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A. Die nationale Litteratur.

Die Stellung der Kaiser zur nationalen Litteratur.

505. Hadrianus (117-138). Der Kaiser Hadrian wollte ein Fürst des Friedens sein, er brach daher mit der kriegerischen Politik seines Vorgängers und gab die Provinzen, welche nur durch schwere Kriege dem römischen Reich erhalten werden konnten, auf. Man sollte danach erwarten, dass sich unter dem neuen Regiment die Künste des Friedens emporschwingen würden. Und es lässt sich nicht leugnen, dass Hadrian es hier an Thaten nicht fehlen liess. Auf seinen Wanderungen durch das grosse Reich folgten ihm seine Bauleute und überall gaben Strassen, Brücken, ganze Städte, prächtige Theater von dem emsigen Schaffen des kaiserlichen Baumeisters erfreuliche Kunde. Auch in der Litteratur ist eine Ruhmesthat von ihm zu verzeichnen; er liess das prätorische Edikt durch den grossen Juristen Salvius Julianus redigieren; dadurch ward jetzt ein festes Werk geschaffen, welches der Rechtsentwicklung andere Bahnen anwies und wie einst die zwölf Tafeln der Mittelpunkt der juristischen Studien wurde. In seinem Konsilium sassen die angesehensten Juristen und durch weise Neuerungen beteiligte er sich selbst an der Fortbildung des Rechts, besonders nach der humanen Seite hin. Allein zur vollen Blüte konnte unter diesem Kaiser weder Kunst noch Wissenschaft gelangen. Es fehlte seinem Wesen der feste sittliche Kern, welcher allein wahrhaft Grosses schaffen kann. Die verschiedensten Eigenschaften waren in diesem seltsamen Menschen vereinigt, ein launenhafter und reizbarer Charakter war er in seinen Entschlüssen unberechenbar. Ein krankhafter Zug der Zerrissenheit, der sich gegen Ende seines Lebens bis zur Unverträglichkeit steigerte, durchzieht sein ganzes Thun. Was ihn aber besonders hindert, das geistige Leben seiner Nation mit fruchtbringenden Keimen zu erfüllen, war sein ganz unrömisches Wesen. Ein Mann, der den Ätna besteigt, um das wunderbare Schauspiel des Sonnenuntergangs zu geniessen, ist kein Römer mehr. Ebenso wenig ist es ein Mann, dessen Sinn mehr nach den Provinzen als nach Rom stand, ein Mann, den eine solche Vorliebe für das Griechentum erfasst hatte, dass ihm Athen mehr galt als die Hauptstadt seines gewaltigen Reichs. Auf einem solchen ungesunden Boden muss Unkraut emporschiessen. Und krankhafte Erscheinungen treten

uns bei Hadrian sowohl auf dem Gebiete der Kunst als der Litteratur entgegen. Seine Villa zu Tibur war das bizarreste Bauwerk, das sich denken lässt, ein sprechendes Abbild seines unharmonischen Seins. Selbst der vielbewunderte Typus des Antinous spendet uns nicht das Gefühl beseligender Schönheit, sondern weckt in uns eine Stimmung des Weltschmerzes. Aber auch an dem Baum der Litteratur wollten duftige Blüten nicht hervorspriessen. Sicherlich war der Kaiser hochgebildet; seine vielseitige Natur machte sich hier geltend, er schrieb Prosa wie Poesie, er gebot über die lateinische wie die griechische Sprache, den fremdländischen spanischen Accent im Lateinischen hatte er sich durch beharrlichen Fleiss abgewöhnt. Er hatte sich in den verschiedensten Wissenschaften umgesehen, selbst die Künste waren ihm nicht fremd, er dilettierte im Malen, Singen, Zitherspielen und zeichnete Pläne zu seinen Bauwerken. Er verkehrte aufs eifrigste mit den verschiedensten Gelehrten, er beteiligte sich an ihren Disputationen, in Alexandrien stellte er selbst Fragen zur Lösung und liess sich solche stellen; 1) er kämpfte mit ihnen im litterarischen Wettstreit und des Dichters Florus Verse 2)

ego nolo Caesar esse,
ambulare per Britannos,
Scythicas pati pruinas,

parierte er in folgender feiner Weise:

ego nolo Florus esse,
ambulare per tabernas,
latitare per popinas,
culices pati rutundos.

