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sachen, welche nur einer einzigen resp. ein oder derselben Kulturstufe angehören, beantwortet werden. Da nun, wie wir gesehen haben, auf der untersten Stufe noch kein Mutterrecht, sondern nur Vaterrecht auftritt, während dagegen auf einer höheren Stufe sowohl Mutterrecht als Vaterrecht vorkommt, so ergibt sich daraus ganz von selbst der Schluss, dass nicht das Vaterrecht, sondern das Mutterrecht später entstanden ist.

II. Hirten.

Aus der Jagd entwickelt sich die Viehhzucht, und so kommt es schliesslich, unter günstigen Umständen, auch zur Haltung ganzer Herden und damit zum Hirtenleben.

Auf der Stufe des Hirtenlebens besteht also schon Vermögen. Während der Jäger und Fischer noch ein Habenichts ist, der sich Tag für Tag seinen Unterhalt erkämpfen muss, ist der Hirt gewissermassen bereits ein Kapitalist, der von

seinen Zinsen lebt.

„Pecunia"! Vgl. J. Grimm, „Das Wort des Besitzes" (Berlin 1850) p. 41: „Eigentum und Besitz beginnen zuerst im Hirtenleben." Nowack, Lehrb. d. Hebr. Arch." I (1894) p. 224: ,,,,Besitz“ ist geradezu „Heerde.““

Doch wird auf der Stufe des Hirtenlebens für gewöhnlich noch nicht geschlachtet. Das Schlachten gilt vielmehr auf dieser Stufe, wie überhaupt solange die Herde noch das einzige oder hauptsächlichste Vermögen bildet, als eine Verschwendung oder als ein Luxus, den man sich nur ganz ausnahmsweise, d. h. nur in Fällen dringender Not oder bei besonderen, feierlichen, Gelegenheiten, wenn ein Opfer darzubringen, ein Gast zu bewirten ist, u. dgl., gestatten darf.

Entweder wird also das ist das primitivere oder Uebergangsstadium - der alltägliche Bedarf an animalischer Nahrung noch ausschliesslich im Wege der Jagd bestritten, so dass in diesem Falle die Herde, abgesehen von der Verwendung der

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Tiere zu Transportzwecken, nur eine Art von Reservekapital darstellt, an welchem man sich nur dann vergreift, wenn zufällig einmal die Jagd versagt. Oder aber das ist das vorgerücktere Stadium oder das eigentliche Hirtenleben die Viehzucht gipfelt in der Milchwirtschaft: der Hirt ist ein ,,Galaktophage".

S. Strabo XI, 8, 7, p. 513 C über die Massageten: οἱ δ ̓ ὄρειοι τοῖς ἀγρίοις τρέφονται καὶ αὐτοὶ καρποῖς· ἔχουσι δὲ καὶ πρόβατα ὀλίγα, ὥστ ̓ οὐδὲ κατακόπτουσι φειδόμενοι τῶν ἐρίων χάριν καὶ τοῦ γάλακτος.“

Diodor III, 32 über die Troglodyten: „tuv de Booznμátov τα πρεσβύτερα καὶ νοσεῖν ἀρχόμενα καταναλίσκοντες ἀπὸ τούτων τὸν ἅπαντα χρόνον διατρέφονται.“

