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πάντα σε καὶ λαλέοντα καὶ οὐ λαλέοντα λιγαίνει,

πάντα σε καὶ νοέοντα καὶ οὐ νοέοντα γεραίρει.

Den Hinweis Patin's auf diesen Hymnos begrüsse ich mit besonderer Freude. Er ist mir seit dreissig Jahren, wo ich als junger Student in den Bücherschätzen der Kirchenbibliothek meiner Vaterstadt Havelberg meine Nazianzenischen Forschungen begann, deren erstes, freilich erst 1876 als Programmabhandlung der damaligen Wandsbecker höheren Bürgerschule (Progr. Nr. 237) veröffentlichtes Ergebnis meine Schrift,,Quaestionum Nazianzenarum specimen" war, bekannt und vertraut und wegen seiner tiefen philosophischen Gedanken wohl im Gedächtnis geblieben. Um dieser letzteren Besonderheit willen war mir derselbe schon damals aufgefallen. Er schien mir anders geartet als die übrigen Gedichte des Nazianzeners, die philosophische Haltung liess mich nirgends einen im besonderen Sinne christlichen Gedanken erkennen. Meinen Bedenken und Zweifeln bin ich damals nicht nachgegangen, und A. Jahn's Vermutung, die er schon im Jahre 1838 in seinen „Lesefrüchten altdeutscher Theologie und Philosophie" S. 19 gelegentlich einer Erläuterung zu einer Stelle des Mystikers Heinrich Suso aussprach, Proklos möchte wohl der Verfasser des Hymnos sein, blieb mir unbekannt. Um diesen selbst scheinen sich Theologen wie Philosophen seit langer Zeit überhaupt nicht oder doch nur sehr wenig gekümmert zu haben. Ein besonderes Verdienst erwarb sich daher A. Jahn dadurch, dass er ihn in seiner Erstlingsausgabe von Πρόκλου ἐκ τῆς Χαλδαϊκῆς φιλοσοφίας (Halle 1891) in sorgfältiger Weise von neuem herausgab (a. a. O. S. 49-77). An diesem Orte hat nun derselbe, auf jene früher gelegentlich geäusserte Vermutung zurückgreifend, in erschöpfender Erwägung des Für und Wider den bisher Gregorios von Nazianz beigelegten Hymnos auf Gott für das hellenische Schrifttum der neuplatonischen Schule in Anspruch genommen und im besonderen den überzeugenden Nachweis geführt, dass Proklos dessen Verfasser ist: eine Entdeckung, durch welche er des grossen Lykiers dichterische

Schriften thatsächlich um ein glänzendes Stück bereicherte, indem er dieses dem ersten, prosaischen desselben Verfassers passend anschloss.

Hören wir, um des über den Hymnos ausgesprochenen Lobes willen nicht der Übertreibung geziehen zu werden, des Dichters Worte selbst, in der gereinigten Fassung, die ihnen Jahn (a. a. O. S. 76) gegeben, vermehrt um zwei von Olympiodoros angeführte und vom Herausgeber eingeschaltete, jedoch in Klammern gesetzte Verse:

Ὦ πάντων ἐπέκεινα τί γὰρ θέμις ἄλλο σε μέλπειν ;)
[πῶς σε τὸν ἐν πάντεσσιν ὑπείροχον ὑμνοπολεύσω ;]
πῶς λόγος ὑμνήσει σε; σὺ γὰρ λόγῳ οὐδενὶ ῥητός,
μοῦνος ἐὼν ἄφραστος, ἐπεὶ τέκες ὅσσα λαλεῖται.
πῶς νέος ἀθρήσει σε; σὺ γὰρ νόῳ οὐδενὶ ληπτός,
5 μοῦνος ἐὼν ἄγνωστος, ἐπεὶ τέκες ὅσσα νοεῖται.
πάντα σε καὶ λαλέοντα καὶ οὐ λαλέοντα λιγαίνει·
πάντα σε καὶ νοέοντα καὶ οὐ νοέοντα γεραίρει.
ξυνοὶ γάρ τε πόθοι, ξυναὶ δ ̓ ὠδῖνες ἁπάντων

ἀμφί σε· σοὶ δὲ τὰ πάντα προσεύχεται· εἰς σὲ δὲ πάντα

10 σύνθεμα σὸν νοέοντα λαλεῖ σιγώμενον ὕμνον.