Aber auch den Gelehrten gegenüber konnte der Kaiser sein widerspruchsvolles Naturell nicht verleugnen. Äusserlich war er gegen dieselben herablassend und leutselig, innerlich verachtete er sie, er beschenkte sie reichlich, aber trieb mit ihnen ein frivoles Spiel, indem er sie mit verfänglichen Fragen quälte. Auch verliess seine Umgebung niemals das Gefühl der Furcht vor diesem reizbaren Mann. Einer seiner Günstlinge, der Sophist Favorinus, wagte nicht gern einen Widerspruch, er meinte, der Mann, der über dreissig Legionen gebiete, sei gelehrter als er.3) Den Philosophen Heliodor beleidigte er durch eine Schmähschrift, auch die Ärzte, die ihm nicht helfen konnten, verhöhnte er durch ein Pamphlet. Den Freigelassenen Phlegon zwang er, seinen Namen zu der von ihm verfassten Selbstbiographie herzugeben. Man sieht, den Kaiser beseelte keine wahre Liebe zur Wissenschaft. Er besass auch kein gesundes ästhetisches Urteil. Ihm galten nichts die alten Meister, an denen das römische Volk mit seinem Herzen hing, Cicero, Vergil, Sallust, seine Lieblingsautoren waren der alte Cato, Ennius und Caelius Antipater. Er leitete also die archaistische Litteraturströmung in Rom ein. Auch über die Grössen der griechischen Litteratur urteilte er verkehrt, er sah geringschätzig auf Homer und Plato herab, dafür bewunderte er den dunklen Dichter Antimachus. Eine solche Geschmacksverirrung ist das deutliche Symptom

1) Spart. Hadr. 20, 2. 2) Spart. Hadr. 16, 3.

3) Spart. Hadr. 15, 3.

eines verschrobenen Geistes. Und gegen das Ende seines Lebens, als noch schwere Krankheit hinzukam, verdüsterte sich das Gemüt des Kaisers immer mehr, seine Reizbarkeit steigerte sich, das Leben wurde ihm zur Qual, er sehnte sich nach dem Tode und doch wollte ihm dieser Erlöser nicht erscheinen. Aber noch auf dem Totenbett überkam ihn eine zwischen Ernst und Scherz hin und her schwebende Stimmung, und in dieser dichtete er die berühmten Zeilen:1)

animula vagula, blandula
hospes comesque corporis,
quae nunc abibis in loca
pallidula, rigidula, nudula
nec ut soles dabis iocos!

Eine treffliche Charakteristik Hadrians gibt Spart. Hadr. 14, 11 idem severus laetus, comis gravis, lascivus cunctator, tenax liberalis, simulator verus*, saevus clemens et semper in omnibus varius. 20,7 ioca eius plurima extant; nam fuit etiam dicaculus.

Ueber seine umfassende Bildung. Spart. Hadr. 14, 8 fuit poematum et litterarum nimium studiosissimus. arithmeticae, geometriae, picturae peritissimus, iam psallendi et cantandi scientiam prae se ferebat; 15, 10 quamvis esset oratione et versu promtissimus et in omnibus artibus peritissimus.

Ueber seine astrologischen Kenntnisse vgl. 16, 7; Spart. Helius 3, 9.

