es ging dort sehr lebhaft zu, und wir fanden nur mit Mühe noch 30 einen Plaz am Wirthstische gegenüber einem muntern alten Herren, der sich mit sichtbarem Behagen seinen Schoppen

schmecken ließ. Er schien ein Stammgast des Hauses und hatte, redselig wie ein ächter Rheinländer, meinen Vater bald in ein lebhaftes Gespräch über gleichgültige Dinge verflochten, von denen man spricht um zu sprechen. Obgleich der Mann wie ein frischer Fünfziger dreinschaute, erfuhr ich doch nach 5 gehends, daß er bereits tief in den Sechzigen stehe. Er war vornehm, doch etwas altmodisch gekleidet und hatte sein reiches schneeweißes Haar hinten in ein ganz kleines, bolzgerade z hinaufstehendes Zöpfchen geflochten. Solch ein ächter aus dem achtzehnten Jahrhundert herübergeretteter Miniaturzopf war 10 damals in der Mitte der dreißiger Jahre längst die größte Seltenheit, und nur bei einem alten Gerbermeister in Bingen und einem pensionirten weiland nassau-usingischen Leibkutscher in Biebrich hatte ich noch seines Gleichen gefannt.

Als wir uns nach einer Stunde Nast wieder zum Aufbruche anschickten, flüsterte mir mein Vater zu: „Fasse den Mann mit dem Zopfe noch einmal recht genau in's Auge, das ist der Herr Guillemain, den du zu sehen begehrt."

[ocr errors]

15

Ich war aus den Wolken gefallen und bedauerte innigst, 20 daß ich die Menagerie nicht vorgezogen hatte. Denn den Herrn Guillemain, der fünf Jahre lang so gut wie gestorben und dann wiedergekommen war, um höchst unglücklich zu werden, hatte ich mir als einen Patriarchen mit langem Barte gedacht, den wir in irgend einer Spelunke hätten aufsuchen 25 müffen, wo er auf dem Stroh gelagert, ein halb verschimmeltes Stück Brod und einen großen Wasserkrug zur Seite, von vergangenen und künftigen Tagen im Style der Klagelieder Jeremiä mit hohen Worten gepredigt hätte.

„Und der Mann soll so gar unglücklich sein?" fragte 30 ich auf der Straße recht ärgerlich den Vater. Dieser aber

erwiderte: Wann du älter geworden, dann wirst du erfahren, daß man mit feinem Rock und glattem Gesicht jeden Abend in den drei Kronen sizen, ein artiges Gespräch führen und ein gut Glas Wein mit Verstand trinken und dennoch ein höchst unglücklicher Mensch sein kann. Dann wird es auch Zeit sein, daß ich dir die Geschichte des Herrn Guillemain ausführlich erzähle: jezt verständest du siè doch noch nicht."

Ich vergaß bald meinen Aerger sammt dem Herrn Guille10 main und erst nach vielen Jahren, als der alte Herr mit dem Zöpfchen längst zum zweitenmale, und nicht blos beinahe, verstorben war, erfuhr ich die Geschichte. Seitdem aber gereute es mich gar nicht mehr, daß ich damals lieber den merkwürdigen Menschen, wenn auch mit dem Auge eines Kindes, 15 gesehen, als die Menagerie auf der Messe.

Und so erzähle ich denn auch hier wieder jene einfache Eeschichte, nachdem ich bis hierher den Mann ganz ebenso als ein unverstandenes Räthsel vorgeführt habe, wie er mir selber zuerst erschienen ist.

20

Erstes Kapitel.

Joseph Guillemain war als junger Mann ein rechter Erzdemagog soweit man dies nämlich zwischen 1780 und 1790 in Mainz und der Umgegend sein konnte.

Eigentlich aber war er Maler. Sein Sinn ging auf die 25 hohe und ernste Kunst, er wollte nur Geschichte malen, wie er später Geschichte machen wollte; Michel Angelo war sein Vorbild und Liebling, dann Rubens. Die frühesten Skizzen des Kunstjüngers sahen darum sehr „genialisch“ aus, wie

man es damals nannte: - gewaltige Motive, überkühne, oft verworrene Gruppen, eine Uebernatur in Form und Farbe, welche die reiche, in Sturm gestaltende Phantasie verrieth, aber des läuternden Schönheitsgefühles entbehrte. Er war ein Mann des großen Styles, und seines Vaters großer 5 Geldbeutel gestattete ihm, so frei wie er nur immer wollte, im großen Style zu malen.

Als erstes Hauptwerk hatte er einen figurenreichen Carton begonnen, den Tod des Cäsar, welcher von Kennern mit hohem Lobe geprüft wurde, von Nichtkennern mit noch 10 höherem, und es galt für ausgemacht, daß der Künstler nach Vollendung des Bildes mit dem Titel cines kurfürstlichen Hofmalers tar- und stempelfrei würde begnadet werden. Sein Vater, troß des französischen Namens ein ächter Kurmainzer, wartete mit Stolz auf diesen glücklichen Tag.

15

Neben all den Bewunderern des Bildes stand nur ein einziger wahrer Freund, der sein Urtheil ganz ehrlich von der Leber weg sagte, Doktor Kringel, ein junger Arzt. Er meinte, mit solchen Mord- und Aufruhrgeschichten solle Guillemain sich doch nicht plagen, sondern friedliche und ansprechende 20 Bilder malen, etwa eine badende Nymphe oder den heiligen Nepomuk, das seien ja auch historische Stoffe, wenn man sie sechs Fuß hoch anlege.

Guillemain verstand den Spott; denn er war selbst ein wißiger Kopf, und wäre er dies nicht gewesen, so würde er 25 vermuthlich gar kein Demagog geworden sein. Begeistert für feine besondere Kunstrichtung, wußte er mit dem übermüthigen Selbstgefühle der Jugend jede andere in Grund und Boden zu spotten. Hundert Epigramme, die er in flüchtigem Worte hingeworfen oder auch beim Weine in einen lustigen Reim 30 gefaßt, durchliefen die Stadt. Und da die Kunst all sein

« PreviousContinue »