[ἐκ σέο πάντα πέφηνε· σὺ δ ̓ οὐδενὸς εἵνεκα μοῦνος.]

σοὶ ἐνὶ πάντα μένει· σοὶ δ ̓ ἀθρόα πάντα θοάζει. καὶ πάντων τέλος ἐσσί, καὶ εἷς καὶ πάντα ὑπάρχεις, οὐχ ἓν ἐών, οὐ πάντα. πολύλλογε, πῶς σε καλέσσω τὸν μόνον ἀκλήιστον; ὑπερφανέας δὲ καλύπτρας 15τίς νέος οὐρανίδης εἰσδύσεται; ἵλαος εἴης,

ὦ πάντων ἐπέκεινα· τί γὰρ θέμις ἄλλο σε μέλπειν ;

Und nunmehr blicken wir auf die beiden oben von Patin besonders hervorgehobenen Verse des Hymnos, als dessen Verfasser wir jetzt Proklos kennen.

Dass der 6. Vers in dem von Christ und Paranikas in ihrer Anthologia Graeca carminum Christianorum" (Leipzig 1871) gegebenen Abdruck des Hymnos fehlt, scheint nicht für die Güte der Handschriften zu zeugen, welchen die Herausgeber folgten. Patin sieht den Vers mit Recht für ,,Zweifellos echt, nach der symmetrischen Anlage des Gedichts unentbehrlich" an, und seine Behauptung wird durch Jahn's Nachweisungen (a. a. O. S. 68/69) bestätigt. Ver

302 J. Dräseke: Proklos' Hymnos auf Gott. gebens aber suchen wir bei diesem nach einer genügenden Erklärung für die merkwürdige Form der in beiden Versen zum Ausdruck gebrachten Gegensätze. Er macht (S. 56 u. S. 60) nur auf die Form des Oxymorons Ilávra σɛ. . . où hahéovra hyαive aufmerksam, mit Verweisung auf die ähnliche Wendung in V. 10 (εἰς σὲ δὲ πάντα) λαλεῖ σιγώμενον Euvov und die sachlich verwandte Stelle bei Synesios (Hymn. 4, 81 f.): Υμνῶ σε, μάκαρ, Καὶ διὰ σιγᾶς. Ὅσα γὰρ φωνᾶς, Τόσα καὶ σιγᾶς Αἴεις νοερᾶς. Auch wenn wir mit Jahn (a. a. O. S. 60) der Worte des 18. (19.) Psalms gedenken: „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Veste verkündigt seiner Hände Werk", die Apollinarios in seiner Metaphrase gewandt also wiedergab:

Οὐρανοὶ ἄφθιτον εὐχος ἀπαγγέλλουσι θεοῖο,

Χειρῶν δ ̓ ἀθανάτων ἕδος οὐρανοῦ ἔργα λιγαίνει,

das Verbum yaivo hier ähnlich, wie dort bei Proklos gebraucht so kommen wir doch der Erklärung der eigentümlichen Ausdrucksweise in unseren beiden Versen damit nicht näher. Aufschluss giebt uns erst Patin, der klar erkannt hat, dass jene beiden Verse haarscharf das diaλeyóμενα οὐ διαλεγόμενα, γνώμην ἔχοντα ἀγνώμονα unseres heraklitisirenden Diätetikers wiedergeben". Wer hat vorher auf diesen merkwürdigen Zusammenhang geachtet? Niemand. Und wie sind diese Ausdrücke mit Herakleitos' eigenartiger Lehre in Verbindung zu bringen? Beide Paare von Gegensätzen bieten", belehrt uns Patin (a. a. O. S. 28, Anm. 19), „die gleiche Schwierigkeit; denn dass Heraklit einige Wesen als redegewandt und unmündig zugleich nachgewiesen, ist bekannt. . . . Die Frage ist vielmehr, wieso alles sprachbegabt und stumm sein soll, genau wie alles vernunftbegabt und unvernünftig ist. Denn dass dies Heraklits Lehre, das bezeugt nicht etwa nur Lucians γνῶσις ἀγνωσίη, sondern fr. 91 ξυνὸν τὸ φρονεῖν neben fr. 18 σοφὸν πάντων κεχωρισμévov. Es handelt sich also um ganz allgemeine Gegensätze, und dadurch werden alle bisherigen Erklärungsversuche (Zeller's hübschesten S. 603 nicht ausgenommen) hinfällig.

