Page images
PDF
EPUB

wird doppelt soviel erwähnt als Was ihr wollt und vier-, fünfmal häufiger als Mass für Mass oder Timon. Es schildert wilde Handlungen, die grade so plötzlich ausgeführt werden, wie die Menschen des sechzehnten Jahrhunderts ihrem inneren Antriebe gehorchten; Grausamkeiten, so herzlos geplant und ausgeführt, wie solche im Zeitalter des Macchiavelli ins Werk gesetzt wurden; kurz es enthält so viel Gefühllosigkeit und so grosse Greuel, dass es unfehlbar sogar auf harte Nerven und verhärtete Seelen Eindruck machen musste.

Diese Greuel waren zum grössten Teil nicht von Shakespeare erfunden.

Eine Notiz in Marlowes Tagebuch vom 11. April 1592 spricht zum erstenmal von einem Stücke Titus and Vespasian (tittus and vespacia), das bis zum Januar 1593 sehr häufig gespielt wurde und augenscheinlich ausserordentlich beliebt war. Dieses Schauspiel ist in England verloren gegangen; in unserem Titus Andronicus kommt kein Vespasian vor. In Deutschland wurde aber von englischen Schauspielern um das Jahr 1600 ein Drama aufgeführt, das uns unter dem Titel „Eine sehr klägliche Tragödia von Tito Andronico und der hoffertigen Kayserin, darinnen denkwürdige actiones zu befinden" aufbewahrt worden ist, und in diesem Stücke kommt ganz richtig ein Vespasian vor und daneben der Mohr Aron unter dem Namen Morian, so dass wir hier augenscheinlich eine Übersetzung oder richtiger eine freie Bearbeitung des alten Schauspiels vor uns haben, das dem Shakespeareschen Stücke als Grundlage gedient hat.

Wir sehen also, dass Shakespeare selbst nur sehr wenige der Ungeheuerlichkeiten erfunden hat, welche die Grundsumme des Stückes ausmachen. Die Handlung ist bei ihm kurz die folgende: Der Feldherr Titus Andronicus, der nach einem Siege über die Goten heimkehrt, wird vom römischen Volke zum Kaiser erwählt, tritt jedoch edelmütig dem rechten Thronerben Saturninus die Krone ab. Titus wil ihm sogar seine Tochter Lavinia zur Frau geben, obgleich

diese schon mit Bassianus, dem jüngeren Bruder des Kaisers, verlobt ist, den sie liebt. Als einer der Söhne des Titus dem Vater abraten will, erschlägt dieser ihn auf der Stelle.

Die gefangene Gotenkönigin Tamora ist indessen vor den jungen Kaiser geführt worden. Trotz ihrer Bitten um Gnade ermordet Titus vor ihren Augen einen ihrer Söhne als Sühnopfer für die von seinen eigenen Söhnen, die im Kriege gefallen sind; da Tamora aber dem Kaiser besser gefällt als seine Braut, die junge Lavinia, so spricht Titus ihn sogleich von seinem eben abgelegten Gelübde los, gibt ihm Tamora als Kaiserin und ist naiv genug trotz all' des Geschehenen auf ihre Dankbarkeit zu rechnen. Tamora nun war und ist noch die Geliebte des grausamen und listigen Ungeheuers, des Mohren Aron.

Nach gemeinschaftlicher Beratung mit diesem lässt sie durch ihre Söhne den Bassianus auf der Jagd ermorden, worauf diese beiden die Lavinia schänden und ihr Zunge und Hände abschneiden, damit sie weder durch Worte noch durch Schrift die Unthat verraten könne. Diese Unthat wird erst spät dadurch erst spät dadurch entdeckt, dass Lavinia mit einem Stab, den sie zwischen den Zähnen hält, eine Erzählung ihres Unglücks Unglücks in den Sand schreibt. Zwei von Titus' Söhnen werden gefangen genommen, indem man sie fälschlich des Mordes an ihrem Schwager beschuldigt, und Aron lässt den Titus wissen, dass ihr Tod beschlossen sei, falls er nicht seine rechte Hand abhauen und sie dem Kaiser als Lösesumme für die beiden jungen Männer senden wolle. Titus haut seine Hand ab und erfährt dann unter Arons Hohngelächter, dass seine Söhne schon enthauptet sind; er könne wohl ihre Köpfe, nicht aber sie selbst zurückerhalten.

