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der bequemen Ausgabe von S. Baer, darüber liesse sich streiten. Aber jeder wird diese Zugabe gern mit in Kauf nehmen, da der Preis des Buches auch so noch äusserst gering ist (1, 60 M.). Ausserdem hat Strack seiner Chrestomathie dadurch einen selbständigen Wert verliehen, dass er durch Vergleichung der vier wichtigsten Codices und die Anführung der nicht aufgenommenen Lesarten in den Anmerkungen unter dem Texte eine vortreffliche philologisch-kritische Ausgabe geschaffen hat.

Eine willkommene Zugabe zu den Texten ist das Wörterverzeichnis (p. 30-46). Die Eigennamen fehlen darin, weil sie in den Anmerkungen besprochen sind. Die Fremdwörter sind als solche bezeichnet. Vielleicht hätte noch hinzugefügt werden können, aus welcher Sprache sie stammen.

Das Buch war eigentlich für die porta linguarum orientalium bestimmt. Es ist nicht in dieser Sammlung erschienen, weil die Verlagsbuchhandlung auffallender Weise in letzter Stunde einen anderen Autor vorzog. Strack hat darum sein Buch schneller zum Druck gebracht, als er ursprünglich plante. Leider war es ihm infolge dessen nicht mehr möglich, eine wichtige englische Handschrift zu vergleichen. Wir hoffen, dass das für künftige Auflagen noch geschehen kann. Das Buch wird als Handbuch für akademische Vorlesungen die besten Dienste leisten. Jena. Dr. Heinrich Hilgenfeld.

Bekanntmachung

der Carl-Schwarz-Stiftung.

I. Die auch in dieser Zeitschrift (XXXVI, Bd. I, Heft 4, S. 512) bekannt gemachte Preisaufgabe der Carl-SchwarzStiftung: „Vergleichung der dogmatischen Systeme von R. A. Lipsius und A. Ritschl" hat sieben Bewerber gefunden.

Den ersten Preis erkannte das Preisrichter - Collegium dem Lic. theol. E. Pfennigsdorf, Pastor in Harzgerode, Herzgt. Anhalt, zu. Derselbe hat seine Arbeit nun herausgegeben als: "Vergleich der dogmatischen Systeme von R. A. Lipsius und A. Ritschl. Zugleich Kritik und Würdigung derselben", Gotha 1896.

Den zweiten Preis erhielt, mit der Erklärung gleicher Preiswürdigkeit, der cand. min. Johannes Wendland

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Bekanntmachung d. Carl-Schwarz-Stiftung.

in Berlin, welcher von der Herausgabe seiner Arbeit zur Zeit durch Erfüllung seiner militärischen Dienstpflicht abgehalten wird.

Zwei andere Preisbewerber erhielten die Anerkennung, dass ihre Namen, wenn sie es wünschen würden, nachträglich veröffentlicht werden sollten. Diesen Wunsch haben geäussert und werden auch hier bekannt gemacht:

Pfarramtsverweser Ströle in Breitenberg, Oberamt
Calw, Königr. Württemberg, und

Fritz Matthiä, Pfarrer in Diebzig bei Lödderitz,
Herzgt. Anhalt.

II. Die nächste Preisaufgabe ist:

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Untersuchung der Zeitfrage: Ist eine religionslose Moral möglich ?"

Für die beste wissenschaftliche Behandlung dieser Frage zahlt die Carl-Schwarz-Stiftung am 19. Nov. 1898 einen Preis von 500 Mk.

Die Arbeiten, welche bis zum 1. Aug. 1898 an Herrn Superint. G. Rudloff in Wangenheim bei Gotha, oder an dessen Nachfolger im Schriftführeramte einzusenden sind, müssen in deutscher Sprache von einer anderen als des Verfassers Hand deutlich geschrieben und mit einem Motto versehen sein, und es ist ein verschlossener Zettel mit demselben Motto beizulegen, welcher den Namen des Verfassers enthält.

Sämtliche eingereichte Arbeiten können nach Veröffentlichung des Urteils zurückgefordert werden. Auch die gekrönte bleibt Eigentum des Verfassers.

Im Auftrage des Preisrichter-Collegiums der Carl-SchwarzStiftung.

Jena, d. 17. März 1896.

D. A. Hilgenfeld.

Verantwortlicher Redacteur D. A. Hilgenfeld.

Pierer'sche Hofbuchdruckerei Stephan Geibel & Co. in Altenburg.

XIII.

Ein praktischer Standpunkt.

Von

Professor Dr. Ludwig Paul in Dresden.

Zu den glücklichsten Eigenschaften der Goethe'schen Natur gehört jener wundervolle Takt, der ihn wie im Leben so in der Wissenschaft auch bei den verwickeltsten Fragen oft nur ahnungsweise das Wahre treffen liess. In seinen besten Mannesjahren vor der Wende des Jahrhunderts stand die Kritik der biblischen Bücher erst in ihren Anfängen. Als einer Dichternatur lag Goethe von Haus aus alles, was mit der Kritik zusammenhing, fern, und so war es nicht zu verwundern, wenn er zu den Anfängen der biblischen Kritik ungefähr dieselbe Stellung einnahm, wie zu den Prolegomenen, die Fr. A. Wolf zum Homer geschrieben hatte. Goethe konnte nichts gegen das Resultat der Wolf'schen Forschungen einwenden, dass Homer sich der Errungenschaft und des Eigentums vieler Sänger vor ihm bemächtigt und so auf dieser Basis solche Epopöen erbaut habe, wie wir sie nun haben; aber für ihn als Dichter war diese kritische Errungenschaft nicht da: „Ich als Dichter habe ein ganz anderes Interesse, als das der Kritiker hat. Mein Beruf ist zusammenfügen, verbinden, ungleichartige Teile in ein Ganzes vereinigen; des Kritikers Beruf ist aufzulösen, zu trennen, das gleichartigste Ganze in Teile zu zerlegen" (vgl. Eckermann, Goethe's Gespräche, Bd. VIII, S. 264). So war zwischen ihm und dem Kritiker scheinbar eine unübersteig(XXXIX [N. F. IV], 3.)

