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male ein Gewebe der schamlosesten Ränke, welches dieser junge Mensch, beispiellos kühn und verschlagen, hinter seinem Rücken gesponnen. Auch über die räthselhafte Heirath mit der Lehberg ging ihm nun plöglich ein neues Licht auf. Er 5 ließ den Hofmarschall rufen und fragte ihn, wie es möglich sei, daß die stolze alte Familie Lehberg einer Verbindung mit dem plebejischen Doktor Müller zugestimmt habe? und der Hofmarschall, welcher jezt wieder in seinem eigensten Elemente schwamm, säumte nicht, dem Fürsten vollends die Augen 10 zu öffnen. „Lediglich um Ew. Durchlaucht willen hat die Familie eingewilligt; denn da Müller das unbedingteste fürstliche Vertrauen genoß und so zu sagen als des gnädigen Herrn nächster Freund vor dem ganzen Lande stand, so hat das Haus Lehberg seinen Familienstolz gleichsam Ew. Durch15 laucht selber zum Opfer gebracht." Dem Fürsten waren diese Worte wie Salz und Pfeffer auf eine frische Wunde, und der Hofmarschall, den Zorn wohl erkennend, welcher versteckt, aber tief hinter den kalten Zügen seines Herren arbeitete, säumte nicht, nun auch den ganzen Sagenkreis von Müllers Günst20 lingsherrschaft als geschichtliche Wahrheit zu erzählen. Warum auch nicht? War es doch selbst den schärfsten Köpfen dunkel was hier Sage, was Geschichte sei.

Rasch zur That, beschloß der Fürst an dem entlarvten Betrüger, der so lange und geschickt die falsche Rolle seines 25 Vertrauten gespielt und ausgebeutet, ein Erempel zu statuiren und ließ ihn sofort in Arrest bringen. Der arme Leibmedicus hatte ohne sein Zuthun das unverdiente Glück eines Günstlings genoffen; er sollte jezt ebenso unverschuldet von einer Höhe herunterstürzen, auf welcher er niemals hatte stehen 30 wollen, geschweige daß er wirklich oben gestanden hätte.

War aber der Fürst auch Despot im Style seiner Zeit

und persönlich hart aus Grundsah, so besaß er doch keineswegs das verknöcherte Herz und den beschränkten Geist eines Tyrannen. Darum kämpfte sein Zorn bald mit zwei andern Regungen seiner Seele. Es dünkte ihm unritterlich, mit blinder Härte gegen einen Mann vorzugehen, der doch 5 zunächst als Bräutigam des Fräuleins seiner nicht allzu ehrenhaften Leidenschaft im Wege stand; ja es begannen peinigende Zweifel bei dem Fürsten aufzusteigen, ob denn überhaupt sein Groll nicht mehr dem Bräutigam gelte, als dem Leibmedicus, welcher mit seinem fälschlich angemaßten 10 Vertrauen Wucher getrieben. Daneben begann er sich auch schon der fliegenden Hize jener Leidenschaft herzlich zu schämen. Andrerseits ward dieser Müller, der bisher aller Welt, nur ihm nicht, ein Räthsel gewesen, nunmehr ihm selber das allergrößte Räthsel. Er wollte mit eigenen Augen sehen, ob 15 sich wirklich mit so treuherzigem Aeußeren solch eigennüßige Schlauheit verbinden könne, er wollte selber in der Seele dieses Heuchlers lesen, bevor er ihn verdammte, um alsdann desto gründlicher die Menschen durchschauen und verachten zu lernen.

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Also rief er den arretirten Doktor noch einmal vor sich und nahm ihn scharf in's Gebet, daß er dem Frevler Stück für Stück das Geständniß seiner Umtriebe aus dem Munde zöge. Doch dessen bedurfte es gar nicht. Der Doktor begann, seiner wahrhaften Natur gemäß, die ganze Geschichte 25 der stets abgeläugneten und stets wieder aufgedrungenen Einflüsse zu erzählen, wie sie uns bekannt ist, vom Briefe des Vetters bis zum Bittgesuch des Hofmarschalls. Anfangs zweifelte der Fürst, dann begann er zu staunen und zu glauben, und zulezt lachte er gewaltig. Doktor Müller aber schloß 30 höchst ernsthaft mit den Worten:,,Wer nur immer Fürsten

