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„Alles was er mir sagte, dünkte mich seiner satyrischen Gestalt und seinem bocksmäßigen Namen zu entsprechen. Indessen folgte ich ihm, und verfertigte auf einem Stein folgende Fabeln." Wie gefällt Ihnen das? Die Schnacke ist schnurrig genug; aber laffen Sie uns doch sehen, auf wie viel Wahrheit sie sich gründet. Erst eine kleine Anmerkung über den Capriccio. Der arme Capriccio! Hat der es nun auch mit den Schweizern vertorben? Noch im Jahr 1749, als sie uns die Gedichte des Paters Ceva bekannt machen wollten, stand Capriccio bei ihnen in sehr großzem Ansehen. Da war er der poetische Taumel; da war er der muntere Spürhund, der in einer schallenden Jagd, die das Hüfthorn bis in die abgelegensten dunkelsten Winkel der menschlichen Kenntnisse ertönen läßt, das seltsamste Wild aufjagt: da war er Musis gratissimus hospes; da hatte er dem Bater sein Gedicht auf den „Knaben Jesus" machen helfen; da hatte er auch deutschen Dichtern die trefflichsten Dienste gethan; den einen hatte er in einer zärtlichen Elegie seine Liebe derjenigen erklären lassen, „die ihm das Schicksal zu lieben auferlegt und ihm ihre Gegenliebe geordnet, die er aber noch nicht kannte, noch niemals gesehen hatte;" der andere war durch ihn in einer coriambischen Ode „bis in die Tiefen jener Philosophie gelangt, in welchen er sich mit seinen Freunden noch als Atomos, die allererst aus der Hand der Natur kamen, erblickte, bevor sie noch geboren waren, doch sich nicht ganz unbewußt.“

Klein wie Theilchen des Lichts ungeseh'n schwärmeten,
wie sie auf einem Orangeblatt

Sich zum Scherzen versammelten,
Im wollüftigen Schooß junger Aurikelchen
Oft die zaubernde Zeit schwaßend beflügelten.

Das alles war und that Capriccio bei den Schweizern 1749. Und was lassen sie ihn 1760 thun? Schlechte Leffingische Fabeln machen. Welche Veränderung ist mit ihm vorgegangen? Mit ihm keine, aber desto größere mit den Schweizern. Capriccio ist der Gefährte der Fröhlichkeit:

Laetitia in terras stellato ex aethere venit,

Cui comes ille ciens animos et pectora versans,
Spiritus a capreis montanis nomen adeptus;

und seit 1749 fanden die Schweizer für gut, mit der Fröhlichkeit und zugleich mit ihrem ganzen Gefolge zu brechen. Sie waren fromme Dichter geworden, und ihr poetisches Interesse schien ein ernstes, schwermüthiges System zu fordern. Sie hatten sich andächtige Patriarchen zu ihren Helden gewählt; sie glaubten sich in den Charakter ihrer Helden setzen zu müssen; sie wollten es die Welt wenigstens gern überreden, daß sie selbst in einer patriarchalischen Unschuld lebten; sie sagten also zu der Fröhlichkeit: was machst du? und zu dem Capriccio: du bist toll! Vielleicht zwar lief auch ein kleiner Groll gegen diesen mit unter. Er war ihnen in dem „Noah" nicht munter genug gewesen: er hatte ihnen da nicht genug seltsames poetisches Wild aufgejagt. Denn wer weiß, ob nicht Capriccio einer von den Spürhunden ist, die nicht gern ins Wasser gehen; und besonders nicht gern in so gefährliches Wasser als die Sündfluth. Da dachten die Schweizer: willst du uns nicht, so wollen wir dich auch nicht; lauf! Man hört es zum Theil aus ihrem eigenen Geständnisse. Einer von ihren Poeten singt jest „den Tod Sauls und Jonathans: ist Capriccio bei ihm? Nein. Die Lessing, Werke. I.

Muse nur ist bei ihm; und Capriccio schwärmt indeffen, ich weiß nicht wo herum, ob es gleich von ihm weiter heißt: pictoribus ille

Interdum assistens operi, nec segnius instans
Vatibus ante alios, Musis gratissimus hospes.

