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nungen des Gesetzes, aber doch mit dem nationalen Herkommen und dem particularen Bewusstsein des Volkes eng verwachsene, in der Schrift enthaltene, zur Sitte gewordene Erscheinungen von Jesus in seiner Deutung des Gesetzes bei Seite gesetzt werden, kommt diejenige Art des λngσa vorzugsweise zur Geltung, nach welcher es sich nicht sowohl als eine repräsentative, volle praktische Befolgung des Gesetzes seiner buchstäblichen Formulirung nach als wie eine lehrhafte, dasselbe durch Ausschöpfung seines idealen Gehaltes der Vollkommenheit entgegenführende Thätigkeit Jesu herausstellte.

Ist dem aber so, so werden wir, von hier aus noch einmal zurückblickend auf diejenigen Bestandteile der Worte Jesu, die uns oben Zweifel an ihrer Echtheit erweckten (V. 18 f.), in diesen letzteren nur bestärkt werden. Denn in der erläuternden Ausführung, die Jesus seiner principiellen Stellung dem Gesetze gegenüber giebt, haben wir nichts gefunden, was uns an ein ängstliches Anklammern an ein iora oder zegaía des Gesetzes erinnerte, was als eine Anweisung für seine Jünger anzusehen wäre, in ihrem Thun und Lehren es mit dem Kleinsten im Gesetze ja recht genau zu nehmen, um sich eine höhere Rangstufe im Himmelreiche zu sichern. Im Gegenteil, die ganze Art und Weise, wie sich das yo des offenbar nur als Messias sich so aussprechen Dürfenden mit dem, was er sagt, sich dem aus dem Gesetz, bezw. seiner traditionellen Deutung Entlehnten entgegensetzt, zeigt unwidersprechlich, dass Jesus bei aller pietätsvollen Ehrerbietung vor dem, was er als den idealen Grund des Gesetzes ansieht, sich doch mit einer solchen Freiheit und productiven Schöpferkraft der alten Lebensnorm gegenüberzustehen bewusst ist, bei welcher ein Kleben am Buchstaben derselben und eine ängstliche Furcht, dass nicht der kleinste Bestandteil von demselben verloren gehe, schwer verständlich erscheinen müsste. Vielmehr werden wir hier jetzt mit noch grösserer Sicherheit als oben der Überzeugung Ausdruck

I

geben können, dass jene, auch dem minimalsten Bestandteile des Gesetzes seine ewige Gültigkeit vindicirenden Aussprüche einem Kreise der Anhänger Jesu entstammen, welcher nach dem Tode ihres Meisters, besorgt gemacht durch von heidenchristlich - paulinischer Seite sich geltend machende, die Gültigkeit des Gesetzes entschiedener in Frage stellende Bestrebungen, sich aufgefordert fühlten, an eine gewichtvolle, echte Aussage Jesu betreffs des Gesetzes Zusätze anzuschliessen, welehe den Zweck verfolgen, demselben eine unantastbare Gültigkeit selbst in betreff seiner buchstäblichen Fassung und seiner untergeordnetsten Bestandteile zu sichern. Dass jene Erweiterungen aus einer verhältnismässig frühen Periode des apostolischen Zeitalters stammen, ist daraus mit Sicherheit zu entnehmen, dass selbst Luc. 16, 17 Jesu einen Ausspruch in den Mund legt, der dem Matth. 5, 18 gethanenen ganz ähnlich lautet. Freilich ist die Umgebung, in welcher jenes Dictum bei Lucas auftritt, eine derartige, dass man nur sehr unsicher erraten kann, in welchem Verhältnisse jene Aussage Jesu zu dem Vorangehenden und Nachfolgenden steht. Unmittelbar vorher nämlich findet sich ein Wort Jesu, welches dem Gesetz und den Propheten eine Gültigkeit bis auf Johannes den Täufer sichert (V. 16 8 νόμος καὶ οἱ προφῆται μέχρι Ιωάννου), während darauf das Reich Gottes als Frohbotschaft verkündigt wird, und jedermann in dasselbe hineinzustürmen sucht (ἀπὸ τότε ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ εὐαγγελίζεται καὶ πᾶς εἰς αὐτὴν βιάζεται). Es gewinnt hiernach den Anschein, als ob in dieser letztmarkirten Periode, trotzdem Gesetz und Propheten eigentlich abgelaufen seien, doch eher Himmel und Erde vergehen werden, als dass auch nur der kleinste Bestandteil des Gesetzes in Wegfall kommen könne. Der dritte Evangelist stellt hier also beides, sowohl die durch das Auftreten des Täufers und die Predigt des Evangeliums dem Gesetze gesetzte Zeitschranke, wie die den kleinsten Teilen desselben beizumessende Zeit dauer unbefangen neben einander,

ohne dass auch nur der Versuch gemacht wäre, beide Aussagen mit einander auszugleichen1).