Nun geht er ganz in Rachegedanken auf. Er lockt, indem er wie Brutus den Irrsinnigen spielt, Tamoras Söhne zu sich, bindet ihnen die Hände auf den Rücken und ersticht sie wie Ferkel, indem Lavinia mit den verstümmelten Armen das Becken unter das rinnende Blut hält. Darauf brät er sie und setzt sie der Tamora bei einem Gastmahl,

das er für sie veranstaltet, und bei dem er als Koch verkleidet auftritt, zum Essen vor. In dem Gemetzel, das nun entsteht, werden Tamora, Titus und der Kaiser getötet. Schliesslich wird Aron, der den Versuch gemacht hat, den ihm heimlich von Tamora geborenen Bastard zu retten, dazu verurteilt, lebendig bis zum Gürtel begraben zu werden. um so zu verhungern. Titus' Sohn Lucius wird zum Kaiser ausgerufen.

Wie man sieht, waten wir hier nicht nur bis an die Knöchel im Blute, sondern wir befinden uns auch ganz ausserhalb der geschichtlichen Wirklichkeit. Zu dem Vielen, das Shakespeare in dem alten Schauspiele geändert hat, gehört auch dies, dass jene Anhäufung von verschiedenartigen Scheusslichkeiten mit dem Namen des römischen Kaisers Vespasian verknüpft war. Die Rolle des Kaisers ist bei Shakespeare zwischen Titus' Bruder Marcus und dem Sohne Lucius, der den Thron erbt, verteilt. Das Weib, das der Tamora entspricht, hat in dem alten Drama denselben Charakter, ist aber Königin von Äthiopien. Übrigens finden wir von den Greueln schon in dem älteren Stücke: Lavinias Schändung und Verstümmelung, sowie die Art und Weise, wie die Verbrecher entdeckt werden, die Scenen, wo Titus vergebens seine Hand abhaut und jene, wo er als Mörder und Koch Rache nimmt.

Der alte, englische Dichter hat seinen Ovid und Seneca gekannt. Aus den Verwandlungen" stammt die Verstümmelung Lavinias (Proknes Geschichte), aus derselben Quelle und aus Senecas,,Thyestis" die kannibalische Mahlzeit. Die deutsche Tragödie ist indessen in einer elenden, platten und altertümlichen Prosa verfasst, während die englische in fünffüssigen, nach Marlowes Vorbild behandelten Jamben geschrieben ist.

Marlowes Beispiel in Tamburlaine ist sicher nicht ohne Einfluss gewesen auf das Blutvergiessen in dem von Shakespeare bearbeiteten Stücke, welch' letzteres in dieser Hinsicht mit zwei gleichzeitigen, von Tamburlaine beeinflussten Schauspielen auf dieselbe Stufe gestellt werden kann: Robert

Greenes Alphonsus, König von Aragon, und Georg Peeles The Battle of Alcazar. Letztgenanntes Trauerspiel hat auch seinen barbarischen Mohren, den Neger Muly Hamet, der ebenso wie der Mohr Aron wahrscheinlich ein Sprössling ist von Marlowes gehässigem Juden von Malta und dessen Genossen, dem sinnlichen Ithimore.

