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Anfangs gingen die Angriffe auf Shakespeares Andenken unbestimmter zu Werke. Zuerst sprach ein Amerikaner, ein gewisser Hart, im Jahre 1848 einen allgemeinen Zweifel über den Ursprung der Dramen aus. Im August 1852 erschien demnächst in Chambers Edinburgh-Journal ein namenloser Artikel, dessen Verfasser es für seine Überzeugung erklärte, dass William Shakespeare, ungebildet wie er gewesen, sich einen Dichter gehalten habe, irgend einen armen, ausgezehrten Chatterton, der willig war, ihm sein Genie zu verkaufen, und dass er sich also die Ehre für die Werke eines Anderen erhandelt habe. Denn, sagt der Artikel, seine Dramen werden immer besser, je weiter die Reihe fortschreitet. Plötzlich verlässt er London mit einem Vermögen, und die Dramen hören auf. Ist das bei einem so gewaltig aufwärts strebenden Genius auf andere Weise erklärlich, als dadurch, dass der Dichter gestorben ist, während der Brotherr ihn überlebte?

So war zum ersten Male der Einfall ausgesprochen, dass Shakespeare ein blosser Strohmann sei, der sich der Verdienste eines unsterblichen Unbekannten bemächtigt habe.

Im Jahre 1856 gab ein Herr William Smith einen als Manuskript gedruckten Brief an Lord Ellesmere heraus, in welchem er die Meinung äussert, dass William Shakespeare durch Geburt, Erziehung und Mangel an Bildung ausser Stand gewesen sei, die ihm zugeschriebenen Schauspiele zu verfassen; dazu gehöre ein durch Studien, Reisen, Bücherund Menschen-Kenntnis hochgebildeter Mann wie Francis Bacon, der grösste Engländer jener Zeit. Dieser habe seine Autorschaft verschwiegen, weil er sonst seine Stellung sowohl im Gericht als auch im Parlamente unmöglich gemacht hätte; er hätte aber durch diese Dramen seine ökonomischen Verhältnisse verbessern wollen und sich daher den Schauspieler Shakespeare als Strohmann gehalten. Smith behauptet, dass Bacon, nachdem er im Jahre 1621 in Ungnade gefallen war, 1623 die erste Folioausgabe ver

anstaltet habe.

Wenn sich gar

nichts Anderes gegen diese aus der

Luft gegriffene Behauptung einwenden liesse, so ist die Bemerkung doch nahe liegend, dass Bacon wie kein zweiter sorgfältig mit der Herausgabe seiner Werke verfuhr, sie immer wieder umschrieb und dermassen korrigierte, dass man in seinen Büchern beinahe keine Druckfehler findet. Er sollte von den 36 Dramen eine Ausgabe, wie diese, besorgt haben, die von Missverständnissen wimmelt und ungefähr zwanzigtausend Druckfehler enthält!

Doch würde der Humbug erst in grösserem Stil betrieben, als ein Fräulein Bacon in demselben Jahre in amerikanischen Zeitschriften dieselbe Behauptung aufstellte: Bacon, ihr Namensvetter, und nicht Shakespeare sei der Urheber der berühmten Schauspiele. Im folgenden Jahre gab sie darüber ein unlesbares Packet von sechshundert Seiten heraus. Und gleich nach ihr folgte ihr Schüler, der Richter Nathaniel Holmes, ebenfalls Amerikaner, mit einem Buche von nicht weniger als 696 Seiten, voll von Entrüstung, dass der unwissende Vagabund, William Shakespeare, der kaum seinen Namen hätte schreiben können und keinen anderen Ehrgeiz besessen habe, als Geld zusammenzuscharren, sich der Hälfte des dem grossen Bacon zukommenden Rufes bemächtigt habe.