Ich sorge, ich sorge, die Muse folgt ihrem Capriccio nach. Noch eine Messe Geduld, und wir werden es sehen. Wenn sie sich doch ja mit ihm wieder aussöhnten ! Da war es mit den Schweizern noch auszuhalten, als Capriccio ihr Freund war. Da durfte Lemene ungescheut vor ihnen singen:

Vorrei esser ne l'Inferno,

Ma con Tantalo nel rio,
Ma che 'l rio fosse Falerno,

Ma non fugisse mai dal labro mio.

Es war ein allerliebster Einfall! Denn der Einfall kam vom Capriccio. Seitdem kam der Einfall

Es donnert! Trink und sich auf mich!

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Zeus ist gerecht; er straft das Meer:
Sollt' er in seinen Nektar schlagen?

allem Ansehen nach zwar auch vom Capriccio; allein Capriccio steht nicht mehr bei ihnen in Gnaden, und Leffing ist ein profaner Bösewicht.

Aber zur Sache. „Laß uns, muß Capriccio sagen, im Aelian und Suidas und Antonius Liberalis jagen.“ Was will Hermann Arel damit zu verstehen geben? Offenbar, daß Lessing seine Fabeln nicht erfunden, sondern aus diesen alten Schriftstellern zusammen gestoppelt habe. Es ist wahr, er führt sie in seinem Verzeichnisse an: allein wer diese Anführungen unter suchen will, wird finden, daß nichts weniger als seine Fabeln darin enthalten sind. Kaum daß sie einen kleinen Umstand enthalten, auf welchen sich dieser oder jener Zug in der Fabel bezieht, und den er dadurch nicht ohne Autorität angenommen zu haben erweisen will. Die Wahrheit zu sagen, hätte ich es selbst lieber gesehen, wenn uns Lessing diese kleine gelehrte Brocken erspart hätte. Wem ist daran gelegen, ob er es aus dem Aelian oder aus der Acerra philologica hat, daß z. E. das Pferd sich vor dem Kameele scheut? Wir wollen nicht die Genealogie seiner Kenntniß von dergleichen bekannten Umständen, sondern seine Geschicklichkeit, sie zu brauchen, sehen. Zudem sollte er gewußt haben, daß der, welcher von seinen Erfindungen, sie mögen so groß oder so klein seyn als sie wollen, einige Ehre haben will, die Wege sorgfältig verbergen muß, auf welchen er dazu gelangt ist. Nicht den geringsten Anlaßz wird er verrathen, wenn er seinen Vortheil versteht: denn sehr oft ist die Bereit schaft, diesen Anlaß ergriffen zu haben, das ganze Verdienst des Erfinders; und es würden tausend andere, wenn sie den nämlichen Anlaß gehabt hätten, wenn sie in der nämlichen Disposition ihn zu bemerken gewesen wären, das nämliche erfunden haben. Unterdessen kommt es freilich noch darauf an, ob die Stellen, welche L. anführt, dergleichen Anlasse sind. 3. E. Sie erinnern sich seiner Fabel

Die Furien (f. S. 39).

Diese Fabel ist die einzige, bei welcher L. den Suidas anführt. Und was steht im Suidas davon? Dieses, daß derαDevos (immerjungfer) ein Beiname der Furien gewesen sey. Weiter nichts? Und doch soll dem Suidas mehr als Lessingen diese Fabel angehören? So jagte er in dem Suidas um diese Fabel zu finden? Ich kenne den Suidas auch; aber wer 24

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Beschluß des hundert und siebenundzwanzigsten
Briefs.

Ich wüßte auch kaum zwei bis drei Exempel anzuführen, wo L. seinen alten Währmännern mehr schuldig zu seyn schiene, als er dem Suidas in dieser Fabel von den Furien schuldig ist. Hingegen könnte ich sehr viele nennen, wo er sie ganz vor langer Weile citirt, und man es ihm zu einem Verdienste anrechnen müßte, wenn er seine Erdichtungen wirklich aus den angeführten Stellen herausgewickelt hätte. Hermann Axel muß es nach der Hand auch wohl selbst gemerkt haben, daß es so leicht nicht ist, in den alten Classikern zu jagen, ohne ein gelehrter Wilddieb zu werden. Denn sein Capriccio verspricht es zwar zu thun; am Ende aber sieht man, daß er weder im Suidas noch im Aelian, sondern in den Schriften des Genfer Rousseau, in Browns Estimate, in Popens Briefen gejagt hat. Nun habe ich zwar alle Hochachtung gegen diese Männer, und sie sind unstreitig größer als jene staubigte Compilatoren; allein demungeachtet ist es weniger erlaubt, sich aus solchen Männern als aus jenen alten zu bereichern. Denn dieses nennt das Publicum, welches sich nicht gern ein Vergnügen zweimal in Rechnung bringen läßt, verborgene Schätze graben; und jenes mit fremden Federn stolziren.

