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von der Schönheit des kämpfenden herrlichen Hundes, ließ der Forstmann die Armbrust sinken und schritt trußig zu dem Bürger. Der Hund ist mir verfallen,“ .rief er, „weil er in meines Grafen Bann gejagt hat. Ihr folget mir mit euerm 5 Hunde zum Grafen, und will er das Thier in seine Meute nehmen, so sei ihm das Leben geschenkt."

Meister Richwin widersezte sich natürlich, der Dienstmann aber hielt ihn fest, und als sich der Bürger mit Gewalt frei machen wollte, schlug ihm Jener die blanke Klinge über den 10 Arm. Im selben Augenblicke jedoch ward der Dienstmann von hinten durch Thasso zu Boden gerissen; denn sowie das Thier den Herrn in Gefahr sah, wich auch das Jagdfieber einer Treue, die nicht Dressur war. Mehrere Weßlarer Leute liefen nun auf den Lärm gleichfalls aus dem Felde herbei, 15 befreiten den Forstwart von dem Hunde und führten den Mann gefangen zur Stadt, weil er einen Bürger auf reichsstädtischem Boden verwundet hatte. Denn die Städter waren in dem siegreichen Kampfe mit den Geschlechtern rauflustig genug geworden und fürchteten sich nicht vor einem neuen 20 Strauß.

Der Rath aber kam doch stark in Verlegenheit, was er mit dem gefangenen solmsischen Dienstmanne anfangen solle.

Den Arm in der Schlinge, konnte Meister Richwin schon am nächsten Tage der Sizung beiwohnen, in welcher über 25 den kizlichen Fall verhandelt ward. Alle Rathsleute waren gewaltig aufgeregt, nur Thasso lag in behaglichster Ruhe unter dem Stuhle, als gehe ihn die Sache gar nichts an. Und doch ging es ihm an den Kragen und er fand wenig Fürsprecher. So sehr man ihm als dem stummen Raths30 herrn gewogen war, schien es doch, als ob man ihn diesmal der großen auswärtigen Politik opfern müsse.

Es hauste nämlich zur Zeit (1372) der böse Ritterbund der,,Sterner" so arg in den Nachbargauen, daß man in Wezlar im Stillen sich rüstete zum offenen Kampfe. Die Sterner aber zählten gar viele Grafen, Ritter und Herren zu ihren Genossen, die Reichsstadt hingegen hatte wenig 5 Freunde und es kam ihr sehr überquer, gerade zu dieser Frist einen so kriegstüchtigen Nachbarn wie den Grafen Johann von Solms zu erzürnen, von dem noch unbekannt war, ob er für oder wider die Sterner Partei nehmen werde.

Als daher ein Rathsherr darthat, der Forstwart sei im 1ɔ Rechte gewesen, nichten manche Köpfe bejahend, und als er hinzufügte, auf Begehren des Grafen dürfe man sich nicht weigern, den Jäger freizugeben und den Hund auszuliefern, fiel ihm stracks die Mehrzahl zu, und Etliche meinten, Thasso habe vordem schon Unfug genug verübt, man dürfe sich nun 15 doch nicht vollends noch den Solmser durch ihn auf den Hals hehen lassen.

Thasso blieb ganz ruhig und schaute nur fragenden Auges um sich, als er seinen Namen nennen hörte. Sein Herr aber erhob sich. Er sprach:

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„Ist Graf Johann, der schlaue Fuchs, für uns, so wird er sich um des Hundes willen nicht gegen uns kehren; ist er wider uns, so gewinnen wir ihn auch nicht mit einem geschenkten Hund. Der Mann kennt seinen Vortheil und schaut nach ganz andern Dingen als nach Hirschen und 25 Hunden. Soll die Verlegung des Wildbannes gefühnt werden, so erbiete ich mich den dreifachen Werth des Hirsches und Hundes in gutem Gelde zu erlegen. Den Hund aber liefere ich keinem Menschen aus; eher ersteche ich das Thier auf der Stelle. Ihr wißt nicht, was ich dieser unvernünf- 30 tigen Creatur Gottes schulde, die zugleich sichtbar Gottes

Werkzeug gewesen ist. Wenn Gott nicht will, so bekehren uns seine heiligsten Prediger nicht, und wenn er will, so bekehrt uns ein Hund. Dieser Hund hat Ordnung meinem Geschäfte gebracht, Zucht meinen Kindern, den Hausfrieden 5 meiner Frau, er hat mir den Weg gezeigt zu meinen Freunden und Zunftbrüdern, den Weg zur Kirche und den Weg zum Rathhause; indem ich den Hund zu erziehen glaubte, erzog der Hund vielmehr mich. Das hat mir meine Hausfrau oft gesagt, und ich achtete es als einen artigen 10 Spaß jezt, da ihr mir meinen Hund nehmen wollt, erkenne ich mit einemmale, daß es bitterer Ernst gewesen ist."