Pallas, Reise durch versch. Provinzen des Russ. R." III p. 69: „Ein jeder Samojede hält seine Renntiere. Diese Haustiere dienen aber hauptsächlich nur bei ihren Zügen zur Fortbewegung der Schlitten. Sie verstehen nicht selbige zu melken, und zum Schlachten sind ihre Herden teils zu schwach, teils die Besitzer zu geizig. Ihr Hauptbestand ist wie bei den Tungusen und einigen nordamerikanischen Völkern die Jagd und sonderlich die wilden Renntierherden." Derselbe a. a. O. I p. 314 über die Kalmücken: „Im Sommer haben die Kalmücken bei ihren zahlreichen Herden an Milch einen Ueberfluss und selbige macht alsdann auch einen Hauptteil ihrer Nahrung aus." ,,Im Winter fehlt es ihnen zur Speise niemals an Fleisch, welches sie teils durch die Jagd, teils von ihrem verunglückten oder verreckten Vieh alsdann im Ueberfluss bekommen. Eigenes Vieh aber ohne Not zu schlachten, ist ausser bei Reichen und Vornehmen oder bei grossen Lustbarkeiten etwas Ungewöhnliches." Derselbe,,,Sammlungen hist. Nachrichten über die mongol. Völkerschaften“, I (Petersb. 1776) p. 128:,,Mittelmässige und selbst wohlhabende Kalmücken schlachten nicht gern ein eigenes Stück Vieh."

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(Georgi) a. a. O. p. 80 über die Baschkiren: „Milch ist, teils frisch, besonders aber gesäuert, ihre allgemeine, fast einzige Nahrung, da sie den Sommer über nur beschädigtes Vieh schlachten. Nur bei Festlichkeiten wird, und meistens krankes oder abgelebtes Vieh, geschlachtet." Derselbe a. a. O. p. 280: „Die Samojeden bedienen sich der Renntiere zum Reiten und Ziehen der Handschlitten und schlachten nur abgelebte und verunglückte, doch wird auch bisweilen ein gesundes Tier des Opfers wegen getötet. Vom Gebrauch der Milch und der Bereitung der Käse wissen sie nicht.' Derselbe a. a. O. p. 347: „Die meisten Koräken haben 50

bis 100, manche 1000 und einige etliche 1000 Renntiere." p. 348: ,,Der reichste Mann schlachtet nicht gern ein gesundes Tier, sondern behilft sich mit dem, was umfällt oder zu Schaden kommt."

v. Ledebour, „Reise durch das Altaigebirge und die soongorische Kirgisensteppe" (1829) II p. 472 über die Kirgisen: „Sie leben im Sommer fast nur von Milchspeisen; denn nur selten wird ein Stück Vieh geschlachtet."

Ross King, „The aborig. tribes of the Nilgiris Hills“, Journ. of Anthr. July 1870 p. 80 ff. über die Toda: „Though they have numerous large herds of these animals, the Toda never kill them for food, keeping them solely for the sake of their milk." Globus 1871 p. 356: „Der Tod a geniesst überhaupt gar kein Fleisch. Kein Büffel wird geschlachtet, man geniesst nur die Milch."

Burkhardt, „Bemerkungen über die Beduinen etc.", aus dem Engl. (Weimar 1831) p. 48: In der Landschaft Hidschid gibt es Stämme der Aeneze, welche fast niemals Fleisch geniessen, sondern fast gänzlich von Datteln oder Milch leben." p. 50: „Für einen Mann von Rang wird ein Zicklein oder Lamm geschlachtet."

Ausland 1885 p. 381 über die Somali: „Der Somali geniesst selten Fleischkost, vorwiegend nur bei feierlichen Gelegenheiten."

Ausland 1863 p. 491, 532, 554: „Bei den Herero (Damara) muss es schon eine ausserordentliche Gelegenheit sein, wenn etwa geschlachtet werden soll. Ihre Nahrung besteht hauptsächlich aus Milch." Anderson, Reisen in Südwestafrika bis zum See Ngami“, aus d. Schwedischen von Lotze (Leipz. 1858) I p. 246: „Milch ist die Hauptnahrung der Damaras.