Und dass nun alles, wie an der yváμm, so am λóyos teil hat und nicht, das zeigt in der berüchtigten Vieldeutigkeit das deutlichste heraklitische Gepräge“.

So sehen wir also, dass auch Proklos in der Mitte des fünften Jahrhunderts, was an sich von vornherein ja gar nicht unwahrscheinlich sein darf, Herakleitos' Schrift offenbar noch in Händen gehabt und benutzt hat. Es würde nunmehr die Aufgabe sein, auf dieses durch Patin ermöglichte Ergebnis gestützt, des weiteren zu untersuchen, wie und in welcher Weise Proklos in seinen übrigen Schriften sich der so tiefsinnig gefassten und sprachlich so merkwürdig ausgeprägten Weisheit des grossen Ephesiers bedient hat.

XI.

Handschriftliches zu Procopius v. Gaza.

Von

Professor E. Bratke in Bonn.

Eine der notwendigen Vorarbeiten für die Ausgabe des Corpus patrum antenicaenorum, welches von der kgl. Akademie der Wissenschaften in Berlin geplant wird, bildet, wie auch A. Harnack und E. Preuschen1) mit Recht betonen, die Sammlung und Sichtung der in den griechischen und orientalischen, auch in den lateinischen Catenen aufgespeicherten Bruchstücke der altchristlichen Litteratur. Bei dem Namen „Catenen" denkt man gewöhnlich nur an Sammelwerke exegetischen Inhaltes und stellt sie gern mit den Florilegien d. h. den Auslesen von Sinnsprüchen zusammen. Man wird aber gut thun, nicht zu vergessen, dass die Ketten

1) A. Harnack und E. Preuschen, Geschichte der altchristlichen Litteratur bis Eusebius. 1. Teil. Leipz. 1893. S. IX u. 835 u. ö.

patristischer Citate von historischem, dogmatischem und praktisch-theologischem 1) Charakter ebenfalls Fundgruben für die Bereicherung unserer Kenntnis der vornicänischen Schriftwerke sind. Die Überzeugung, dass eine umfassende Bearbeitung dieser ganzen lange Zeit arg vernachlässigten Litteraturgruppe für die Patristik einen Gewinn verspricht, veranlasste mich auch zu einer genaueren Beschäftigung mit den Werken des Procopius v. Gaza (um 520), welchen man als den Begründer der Catenenschreiberei anzusehen pflegt, und auf dessen Bedeutung erst durch die Arbeiten von P. Wendland2) und L. Cohn3) die Theologen wieder aufmerksam gemacht worden sind. An zwei Punkten gedenke ich die Forschung über diesen der ältesten Kirchengeschichte am nächsten stehenden, hervorragenden Sammler patristischer Excerpte etwas weiter zu führen.

I. Die fälschlich dem Neophytus beigelegte Catene zum Hohenliede. Der im 16. Jahrhundert auf der Insel Kreta geschriebene griechische Codex Nr. 131 der kgl. Hof- und Staatsbibliothek zu München enthält [fol. 721 bis 1682] einen Prolog und eine Catene zum Hohenliede, welche das Werk „Neophyti presbyteri, monachi et inclusi“ sein sollen 1). Von ihm spricht meines Wissens zuerst J. Garnerius in seinem Auctarium Theodoreti Cyrensis episcopi 5) S. 185-187 mit Rücksicht auf ein Citat, welches in der genannten Catene dem Theodoret zugeschrieben wird.

1) Auf den Nutzen, welchen die Bearbeitung der Homiliarien der Patristik gewähren würde, macht Jülicher (Deutsche Lit.-Ztg. 1892. Nr. 44. S. 1421) aufmerksam.

2) Neu entdeckte Fragmente Philo's. Berl. 1891. S. 29 Anm. 1 weist Wendland übrigens darauf hin, dass wir eine Catene zum Hohenliede besitzen, welche älter als Procopius ist.

3) Zur indirecten Überlieferung Philo's und der älteren Kirchenväter (Jahrbb. f. prot. Theol. 1892. S. 475 ff.).

4) J. Hardt, Cat. cod. mscr. Bibl. reg. Bavaricae. Tom. II. Monachii. 1806. S. 86 f.

5) Theodoreti operum tom. V [ed. Sirmond]. Lutetiae Parisiorum 1684.

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