Die Voraussetzung ist immer dieselbe: Shakespeare, der in einer kleinen Stadt geboren wurde als Kind von Eltern, die nichts gelernt hatten, als Sohn eines Vaters, der unter anderem das Metzger-Handwerk trieb, sei ein unwissender Bauer, eine rohe Person, ein „Metzgerbursche" gewesen, wie er öfters von den Angreifern genannt wird. Für Bacons Autorschaft zu den Shakespeareschen Werken ist bei Holmes wie bei den späteren die Beweismethode die juristische, nämlich Stellen zu finden, wo bei Bacon und bei Shakespeare etwas Verwandtes gesagt wird, ohne Rücksicht auf den Zusammenhang, die Form und den Geist, worin es gesagt ist.

Fräulein Delia Bacon weihte buchstäblich ihr Leben der Verfolgung Shakespeares. Sie fand in seinen Werken nicht Poesie, sondern ein grosses, philosophisch-politisches System

und behauptete, der Beweis für die Richtigkeit ihrer Lehre müsse in Shakespeares Grab niedergelegt sein. Sie wollte in Bacons Briefen den Schlüssel zu einer ganzen Zifferschrift gefunden haben, wurde aber leider geisteskrank, ehe sie der Welt diesen Schlüssel mitteilen konnte.*) Sie reiste nach Stratford, erlangte die Erlaubnis, das Grab öffnen zu lassen, umkreiste es Tag und Nacht, liess es aber zuletzt in Ruhe, da es ihr nicht geräumig genug vorkam, um die „Archive des Elisabeth-Klubs" enthalten zu können. Die OriginalHandschriften von Shakespeares Dramen erwartete sie jedoch nicht im Grabe zu finden. „Nein," ruft sie in ihrem Artikel „William Shakespeare und sein Schauspiel" (Putnam's Magazine, Januar 1856) aus: Lord Leicesters Stallknecht hat sich natürlich nicht im geringsten um diese bekümmert, sondern nur um den Gewinn, den er aus ihnen zog. Was sollte ihn davon abhalten, seinen Kessel mit ihnen zu heizen, nachdem er sie ausgenutzt hatte? Er besass jene Handschriften, den ursprünglichen Hamlet in seiner hohen Vollkommenheit, den ursprünglichen Lear in seinem eigentümlich schönen Stil . . . . wie sie von der Götter Hand kamen und er hat uns unsere Jugend verzehren und unser Leben damit zubringen lassen, über die alten entstellten Theater-Abschriften zu grübeln und zu versuchen, sie aufs neue zu berichtigen . . . . Was hast du mit den Handschriften gethan? Du hast lange genug feig unterlassen, Antwort zu geben; du wirst dafür zur Rechenschaft gezogen werden! Die kommenden Jahrhunderte werden dich

*) Einer ihrer vielen Nachfolger, ein amerikanischer Jurist, Ignatius Donnelly, früher Mitglied des Kongresses und Senator für Minnesotta, behauptet, den Schlüssel gefunden zu haben. Sein wahnsinniges Buch heisst: The Great Cryptogram: Francis Bacons Cipher in the so called Shakespeare Plays. Es führt aus, dass Bacon in der ersten Folioausgabe der Dramen in Zifferschrift eine heimliche Erklärung seine Autorschaft betreffend niedergelegt habe. Ganz abgesehen von der Verrücktheit dieser Behauptung, müsste Bacon also die Herausgeber Heminge und Condell bei seinem sinnlosen Betruge als Mitschuldige gehabt, ja Ben Jonson bewogen haben, denselben durch sein begeistertes Einleitungsgedicht zu bekräftigen.

auf die Anklagebank setzen und du wirst sie nicht verlassen dürfen, bis du diese Frage beantwortet hast: Was machtest du mit den Handschriften?"

