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Fünftes Kapitel.

Dieß war geschehen im Jahre 1372. Im folgenden Jahre schlug man vor dem Oberthor von Wezlar die heiße Schlacht, in welcher der Sternerbund besiegt ward und vernichtet. Die Bürger der Reichsstadt fochten unter der 5 Führung des Grafen Johann von Solms, und ihre Weiber vertheidigten die Thore, indeß die Männer draußen im Felde kämpften. Der Landgraf von Hessen und Otto von SolmsBraunfels theilten sich mit ihnen in die Ehre des Tages. Meister Richwin war auch mit dabei.

Noch am Abend nach der Schlacht ließ Graf Otto die gefangenen Ritter der Sterner, welche in seine Hand gefallen, enthaupten; Graf Johann dagegen begnadigte die Uebrigen ohne seiner Verbündeten Vorwissen.

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Merket auf!" sprach der Meister Richwin zu seinen 15 Mitbürgern. Ein neues Warnungszeichen! Graf Johann hat doppeltes Spiel im Sinn und hält sich den Weg offen nach rechts und links."

Die Weglarer aber achteten's nicht und meinten, der Meister bilde sich doch gar zu treu nach seinem Hunde. Weil 20 Thasso nicht mehr spiele, sondern jeßt lieber knurre und beiße, so vermeine Richwin, er müsse nun auch knurrig und bissig werden. Ein launischer Mann sei er nach wie vor und hafse jezt grundlos den Grafen Johann, welcher doch der Stadt solchen Ruhm gebracht, wie er auch vordem Liebe und Haß 25 nach Grillen und Einfällen gewechselt habe. Die Volksgunst hatte sich gar rasch von dem Meister abgekehrt.

Im Rathe saß er nun meist fast ebenso stumm, wie der stumme Rathsherr unter seinem Stuhle. Sprach er ja ein

Wort, so war es eine Warnung vor der übermäßigen Freundschaft des Grafen Johann; der locke so süß wie der Vogler, bevor er die Vögel fange. Häufig erschien Meister Richwin auch gar nicht im Rathe, zumal wenn er wußte, daß Graf 5 Johann auf den Saal komme, um den Bürgern irgend einen neuen Dienst anzubieten. Denn fast schien es, als ob der Graf neben dem adoptirten stummen Rathsherrn unter dem Stuhle nun auch als Rathsherr adoptirt sei, aber nicht als ein stummer. Das einzigemal, wo Richwin zugleich mit dem 10 Grafen im Rathe saß, hatte Thafso bei jedem Worte des Solmsers dermaßen geknurrt, daß ihn sein Herr hinausführen mußte, damit der Hund nicht seines Privilegs verlustig gehe. Der Meister meinte, das Thier könne eben die folmsischen Farben nicht mehr sehen, seit es den Strauß mit dem Forst15 wart gehabt, und nahm dies als eine gute Ausrede, um jedesmal wegzubleiben, wann der Solmser kam. Denn ohne den Hund gehe er nun durchaus nicht mehr auf's Rathhaus. Die Weglarer aber sprachen: Richwin treibe denn doch den Spaß etwas zu weit und machten Spottverse auf den unbe20 liebten Mann. Es lief ein gar luftig gezeichneter Bilderbogen mit vielen Reimen um, worauf die gemeinsamen Erlebnisse des Meister Thasso und des Meister Richwin naturgetreu abconterfeit waren mit der Ueberschrift:

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Auf diesen Bildern man ersieht,

Wie ein Hund einen Nathsherrn erzieht."

Meister Richwin ließ sich das wenig anfechten; er waltete still seines aufblühenden Hauses und ließ geschehen, was er nicht hindern konnte. War es doch nicht das kleinste Verdienst Thasso's, daß er mit so vielen tausend Unarten seinen Herrn 30 gelehrt hatte, geduldig zu sein und die überfeine Empfindlichfeit in die Tasche zu stecken.

So vergingen wiederum zwei Jahre. Da ward eines Tages - es war um Sommer-Johanni — Meister Richwin auf das Rathhaus entboten. Ungesäumt solle er sich einstellen, keine Ausrede gelte diesmal; Graf Johann von Solms sei erschienen mit einer Botschaft des Kaisers. Der Meister stußte. 5 Eine Botschaft des Kaisers, das war freilich eine gewichtige Sache! Und dennoch erklärte er, er könne nicht kommen: sein Hund werde knurren und bellen, wenn der Graf die kaiserliche Botschaft vortrage; denn Thasso, so gescheidt er auch sei, wisse doch nicht des Kaisers Wort von des Grafen Vortrag zu 10 unterscheiden und könne also so zu sagen die kaiserliche Majestät selber anknurren, und ohne den Hund gehe er nun einmal nicht auf's Rathhaus. Selbst Frau Eva redete ihrem Manne zu; er aber blieb standhaft. Da kam ein zweiter Bote und mahnte, der Meister müsse kommen, mit oder ohne Hund, 15 der Rath müsse diesmal vollzählig sein; es gelte die Ehre und Würde der Stadt.