Doch damit ich Axeln nicht verleumde: eine einzige Fabel (weil er es doch einmal Fabel nennt) finde ich, die er einem Alten zu danken hat; und zwar dem bekannten Schulbüchelchen des Plutarch, wie man mit jungen Leuten die Dichter lesen soll. Ich sage zu danken hat; denn jagen hat er sie nicht dürfen: das Thier war zahm genug, sich mit der Hand greifen zu lassen. Es heißt bei dem Plutarch: ore μev, os Φιλοξενος ὁ ποιητης έλεγεν, των κρεών, τα μη κρεα, ήδιςα έζι, και των ιχθυων, οἱ μη ίχθυες, ἐκείνοις ἀποφαινεσθαι παρωμεν, δις ὁ Κατων έφη, της καρδιας την υπερωαν ἐναισθητότεραν ὑπαρχειν. Ότι δε των ἐν φιλοσοφια λεγομενων, οἱ σφοδρα νεοι τοις μη δοκουσι φιλοσοφως, μηδε ἀπὸ σπουδης λεγεσθαι, χαιρουσι μαλλον, και παρεχουσιν ὑπηκοους ἑαυτους και χειροήθεις, δηλον ἐζιν ἡμιν. 56 8 wahr ist, was der Dichter Philoxen sagt, daß das angenehmste Fleisch das ist, was nicht Fleisch ist, und die angenehmsten Fische die, die nicht Fische sind: das wollen wir denen zu entscheiden überlassen, die, mit dem Cato zu reden, allen ihren Verstand im Gaumen haben. Das aber ist unstreitig, daß junge Leute diejenigen philosophischen Lehren am liebsten anhören, am willigsten befolgen, die in keinem ernsthaften, philosophischen Tone borgetragen werben." — giunt, was meinen Sie, δαβ hieraus | für eine Fabel geworden? Folgende:

Der Reiz der Bubereitung.

„Cinna der Poet bat Cleander den leckerhaften Effer auf ein wirthschaftliches Mittagsmahl. Eine Schüssel mit Speisen ward aufgetragen, Cleander aß mit bedachtsamer Miene und

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sagte: das angenehmste Fleisch ist, was nicht Fleisch ist. Hernach kam eine Schüffel mit Fischen; dann sagte er: der angenehmste Fisch ist, der kein Fisch ist. Cinna gab ihm zu erkennen, daß er diese räthselhafte Sprache nicht verstünde. Cleander versette: Soll ein Mann, der den Geschmack nur in der Kehle hat, den hierüber belehren, der ihn in dem Verstande hat? Der Gedanke kann dir nicht fremd seyn, daß die Menschen diejenige philosophische Schrift am liebsten haben und mit dem meisten Vergnügen lesen, die nicht philosophisch, noch im Ernst geschrieben scheint. Sie wollen in dem Vortrage und den Vorstellungen eine schmackhafte und niedliche Zubereitung haben. Ich dächte, daß wir dieser Betrachtung deinen Phaeton, deine Verwandlun gen, und deine Kate in Elysium schuldig wären.“

Und das nennt Axel eine Lessingische Fabel? Wenn er uns doch nur eine einzige anführte, wo dieser Verfasser ein so kahler Ausschreiber ist, und eine schöne Stelle eines Alten so jämmerlich zu seinem Nutzen verarbeitet. Was hat Axel hier hinzuerfunden? Was hat er anderes, was hat er mehr hineingelegt, als nicht schon darin liegt? Wenn er, als ein Schweizer, wenig stens nur noch einen Schritt weiter gegangen wäre, und den leckerhaften Esser zum dritten hätte sagen lassen: „der ange nehmste Käse ist der, der kein Käse ist:" so wäre es doch noch etwas gewesen. Aber auch das hat er nicht 'gethan; und erscheint mir ganz der Poet Cinna selbst gewesen zu seyn, der hier die Ehre hat, gegen den Fresser eine sehr alberne Person zu spielen.

