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XII. Metrik.

378. Die englische Metrik lässt sich historisch oder systematisch behandeln, und wie bei den übrigen Disciplinen liegt auch hier der Philologie zunächst die historische Behandlung ob. Am richtigsten und zweckmässigsten ist es jedoch beide Methoden (wie bei der Grammatik) mit einander zu verbinden, da man sonst in Einseitigkeit und Unvollständigkeit verfällt. Selbst Edwin Guest, der ausgesprochener Massen eine Geschichte der englischen Rhythmen hat liefern. wollen (A History of English Rhythms. Lon. 1838. 2 Vols. A new Ed., revised by W. W. Skeat. In 1 Vol. Lon. 1882) ist doch nicht im Stande gewesen das Systematische völlig auszuschliessen. Auch Jacob Schipper (Englische Metrik in historischer und systematischer Entwickelung dargestellt. Erster Theil: Altenglische Metrik, Bonn 1881) vereinigt beide Methoden. Man muss den Stoff systematisch eintheilen, so dass die verschiedenen Versarten zu Grunde gelegt werden, und muss dann innerhalb der so gewonnenen Abtheilungen historisch zu Werke gehen, wiewohl der Stoff auf diese Weise noch nicht erschöpft wird. So erfordert z. B. der Reim eine zusammenhängende Darstellung für sich, da eine Betrachtung desselben bei jeder einzelnen Versart ganz unnöthige und unleidliche Wiederholungen verursachen würde.

379. Wie bereits auf S. 348 fg. gesagt ist, hat die Metrik nichts mit dem Stil zu thun und gehört folglich nicht zur Poetik. Sie beschäftigt sich mit der rhythmischen Anordnung der Wörter zum Behufe der poetischen Darstellung und gliedert dieselben nach einem rhythmischen Princip zu Versen und die Verse, so weit sie nicht als stichische verwandt werden, zu Strophen. Allerdings bleibt der Stil einer Dichtung nicht unberührt von der Wahl der Vers- und StrophenArten, allein die poetische Stilistik findet die Verse und Strophen fertig vor und hat nichts mit ihrer Bildung und ihrem Bau zu thun. Wie die Grammatik der Stilistik, prosaischen wie poetischen, den Satz und die Periode liefert, so die Metrik den Vers und die Strophe, und die Metrik steht mithin zur Poetik in demselben Verhältniss wie die Grammatik zur Stilistik überhaupt. Allerdings kann ein Dichter sich auch Vers und Strophe seinem Geschmacke und Bedürfnisse entsprechend zurechtlegen, wie es z. B. Spenser mit der seinen Namen tragenden Strophe und mit dem Sonett gethan hat, allein er thut

das dann als Metriker, nicht als Stilist. Vgl. oben S. 47 fgg. Betreffs der beiden klassischen Sprachen ist bereits im vorigen Kapitel auseinander gesetzt worden, dass die verschiedenen poetischen Gattungen an feststehende metrische Formen gebunden waren, von denen nicht abgewichen werden durfte, dass aber in den modernen Sprachen, vornehmlich der englischen, diese Gebundenheit des objectiven Stils geschwunden ist und der Freiheit des subjectiven Stils Platz gemacht hat.

380. Das Princip für die rhythmische Anordnung der Wörter kann verschieden sein; im Sanskrit und in den beiden klassischen Sprachen war es bekanntlich die Quantität, in den neueren Sprachen ist es der Accent. Der Uebergang von der quantitirenden Metrik zur accentuirenden vollzog sich in der spät-lateinischen Poesie; Anfänge davon finden sich auch schon im Griechischen. Dabei ist es natürlich, dass beide Systeme eine Zeit lang neben einander hergingen, das eine in aufsteigender, das andere in absteigender Richtung. Auch wurde im Laufe der Zeit die Terminologie der klassischen Metrik auf die moderne übertragen, obwohl sie in vieler Hinsicht derselben wenig angemessen ist; selbst der Name Metrik (von uέvoor) ist streng genommen nur auf das quantitirende System anwendbar. Vergl. was oben S. 49 über Prosodie gesagt ist. Die Entwickelungsgeschichte der accentuirenden Metrik liegt ausserhalb der englischen Philologie; es sind darüber u. a. nachzusehın: Böckh, S. 813 fg.; Friedr. Ritschl, Kleine philologische Schriften. Bd. I (Leipzig 1866), S. 289 fgg.; die beiden von Schipper, S. 10, angeführten Schriften von Johann Huemer, Untersuchungen über den jambischen Dimeter bei den christlich-lateinischen Hymnendichtern der vorkarolingischen Zeit (Schulprogramm, Wien 1876) und Untersuchungen über die ältesten lateinisch-christlichen Rhythmen (Wien 1879); und Marsh, Lectures, 516-9. Ueber den verschiedenen Charakter der quantitirenden Metrik einerseits und den der accentuirenden andererseits hat sich u. a. Sidney (Apologie for Poetrie, ed. by Arber, 1868, p. 70) ausgesprochen, doch stellt er den Unterschied oder Gegensatz insofern nicht klar und scharf genug hin, als er der Quantität nicht den Accent schlechthin, sondern die Silbenzahl mit einiger Berücksichtigung des Accents gegenüber stellt; the Moderne [nämlich versifying],' sagt er, 'observing onely number, (with some regarde of the accent).' Als ein Hauptunterscheidungszeichen betrachtet er natürlich den Reim. Welches der beiden Systeme den Vorzug verdiene, darüber, meint er, lasse sich viel sagen. Die Metrik der Alten sei geeigneter für die Musik und für den Ausdruck mannichfacher Leidenschaften; die der Neueren entbehre vermöge des Reims auch nicht der Musik und erreiche dasselbe Ziel, nur auf anderem Wege. Er erkennt schliesslich beiden Systemen 'sweetnes' und 'maiestie' zu und kann nicht umhin, seine Muttersprache in Bezug auf Verskunst über die anderen modernen Sprachen zu stellen, indem er ihr nachrühmt, dass sie für beide.

metrische Systeme, das quantitirende und das accentuirende, gleich geschickt sei, was sich von den übrigen modernen Sprachen nicht behaupten lasse. Das ist ein Punkt, der uns nachher noch beschäftigen wird.