nahe kommt, den stempelt das Volk sofort zu einem Manne des Einflusses, er mag sich stellen wie er will. So wird dann freilich der Fürst für tausend Dinge verantwortlich gemacht, von denen er keine Sylbe weiß und die ganze Umgebung fün5 digt auf seinen Namen. Nun sollte man meinen, da möge der Teufel entschuldigen Ew. Durchlaucht — Fürst sein. Allein die Sache ist troßdem nicht so schlimm, wie sie aussieht. Denn die Umgebung, welche dem Fürsten im Einzelnen so oft schadet, nüßt ihm doch viel mehr im Ganzen. Weil sie 10 manchmal auf des Fürsten Namen fündigt, so wird sie im Volksmunde dann auch der Sündenbock für alle wirklichen Fehltritte des Herrschers. Ist der Fürst gut, so sagt man, er wäre noch viel besser, ja der beste, wenn er nicht in so schlechter Umgebung lebte; ist er aber schlecht, so sagt man, der Herr 15 selber wäre so übel nicht, aber die schlimmen Freunde und Räthe, die verderben Alles. Kurzum der Fürst mag treiben, was er will, so ist er immer beffer als seine Umgebung; diese aber mag schlafen oder wachen, so übt sie doch immer Einflüsse. Und also dürfen Ew. Durchlaucht auch mir meine Einflüffe 20 wider Willen nicht allzu hoch anrechnen; im Grunde wurden sie doch nur durch Ew. Durchlaucht selber geschaffen, indem Sie mich zu einer so geheimnißvollen Art von Leibmedicus gemacht."

Der Fürst freute sich bereits im Stillen über das ehrliche, 25 gescheidte Wesen des Doktors, denn er sah nun doch, daß ihn sein Blick bei diesem Manne von Anbeginn nicht betrogen. Allein er wollte nicht wiederum voreilig handeln; darum schickte er ihn einstweilen mit tröstendem Wort nach Hause und forschte der Sache weiter nach. Trotz aller Verleum30 dung, die jezt hageldick auf den gefallenen Günstling regnete, fand Casimir dennoch die Wahrheit der Erzählung des Arztes

immer klarer bestätigt. Nach etlichen Tagen ließ er ihn darum wieder zu sich rufen und sagte, er habe ihn in fünf Dingen als einen seltenen Mann erfunden, erstlich sei er bescheiden und voll Selbsterkenntniß, zweitens verschwiegen, drittens wahrhaftig, viertens wolle er keine Einflüsse üben 5 und fünftens sei er bei alledem durchtrieben schlau und voller Mutterwiß wie der älteste Politicus. Die Welt habe ihn zu seinem Vertrauten gemacht, da er es nicht gewesen, von nun an solle er es wirklich sein, da die Welt ihn für gestürzt und verungnadet halte. Er befahl darum dem Leibmedicus, an jedem 10 Morgen wieder zum ärztlichen Besuch zu erscheinen, fragte aber nicht mehr bloß nach dem Wetter und Befinden, sondern forderte seinen Rath in allen wichtigen Regierungsangelegenheiten. Der Doktor hängte inzwischen seine verspäteten medicinischen Studien völlig an den Nagel und suchte sich ganz 15 unter der Hand mit staatsrechtlichen und politischen Dingen bekannter zu machen, wozu in selbiger Zeit und für den Hausbedarf eines kleinen Reichsfürsten noch nicht so viel gehörte als heutzutage. Nach Jahresfrist entpuppte sich der Leibmedicus zum größten und legten Staunen des Ländchens zum 20 fürstlichen Kabinetsdirektor und als solcher heirathete er dann auch Fräulein von Lehberg. Der Fürst war der liebenswürdigen Dame noch immer herzlich gewogen, nur nicht mit so stürmischer Leidenschaft wie am Anfang.

Die Leute wollten es lange nicht glauben, daß Doktor 25 Müller wieder zu vollen Gnaden gekommen sei, und als es ihnen endlich im Dekrete des Kabinetsdirektors schriftlich beurkundet wurde, meinten sie, äußerlich habe der Doktor allerdings Genugthuung gefunden, aber den ungemessenen persönlichen Einfluß wie in der ersten Zeit, die volle Freund- 30 schaft des Fürsten, wie vor dem Sturze, besiße er doch nicht

mehr. Müller war klug genug, das ganze Land in diesem Glauben zu laffen und wurde viel weniger bestürmt und beneidet, als er wirklich im nächsten Vertrauen des Fürsten stand, denn zu der Zeit, da man ihm dieses Vertrauen bloß 5 andichtete.

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