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Wie groß unsere Hochachtung für diese seine alte Sprache | ift, wird man aus unsern Anmerkungen darüber, die wir in Gestalt eines Wörterbuchs dem Werke beigefügt haben, deutlich genug erkennen. Aehnliche Wörterbücher über alle unsere guten Schriftsteller würden ohne Zweifel der erste nähere Schritt zu einem allgemeinen Wörterbuche unserer Sprache seyn. Wir haben die Bahn hierin, wo nicht brechen, doch wenigstens zeigen wollen. Endlich können wir unsern Lesern auch nicht verbergen, daß bereits vor mehr als funfzig Jahren ein Ungenannter eine ähnliche Arbeit mit unserm Logau unternommen gehabt. Er hat nämlich (1702) S. v. G. „auferweckte Gedichte“ herausgegeben. Dieser Titel ist der leßte unwidersprechlichste Beweis, daß diese Sinngedichte damals schon begraben gewesen sind. Allein dieser Ungenannte war vielleicht Schuld, daß unser Logau noch tiefer in die Vergessenheit gerieth, und nunmehr mit Recht zu einer neuen Begrabung verdammt werden konnte. Derjenige

Theil seiner Gedichte, welchen man ohne Wahl auferweckt hat, ist nicht allein mit unendlich schlechten und pöbelhaften Stücken vermischt worden; sondern die Logauischen selbst sind dergestalt verlängert, verkürzt, verändert worden, daß Nachdruck, Feinheit, Wit, alle Sprachrichtigkeit, ein jeder guter poetischer Name, eine jede gute Eigenschaft des Dichters, ja oft der Menschenverstand selber verloren gegangen ist. Wir führen keine Exempel an, um unsern Lesern den Eckel zu ersparen.

Werden die Liebhaber der Poesie an unserm alten Dichter einigen Geschmack finden: so freuen wir uns, daß dadurch die Beschuldigung immer mehr entkräftet werden wird, als ob wir Neuern allbereits von der Bahn des Natürlichschönen abgewichen wären, und nichts mehr empfinden könnten, als was auf einer gewissen Seite übertrieben ist. Berlin, den 5. Mai 1759.

Die Herausgeber.

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Dieses Theater des Herrn Diderot, eines von den vornehmsten Verfassern der berufenen Encyklopädie, besteht aus zwei Stücken, die er als Beispiele einer neuen Gattung ausgearbeitet und mit seinen Gedanken, sowohl über diese neue Gattung, als über andere wichtige Puncte der dramatischen Poesie und aller ihr untergeordneten Künste, der Declamation, der Pantomime des Tanzes begleitet hat.

Kenner werden in jenen weder Genie noch Geschmack vermissen; und in diesen überall den denkenden Kopf spüren, der die alten Wege weiter bahnt und neue Pfade durch unbekannte Gegenden zeichnet.

Ich möchte wohl sagen, daß sich, nach dem Aristoteles, kein philosophischerer Geist mit dem Theater abgegeben hat, als er.

Daher sieht er auch die Bühne seiner Nation bei weitem auf der Stufe der Vollkommenheit nicht, auf welcher sie unter uns die schaalen Köpfe erblicken, an deren Spitze der Professor Gottsched ist. Er gesteht, daß ihre Dichter und Schauspieler noch weit von der Natur und Wahrheit entfernt sind; daß beider ihre Talente, guten Theils, auf kleine Anständigkeiten, auf handwerksmäßigen Zwang, auf kalte Etikette hinauslaufen zc. Selten genesen wir eher von der verächtlichen Nachahmung gewiffer französischer Muster, als bis der Franzose selbst diese Muster zu verwerfen anfängt. Aber oft auch dann noch nicht.

Es wird also darauf ankommen, ob der Mann, dem nichts angelegener ist, als das Genie in seine alten Rechte wieder einzusetzen, aus welchen es die mißverstandene Kunst verdrängt, ob der Mann, der es zugesteht, daß das Theater weit stärkerer Eindrücke fähig ist, als man von den berühmtesten Meisterstücken eines Corneille und Racine rühmen kann, ob dieser Mann bei uns mehr Gehör findet, als er bei seinen Landsleuten gefunden hat.