Nicht L., sondern Axel selbst ist seit langer Zeit als ein Zusammenschreiber bekannt, der seine Belesenheit für Erfindungskraft zu verkaufen weiß. 3. E. Als ihn der Verfasser der „neuen kritischen Briefe“ sein Probestück machen ließ und ihm verschiedene Aufgaben zu Fabeln vorlegte, befand sich auch diese darunter: Auf einen der sich rühmte, er kenne das Gedicht, der Messias, sehr wohl, es wäre in Hexametern verfaßzt, und er hätte den Vers aus demselben behalten:

Also versammelten sich die Fürsten der Hölle zu Satan. Geschwind besann sich Axel auf ein anderes Schulbüchelchen, und erzählte folgendes:

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Der Palast des Prinzen Eugen.

„Man redete in einer Gesellschaft von dem Palaste des Prin en Eugen, ber in bem preufijden lebenfal follte niedergerifen werden. Man war sehr bemüht, sein Ebenmaaß, seine Abthei lugent unb gange orm aut unterfuden. in Senjd, ber große Reisen gethan hatte, schwieg lange stille, endlich fing er an: Dieser Palast ist mir so gut bekannt, als irgend jemanden. Ich war in Wien, als er gebaut ward, und ich habe das Glück, ein Stückchen von dem Marmor zu besitzen, woraus er gebaut ist. Zugleich zog er das Stückchen aus der Tasche und betheuerte, daß ers von dem Marmor heruntergeschlagen hätte, von welchem der Palast erbaut worden."

Was ist das anders, als das Mährchen des Hierokles von dem Scholastiker, welcher sein Haus verkaufen wollen? Exoλαζικος οικιαν πωλων, λιθον ἀπ ̓ αὐτῆς εἰς δειγμα περιέ

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wollen? Was anders, als daß es eine Art von wilden Spröden giebt, die nichts weniger als liebenswürdige Muster der weiblichen Zucht genannt zu werden verdienen? So offenbar dieses ist, so wenig will es ihm doch Arel zugestehen, sondern glaubt diese Moral erst durch nachstehende Fortsetzung heineinzulegen.

Unempfindlichkeit ist nicht strenge Bucht.

„Hast du die drei strengen, züchtigen Mädchen noch nicht gefunden, Iris, die ich dir befahl zu suchen, damit ich der Venus Hohn sprechen könnte? Also fragte Juno die Botschafterin des Himmels. Ich fand sie, antwortete Iris, aber sie waren schon vergeben; Merkur hatte sie zum Pluto geführt, der sie für Furien brauchen will. Für Furien, diese Tugendhaften? sprach Juno. O, verseßte Iris, vollkommen strenge; alle drei hatten ten geringsten Funken in ihren Herzen erstickt, alle drei haben niemals einer Mannsperson gelächelt. Die Göttin machte große Augen und versetzte: du hast mir diesmal einen schlechten Begriff von deinem Verstande gemacht, und deine Moral ist mir verdächtig, indem du Tugend, Keuschheit und Zucht mit Menichenhaß und Unempfindlichkeit vermischest. Gellert soll mir die suchen, die ich verlange."

Der seltsame Axel! Also muß man dem Leser nichts zu denken lassen? und das Compliment, das Gellert hier bekommt! Er, den die Schweizer ehedem, wie Lessingen mit Stoppen in eine Classe setzten!

So sehr unterdessen Herr L. von Axeln gemißhandelt wor den, so weiß ich doch nicht, ob es ihn eben sehr verdrießen darf, seine Fabeln so geflissentlich parodirt zu sehen. Er mag sich erinnern, was der Abt Sallier zu dem ersten Requisit einer Parodie macht. Le sujet qu'on entreprend de parodier, doit toujours être un ouvrage connu, célèbre et estimé. La critique d'une pièce médiocre ne peut jamais devenir interessante, ni piquer la curiosité. Quel besoin de prendre la peine de relever des défauts, qu'on n'aperçoit que trop sans le secours de la critique? Le jugement du public prévient celui du censeur: ce seroit vouloir apprendre aux autres ce qu'ils savent aussi bien que nous, et tirer un ouvrage de l'obscurité où il mérite d'être enseveli. Une pareille parodie ne sauroit ni plaire ni instruire, et l'on ne peut parvenir à ce but, que par le choix d'un sujet, qui soit un quelque façon consacré par les éloges du public. Und wenn es gar wahr wäre, was man uns mehr als einmal zu verstehen gegeben hat, daß Hermann Axel niemand anders als unser berühmter Bodmer sey: wie eitel kann er darauf seyn, diesen kritischen Vejanius,

Spectatum satis et donatum jam rude,

noch eins bewogen zu haben

antiquo se includere ludo.

