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Vorrede.

Wie die Alten den Tod gebildet.

Eine Untersuchung.

Ich wollte nicht gern, daß man diese Untersuchung nach ihrer Veranlassung schäßen möchte. Ihre Veranlassung ist so verächtlich, daß nur die Art, wie ich sie genußt habe, mich entschuldigen kann, daß ich sie überhaupt nutzen wollen.

Nicht zwar, als ob ich unser jetziges Publikum gegen alles, was Streitschrift heißt und ihr ähnlich sieht, nicht für ein wenig allzu eckel hielte. Es scheint vergessen zu wollen, daß es die Aufflärung so mancher wichtigen Punkte dem bloßen Widerspruche zu danken hat, und daß die Menschen noch über nichts in der Welt einig seyn würden, wenn sie noch über nichts in der Welt gezankt hätten.

„Gezankt;“ denn so nennt die Artigkeit alles Streiten: und Zanken ist etwas so unmanierliches geworden, daß man sich weit weniger schämen darf, zu haffen und zu verleumden, als zu zanken.

Bestünde indeß der größere Theil des Publikums, das von feinen Streitschriften wissen will, etwa aus Schriftstellern selbst: so dürfte es wohl nicht die bloße Politesse seyn, die den polemischen Ton nicht dulden will. Er ist der Eigenliebe und dem Selbstdünkel so unbehäglich! Er ist den erschlichenen Namen so gefährlich!

Aber die Wahrheit, sagt man, gewinnt dabei so selten. So selten? Es sey, daß noch durch keinen Streit die Wahrheit ausgemacht worden: so hat dennoch die Wahrheit bei jedem Streite gewonnen. Der Streit hat den Geist der Prüfung genährt, hat Vorurtheil und Ansehen in einer beständigen Erschütterung erhalten; kurz, hat die geschminkte Unwahrheit verhindert, sich an der Stelle der Wahrheit festzusetzen.

Auch kann ich nicht der Meinung seyn, daß wenigstens das Streiten nur für die wichtigern Wahrheiten gehöre. Die Wichtigkeit ist ein relativer Begriff, und was in einem Betracht sehr unwichtig ist, kann in einem andern sehr wichtig werden. Als Beschaffenheit unserer Erkenntniß ist dazu eine Wahrheit so wichtig als die andere: und wer in dem allergeringsten Dinge für Wahrheit und Unwahrheit gleichgültig ist, wird mich nimmermehr überreden, daß er die Wahrheit bloß der Wahrheit wegen liebt.

Ich will meine Denkungsart hierin niemanden aufbringen. Aber den, der am weitesten davon entfernt ist, darf ich wenigstens bitten, wenn er sein Urtheil über diese Untersuchung öffentlich sagen will, es zu vergessen, daß sie gegen jemand gerichtet ist. Er laffe sich auf die Sache ein, und schweige von den Personen. Welcher von diesen der Kunstrichter gewogener ist, welche er überhaupt für den bessern Schriftsteller hält, verlangt kein Mensch von ihm zu wissen. Alles was man von ihm zu wissen begehrt, ist dieses, ob er, seinerseits, in die Wagschale des einen oder des andern etwas zu legen habe, welches im gegenwärtigen Falle den Ausschlag zwischen ihnen ändere oder vermehre. Nur

1769.

Nullique ea tristis imago!

STATIUS.

ein solches Beigewicht, aufrichtig ertheilt, macht ihn dazu, was er seyn will; aber er bilde sich nicht ein, daß sein bloßer kahler Ausspruch ein solches Beigewicht seyn kann. Ist er der Mann, der uns beide übersieht, so bediene er sich der Gelegenheit, uns beide zu belehren.

Von dem Tumultuarischen, welches er meiner Arbeit gar bald anmerken wird, kann er sagen, was ihm beliebt. Wenn er nur die Sache darunter nicht leiden läßt. Allerdings hätte ich mit mehr Ordnung zu Werke gehen können; ich hätte meine Gründe in ein vortheilhafteres Licht stellen können; ich hätte noch dieses und jenes seltene oder kostbare Buch nußen können; was hätte ich nicht alles!

Dabei sind es nur längst bekannte Denkmale der alten Kunst, die mir freigestanden, zur Grundlage meiner Untersu chung zu machen. Schäße dieser Art kommen täglich mehrere an das Licht, und ich wünschte selbst von denen zu seyn, die ihre Wißbegierde am ersten damit befriedigen können. Aber es wäre sonderbar, wenn nur der reich heißen sollte, der das meiste frisch gemünzte Geld besitzt. Die Vorsicht erforderte vielmehr, sich mit diesem überhaupt nicht eher viel zu bemengen, bis der wahre Gehalt außer Zweifel gesetzt worden.