Wenigstens muß es geschehen, wenn auch wir einst zu den gesitteten Völkern gehören wollen, deren jedes seine Bühne hatte.

Und ich will nicht bergen, daß ich mich einzig in solcher Hoffnung der Uebersetzung dieses Werks unterzogen habe.

Vorrede des Webersehers

zu der zweiten Ausgabe 1781.

Ich bin ersucht worden, dieser Uebersetzung öffentlich meinen Namen zu geben.

Da es nun vorlängst unbekannt zu seyn aufgehört hat, daß ich wirklich der Verfasser derselben bin; da ich mich des Fleißes, den ich darauf gewandt habe, und des Nußzens, den ich daraus gezogen, noch immer mit Vergnügen erinnere: so sehe ich nicht, warum ich mich einer Anforderung weigern sollte, die mir Gelegenheit giebt, meine Dankbarkeit einem Mann zu bezeigen, der an der Bildung meines Geschmacks so großen Antheil hat.

Denn es mag mit diesem auch beschaffen seyn, wie es will: so bin ich mir doch zu wohl bewußt, daß er ohne Diderot's Muster und Lehren eine ganz andere Richtung würde bekommen haben. Vielleicht eine eigenere: aber doch schwerlich eine, mit der am Ende mein Verstand zufriedener gewesen wäre.

Diderot scheint überhaupt auf das deutsche Thegter weit mehr Einfluß gehabt zu haben, als auf das Theater seines eige nen Volks. Auch war die Veränderung, die er auf diesem hervorbringen wollte, in der That weit schwerer zu bewirken, als das Gute, welches er jenem nebenher verschaffte. Die französischen Stücke, welche auf unserm Theater gespielt wurden, stellten doch nur lauter fremde Sitten vor; und fremde Sitten, in welchen wir weder die allgemeine menschliche Natur, noch unsere besondere Volksnatur erkennen, sind bald verdrängt. Aber je mehr die Franzosen in ihren Stücken wirklich finden, was wir uns nur zu finden einbilden: desto hartnäckiger muß der Widerstand seyn, den ihre alten Eindrüɗe jeder, wie sie dafür halten, unnöthigen Bemühung, sie zu verwischen oder zu überstempeln, entgegensetzen.

Wir hingegen hatten es längst satt, nichts als einen alten

Laffen im kurzen Mantel und einen jungen Geck in bebänderten Hosen unter ein halb Dutzend alltäglichen Personen auf der Bühne herumtoben zu sehen; wir sehnten uns längst nach etwas besserem, ohne zu wissen, wo dieses Bessere herkommen sollte, als „der Hausvater“ erschien. In ihm erkannte sogleich der rechtschaffene Mann, was ihm das Theater noch eins so theuer machen müsse. Sey immerhin wahr, daß es seitdem von dem Geräusche eines nichts bedeutenden Gelächters weniger ertönte! Das wahre Lächerliche ist nicht, was am lautesten lachen macht; und Ungereimtheiten sollen nicht bloß unsere Lunge in Bewegung setzen.

Selbst unsere Schauspieler fingen an dem „Hausvater“ zU= erst au, sich selbst zu übertreffen. Denn der Hausvater war weder französisch, noch deutsch: er war bloß menschlich. Er hatte nichts auszudrücken, als was jeder ausdrücken konnte, der es verstand und fühlte.

