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ihn geglaubt haben, unter der Herrschaft Berial's nicht mehr viele übrig sein werden. Allein dieser Sinn könnte ihnen doch höchstens dann gegeben werden, wenn irgend ein Unterschied zwischen der Art angedeutet wäre, in welcher der Prophet, und der, in welcher die späteren Gläubigen Christus gesehen haben, wenn es etwa hiesse: „von denjenigen, welche den mit leiblichen Augen gesehen haben, den ich im Geiste geschaut habe. Da dies nicht der Fall ist, da das Sehen (von dem wir übrigens nicht wissen, durch welches griechische Wort es bezeichnet war) dem Propheten ebenso beigelegt wird, wie den Späteren, da es sich auch dem Zusammenhange nach nicht darum handelt, wie viele Zeitgenossen Christi, sondern wie viele Christusgläubige die Verfolgung durch den Antichrist übrig gelassen hat, so kann man nicht behaupten, das qui viderunt eum etc. sei auf die Augenzeugen des Todes Jesu zu beschränken; sondern so gut das videre die geistige Anschauung des Propheten miteinschliesst, kann es auch die Anschauung aller derer miteinschliessen, welche das von den Augenzeugen Berichtete gläubig in sich aufnahmen. „Jesus sehen" bedeutet in diesem Zusammenhang einfach von den Thatsachen seines Lebens Kunde erhalten, das oor steht, wie 1 Joh. 3, 6. 3 Joh. 11. Ev. Joh. 14, 7, dem yiyvoxɛ fast gleichbedeutend: „die, welche Christus gesehen und an ihn geglaubt haben", ist eine Bezeichnung der Christenheit als der auf die Thatsachen seines Lebens gegründeten Glaubensgenossenschaft; ob aber die Einzelnen und wie viele von ihnen diese Thatsachen durch Autopsie oder durch Überlieferung kennen gelernt haben, darnach wird hiebei nicht gefragt. Diese Stelle giebt daher keinen Grund zu der Vermutung, dass unsere Weissagung in einer Zeit verfasst sein müsse, in der noch Zeitgenossen Christi am Leben waren; auch diese waren übrigens um 120 bis 130 n. Chr. wahrscheinlich, wenn man solche mitrechnet, welche jünger als er selbst waren, noch nicht gänzlich ausgestorben; vgl. Eusebius, KG. III, 32. 39, 4. 7.

Schon die vorstehenden Erwägungen würden nun wohl

genügen, um die Behauptung zu widerlegen, dass in das 3. und 4. Capitel der Ascensio eine auf die letzten Regierungsjahre Nero's bezügliche und noch aus ihnen herrührende Weissagung aufgenommen sei. Wir müssen aber noch einen Schritt weiter gehen. Diese Weissagung bezieht sich überhaupt nicht auf Nero, als dieses geschichtliche Individuum, sondern auf den in der Gestalt Nero's auftretenden Berial, den Teufel. Nicht jener, sondern dieser ist es, den der Verfasser als Antichrist erwartet, und wenn die Erklärer dieses bis jetzt nicht bemerkt haben, so beweist dies nur, dass die Auctorität der herrschenden, auf Johannes zurückgehenden christlichen Apokalyptik ihnen den Blick für die Eigentümlichkeit der Vorstellungen verdunkelt hat, denen wir bei dem falschen Jesaias begegnen. Dieser selbst ist dafür nicht verantwortlich, er hat vielmehr seine Meinung unzweideutig genug ausgesprochen. „Et postquam consummatum est sagt er 4, 2 descendet Berial angelus magnus rex hujus mundi cui dominatur ex quo exstat, et descendet e firmamento suo in specie hominis . . . tradetur (s. o. S. 559). Hic angelus Berial in specie istius regis veniet u. s. w. Es heisst von Nero nicht, wie 5, 1 von Manasse, Berial werde von seinem Herzen Besitz nehmen und infolge davon werde Nero dieses und jenes thun, sondern Berial selbst ist von Anfang bis zu Ende der Handelnde: er kommt herab, er verrichtet die erstaunlichsten Wunder, er lässt sich als Gott anbeten u. s. w. Er thut dies zwar in der Gestalt Nero's, aber er selbst thut es, nicht Nero auf sein Geheiss: er ist als Antichrist an Nero's Stelle getreten. Diese doketische Umbildung der ursprünglichen Weissagung über Nero als Antichrist muss natürlich erheblich später sein als diese selbst, sie kann nur in einer Zeit erfolgt sein, in der an ein Fortleben Nero's nicht mehr gedacht werden konnte und man nur die Wahl hatte, entweder den längst verstorbenen Christenverfolger durch ein dämonisches Wunder in's Leben zurückkehren oder den Bösen selbst, dessen Werkzeug er