Mit Ausnahme des erbeuteten Wildes, essen sie nur wenig Fleisch; Herdenvieh schlachten sie selten, nur bei Hochzeiten und Begräbnissen, bei Geburten und bei der Beschneidung der Knaben.“

Lichtenstein a. a. O. I p. 441, 443: „Die Kaffern entschliessen sich nur ungern dazu, ein Stück von ihren Herden wegzugeben oder zu schlachten. Das letztere geschieht nur bei feierlichen Gelegenheiten." ,,Kuhmilch ist

ihre Hauptnahrung." - ,.Sie schlachten sehr ungern und selten ein Stück Rindvieh und verschaffen sich das Fleisch zur Nahrung fast allein durch die Jagd." Ebenso Fritsch a. a. O. p. 86 über die Kaffern: Schlachten kommt nur bei feierlichen Gelegenheiten vor."

Derselbe über die Namaqua oder Hottentotten p. 325: ,,Den Hottentotten wird es schwer, sich das geliebte Vieh vom Herzen zu reissen. Liess sich daher nicht ein besonderer Entschuldigunsgrund finden der das Schlachten rechtfertigte, so begnügten sie sich mit der Milch in ihrer verschiedenen Form, mit dem Fleisch eines etwa erlegten Stückes Wild, mit wilden Früchten und Wurzeln."

Den Juden war bekanntlich während ihres Zuges durch die Wüste das Schlachten ausser zu Opferzwecken geradezu verboten. (S. III. Buch Mos. 17, 1-7). Anderseits galten denselben, was ebenfalls charakteristisch, wiederum nur Herdentiere, nicht aber Wild oder Fische, als Opfertiere1). S. Michaelis, ,,Mos. Recht" (1785) Bd. IV. p. 39. Und Nowack a. a. O. II p. 210: .,Warum die jagdbaren Thiere ausgeschlossen waren, ist nicht ersichtlich."

Zur Haltung ganzer Herden aber bedarf es nicht nur ausgedehnter Weiden oder Triften, sondern es muss auch fortwährend herumgezogen werden mit dem Vieh, von einem Platz zum anderen, immer dem frischen Graswuchs und Wasser nach. Auch ist man, wenn das Vieh nicht zu Grunde gehen soll, genötigt, im Winter immer andere Gegenden aufzusuchen, als im Sommer, in der trocknen Jahreszeit andere, als in der Regenzeit. Von dem Hirtenleben ist auf diese Weise das Nomadentum noch ganz unzertrennlich. Doch darf man sich dieses Nomadenleben nicht als ein regelloses Herumstreifen vorstellen. Jahr für Jahr werden vielmehr immer wieder dieselben Wege eingeschlagen, dieselben Gegenden aufgesucht und dieselben Lagerund Weideplätze bezogen. Auch haben manche Hirtenvölker wenigstens im Winter oder in der trocknen Jahreszeit schon feste Wohnungen, die sie nur im Sommer oder in der Regenzeit verlassen.

S. Strabo VII, 3, 17 p. 307 C über die Scythen oder Agathyrsen und Sauromaten am Schwarzen Meer:,,tv de νομάδων αἱ σκηναὶ πιλωταὶ πεπήγασιν ἐπὶ ταῖς ἁμάξαις, ἐν αἷς διαιτῶνται· περὶ δὲ τὰς σκηνὰς τὰ βοσκήματα, ἀφ ̓ ὧν τρέφονται καὶ γάλακτι καὶ τυρῷ καὶ κρέασιν. ἀκολουθοῦσι δὲ ταῖς νομαῖς μεταλαμβάνοντες τόπους ἀεὶ τοὺς ἔχοντας πόαν, χειμῶνος μὲν ἐν τοῖς ἕλεσι τοῖς περὶ τὴν Μαιῶτιν, θέρους δὲ καὶ ἐν τοῖς πεδίοις.

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Marco Polo transl. by H. Yule I (Lond. 1875) p. 244: „The Tartar custom is to spend the winter in warm plains where they find good pasture for their cattle, whilst in summer they betake themselves to a cool

1) Auf einer höheren Stufe verflüchtigt sich dann das Tieropfer zu einem blossen Verzicht auf den Fleischgenuss, uud so entsteht die kirchliche Sitte des Fastens (Carneval).

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