Und daß jeder seine Rolle verstand und fühlte, dafür hatte nun freilich Diderot vornehmlich gesorgt. Wenn ich aber doch gleichwohl auch meiner Uebersetzung ein kleines Verdienst in diesem Puncte zuschreibe: so habe ich, wenigstens bis jetzt, von den Kunstrichtern noch keinen besondern Widerspruch zu erfahren gehabt.

halten wollte; nicht als ob ich mir schmeichelte, überall auch da den wahren Sinn des Verfassfers getroffen zu haben, wo er selbst in seiner Sprache sich nicht bestimmt genug ausgedrückt hat! Ein Freund zeigt mir nur erst jetzt eine dergleichen Stelle; und ich bedaure, daß ich in dem Texte von diesem Winke nicht Gebrauch machen können. Sie ist in dem „natürlichen Sohne“ in dem dritten Auftritte des ersten Aufzuges, wo Theresia ihrer Sorgfalt um Nosaliens Erziehung gedenkt. „Ich ließ mir es angelegen seyn“, sagt sie, „den Geist und besonders den Character dieses Kindes zu bilden, von welchem einst das Schicksal meines Bruders abhängen sollte. Es war unbesonnen, ich machte es bedächtig. Es war heftig, ich suchte dem Sanften seiner Natur aufzuhelfen.“ Das es ist in allen vier Stellen im Französischen durch il ausgedrückt, welches eben sowohl auf das vorhergehende enfant, auf Rosalien, als auf den Bruder gehen kann. Ich habe es jedesmal auf Rosalien gezogen: aber es kann leicht seyn, daß es die beiden erstenmale auf den Bruder gehen und sonach heißen soll: „Er war unbesonnen, ich machte fie bedächtig. Er war heftig, ich suchte dem Sanften ihrer Natur aufzuhelfen." Ja dieser Sinn ist unstreitig der feinere.

Es kann jemand keinen einzigen solchen Fehler sich zu Schulden kommen lassen, und doch noch eine sehr mittelmäßige Ueber

Nicht als ob ich meine Uebersetzung frei von allen Mängeln setzung gemacht haben!

Aus den Briefen, die neueste Literatur betreffend.

Erster Theil.

1759.

Einleitung.

Der Herr von N** ein verdienter Offizier und zugleich ein Mann von Geschmack und Gelehrsamkeit, ward in der Schlacht bei Zorndorf verwundet. Er ward nach Fr** gebracht und seine Wundärzte empfahlen ihm nichts eifriger, als Ruhe und Geduld. Langeweile und ein gewisser militärischer Eckel vor politischen Neuigkeiten, trieben ihn, bei den ungern verlassenen Musen eine angenehmere Beschäftigung zu suchen. Er schrieb an einige von seinen Freunden in B** und ersuchte sie, ihm die Lücke, welche der Krieg in seine Kenntniß der neuesten Literatur gemacht, ausfüllen zu helfen. Da sie ihm unter keinem Vorwande diese Gefälligkeit abschlagen konnten, so trugen sie es dem Herrn Fll. auf, sich der Ausführung vornehmlich zu unterziehen.

Wie mir, dem Herausgeber, die Briefe, welche daraus entstanden, in die Hände gerathen, kann dem Publicum zu wissen oder nicht zu wissen, sehr gleichgültig seyn. Ich theile sie ihm mit, weil ich glaube, daß sie manchem sowohl von dem schreibenden als lesenden Theile der sogenannten Gelehrten, nüßlich seyn können.

Ihre Anzahl ist bereits beträchtlich, ob sie gleich ihren Anfang nur vor drei oder vier Monaten können gehabt haben. Sie werden auch hoffentlich bis zur Wiederherstellung des Herrn von N** fortgesetzt werden.

Ich habe völlige Gewalt sie drucken zu lassen, wie und

wann ich will. Der Verleger meinte, daß es am füglichsten wöchentlich geschehen könnte; und ich laffe ihm seinen Willen. D.

I.

Den 4. Jenner 1759.

Erster Brief.

Etwas werden Sie freilich nachzuholen haben; aber nicht viel. Die zwei gefährlichen mühsamen Jahre, die Sie der Ehre, dem Könige und dem Vaterlande aufopfern müssen, sind reich genug an Wundern, nur nicht an gelehrten Wundern gewesen. Gegen hundert Namen, — und hundert sind noch zu wenig — die alle erst in diesem Kriege als Namen verdienstvoller Helden bekannt geworden; gegen tausend kühne Thaten, die vor Ihren Augen geschahen, an welchen Sie Theil hatten, die zu Quellen der unerwartetsten Veränderungen wurden, kann ich Ihnen auch nicht ein einziges neues Genie nennen, kann ich Ihnen nur sehr wenige Werke schon bekannter Verfasser anführen, die mit jenen Thaten der Nachwelt aufbehalten zu werden verdienten.