gewesen war, in seiner Gestalt erscheinen zu lassen. Jenes that, im Anschluss an den Apokalyptiker Johannes, die herrschend gewordene Form der Weissagung vom Antichrist. Was den Verfasser unserer Ascensio bestimmt haben mag, statt dessen den zweiten Weg einzuschlagen, soll hier nicht untersucht werden 1). Dass aber diese Wendung des eschatologischen Mythus nicht blos nicht in die Zeit Nero's, sondern überhaupt nicht in das erste Jahrhundert verlegt werden kann, wird auch dadurch bestätigt, dass in dem gleichen Abschnitt unserer Schrift, welchem die Weissagung über Berial-Nero angehört, bereits zwischen den „Hirten“, d. h. den Bischöfen, und den Presbytern ein Unterschied gemacht wird), wie er vor dem zweiten Vierteil des zweiten Jahrhunderts wohl kaum schon gemacht werden konnte.

Wenn daher dasselbe prophetische Stück mit dem römischen Martyrium des Petrus schon bekannt zu sein scheint (sicher ist es, wie bemerkt, nicht), so wird dadurch nicht mehr bewiesen als das, was wir auch bisher schon anzunehmen Grund hatten: dass die Erzählung von dem Kampf des Apostels mit dem Magier, welcher den Untergang des Simon und die Hinrichtung des Petrus herbeigeführt habe, bald nach dem Anfang des zweiten Jahrhunderts unter den rö

1) Noch weniger habe ich Veranlassung, auf Clemen's seltsame Meinung (S. 404 f.) einzugehen, dass die von ihm sonst ganz zutreffend erläuterten 1332 Tage c. 4, 12. 14 „die Regierungszeit Nero's" symbolisch bezeichnen sollen. Selbst wenn sie auf Nero gingen, würden sie selbstverständlich, wie die entsprechende Angabe Apoc. 12, 6. 14, nur auf die Dauer seiner Herrschaft als Antichrist, der ihm erwiesenen göttlichen Verehrung, bezogen werden können. Auf dem Kaiserthron sass er ja zur Zeit der c. 4, 3 erwähnten Christenverfolgung schon seit 10 Jahren.

2) C. 3, 24: Et erunt multi seniores inique agentes et pastores oppressores ovium suarum et erunt rapaces socordia sua pastores sancti. V. 29: Et erit inter eos odium magnum, in pastoribus et in senioribus inter sese.

mischen Ebjoniten in Umlauf gesetzt worden war, und Glauben gefunden hatte. Die Wahrheit dieser Erzählung erhält dadurch keine neue Stütze, und vollends keine, welche haltbarer wäre als die bisherigen.

XXIV.

Die syrische Übersetzung der
Sextussentenzen.

Von

Prof. D. V. Ryssel in Zürich.

Übersetzung1).