Der Antiquar, der zu einer neuen Behauptung uns auf ein altes Kunstwerk verweiset, das nur er noch kennt, das er zuerst entdeckt hat, kann ein sehr ehrlicher Mann seyn, und es wäre schlimm für das Studium, wenn unter achten nicht fieben es wären. Aber der, der, was er behauptet, nur aus dem behaup tet, was ein Boissard oder Pighius hundert und mehr Jahre vor ihm gesehen haben, kann schlechterdings kein Betrieger seyn; und etwas Neues an dem Alten entdecken, ist wenigstens eben so rühmlich, als das Alte durch etwas Neues bestätigen.

Veranlassung.

Immer glaubt Herr Kloß, mir auf den Fersen zu seyn. Aber immer, wenn ich mich, auf sein Zurufen, nach ihm umwende, sehe ich ihn, ganz seitab, in einer Staubwolke, auf einem Wege einherziehen, den ich nie betreten habe.

„Herr Leffing, lautet sein neuester Zuruf dieser Art,' wird mir erlauben, der Behauptung, daß die alten Artisten den Tod nicht als ein Skelet vorgestellt hätten (f. Laokoon S. 122 [f. Band II., S. 24]) eben den Werth beizulegen, den seine zwei andern Säße, daß die Alten nie eine Furie, und nie schwebende Figuren ohne Flügel gebildet, haben. Er kann sich sogar nicht bereden, daß das liegende Skelet von Bronze, welches mit dem einen Arme auf einem Aschenkruge ruht, in der Herzoglichen Gallerie zu Florenz, eine wirkliche Antike sey. Vielleicht überredet er sich eher, wenn er die geschnittenen Steine ansieht, auf welchen ein völliges Gerippe abgebildet ist (s. Buonarotti Oss.

1 In der Vorrede zum zweiten Theile der Abhandlungen des Grafen Taylus.

sopr. alc. Vetri t. XXXVIII. 3. und Lipperts Daktyliothek, zweites Tausend, n. 998). Im Museo Florentino sieht man dieses Skelet, welchem ein sißender Alter etwas vorbläst, gleichfalls auf einem Steine (f. Les Satires de Perse par Sinner S. 30). Doch geschnittene Steine, wird Herr Lessing sagen, gehören zur Bildersprache. Nun so verweise ich ihn auf das metallene Skelet in dem Kircherschen Museum (s. Ficoroni Gemmas antiq. rarior. t. VIII). Ist er auch hiemit noch nicht zufrieden, so will ich ihn zum Ueberflusse erinnern, daß bereits Herr Winkelmann in seinem Versuch der Allegorie S. 81 zweier alten Urnen von Marmor in Nom Meldung gethan, auf welchen Todtengerippe stehen. Wenn Herrn Leffing meine. vielen Beispiele nicht verdrüßlich machen, so setze ich noch Sponii Miscell. Antiq. Erud. Sect. I. Art. III. hinzu: besonders n. 5. Und da ich mir einmal die Freiheit genommen, wider ihn einiges zu erinnern, so muß ich ihn auf die prächtige Sammlung der gemalten Gefäße des Herrn Hamilton verweisen, um noch eine Furie auf einem Gefäße zu erblicken. (Collection of Etruscan, Grecian and Roman Antiquities from the Cabinet of the Hon. Wm. Hamilton n. 6.)"

Es ist, bei Gott, wohl eine große Freiheit, mir zu widersprechen! Und wer mir widerspricht, hat sich wohl sehr zu bekümmern, ob ich verdrüßlich werde oder nicht!

Allerdings zwar sollte ein Widerspruch, als womit mich Herr Klot verfolgt, in die Länge auch den gelassensten, kältesten Mann verdrüßlich machen. Wenn ich sage: „es ist noch nicht Nacht," so sagt Herr Klotz: „aber Mittag ist doch schon längst vorbei." Wenn ich sage, „sieben und sieben macht nicht funfzehn, so sagt er: aber sieben und achte macht doch funfzehn.“ Und das heißt er, mir widersprechen, mich widerlegen, mir unverzeihliche Irrthümer zeigen!

Ich bitte ihn, einen Augenblick seinen Verstand etwas mehr als sein Gedächtniß zu Rathe zu ziehen.

Ich habe behauptet, daß die alten Artisten den Tod nicht als ein Skelet vorgestellt, und ich behaupte es noch. Aber sagen, daß die alten Artisten den Tod nicht als ein Skelet vorgestellt, heißt denn dieses von ihnen sagen, daß sie überhaupt kein Skelet vorgestellt? Ist denn unter diesen beiden Sätzen so ganz und gar kein Unterschied, daß wer den einen erweiset, auch nothwendig den andern erwiesen hat? daß wer den einen läugnet, auch nothwendig den andern läugnen muß?