Es gilt dieses von uns Deutschen vor allen andern. Zwar | hat der Krieg seine blutigste Bühne unter uns aufgeschlagen, und es ist eine alte Klage, daß das allzunahe Geräusch der Waffen die Musen verscheucht. Verscheucht es sie nun aus einem Lande, wo sie nicht recht viele, recht feurige Freunde haben, wo sie ohnedem nicht die beste Aufnahme erhielten, so können sie auf eine sehr lange Zeit verscheucht bleiben. Der Friede wird ohne sie wieder kommen; ein trauriger Friede, von dem

einzigen melancholischen Vergnügen begleitet, über verlorene Güter zu weinen.

Ich rufe Ihre Blicke aus dieser finstern Aussicht zurück. Man muß einem Soldaten sein unentbehrliches Geschäft durch die bejammernswürdigen Folgen desselben nicht verleiden.

Lieber will ich Sie und mich mit dem süßen Traume unterhalten, daß in unsern gesittetern Zeiten der Krieg nichts als ein blutiger Prozeß unter unabhängigen Häuptern ist, der alle übrige Stände ungestört läßt, und auf die Wissenschaften weiter keinen Einfluß hat, als daß er neue Xenophons, neue Polybe erweckt. Lieber will ich für Sie auch die leichtesten Spuren der unter uns noch wandelnden Musen aufsuchen, und ihnen bis in die glücklichern Reiche nachspüren, aus welchen sie, nicht längst, einen kürzern Weg zu uns gefunden zu haben scheinen.

Die Umstände, unter welchen Sie diese Arbeit von mir verlangen, machen sie mir zu einem Vergnügen, auf welches ich stolz zu seyn Ursache habe. Kann sich derjenige weigern, Ihre Schmerzen durch kleine Zerstreuungen zu lindern, der sie gern mit Ihnen getheilt hätte? 2c.

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Es war auch ein bloßer Buchhändlereinfall, wie der Uebersetzer selbst gesteht. Und was geht es diesem an: womit jener ihn Geld verdienen läßt, und selbst Geld zu verdienen denkt? Freilich sollte so ein blindlingsgefälliges Werkzeug eine bescheidenere Sprache führen, als unser Uebersetzer des Pope führt. Er sollte nicht sagen: „Ich habe mir eingebildet, meinen Dichter völlig zu verstehen und mich darauf verlassen, daß meine eigene fleine Dichtergabe, so geringe sie auch seyn mag, mir zu Hülfe kommen würde, das Verstandene so auszudrücken, daß der Schwung und die Deutlichkeit nicht zu viel verlören.“

Denn je größer er sich selbst macht, desto unbarmherziger wird ihm der Leser sein thörichtes Unternehmen aufmutzen, desto böhnischer wird er ihm jeden Fehler vorwerfen, der seinem Eigenlobe widerspricht. 3. E.

Pope will die Nachahmung der Aten rechtfertigen. Man verlangt, sagt er, und erwartet von einem Dichter, daß er ein gelehrter, und in den Werken der Alten belesener Mann (a Scho

1 Herrn Alexander Pope sämmtliche Werke 26. Erster Band. Altona bei D. Iversen. 1758 in 8.

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Pope vergleicht den Virgil mit seinem Muster, dem Theokrit. Der Römer, sagt er, übertrifft den Griechen an Regelmäßigkeit und Kürze, und ist ihm in nichts nachzusetzen, als in der Einfalt des eigenthümlichen Ausdrucks. (Simplicity and propriety of style.) Pope meint, daß der Styl in den Virgilischen Eklopen uneigentlicher, verblümter sey, als in den Theokritischen; und der Vorwurf ist nicht ohne Grund. Allein wie ihn der Uebersetzer ausdrückt, ist er es gänzlich. Er giebt nämlich Propriety durch Richtigkeit; und welcher Schriftsteller, selbst keiner von den Alten ausgenommen, in dem Virgil in der Richtigkeit des Styls (Correctness) vorzuziehen? 2