1-3. II 10, 23: Der gläubige Mensch ist der auserwählte Mensch. Der auserwählte Mensch ist Gottes. Der Mensch Gottes ist der, welcher Gottes würdig ist. I 2, 2: Bei Gott glaubt man auf Grund der Würdigkeit seiner Werke, dass er der wahre Gott ist, und beim Menschen glaubt man auf Grund der Vortrefflichkeit seiner Werke, dass er wahrhaft gläubig ist. Zu Nr. 3 vgl. 2, 11: Wer sich von der Welt und von ihren (resp. seinen) Leidenschaften lossagt und in seinem Glauben weise ist, der ist Gott unter den Menschen (vgl. Nr. 376). 4. II 10, 24: Gottes würdig aber ist der, welcher nichts thut, was Gotte nicht angenehm 2) ist. 5. II 10, 25: Wenn du dich selbst bestimmt (eig. hingestellt) hast3), gläubig zu sein, so wirst du nichts thun, was Gottes

1) Betreffs der Überschriften zu den syrischen Übersetzungen s. o.

in Anm. 18 der Einleitung (Bd. XXXVIII, S. 623 f.).

2) Das könnte secundär sein, statt ursprünglichem

wie 10, 26 u. sonst (mit & für áváşıov).

3) Wenn die ungewöhnliche Redeweise

bedeutet:

„sich geschickt machen (eig. seine Seele in Stand setzen) zu etwas“,

nicht würdig ist. 6. II 10, 26: Denn jeder kleingläubige 1) Mensch ist nicht gläubig. I 2, 5: Der Kleingläubige ist nicht gläubig (resp. zuverlässig) in seinem Glauben. 7. II 10, 27: Der Gläubige aber, der sich auch in seinem Glauben bewährt hat, dieser ist Gott, der in dem Leibe eines lebendigen Menschen 2) wohnt; und wer in seinem Glauben nicht fest (resp. wahr) ist, ist ein toter Mensch, der in einem lebendigen Leibe wohnt. I 2, 6: Denn der Mensch ist tot, welcher lebt in seinem Leibe zu seinem Schaden 3). 8. II 10, 30: Der wahrhaft) Gläubige aber ist ein Mensch ohne Sünden. I 2, 4 (vor Nr. 6): In Wahrheit gläubig ist nicht der, welcher bloss nicht sündigt, sondern jener, der auch für die Sünder die Veranlassung wird, gerechtfertigt zu werden 5). 9. II 11, 1: und bis zu den kleinsten Dingen seines Lebens 6) führt er sich mit Einsicht auf. I 2, 7: Auch bis zum Kleinsten (plur.) nimm dich in deiner Lebensführung ")

so könnte man annehmen, dass der Syrer ¿лiτηdeve als denominatives Zeitwort, von лideos geschickt", fasste.

1) Eig. klein in seinem Glauben, wie Pesch. Matth. 6, 30. 8, 26. 16, 8. 2) Man könnte nach dem parallelen Ausdruck vermuten, dass der Syrer sagen wollte: „in dem lebendigen Leibe eines Menschen“, was sprachlich denkbar ist; es macht überhaupt den Eindruck, als ob er in der Lesung der Casusendungen geschwankt habe. Vgl. u. Nr. 824.

3) Wahrscheinlich hat der Syrer nur dem Sinne nach frei übersetzt; sollte dies aber doch nicht der Fall sein, so könnte er geschwankt haben, ob garri oder nuía resp. nuovuevos zu lesen sei (vgl. Nr. 9).

4) Der Syrer las jedenfalls nicht Er àìŋ9ɛíợ (wie Vatic. u. Syr. I), weil er dies syrisch genau ebenso wiedergeben konnte (durch 8772). 5) Es liegt hier nicht etwa eine Doppelübersetzung vor, derart, dass der Syrer drauάorntos zunächst in seiner gewöhnlichen Bedeutung, dann aber noch in anderem Sinne (etwa „sündentilgend“?) gefasst oder dafür eine andere Lesart für möglich oder ursprünglich gehalten hätte (etwa draugɛì àμagtýμata); sondern der Syrer I liebt es, einen Gedanken nach zwei Richtungen zu wenden (s. z. B. Nr. 74), selbst wenn er, wie hier, nicht durch den Wortlaut dazu berechtigt ist. Immerhin ist es denkbar, dass er von der Lesung des cod. Patm. (ur ἁμαρτάνων ὁ ἀναμάρτητος) ausging.

6) Hier könnte man annehmen, dass der Syrer II Bíov als Genetiv des Nennwortes píos fasste, schon deshalb, weil der Genetiv nicht in den

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