Unter den von Shakespeare hinzugedichteten Greueln verdienen zwei eine kurze Aufmerksamkeit. Zuerst Titus' plötzliche, unüberlegte Tötung des Sohnes, der sich seinem Willen zu widersetzen wagt. Ein solcher Zug, der uns jetzt abstösst, setzte damals niemanden in Erstaunen; man fand vielmehr Gefallen daran als an etwas Natürlichem. Lebensläufe, wie der des Benvenuto Cellini, beweisen, dass Zorn, Heftigkeit, Rachsucht häufig sogar bei hochgebildeten Männern in blutigen Handlungen einen augenblicklichen Ausschlag fanden. Die Männer der That waren in jenen Zeiten ebenso impulsiv wie gefühllos grausam, sobald sie von Wut ergriffen wurden.

Der zweite hinzugedichtete Zug ist die Ermordung von Tamoras Sohn vor den Augen der Mutter. Ganz dieselbe Scene spielt sich in Heinrich VI. ab, wo der junge Eduard vor den Augen der Königin Margareta gemordet wird, und Tamoras Bitten für den Sohn haben in dem Stücke auch den echt Shakespeareschen Klang.

Es kommen in Titus Andronicus einzelne, eigentümliche Wendungen vor, die an Peele und Marlowe*) erinnern. Aber es gibt da auch Zeilen, die Shakespeare anderswo beinahe gleichlautend hat. So stehen die Verse:

She is a woman, therefore may be woo'd
She is a woman, therefore may be won,

beinahe ebenso im ersten Teil von Heinrich VI.:
She is beautiful, and therefore to be woo'd

She is a woman, therefore to be won,

*) Gallops the Zodiac II. Aufzug, 1. Scene, Zeile 7 kommt zweimal bei Peele vor. Die Wendung A thousand deaths, ebendaselbst Zeile 79, kommt in Marlowes Tamburlaine vor.

nur etwas verschieden im 41. Sonette:

Gentle thou art, and therefore to be won,

Beauteous thou art, therefore to be assailed

endlich nahe verwandt in dem berühmten Monologe von Richard III:

Was ever woman in this humour woo'd?

Was ever woman in this humour won?

Obgleich man allerdings im allgemeinen sagen kann, dass dieses roh zugehauene Schauspiel mit seiner Anhäufung von äusserlichen Effekten sehr wenig enthält, das an den Geist und Ton in Shakespeares reifen Tragödien erinnert, so kommen doch überall im Trauerspiele Verse vor, wo die verschiedensten Kritiker gemeint haben, Shakespeares retouchierende Hand zu verspüren, und den Klang seiner Stimme zu vernehmen. Wenige werden bezweifeln, dass eine Zeile wie die folgende im ersten Auftritte des Stückes:

Romans friends, followers, favourers of my right!

von dem späteren Dichter des Julius Cäsar herrühre. Persönlich möchte ich hervorheben, dass Zeilen, die sich, ehe ich mich mit der englischen Detailkritik bekannt machte, beim Durchlesen meiner Überzeugung als unbedingt Shakespearesche aufdrängten, sich gerade als solche Zeilen erwiesen haben, die auch von den vorzüglichsten englischen Kritiker Shakespeare zugeschrieben werden. So etwas hat für Einen selbst Beweiskraft. Ich weise hier auf Tamores Replik hin:

Herr, denke kaiserlich doch, wie dein Name.
Verdunkeln schwirrende Mücken wohl die Sonne?
Die kleinen Vögel lässt der Adler singen,
Nicht kümmert's ihn, was auch gemeint ihr Singen.
Er weiss, er kann mit seiner Flügel Schatten,
Sobald er will, ihr Lied zum Schweigen bringen:
So kannst auch du die Schwindelköpfe Roms.

Einen unzweifelhaft Shakespeareschen Klang hat auch die ergreifende Klage des Titus, als er Lavinias Verstümmelung erfährt (Aufzug III, Scene 2), und bis ins einzelne verheissen in der folgenden Scene seine halb wahnsinnigen Gefühls-Ausbrüche schon eine Situation aus der besten

« PreviousContinue »