Pope erzählt die Geschichte seiner Autorschaft. Ich schrieb, fagt er, weil es mich angenehm beschäftigte; ich verbesserte, weil mir das Verbessern eben so viel Vergnügen machte, als das Schreiben; ich ließ drucken, weil man mir schmeichelte, daß ich Leuten gefallen könnte, deren Beifall einen guten Namen 3 verDer Uebersetzer aber läßt ihn sagen: „daß ich denen gefallen könnte, denen ich zu gefallen wünschte."

Virgil, der sich den Theokrit zum Muster vorgestellt sagt Pope und der Uebersetzer: Virgil der den Theokrit ausschreibt.

Dieses sind noch lange nicht alle Fehler, aus der bloßen Vorrede und Abhandlung von der Schäferpoesie, aus den ersten und leichtesten, nämlich prosaischen Stücken des ersten Bandes. Urtheilen Sie, wie es tiefer herein aussehen mag!

Was der Uebersetzer zur Entschuldigung seiner oft undeutschen Wortfügungen anführt; wie er sich in dieser Entschuldigung verwirrt und sich unvermerkt selbst tadelt, ist auf der siebenzehnten Seite des Vorberichts lustig zu lesen. Er verlangt, daß man, ihn zu verstehen, die Kunst zu lesen besite. Aber da diese Kunst so gemein nicht ist; so hätte er die Kunst zu schreiben verstchen sollen. Und wehe der armen Kunst zu lesen, wenn ihr vornehmstes Geschäft seyn muß, den Wortverstand deutlich zu machen! 2c.

Dritter Brief.

Wollen Sie einen andern kennen lernen, dessen guter Wille uns nun schon den zweiten englischen Dichter verdorben hat? Verdorben klingt hart; aber halten Sie immer dem Unwillen eines getäuschten Lesers ein hartes Wort zu gute.

Von des Herrn von Palthen Uebersetzung der Thomsonschen

1 That people should expect us to be Scholars, and yet be angry to find us so. In der Vorrede.

2 Abhandlung von der Schäferpoesie 6. 7. der deutschen Uebersegung.

3 Such as i was a credit to please. In der Vorrede.

4 In dem Vorberichte verspricht man die neun englischen Detav. bände in sechs deutsche zu bringen, und in den ersten deutschen die Hälfte des zweiten englischen mit zu fassen. Am Ende aber hat man sich anders besonnen; und die Leser erhalten nicht einmal den ganzen englischen ersten Band in diesem ersten deutschen; denn es fehlt ihm noch der Epilogus zu „Rowe's Jane Shore."

Jahreszeiten werden Ihnen frühere Urtheile zu Gesichte gekommen seyn. Nur ein Wort von seinen „Fabeln des Gay.“ '

Ein guter Fabeldichter ist Gay überhaupt nicht, wenn man seine Fabeln nämlich nach den Regeln beurtheilt, welche die Kunstrichter aus den besten Fabeln des Aesopus abstrahirt haben. Bloß seine starke Moral, seine feine Satyre, seine übrigen poetischen Talente machen ihn, trotz jenen Regeln, zu einem guten Schriftsteller.

Schade um so vielmehr, daß so manche feine Satyre dem Uebersetzer unter der Arbeit verflogen ist! Und es muß eine sehr eilfertige Arbeit gewesen seyn! Sehr oft hat er sich auch nicht die Zeit genommen, die Worte seines Originals recht anzusehen. Wenn Gay sagt:

The Miser trembling lock'd his chest:

(der Geizhals verschloß zitternd seinen Kasten) so sieht er lock'd für look'd an, und übersetzt: der Geizhals blickte zitternd auf seinen Kasten.