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liche Scheidewand, und er betont das scharf genug. Gleichwohl gesteht er, dass er des Kritikers in hundert Fällen nicht entbehren könne: „Ich lese meinen Homer mit Bewunderung, stosse aber auf einmal auf Scenen und einzelne Stellen, die allen Eindruck stören und mich aufs Unangenehmste situiren. Hier weiss ich dem Kritiker unendlichen Dank, wenn er mir sagt: ja, grade diese Stelle ist unecht“ (1. c.). Wir sehen, Goethe nimmt von der Kritik grade so viel auf, als ihm praktisch verwertbar ist und dessen Ablehnung oder Fehlen ihn aufs Unangenehmste situiren" würde.

Ganz ähnlich geht es ihm nun mit der Kritik der neutestamentlichen Schriften. In einem Gespräche mit Eckermann kommt die Rede auf die Stelle, wo Christus auf dem Meere wandelt und Petrus ihm entgegengeht. Eckermann bemerkt, dass, wenn man die Evangelisten lange nicht gelesen, man immer wieder über die sittliche Grossheit der Figuren erstaune. In den hohen Anforderungen an unsere moralische Willenskraft finde man eine Art von kategorischem Imperativ. Das giebt Goethe zu, indem er beifügt, es sei das der kategorische Imperativ des Glaubens. Eckermann bemerkt dann weiter, dass die vielen Abweichungen und Widersprüche in den Evangelien doch darauf hinweisen, dass „die Bücher wunderliche Schicksale gehabt haben, ehe sie beisammengebracht sind, wie wir sie nun haben". Darauf erwidert Goethe: „Es ist ein Meer auszuschöpfen, wenn man sich in eine historische und kritische Untersuchung dieserhalb einlässt. Man thut immer am besten, sich ohne weiteres an das zu halten, was wirklich da ist und sich davon anzueignen, was man für seine sittliche Cultur und Stärkung gebrauchen kann" (1. c. S. 12). Das ist der Goethe'sche Standpunkt zu der Evangelienfrage geblieben, ein echt poetischer Standpunkt, wie er dem Dichter ziemt, der als erstes Erfordernis aller echten Poesie jene göttliche Ruhe verlangt, die als harmonische Stimmung aus des Dichters Herzensquell in seine Schöpfungen überströmt und sich den Herzen der anderen als ein reiner und von den Stürmen

der Welt unbewegter Strom mitteilt, um der Seele das in dem Toben und Treiben des mühevollen Lebens verlorene Gleichgewicht wieder segensreich zu spenden.

Eine gleiche Stimmung wie der Dichter hat auch der geistliche Redner in den Seelen hervorzubringen, welche ohne die Sicherstellung, die der Glaube giebt, in dem Treiben und Toben einer oft sündhaft getrübten Welt ihr Gleichgewicht zu verlieren Gefahr laufen. Nur dass diese Stimmung eine durchaus religiöse, in Gott versenkte sein soll. Aber, wo und wann durch geistliche Rede gewirkt werden soll, also auf dem eigentlichen Gebiet der geistlichen Thätigkeit überhaupt, da muss der Redner denselben Schatz in seinem Herzen tragen, den der Dichter in sich haben muss, „die göttliche Ruhe", mit welcher die übersinnliche Welt des Glaubens sich in die Gemüter der anderen einstrahlt. Alles, was dieser Strömung hinderlich sein würde, muss darum aus der geistlichen Rede gerade so gut entfernt sein, als es aus der Schöpfung des wahren Dichters entfernt sein muss. Ganz und gar hinderlich für die Erhebung des Gemüts ist da das Aufwerfen jeder kritischen Frage. Darum braucht aber eine Predigt noch lange nicht der kritischen Forschung ins Gesicht zu schlagen. Im Gegenteil, der geistliche Redner wird der Kritik bei Scenen und Stellen, die den Eindruck seiner Rede stören würden, wie Goethe, Dank wissen, wenn der Kritiker ihm sagt: „gerade diese Stelle ist unecht!" Nur dass die Kritik im Hintergrunde seiner ganzen Rede steht und von daher wie ein sorgsamer Wächter allem Störenden ferne zu bleiben gebietet. Der mit der Wissenschaft bekannte Hörer freut sich dabei des ungestörten Genusses, der seinem Denkvermögen nichts Unmögliches zumutet, seinem Glaubensleben aber Stärkung bringt; der Ungelehrte aber geniesst mit der Unbefangenheit naiver Frömmigkeit die gebotene, durch keine andere Nahrung zu ersetzende Labsal des Geistes.

Am allerwenigsten kommt bei der geistlichen Rede die Frage nach der Echtheit oder Unechtheit eines biblischen

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