Sophokles.

Erstes Buch.

Von dem Leben des Dichters. 1760.

Bayle, der in seinem „kritischen Wörterbuche“ sowohl dem Aeschylus als dem Euripides einen besondern Artikel gewidmet hat, übergeht den Sophokles mit Stillschweigen. Verdiente Sophokles weniger gekannt zu werden? War weniger Merkwürdiges von ihm zu sagen, als von jenen seinen Mitbewerbern um den tragischen Thron?

Gewiß nicht. Aber bei dem Aeschylus hatte Baylen, Stanley; bei dem Euripides hatte ihm Barnes vorgearbeitet. Diese Männer hatten für ihn gesammelt, für ihn berichtigt, für ihn verglichen. Voll Zuversicht auf seinen angenehmern Vortrag, seßte er sich eigenmächtig in die Rechte ihres Fleißes. Und diesem Fleiße den Staub abzukehren, den Schweiß abzutrocknen, ihn mit Blumen zu krönen: war seine ganze Arbeit. Eine leichte und angenehme Arbeit!

Hingegen als ihn die Folge der Buchstaben auf den Sophokles brachte, vergebens sah er sich da nach einem Stanley oder Barnes um. Hier hatte ihm niemand vorgearbeitet. Hier mußte er selbst sammeln, berichtigen, vergleichen. Wäre es schon sein Werk gewesen, so erlaubte es ihm jetzt seine Zeit nicht, und Sophokles blieb weg.

Die nämliche Entschuldigung muß man auch seinem Fortfeber, dem Herrn Chaufepié, leihen. Auch dieser fand noch keinen Vorarbeiter, und Sophokles blieb abermals weg.

-

Man gewinne aber einen alten Schriftsteller nur erst lieb, und die geringste Kleinigkeit, die ihn betrifft, die einige Beziehung auf ihn haben kann, hört auf uns gleichgültig zu seyn. Seitdem ich es bedauere, die Dichtkunst des Aristoteles eher studirt zu haben als die Muster, aus welchen er sie abstrahirte, werde ich bei dem Namen Sophokles, ich mag ihn finden, wo ich will, aufmerksamer als bei meinem eigenen. Und wie vielfältig habe ich ihn mit Vorsatz gesucht! Wie viel Unnüßes habe ich seinetwegen gelesen!

Nun denke ich: keine Mühe ist vergebens, die einem andern Mühe ersparen kann. Ich habe das Unnüße nicht unnützlich gelesen, wenn es von nun an dieser oder jener nicht weiter lesen darf. Ich kann nicht bewundert werden; aber ich werde Dank verdienen. Und die Vorstellung, Dank zu verdienen, muß eben so angenehm seyn, als die Vorstellung bewundert zu werden, oder wir hätten keine Grammatiker, keine Literatoren.

Mit mehrerm Wortgepränge will ich dieses Leben meines Dichters nicht einführen. Wenn ein Kenner davon urtheilt, „Barnes würde es gelehrter, Bayle würde es angenehmer geschrieben haben,“ so hat mich der Kenner gelobt.

Leben des Sophokles.

,,Vor allen Dingen muß ich von meinen Quellen Rechenschaft geben (A). Diesen zufolge war Sophokles von Geburt

ein Athenienser und zwar ein Koloniate (B). Sein Vater | gegeben. Die eine, welche ein altes Sinngedicht zum Grunde hieß Sophilus (C). Nach der gemeinsten und wahrscheinlichsten Meinung ward er in dem 2ten Jahre der 71sten Olympias geboren (D).

"

„Er genoß eine sehr gute Erziehung. Die Tanzkunst und die Musik lernte er bei dem Lamprus, und brachte es in dieser letztern wie auch im Ringen so weit, daß er in beiden den Preis erhielt (E). Er war kaum 16 Jahr alt, als er mit der Leier um die Tropäen, welche die Athenienser nach dem Salaminischen Siege errichteten, tanzte und den Lobgesang anstimmte. Und das zwar nach einigen nackt und gesalbt; nach andern aber bekleidet (F). In der tragischen Dichtkunst soll Aeschylus sein Lehrer gewesen seyn; ein Umstand, an welchem ich aus verschiedenen Gründen zweifle (G). Ist er unterdessen wahr, so hat schwerlich ein Schüler das Uebertriebene seines Meisters, worauf die Nachahmung immer am ersten fällt, beffer eingesehen und glücklicher vermieden, als Sophokles. Ich sage dieses mehr nach der Vergleichung ihrer Stücke, als nach einer Stelle des Plutarchs (H).