Ueber seinen Verkehr mit Gelehrten und Künstlern. Spart. Hadr. 15, 10 professores omnium artium semper ut doctior risit contempsit obtrivit. cum his ipsis professoribus et philosophis libris vel carminibus invicem editis saepe certavit; 16, 8 quamvis esset in reprehendendis musicis, tragicis, comicis, grammaticis, rhetoribus facilis, tamen omnes professores et honoravit et divites fecit, licet eos quaestionibus semper agitaverit; 16, 10 in summa familiaritate Epictetum (zu beziehen auf Hadrians Aufenthalt in Nikopolis vgl. DÜRR p. 56; ZAHN, der Stoiker Epiktet p. 39, 10), et Heliodorum philosophos et, ne nominatim de omnibus dicam, grammaticos, rhetores, musicos, geometras, pictores, astrologos habuit, prae ceteris, ut multi adserunt, eminente Favorino. doctores, qui professioni suae inhabiles videbantur, ditatos honoratosque a professione dimisit.

Seine ästhetischen Urteile. Spart. Hadr. 16, 5 amavit genus vetustum dicendi; 16,6 Ciceroni Catonem, Vergilio Ennium, Salustio Coelium praetulit eademque iactatione de Homero ac Platone iudicavit; 16, 2 Catachannas libros obscurissimos Antimachum imitando scripsit.

Litteratur. Gregorovius, Der Kaiser Hadrian, 2. Aufl., Stuttg. 1884 (ein unkritisches Buch). Vortrefflich handelt HAUSRATH in der Neutestam. Zeitgesch. 3, 445 (Heidelberg 1874) über Hadrian. DÜRR, Die Reisen des Kaisers Hadrian (Abh. des arch.-epigr. Seminars in Wien 2. Heft).

506. Hadrians Schriftstellerei. Auch als Schriftsteller entbehrte Hadrian des festen Centrums, wir finden ihn daher auf den verschiedensten Gebieten thätig. Er machte gelegentlich den Dichter, allein ihn trieb nicht zum Dichten die Begeisterung und ein überquellendes poetisches Gefühl; die Poesie war ihm vielmehr ein Werk des Spiels, die Sprache war ihm daher gleichgültig, es liefen sowohl griechische wie lateinische Tändeleien von ihm um. Freilich ist hier seine Autorschaft vielfach nicht ohne Zweifel. Ein Werk seiner Eitelkeit war seine Autobiographie. Um seine Darstellung in den Augen der Zeitgenossen objektiver erscheinen zu lassen, liess er sie unter fremdem Namen publizieren; der bekannte Phlegon gab sich dazu her, mit seinem Schilde den Kaiser zu decken. Allein der wirkliche Autor des Buchs konnte der Nachwelt doch nicht verborgen bleiben. Auch als Redner hervorzutreten, hatte Hadrian vielfach Gelegenheit. Es gab Sammlungen seiner Reden, eine, die zwölf Stücke umfasste,

1) Spart. Hadr. 25, 9.