Der Meister faßte Argwohn über dieses Aber es galt die Ehre und Würde der Stadt.

Drängen. Also rief er dem Lehrjungen, daß er den Hund an die Kette lege 20 und rüstete sich zum Fortgehen. Es grauste ihm fast, zum erstenmale allein, ohne den Hund, den Rathssaal zu betreten.

vor.

Da kam der Lehrjunge von der Straße herein, um Thasso anzuketten. „Meister!" flüsterte er, „es gehen seltsame Dinge 25 Ein Glück für euch, daß ihr so lange gezögert habt! Hinter dem Rathhause stehen Bewaffnete, wohl über hundert, und hinter den Bewaffneten schauen altbekannte Gesichter hervor, patrizische Gesichter, und man meint, sie sähen etlichen Herren vom alten Rathe, den man vor sieben Jahren ver- 30 trieben hat, auf's Haar ähnlich. Auch drängen sich solmsische

Knechte nach den Stadtthoren, als wollten sie den Ausgang wehren."

Der Meister erbleichte; doch war er rasch wieder gefaßt. Er sprach zu seiner Frau: „Nimım die Kinder, den Lehrjungen 5 und die zwei Kästchen mit dem Geld und den Kleinoden. Schleicht euch zur Mühle an der Lahn, dort ist das kleine Pförtchen, das wird noch offen stehen; vor dem Pförtchen liegt ein Kahn; den löset und fahret zum andern Ufer. Meidet nur um Gotteswillen die Brücke und die großen 10 Thore. Seid ihr glücklich hinüber, so gehet eilends den jenseitigen Fußpfad nach Gießen. In Gießen treffe ich euch, so Gott will, wieder."

Er drängte die fragende Frau vorwärts, bis sie zitternd vollführte, was er befahl. Dann faßte er Thasso an seiner 15 Kette mit der linken Hand, mit der rechten aber nicht, wie sonst, die Peitsche, sondern das Schwert, und eilte auch nicht auf's Rathhaus, sondern auf den Markt.

Dort sah er die Bürger bereits gewaffnet, zu Hunderten eng geschaart. Aber auch das Rathhaus war schon dicht 20 umzingelt von fremden Rittern und Reisigen. Vorsichtig schlich sich Meister Richwin in die hinteren Reihen der Bürger, die gleichfalls Gefahr geahnt hatten und herbeigeeilt waren, um ihren Rathsherren beizustehen. Vor den Bürgern aber stand Graf Johann von Solms in glänzendem Harnisch, 25 umgeben von zwanzig Rittern, das Reichspanier in der Hand und verkündete, er sei gekommen in des Kaisers Namen, um Frieden zu stiften zwischen den weiland verjagten Geschlechtern und dem neuen zünstlerischen Rathe. Keinem werde ein Leids geschehen, am wenigsten seinen guten Freunden, den Raths30 herren drinnen im Rathhause. Friedliche Sühne sei Alles, was er fordere im Namen des Kaisers. Ein neues, reicheres

Gedeihen der Stadt, eine Mehrung ihrer Vorrechte werde die Frucht dieses schönen Tages sein. Als treuer Freund und Nachbar ersuche er darum die Bürger, die Waffen abzulegen, welche sie voreilig für ihre Obrigkeit ergriffen hätten; denn dieser drohe zur Stunde nicht die mindeste Gefahr.

„Zur Stunde? Ja!" sprach Richwin zu den Nächststehenden. „Aber ob nicht in der folgenden Stunde? Behaltet die Waffen, bis die Nathsleute wieder frei unter uns stehen!"

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Doch schon sah er, daß die Vorderen, gewonnen durch 10 des Grafen füßes Wort, die Schwerter einsteckten und die Spieße nach Hause trugen. Die Männer aber, zu welchen Richwin geredet, schalten ihn, meinten, sein Plaz sei doch auch vielmehr auf dem Rathhause als hier auf dem Markte, und ob er denn immer der gleiche biffige Hund bleiben wolle, der 15 die besten Freunde der Stadt anbelle und die Bürger unter einander hete?

Da Richwin solchergestalt sah, daß Alles verloren sei, machte er sich eiligst davon, gewann noch zur rechten Frist das Hinterpförtchen an der Lahn und schwamm mit dem Hunde 20 durch den Fluß, weil der Nachen, welcher seine Frau gerettet, nun am andern Ufer stand.

Nach wenigen Stunden erreichte er die Seinigen und fand in Hessen eine sichere Zuflucht; denn Landgraf Hermann war dem Grafen Johann feind geworden nach der Schlacht 25 bei Wehlar wegen der eigenmächtig begnadigten Gefangenen.

In's Hessenland aber drang bald eine neue Mähr aus der Reichsstadt. Der Graf von Solms hatte, nachdem er den Bürgern die Waffen aus der Hand geschmeichelt, den zünftlerischen Rath in den Thurm geworfen, die Güter der Raths- 30 Herrn eingezogen und drei derselben, Kodinger, Dufel und

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