2

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Der letzte Zug ist ungemein fein und eine richtige Bemerkung. Sie werden krank, die lieben eigensinnigen Weiberchen, wenn man nicht thut was sie haben wollen. Nun sehen Sie, was der Herr von Palthen daraus macht: „Sie will entweder ihren Willen haben, oder auch umwechselnd die Herrschaft führen." O dreimal glücklicher, dessen Gattin sich mit dem letztern begnügt!

Die kleinsten Partikeln werden oft unserm Ueberseßer zum Anstoß. — Doch es muß Sie in die Länge verdrießen, daß ich mich mit solchen Kleinigkeiten aufhalte.

Lernen Sie nur noch aus einem einzigen Exempel, wie weit die Unverschämtheit der gelehrten Taglöhner unter uns geht. Ein gewisser C. G. Bergmann hat Bolingbroke's Briefe über die Erlernung und den Gebrauch der Geschichte übersetzt, 5 und er ist es, von dem man sagen kann, daß er alles, was die Welt noch bis jetzt von elenden Uebersetzern gesehen hat, unendlich weit zurückläßt. — Doch ich muß den Beweis versparen. Er fordert mehr Raum als mir übrig ist.

II.

Den 11. Jenner 1759.

Vierter Brief.

Unsere Uebersetzer verstehen selten die Sprache; sie wollen sie erst verstehen lernen; sie übersetzen, sich zu üben und find Hamburg und Leipzig bei Grund und Holle 1758 in 8.

2 VI. Fabel.

3 II. Fabel.

4 XII. Fabel.

5 Leipzig bei Lankischens Erben in groß 8. 1758.

klug genug, sich ihre Uebungen bezahlen zu lassen. Am wenigsten aber sind sie vermögend, ihrem Originale nachzudenken. Denn wären sie hierzu nicht ganz unfähig, so würden sie es fast immer aus der Folge der Gedanken abnehmen können, wo sie jene mangelhafte Kenntniß der Sprache zu Fehlern verleitet hat. Wenigstens geschicht es durch diese etwanige Fähigkeit, daß ihr Leser oft mehrere als nur die gröbsten bemerkt, und die folgenden des Herrn Bergmanns sind gewiß nicht erst durch die ängstliche Zusammenhaltung des Originals entdeckt worden.

Bolingbroke, wenn er von Männern, die zwar selbst durch ihre Studien weder weiser noch besser werden, andere aber in den Stand sehen, mit mehr Bequemlichkeit und in nüßlichern Absichten zu studiren, von den Herausgebern verlegener Handschriften, den Wortforschern u. s. w. redet, gedenkt mit Beifall eines Gelehrten, den man einst in der Kirche, in seiner Kapelle, unter der stückweisen Erwägung göttlicher Wohlthaten, dergleichen bei frommen Leuten nicht ungewöhnlich ist, Gott auch dafür danken gehört, daß er die Welt mit Lexiconsmachern versehen habe. Vergleichen Sie nunmehr dieses ' mit folgender Ueber setzung: „Ich billige daher die Andacht eines gelehrten Mannes aus der christlichen Kirche gar sehr, der in seiner Kapelle vergessen hatte, sich mit Gott zu beschäftigen, wie es bei andäch tigen Personen gar nichts unerhört es ist, und der unter andern besondern Danksagungen, wodurch er sich gegen die Gültigkeit Gottes erkenntlich bezeigte, der Welt Wörterbücher verschaffte." So viel Zeilen, so viel unverzeihliche

Fehler.

Bolingbroke fährt in seiner philosophischen Laune fort: Diese Leute wollen eben so gern berühmt seyn, als andere von größeren Talenten, und wenden die Mittel dazu an, so gut sie ihnen Gott verliehen hat 2c. Sie verdienen Aufmunterung, so lange sie nur bloß zusammentragen, und weder dabei wißig seyn, noch vernünfteln wollen. 2 Und Bergmann fährt fort, zu verhunzen: „Diese Leute erwerben sich Ruhm sowohl als solche, die höher sind als sie, durch diejenigen Mittel, so ihnen Gott gegeben hat, denselben zu erlangen 2. Sie verdienen aber dennoch Aufmunterung, weil sie beständig zusammen tragen, und weder auf Wiß noch Vernunft Anspruch machen.“