„Sein erstes Trauerspiel fällt in die 77ste Olympias. Das sagt Eusebius, das sagt auch Plutarch; nur muß man das Zeugniß dieses lettern recht verstehen; wie ich denn beweisen will, daß man gar nicht nöthig hat, die vermeinte Verbesserung anzunehmen, welche Samuel Petit darin angegeben hat (I).

„Damals war der dramatische Dichter auch zugleich der Schauspieler. Weil aber Sophokles eine schwache Stimme hatte, so brachte er diese Gewohnheit ab. Doch blieb er darum nicht ganz von dem Theater (K).

,,Er machte in seiner Kunst verschiedene Neuerungen, wodurch er sie allerdings zu einer höheren Staffel der Vollkommenheit erhob. Es gedenken derselben zum Theil Aristoteles (L); zum Theil Suidas (M); zum Theil der ungenannte Biograph (N).

„Mit der Aufnahme seiner „Antigone“ hatte Sophokles ohne Zweifel die meiste Ursache vergnügt zu seyn. Denn die Athenienser wurden so entzückt davon, daß sie ihm kurz darauf die Würde eines Feldherrn ertheilten. Ich habe alles gesammelt, was man von diesem Puncte bei den Alten findet, die sich in mehr als einem Umstande widersprechen (O). Viel Ehre scheint er als Feldherr nicht eingelegt zu haben (P).

„Die Zahl aller seiner Stücke wird sehr groß angegeben (Q). Nur sieben sind davon bis auf uns gekommen; und von den andern ist wenig mehr übrig als die Titel. Doch auch diese Titel werden diejenigen nicht ohne Nutzen studiren, welche Stoffe zu Trauerspielen suchen (R).

„Den Preis hat er öfters davon getragen (S). Ich führe die vornehmsten an, mit welchen er darum gestritten hat (T).

„Mit dem Euripides stand er nicht immer in dem besten Vernehmen (U). Ich kann mich nicht enthalten, eine Anmerkung über den Vorzug zu machen, welchen Sokrates dem Euripides ertheilte. Er ist der tragischen Ehre des Sophokles weniger nachtheilig, als er es bei dem ersten Anblicke zu seyn scheint (X).

„Verschiedene Könige ließen ihn zu sich einladen; allein er liebte seine Athenienser zu sehr, als daß er sich freiwillig von ihnen hätte verbannen sollen (Y).

„Er ward sehr alt und starb in dem 3ten Jahre der 93ften Oympias (Z). Die Art seines Todes wird verschiedentlich an

hat, wollte ich am liebsten allegorisch verstanden wissen (AA). Ich muß die übrigen alten Sinngedichte, die man auf ihn gemacht hat, nicht vergessen (BB). Sein Begräbniß war höchst merkwürdig (CC).

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Er hinterließ den Ruhm eines weisen, rechtschaffenen Mannes (DD); eines geselligen, munteren und scherzhaften Mannes (EE); eines Mannes, den die Götter vorzüglich liebten (FF).

„Er war ein Dichter; kein Wunder, daß er gegen die Schön. heit ein wenig zu empfindlich war (GG). Es kann leicht seyn, daß es mit den verliebten Ausschweifungen, die man ihm Schult giebt, seine Richtigkeit hat. Allein ich möchte mit einem neuen Scribenten nicht sagen, daß sein moralischer Charakter dadurch zweifelhaft würde (HH).

„Er hinterließ verschiedene Söhne, wovon zwei die Bahn ihres Vaters betraten (II). Die gerichtliche Klage, die sie wider ihn erhoben, mag vielleicht triftigere Ursachen gehabt haben, als ihr Cicero giebt (KK).

,,Außer seinen Tragödien führt man auch noch andere Schriften und Gedichte von ihm an (LL).

„Die völlige Entwerfung seines Charakters als tragischer Dichter muß ich bis in die umständliche Untersuchung seiner Stücke versparen. Ich kann jetzt bloß einige allgemeine Anmerkungen voraussenden, zu welchen mich die Urtheile, welche die Alten von ihm gefällt haben (MM), und verschiedene Beinamen, die man ihm gegeben hat (NN), veranlassen werden.