lag den lateinischen Grammatikern vor, eine zweite kannte Photius. Durch Inschriften haben sich Fragmente von zwei Reden erhalten, einmal von der Rede, welche Hadrian auf die Matidia gehalten. Diese war die Tochter der Marciana, der Schwester Traians, die Gattin des L. Vibius Sabinus und die Mutter der Sabina, der Gattin Hadrians. Es ist eine Lobrede auf die reichen Tugenden der Schwiegermutter, welche im Jahre 119 gehalten wurde. Dann sind Fragmente aus den Armeebefehlen (adlocutiones) gefunden worden, welche Hadrian im Jahre 128 oder 129 im Lager zu Lambaesis in Afrika erlassen hatte. Dass Hadrians vielseitiger Geist auch den grammatischen Fragen, welche in damaliger Zeit sehr beliebt waren, nicht fern bleiben konnte, lässt sich von vornherein erwarten; er scheint mit dem berühmten Grammatiker Terentius Scaurus grammatische Probleme verhandelt zu haben, aber auch schriftstellerisch versuchte er sich auf diesem Gebiete. Er schrieb ein Werk mit dem Titel Sermones (Unterhaltungen), zum mindesten aus zwei Büchern bestehend; hier erörterte er z. B. ob obiter lateinisch sei und trat Scaurus entgegen. Auch andere dunkle Bücher veröffentlichte er; sein Ehrgeiz war, es der Gelehrsamkeit des von ihm bewunderten Dichters Antimachus gleichzuthun. Schon der Titel war monströs; er nannte sein Werk ,,Catachannae". Da catachanna ein mit verschiedenen Zweigen inokulierter Baum ist, so werden wir den Titel als eine gesuchte Bezeichnung von Miscellanea zu betrachten haben. Bekannt ist, dass Hadrian eine tiefe Abneigung gegen die Ärzte, die ihm nicht helfen konnten, besass; seiner Abneigung gab er sogar, wie bereits erwähnt, durch eine eigene Schmähschrift gegen die Ärzte Ausdruck. Endlich wird in der Historia augusta auch ein Brief des Kaisers an Servianus über die Ägypter mitgeteilt. Allein dieser Brief ist ein unechtes, unterschobenes Produkt.

Hadrian war, wie schon gesagt, ein Bewunderer der alten Schriftsteller, allein in den Fragmenten der Reden tritt ein archaistischer Zug keineswegs hervor; sie geben im ganzen eine reine Latinität.

Die Schriften Hadrians. Dio 69, 3 (BEKKER II 323) φύσει δὲ (Αδριανός) φιλόλογος ἐν ἑκατέρᾳ τῇ γλώσσῃ · καί τινα καὶ πεζὰ καὶ ἐν ἔπεσι ποιήματα παντοδαπά καταLéλonEv. Ueber die Sprache Hadrians WÖLFFLIN, Münchn. Sitzungsber. 1886 p. 282.

1. Hadrians Selbstbiographie. Spart. Hadr. 1,1 Hadria ortos maiores suos apud Italicam Scipionum temporibus resedisse in libris vitae suae Hadrianus ipse commemorat; 7,2 ut ipse in vita sua dicit; 3,4 in quo magistratu ad perpetuam tribuniciam potestatem omen sibi fartum adserit; 3,3 indulsisse vino se dicit Traiani moribus obsequentem. Dio 69, 11 ws Adqiaròs yoáqɛi. Ueber ihre Publikation: Spart. 16, 1 famae celebris Hadrianus tam cupidus fuit, ut libros vitae suae scriptos a se libertis suis litteratis dederit, iubens ut eos suis nominibus publicarent, nam et Phlegontis libri Hadriani esse dicuntur. Vopisc. Saturn. 7, 6 vgl. p. 11, 8 ß.

2. Die Trauerre de auf die Matidia ist uns zum Teil aus einer jetzt verlorenen Inschrift erhalten. Matidia wurde am 23. Dezember 119 konsekriert. Die Inschrift befand sich im 16. Jahrhundert in Tibur, wahrscheinlich hatten die Tiburtiner der Matidia eine Statue errichtet und auf dieselbe als Inschrift die laudatio funebris Hadrians gesetzt. MOMMSEN, Abh. der Berl. Akad. 1863 p. 483; RUDORFF, ebenda 1868 p. 240 (Zeitschrift für Rechtsgesch. 9 [1870] p. 295); VOLLMER, Laudationum funebrium hist. Fleckeis. Jahrb. 18. Supplementb. p. 516.

3. Die adlocutiones Hadrians an seine Soldaten in Lambaesis in Afrika; die Inschrift wird in das Jahr 128 (WILMANNS Comment. Momms. p. 209) oder in das Jahr 129 gesetzt (DÜRR, Die Reisen des Kaisers Hadrian Abh. des Wiener arch.epigr. Seminars 2. Heft, p. 40); „nominatur titulus vulgo,oratio Lambaesitana'; sed

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