Es ist hart, das vorzüglichste dramatische Genie der Erde zu sein und dann drittehalbhundert Jahre nach seinem Tode in diesem Tone wegen des Verschwindens seiner Handschriften zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Was die rein äusseren Zeugnisse angeht, so ist es von Interesse, dass einer der grössten Kenner von Bacons Werken, ihr Herausgeber und der Verfasser von Bacons Lebenslauf, James Spedding, gegenüber Holmes, der sich sein Urteil ausbat, eine Erklärung abgab, die beginnt: „Von mir den Glauben zu verlangen, Bacon sei der Verfasser dieser Dramen, ist dasselbe, als mir den Glauben beibringen zu wollen, dass Lord Brougham die Werke von Dickens, Thackeray und Tennyson geschrieben habe." Und er schliesst mit der Wendung: „Wäre aber irgend ein Grund zu der Annahme vorhanden, dass der wahre Autor ein anderer sei, so glaube ich in der Lage zu sein, behaupten zu können: Wer es auch immer sei, Francis Bacon ist es nicht."

Für einen kritisch veranlagten Leser liegt das Erstaunliche bei den Baconianischen Frechheiten besonders darin, dass der stets variierte Beweis für die Unmöglichkeit, von Shakespeares Autorschaft, aus der ausserordentlichen Allseitigkeit an Kenntnis und Einsicht hergeleitet wird, welche diese Werke offenbaren, und die ein Mann mit Shakespeares mangelhafter Schulbildung nicht hätte erwerben können. Alles, was in diesen Schmähschriften zu Shakespeares Schande angeführt wird, wendet sich ihm zur Ehre und dient nur dazu, den Reichtum seiner Genialität in das vollste Licht zu stellen.

Was dagegen als Stütze für die Lehre von Bacons Autorschaft angeführt wird, ist so einfältig, dass es nicht einmal zum Gegenstand der Kritik gemacht werden kann. Die Gegner dieser Lehre haben Einzelheiten hervorgehoben wie Bacons philiströse Auslassungen in den kleinen Abhandlungen über Liebe und Ehe (Of love; Of marriage and

single life) um derartige Äusserungen in Gegensatz zu der Tiefe und dem Witze in Shakespeareschen Repliken über diese Gegenstände zu stellen, oder sie haben einige Zeilen aus den armen Übersetzungen von sieben hebräischen Psalmen, die Bacon in seinen letzten Lebensjahren ausarbeitete, mit einigen Versen aus Richard III. und aus Hamlet verglichen, in denen Shakespeare genau dieselben Gedanken behandelt hat (über die Ernte, die eine Saat von Thränen bringt über verborgene Missethaten, die an den Tag kommen) um auf den ausserordentlichen Abstand aufmerksam zu machen. Aber es ist Zeitvergeudung, hier bei irgend einer Einzelheit zu verweilen. Wer überhaupt jemals nur eine Handvoll Essays von Bacon gelesen hat, nur ein paar Strophen von den wenigen versifizierten Übersetzungen, die er geschrieben hat, und wer darin den Stil von Shakespeares Prosa und Versen wiederfinden kann, der darf so wenig über derartige Fragen mitreden wie ein Torfbauer über Seewesen.

Doch selbst ganz abgesehen von der Mutmassung in betreff Bacons, so ist schon die blosse Vermutung von Shakespeares Nicht-Autorschaft ein Wahnsinn ohnegleichen. Man denke sich: nicht nur die Zeitgenossen im allgemeinen, sondern Shakespeares tägliche Umgebung die Schauspieler, denen er die Dramen zur Aufführung übergab, die sich mit ihm darüber berieten, die seine Handschriften sahen und uns beschrieben haben (Einleitung zur Folio-Ausgabe), die Schauspieldichter, mit denen er regelmässig zusammentraf, seine Nebenbuhler und späteren Kameraden wie Drayton und Ben Jonson, die Personen, die sich auf dem Theater mit ihm über seine Werke in ein Gespräch einliessen, und die, welche des Abends beim Glase mit ihm einen Wortstreit über seine Kunst ausfochten, die jungen Edelleute endlich, die sich durch sein Genie angezogen fühlten, und die seine Beschützer und bald seine Freunde wurden, sie alle sollten nicht gemerkt haben, nicht ein einziges Mal auf den Gedanken gekommen sein, Shakespeare sei der nicht, für den er sich ausgebe, er verstehe nicht einmal die Werke, die

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