Werden wir nach alledem nicht umhinkönnen, die beiden Stellen Matth. 5, 18. 19 und Luc. 16, 17 als eine zwar schon verhältnismässig früh entstandene, aber doch dem Geiste des historischen Christus nicht ganz homogene Interpolation aufzufassen, so glauben wir andrerseits die Geschichtlichkeit der Matth. 5, 17 wiedergegebenen Versicherung Jesu um so zuversichtlicher behaupten zu müssen. Ein Zweifel an der Authentie dieser Aussage würde nur unter der Voraussetzung sich nicht ohne Grund erheben lassen, wenn das bezügliche Dictum wirklich bei Eröffnung der ersten Phase der Lehrthätigkeit Jesu gesprochen worden wäre. In diesem letzteren Falle nämlich müsste es immerhin auffallen, wenn gegen eine Auffassung seines Lehrzweckes Protest erhoben wäre, zu der in der thatsächlichen Wirklichkeit die Prämissen noch nicht vorhanden waren. Nun sind wir aber durchaus nicht schlechthin verpflichtet, den bezüglichen Ausspruch als integrirenden Bestandteil einer möglicherweise wirklich von Jesu gehaltenen Inauguralrede am Anfange seiner messianischen Wirksamkeit einzureihen. Im Gegenteil haben wir vollkommen freie Hand, denselben in eine Zeit seiner Amtswirksamkeit zu verlegen, in welcher, nachdem er vielfach durch sein allerdings nicht gesetzloses, wohl aber mit der Gesetzesdeutung der Pharisäer und Schriftgelehrten sich in Widerspruch setzendes Verhalten in mehrfachen Conflict mit letzteren gekommen und dieserhalb einer scharfen, ja böswilligen Kritik derselben verfallen war (vgl. Matth. 26, 61.

1) Ob die von Joh. Weiss z. d. St. versuchte Auskunft, dass durch V. 16 ff. die zweite Hälfte des folgenden Gleichnisses vom reichen Manne und dem armen Lazarus (V. 27-31) vorbereitet werden solle, insofern als in dieser Gesetz und Propheten auch für die Zeit Jesu ihre Bedeutung als Bussprediger zu behalten bestimmt erscheinen, das Rechte trifft, wollen wir dahingestellt sein lassen.

Marc. 14, 58)1). Da nun Jesus schlechterdings von dem Bewusstsein getragen wird, dass die pharisäische Schriftdeutung an vielen Punkten die ursprüngliche Intention des göttlichen Gesetzgebers sowie seiner menschlichen Offenbarungsorgane geradezu illusorisch mache, er selbst sich dagegen überall bemüht, dem Willen Gottes seine echte und volle Befriedigung zu erwirken, so ist für eine spätere Epoche des Lebens Jesu eine Auslassung wie die V. 17 vorliegende vollkommen begreiflich.

1) Wenn man die Ansicht aufgestellt hat, dass man auf seiten von Volksgenossen Jesu die Meinung voraussetzen dürfe, dass es zur Aufgabe des Messias gehöre, das mosaische Gesetz zu abrogiren und an seiner Stelle ein neues zu geben, so wird diese Anschauung von Weber in seiner „altsynagogalen Theologie" als eine irrtümliche erwiesen S. 359-361, indem er ausführt, dass es sich in den betreffenden rabbinischen Citaten nicht um eine Abrogirung der alten und Festsetzung einer objectiv neuen Thora handle, sondern nur um ein durch den Messias vermitteltes neues Verständnis der alten. Aber auch wenn man mit Wünsche (Neue Beiträge zur Erläuterung der Evangelien aus Talmud und Midrasch z. d. St.) ein paar vereinzelte rabbinische Aussprüche (aus Midr. Schir haschirim und Midr. Vajikra r. Par. 3) in jenem dem alten Gesetze eine objective Umgestaltung voraussagenden Sinne deuten wollte, so scheinen diese jedenfalls ganz vereinzelt dastehenden Kundgebungen nicht ausreichend zu sein, um unsere in Matth. 5, 17 in weiteren Kreisen vorausgesetzte Meinung von der Umgestaltung des Gesetzes durch Jesum begreiflich zu machen, und dies dazu noch um so weniger, da in der von Matthäus für die betreffenden Worte vorausgesetzten Zeit Jesus von breiteren Volksschichten jedenfalls nicht für den Messias gehalten wurde, was sogar in einer späteren Periode (vgl. 16, 14) als noch nicht vorgekommen vorausgesetzt wird.

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Die Apostelgeschichte 13, 1-15, 34 behandelt die erste Bekehrungsreise des Paulus (und Barnabas) und den ApostelConvent.

1. Die erste Bekehrungsreise des Paulus (und Barnabas). Apg. 13, 1-14, 28.

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Overbeck bemerkt vorweg: Welche Quellen auch der Verf. C. 13. 14 benutzt haben mag, so hat er doch ihren Stoff ganz in sein Werk verarbeitet, und jede Spur einer schriftlichen Quelle muss für diesen Abschnitt der Apostelgeschichte geleugnet werden."

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B. Weiss (Einl. in d. N. T. § 50, 3) lässt hier nur wenig als quellenschriftlich gelten. Aus der von Anfang an wahrgenommenen Quellenschrift soll immer noch stammen Apg. 13, 1. 6-12. 14, 8-15 (aber 14, 8. 10 überarbeitet). 18. Vor allem war es ganz verfehlt, wenn man als Grundlage von Cap. 13. 14 einen eigenen Reisebericht forderte, wie noch Hilgenfeld, Mangold, Jacobsen u. A. [Wendt] thun . . .; denn in Wahrheit ist dieser Bericht so schablonenhaft, giebt über die Zeitverhältnisse und die eigentlichen Erfolge der Reise so wenig ein klares Bild, dass auch er wohl sicher rein nach Hörensagen concipirt ist. Wirkliche Details bringen nur die Episoden in Paphos und in Lystra (13, 6-12. 14, 8-18), und letztere namentlich

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