Hier ist ein geschnittener Stein, und da eine marmorne Urne, und dort ein metallenes Bildchen; alle sind ungezweifelt antik, und alle stellen ein Skelet vor. Wohl! Wer weiß das nicht? Wer kann das nicht wissen, dem gesunde Finger und Augen nicht abgehen, sobald er es wissen will? Sollte man in den antiquarischen Werken nicht etwas mehr, als gebildert haben?

Diese antiken Kunstwerke stellen Skelete vor; aber stellen denn diese Skelete den Tod vor? Muß denn ein Skelet schlechterdings den Tod, das personifirte Abstraktum des Todes, die Gottheit des Todes vorstellen? Warum sollte ein Skelet nicht auch bloß ein Skelet vorstellen können? Warum nicht auch etwas anderes?

Untersuchung.

Der Scharfsinn des Herrn Klotz geht weit!— Mehr brauchte ich ihm nicht zu antworten, aber doch will ich mehr thun, als

ich brauchte. Da noch andere Gelehrte an den verkehrten Einbildungen des Herrn Klotz mehr oder weniger Theil nehmen, so will ich für diese hier zweierlei beweisen.

Fürs erste: daß die alten Artisten den Tod, die Gottheit des Todes, wirklich unter einem ganz andern Bilde vorstellten, als unter dem Bilde des Skelets.

Fürs zweite: daß die alten Artisten, wenn sie ein Skelet vorstellten, unter diesem Skelete etwas ganz anders meinten, als den Tod, als die Gottheit des Todes.

I. Die alten Artisten stellten den Tod nicht als ein Skelet vor, denn sie stellten ihn nach der Homerischen Idee,1 als den Zwillingsbruder des Schlafes vor, und stellten beide, den Tod und den Schlaf, mit der Aehnlichkeit unter sich vor, die wir an Zwillingen so natürlich erwarten. Auf einer Kiste von Cedernholz, in dem Tempel der Juno zu Elis, ruhten sie beide als Knaben in den Armen der Nacht. Nur war der eine weiß, der andere schwarz; jener schlief, dieser schien zu schlafen; beide mit über einander geschlagenen Füßen.2

Hier nehme ich einen Satz zu Hülfe, von welchem sich nur wenige Ausnahmen finden dürften. Diesen nämlich, daß die Alten die sinnliche Vorstellung, welche ein idealisches Wesen einmal erhalten hatte, getreulich beibehielten. Denn ob dergleichen Vorstellungen schon willkürlich sind, und ein jeder gleiches Recht hätte, sie so oder anders anzunehmen: so hielten es dennoch die Alten für gut und nothwendig, daß sich der Spätere dieses Rechtes begebe, und dem ersten Erfinder folge. Die Ur sache ist klar: ohne diese allgemeine Einförmigkeit ist keine allgemeine Erkenntlichkeit möglich.

Folglich auch jene Aehnlichkeit des Todes mit dem Schlafe von den griechischen Artisten einmal angenommen, wird sie von ihnen, allem Vermuthen nach, auch immer seyn beobachtet wor den. Sie zeigte sich unstreitig an den Bildsäulen, welche beide diese Wesen zu Lacedämon hatten, denn sie erinnerten den Pausanias 3 an die Verbrüderung, welche Homer unter ihnen eingeführt.

Welche Aehnlichkeit mit dem Schlafe aber läßt sich im ge ringsten denken, wenn der Tod als ein bloßes Gerippe ihm zur Seite stand?

„Vielleicht, schrieb Winkelmann, war der Tod bei den Einwohnern von Gades, dem heutigen Cadix, welche unter allen Völkern die einzigen waren, die den Tod verehrten, also gestaltet." Als Gerippe nämlich.

Doch Winkelmann hatte zu diesem Vielleicht nicht den geringsten Grund. Philostrat sagt bloß von den Gaditanern, „daß sie die einzigen Menschen wären, welche dem Tode Päane fängen." Er erwähnt nicht einmal einer Bildsäule, geschweige daß er im geringsten vermuthen lasse, diese Bildsäule habe ein Gerippe vorgestellt. Endlich, was würde uns auch hier die Vorstellung der Gaditaner angehen? Es ist von den symbolischen Bildern der Griechen, nicht der Barbaren die Rede.

Ich erinnere beiläufig, daß ich die angezogenen Worte des philoftrats, τον θανατον μονοι ἀνθρώπων παιανίζονται, nicht mit Winkelmannen übersetzen möchte, „die Gaditaner wären

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