„Ich rede noch von dem gelehrten Diebstahle, den man ihm Schuld giebt (00). Endlich werfe ich alle kleinere Materialien, die ich noch nicht anbringen können, in eine Anmerkung zusammen (PP); deßgleichen auch die Fehler, welche die neueren Literatoren in Erzählung seines Lebens gemacht haben (QQ).

Ausführung.

Es wird Mühe kosten, dieses Gerippe mit Fleisch und Nerven zu bekleiden. Es wird fast unmöglich seyn, es zu einer { schönen Gestalt zu machen. Die Hand ist angelegt.

(A)

Von den Quellen.) Diese sind Suidas und ein Unbekannter, der seinen Scholien über die Trauerspiele des Sopho, kles ein Leben des Dichters vorgesetzt hat. Suidas und ein Scho liast: Quellen! So gefällt es der verheerenden Zeit! Sie macht aus Nachahmern Originale, und giebt Auszügen einen Werth, den ehedem kaum die Werke selbst hatten.

Der Artikel „Sophokles“ ist bei dem ersten sehr kurz. Es ist auch nicht dabei angemerkt, woher er entlehnt worden. Niemand hat sich verdienter um ihn gemacht als J. Meursius,' der ihn mit Anmerkungen erläutert hat, die ich mehr als einmal anführen werde.

Das Leben des Scholiasten ist etwas umständlicher, und es zieht ältere Währmänner an, für die man alle Hochachtung haben muß, den Aristorenus, den Ister, den Satyrus. Unter dem ersten versteht er ohne Zweifel den Aristoxenus von Tarent, den bekannten Schüler des Aristoteles, von dessen vielen Schriften uns nichts als ein kleiner musikalischer Tractat übrig

1 In seiner Schrift: Aeschylus, Sophocles, Euripides, sive de Tragoediis eorum libri III. Lugduni Batav. 1619. Von Seite 87 bis 94. Sie ist dem 10ten Theile des „Gronov’schen Thesaurus” einverleibt worden.

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(B)

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Ein Athenienser und zwar ein Koloniate.) Suiτας: Σοφοκλης, Σοφίλου, Κολωνήθεν, Αθηναίος. Μπδ ber ungenannte Biograph: Εγένετο οὖν ὁ Σοφοκλης το γενος Αθηναίος, δημου Κολωνήθεν. Deßgleiden ber Grammatifer, von welchem der eine Inhalt des „Oedipus auf Kolonos“ ist: by rap Kolovodev. Auch Cicero bestätigt es: Tanta vis admonitionis inest in locis, ut non sine causa ex his memoriae ducta sit disciplina. Tum Quintus, est plane, Piso, ut dicis, inquit, nam me ipsum huc modo venientem convertebat ad sese Coloneus ille locus, cujus incola Sophocles ob oculos versabatur: quem scis quam admirer, quamque eo delecter: me quidem ad altiorem memoriam Oedipodis huc venientis, et illo mollissimo carmine, quaenam essent ipsa haec loca, requirentis, species quaedam commovit; inanis scilicet, sed commovit tamen.

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Das atheniensische Volk ward wie bekannt in vlas (Stämme) eingetheilt, und diese Øvλa theilten sich wiederum in verschiedene Aquovs, das ist Landsmannschaften, wie es Schulze 1o übersetzt hat, und ich es nicht besser auszudrücken wüßte. Nicht selten bemerken die Geschichtschreiber beides: sowohl den Stamm, als die Landsmannschaft. So sagt z. E. Blutard vom Beritles: Περικλής των μεν φύλων Αλαμαντι

1 Περί ὁμοιων και διαφορων λέξεων; unter νεσθαι και ἐρνεσθαι: Αριζόξενος ἐν τῷ πρωτῳ Τραγῳδοποιων περι νεω Ετέρων οὕτω φησι κατά λέξιν u. f. m.

2 Vossius de Hist. Gr. lib. IV. c. 12.

3 Jonsius lib. II. de script. Hist. Philos c. 11.

4 Gyraldus Hist. Poetarum tam graecorum quam latinorum, Dialog. VII.

5 In der unter 1 angezogenen Schrift.

Fabricius Bibl. Graeca Lib. II. cap. 17.

7 Sowohl die Ausgabe des Heinrich Stephanus als des Paul Stephanus von 1603 (Seite 483) haben hier Kolwvodev anstatt Koλωνήθεν.