Bolingbroke vergleicht die Systeme der alten Zeitrechnung und Geschichte mit bezauberten Schlössern. Sie scheinen, sagt er, etwas zu seyn und sind nichts als Phantome; löse die Bezauberung auf (dissolve the charm) und sie verschwinden aus dem Gesicht wie jene. — Hat ihn Bergmann verstanden? „Alle diese Systeme," läßt er ihn sagen, sind so viele bezauberte Schlösser; sie erscheinen als etwas, und sind nichts als Erscheinungen. Ihre Reize fliegen gleich diesen auseinander und verschwinden aus unserem Gesichte.“

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macht sein hocus pocus, und alle Gedanken, alle Einfälle, die wirklich da waren, sind weg! Ohne alle Spur, weg!

Das allertollste aber ist dieses, daß er (wie soll ich mich gleich rund genug ausdrücken? Ich will, mit Ihrer Erlaubniß, einen Ausdruck aus dem Hudibras borgen), daß er seinem Autor „die Krätze giebt, um ihn reiben zu können.“ Das ist: er versteht ihn unrecht und straft ihn in gelehrten Anmerfungen wegen einer Ungereimtheit, die er selbst in ihn gelegt. hat. Hören Sie nur!

Bolingbroke redet in seinem dritten Briefe von der Bibel, als eine Quelle der Geschichte betrachtet. Er kommt auf die sogenannte Uebersetzung der siebenzig Dollmetscher und sagt: Die hellenistischen Juden erzählten von dieser Uebersetzung, um sie in Ansehen zu bringen, ja gar zu heiligen, eben so viel wunderbare Dinge, als die andern Juden von der Esra, welcher den Kanon ihrer Schriften zu machen anfing und von Simon dem Gerechten erzählt hatten, welcher diesen Kanon zu Ende brachte. Diese heiligen Romane, fährt Bolingbroke fort, wurden zur Tradition und die Tradition ward zur Geschichte; die Väter unserer christlichen Kirche ließzen es sich nicht zuwider seyn, Be brauch davon zu machen. Der heilige Hieronymus 2c. 2. Diese heiligen Romane? Was nennt Bolingbroke so? Was soust, als die frommen Märchen, deren er gleich vorher gedenkt? Und doch will sein elender Uebersetzer, daß er unter diesen Romanen die heiligen Bücher selbst, und nicht die jüdischen Fabeln von ihrer Erhaltung und ihrer Verdollmetschung verstehe. „Hier sieht man“, ruft er lächerlich aus, „die Folgerung des Verfassers! Er hatte vorher ganz und gar nicht beweisen können, daß die biblischen Bücher nicht schon da gewesen wären, oder daß sie verfälscht worden, jetzt aber nennt er sie heilige Romane, ohne uns zu sagen, wodurch sie sich in Romane hätten verwandeln fönnen 2c."

Possen! Wir wissen es freilich, daß Bolingbroke oft ziem lich cavalièrement von der Bibel spricht; aber hier thut er es doch nicht. Der Herr verspare wenigstens sein Collegium auf eine andere Stelle.

Und nun sagen Sie mir, ist das deutsche Publikum nicht zu bedauern? Ein Bolingbroke fällt unter die Hände seiner Knaben; sie schreien Kahlkopf über ihn, die Kahlkinne! Will denn kein Bär hervorkommen und diese Buben würgen?

Bergmann muß nicht allein das Englische nicht wissen; er muß gar nichts wissen. Wenn Bolingbroke sagt: die Chronologie ist eine von den Wissenschaften, welche blos a limine salutandae sind; so macht jener daraus: „welche man schon von weiten empfangen muß.“ Wenn Bolingbroke von dem Kanon des Marshams redet, redet jener von Marshams Sätzen, und muß nicht wissen, daß das Buch dieses Gelehrten hier gemeint wird, welches den Titel Canon chronologicus führt. Wenn Bolingbroke von dem Kanon der heiligen Bücher spricht, macht jener die Ordnung der heiligen Bücher daraus. Ich möchte wissen, was Herr Bergmann studirte? Ob die Theologie?