Diese wenigen Worte nur sprach Meister Richwin, aber er sprach sie mit feuchtem Auge, und Thasso, der seines Herren Bewegung sah, erhob sich langsam, rührte ihn leise 15 mehrmals mit der breiten Vordertage an und leckte ihm die Hand, als wolle er den Bekümmerten trösten.

Es war ganz stille geworden im Rathssaal; man konnte die Athemzüge hören.

Da streckte der Rathsdiener den Kopf zur Thüre herein 20 und meldete einen Boten des Grafen von Solms. Die Bürger erschraken und ahnten Schlimmes. Um so überraschender klang die Botschaft.

Der Graf hatte mit Bedauern vernommen, daß sein Dienstmann einen Weßlarer Bürger auf so geringfügigen 25 Anlaß geschlagen, ja verwundet habe. Doch bat er, man möge um guter Nachbarschaft willen den Forstwart wieder freigeben, er der Graf — mache seinerseits ja auch von dem verlegten Wildbann kein weiteres Aufheben, und damit die Stadt erkenne, wie freundlich er gesinnt, so schicke er dem 30 hohen Rathe anbei einen Hirsch, den er selber erlegt habe und

der mindestens eben so gut sei, als der von dem Hunde

gejagte und nicht erlegte, nebst einem Fäßlein Bacharacher, damit auch der Trunk zum Schmaus nicht fehle.

Die Rathsherren waren starr vor freudigem Staunen, da statt des gefürchteten Donnerwetters plöglich so heller Sonnenschein über sie hereinbrach. Sie sagten dem Boten 5 manch artiges Wort und beglückwünschten den Meister Richwin sammt seinem Thasso. Der Meister aber erhob seine starke Stimme, den durcheinander wirbelnden Redeschwall laut übertönend, und bat, daß man vor ertheilter Antwort den Boten noch einmal abtreten lassen und ihm auf wenige 10 Minuten Gehör schenken möge.

,,Mißtrauet den süßen Worten des Grafen!" rief er. Hätte er uns seinen Zorn entboten, ich würde nicht erschrocken sein, aber da er uns seine Huld entbietet, erschrecke ich. Der Graf schenkt uns seinen Hirsch nicht umsonst. Wir bedürfen 15 des Grafen nicht; sein Vetter, der Braunfelser Otto und Landgraf Hermann von Hessen sind uns bessere Bundesgenossen. Graf Johann aber bedarf unser. Und hat er uns erst am kleinen Finger, so hat er uns auch ganz. Thasso, Thaffo! du schaffst uns großes Leid, nicht weil du jenen 20 solmsischen Hirsch in's Weßlarer Feld, sondern weil du diesen Hirsch in die Weglarer Rathsküche jagtest! Ich beschwöre euch, werthe Freunde, lehnet das Geschenk freundlich ab, fordert unser Recht und gebt dem Grafen das seine. Schicket den Hirsch zurück und behaltet den Jäger, bis der 25 Graf des Dienstmannes Uebermuth nach der Ordnung fühnen will"

Hier unterbrachen die Andern den Redner und hielten ihm vor, er treibe seinen Groll wegen des leichten Hiebes doch zu weit, daß er nicht einmal durch so viel Güte zufrieden 30 zu stellen sei.

Meister Richwin aber erwiderte: „Spräche ich für mich, ich wäre wohl der Zufriedenste mit des Grafen Vorschlag, rorab wegen meines Hundes. Aber ich rede hier als Rathsherr der Reichsstadt und sage: Fordert unser Recht und gebt 5 dem Grafen das seine: dem Grafen ist der Hund verfallen, weil er seinen Wildbann durchbrochen, uns ist der Forstwart verfallen, weil er unsern Burgfrieden verleht hat. Aus Furcht vor dem Zorne des Grafen wollte ich diesen Hund, meinen treuesten Freund, nicht ausliefern, aber aus Furcht 10 vor des Grafen Freundschaft liefere ich ihn aus. Vorhin, da ich als des Hundes Anwalt sprach, hätte ich weinen mögen über das arme Thier; jezt spreche ich als der Anwalt unserer Gemeine und da möchte ich noch viel bitterere Thränen weinen, nicht über den Hund - was kümmert mich der! sondern 15 über das heranschleichende Verderben meiner armen Vaterstadt!"

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Der Meister hatte in den Wind gesprochen; er blieb allein mit seinem Argwohn. Das Geschenk ward mit Dankesworten angenommen und passend erwidert, der Dienst20 mann freigegeben, und Graf Johann von Solms war bald, was er gewollt, der erklärte Freund und Beistand des Wezlarer Rathes.

Als der Hirsch bei festlichem Mahle verzehrt und der Bacharacher getrunken wurde, blieb Meister Richwin schmol, 25 lend zu Hause, und Thafso bekam nicht einen Knochen von dem Wild, welches er doch den Rathsherren in die Küche gejagt.

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