8 Lib. V. de finibus.

Meursius (Reliqua Attica cap. 6. p. 26) liest: convertebat ad sese Colonus; ille locus etc. und ich ziehe diese Lesart vor. 10 In seinen Anmerkungen über die Leben des Plutarch, welche Kind seiner Uebersezung beigefügt hat.

δης, των δημων Χολαργους. Son unfern Sophottes aber findet sich nur der Aquos genannt; und ich wüßte nicht, daß irgend ein Philolog die Squove nach ihren pvlais geordnet hätte; wenigstens hat es Meursius in seinem Werke de populis Atticae nicht gethan. Unterdessen vermuthe ich nicht ohne Grund, daß Sophokles aus dem Hippothoontischen Stamme gewesen ist, wie ich in der Anmerkung (CC) zeigen will.

1

Es hieß aber der Demo 8 des Sophokles Kolavog. Koλwvog bedeutet überhaupt einen Hügel, eine Anhöhe; pns ávaζημα, τοπος ύψηλος. ' 3u Itben aber wurben befonders mei Hügel so genannt, wovon der eine innerhalb, der andere außerhalb der Stadt lag. Der innerhalb der Stadt war auf dem Marktplaße neben dem Tempel des Eurysaces, und hieß von dem Markte Kolovog dyogalog. Von diesem ist die Rede nicht, sondern von dem außer der Stadt, welcher zum Unterschiede Kolovog izrios d. i. der Nitterhügel, so wie jenes der Markthügel genannt ward.2 Und zwar hatte er das Beiwort iarios von den darauf befindlichen Altären oder Tempeln des Deptus ίππιου unb ber Minerva ίππιας. 2lus ber obigen Stelle des Cicero, und zwar aus den Worten: nam me ipsum huc modo venientem convertebat ad sese Colonus etc. ist nicht undeutlich zu schließen, daß er zwischen der Akademie und der Stadt gelegen; denn das huc geht hier auf die Akademie. Nun lag diese sechs Stadien von dem Thore, und der Kolonos mußte folglich noch näher liegen. Meursius braucht diesen Ort des Cicero auch sehr glücklich zur Verbesserung einer Stelle des Thucydides, wo gesagt wird, daß der Kolonos ungefähr zehn Stadien von der Stadt liege: gadiovs nadiga Seza; und er vermuthet, daß man anstatt dɛza lesen müsse d'.

Diejenigen nun, die in der Nähe dieses Kodovos wohnten, machten den Demos aus, der davon den Namen führte, und hießen Koloniara. Niemand kann uns dieses besser sagen als Sophokles selbst:

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2 Man sehe den Harpocration und Pollur, deren Stellen Meurfius (Reliq. Att. cap. 6.) anführt. Wie auch den Grammatiker, welcher den zweiten Inhalt des Oedipus auf Kolonos" gemacht hat. Ουτω κληθέντι, fagt siefer won bem Solonos, έπει και Ποσει δωνος ἐςιν ἱερον ἱππειου και Προμηθεως, και αύτου οἱ ορεω xouo izarra. Der lateinische Ueberseßer macht in dieser Stelle einen sehr albernen Fehler. Er giebt sie nämlich so: quoniam Neptuni Equestris ibi est sacellum et Promethei, quique ejus mulorum curam gerunt, ibi considunt. Ejus mulorum? Was mögen das für geheiligte Maulesel gewesen seyn? Er hat das Adverbium avrov für den Genitiv des Pronomens angesehen. (S. die Ausgabe des Paul Stephanus. S. 484.)

3 Warum aber jener eben hier als innlos verehrt wurde, war ohne Zweifel dieses die Ursache, weil er

Ιπποισιν τον ἀκεςηρα χαλινον Πρωταισιν ταισδ ̓ ἔκτισε ἀγυαις. (Sorhokles in seinem „Dedipus auf Kolonos," Zeile 745. 46.) Diese Stelle des Sophokles hat mit der bekannten streitigen Stelle des Virgil:

Tuque ô, cui prima frementem

Fudit equum magno tellus percussa tridenti. (Georg. lib. I. v. 12. 13.) sehr viel ähnliches. Virgil scheint sie vor Augen gehabt zu haben, und ich muß mich wundern, daß sie keinem von seinen Auslegern beigefallen ist. Denn man kann #gwraiσi eben sowohl mit άyvais, als mit innoir verbinden.

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