Schade, daß sich die gelehrte Welt des weltlichen Arms noch weniger bedienen darf, als die Kirche! Wäre es sonst nicht billig, daß man die Handlung, welche diese jämmerliche Uebersebung drucken lassen, mit Gewalt anhielte, uns eine bessere zu liefern, und jene ins Makulatur zu werfen? Sie müßte sich des Schadens wegen an den Uebersetzer halten können.

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Der „Lenz" des Herrn von Palthen scheint eine Sammlung von alle dem zu seyn, was er bei Uebersetzung des Thomsonschen Frühlings schlechteres gedacht hat; eine Sammlung von Zügen und Bildern, die Thomson und Kleist und selbst Zachariä verschmäht haben. Er malt Mücken, 2 und der Himmel gebe, daß uns nun bald auch jemand Mückenfüße male! Doch nicht genug, daß er seine Gegenstände so klein wählt; er scheint auch eine eigene Lust an schmutzigen und eckeln zu haben. Die aufgeschürzte Bauermagd mit blutdurchströmten Wangen und derben sich zeigenden Waden, wie sie am abgespannten Leiterwagen steht, mit zackigter Gabel den Mist darauf zu schlagen. Der erhitzte brüllende Stier, mit der breiten Brust und dem bucklichten Rücken, der die ihm nicht stehende Geliebte verfolgt, bis er endlich mit einem gewaltigen Sprunge über sie herstürzt und unwiderstehlich sie hält. Der Ackersmann, der sein schmutziges Tuch löst, woraus er schmierigen Speck und schwarzes Brod hervorzieht. Die grunzende Sau, mit den fleckigten saubern Ferkeln. - Der feurige Schmaß einer Galathee. Zu viel, zu viel Ingredienzien für ein Vomitiv! Hier ist eine Herzstärkung! Ein Project zu einem immerwährenden Frieden! „Aber keine Herzstärkung für mich;" werden Sie sagen. ,,Der Mann will mir das Handwerk legen!" Ach nicht doch! Er meint es so böse nicht. Sein Haupteinfall ist dieser: ein allgemeines Parlament oder Tribunal zu errichten, dessen Ausspruch sich alle europäische Staaten gefallen ließen. Merken Sie nun, daß der Herr von Palthen ein Rechtsgelehrter ist? Aber als jener alte Offizier seinen Vorschlag zur Verkürzung der Prozesse that und die alten gerichtlichen Duelle wieder einzuführen rieth, nicht wahr, da verrieth sich der Offizier auch? Doch dieses bei Seite! Wenn sich nun unter den europäischen Mächten halsstarrige fänden, die dem Urtheile des Tribunals Genüge zu leisten sich weigerten? Wie da? O der Herr von Palthen hat vollstreckende Völker, er hat militärische Executionen. Hat er die? Nun wohl, so hat er Krieg; und Sie sollen Zeit genug weiter avanciren. Werden Sie nur bald gesund!

Was soll ich Ihnen von den drei ersten Oden des Horaz sagen? Gleich vom Anfange heißt es:

Und wenn ihr Wagen ohne Fehl

Mit heißer Achs zum Ziel gelanget.

Metaque fervidis evitata rotis. Das Ziel zu erreichen, war das wenigste. Sie mußten um das Ziel herum! — Lassen Sie uns nicht weiter lesen.

1 Erste Sammlung. Rostock und Wismar bei Berger und Böd ner 1758 groß 8. Enthält 1) Der Lenz. 2) Ueberseßung des zweiten Buchs des Palingenius. 3) Project, einen immerwährenden Frieden zu unterhalten. 4) Petrarchs Leben in einem Sendschreiben an die Nachwelt von ihm selbst. 5) Lieder des Horaz. 6) Nachricht von dem Buche Naufrage des Isles flottantes. 7) Leben des Johann Philipp Palthenius.

2 Seite 14.

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