381. So weit unsere Kenntniss der englischen Poesie zurückreicht, bildet der Accent (die Hebung) und im Verein damit der Stabreim (die Alliteration) das metrische Princip derselben, und es ist bekannt, dass diese beiden Elemente der Poesie aller germanischen Stämme gemeinsam sind; ebenso das Gesetz, wonach Vers- und Wort-Accent zusammenfallen. 'Als erste ausgebildete Versart in den ältesten Denkmälern angelsächsischer Poesie,' sagt Schipper, S. 39, 'tritt uns die alliterirende Langzeile entgegen, welche (mit Ausnahme des Rhyming Poem im Cod. Exon., usw.) in der ganzen reichhaltigen poetischen Literatur der Angelsachsen auch die herrschende Versform geblieben ist.' Ten Brink (Gesch. d. engl. Literatur, S. 28) erklärt diesen 'ehrwürdigen' Vers 'höchst wahrscheinlich' für ein 'Erbstück der indo-germanischen Zeit,' das auch bei den klassischen Völkern in mehreren Spielarten fortgebildet sei, am meisten im iambischen Tetrameter. Wie der Tetrameter ist die ags. Langzeile achtmal gehoben und durch die Cæsur in zwei gleiche Hälften oder Versglieder getheilt; zum griechischen Hexameter verhält sie sich nach ten Brink wie der Stil der ags. Epik zu dem der homerischen.

382. Dieser Auffassung steht die Theorie mehrerer englischen Gelehrten, namentlich Thomas Wright's, Earle's, Morley's und Guest's gegenüber. Diese sehen nämlich die beiden Versglieder nicht als Theile einer Langzeile, sondern als ein aus zwei selbständigen Versen bestehendes Couplet an. Wright (The Vision and Creed of Piers Ploughman, Lon. 1856, Introd., p. XXXI) meint, diese Ansicht werde durch den Punkt, durch welchen die ags. Schreiber das Versende kenntlich machten, sehr unterstützt; auch in den Gedichten des 12. und 13. Jahrhunderts, obwohl dieselben in Langzeilen geschrieben seien, spreche doch die Anwendung des Reims in Verbindung mit der Alliteration zu Gunsten seiner Theorie. Die Schreiber hätten sich der Langzeile nur aus Ersparniss oder aus Bequemlichkeit bedient, um nicht entweder eine Masse Pergament verschwenden oder in mehreren schmalen Spalten neben einander schreiben zu müssen. Earle (A Book for the Beginner in Anglo-Saxon, Oxf. 1877, p. 66) nimmt zwar gleichfalls Kurzzeilen an, welche durch die Alliteration zu Paaren verbunden würden, fügt jedoch eine Bemerkung hinzu, welche vielmehr gegen als für seine Auffassung zu sprechen scheint. Er hebt nämlich hervor, dass die syntaktische Fügung keineswegs mit der Alliteration Schritt halte, sondern dass der Satz oder das Satzglied regelmässig bei der Cæsur (Pause) zu schliessen pflege. Dadurch entsteht eine Verschlingung oder eine Gegenströmung der syntaktischen und metrischen Bewegung, ähnlich wie in der antiken Poesie zwischen Accent und Quantität. Wäre dies Gesetz nicht beobachtet

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worden, so würde eine kakophonische Leierei entstanden sein, indem die metrischen und syntaktischen Schlüsse zusammengefallen wären, wie später beim heroischen Couplet. Danach zu urtheilen muss also der syntaktische Schluss in die Mitte des Verses gefallen sein, so dass wir die Langzeile als das Ursprüngliche anzunehmen haben, deren spätere Trennung in zwei Kurzzeilen eben erst durch die syntaktische Pause herbeigeführt worden ist. Morley (A First Sketch of English Literature, p. 20) betrachtet die Langzeile gleichfalls als 'a pair of short lines' und Guest, p. 314, spricht seine Ansicht in folgenden Worten aus: 'Our English verse,' sagt er, 'was at first written like prose, the point sometimes separating the couplets, but generally the sections. About the end of the twelfth century, a new mode of writing came into fashion, and a line was given to each couplet. The Icelanders followed a different plan, and made each section a distinct verse; but I have very seldom [erste Ausgabe: never] seen regular alliterative metre, so written, in English. however, as Conybeare remarked, a mere question of convenience. prefer the couplet for Anglo-Saxon verse, because in such form it seems better calculated to illustrate the origin of our later rhythms.' Nur March (Comparative Grammar, p. 223) fasst wie die deutschen Gelehrten den ags. Vers als eine aus zwei Gliedern bestehende Langzeile auf.

It is,
I

383. Mag sich die Sache verhalten, wie sie will, so viel ist gewiss, dass der ags. Vers ein kunstvolles und euphonisches metrisches Gefüge war, das, um ten Brink's Worte zu gebrauchen, würdevoll, mit Pathos und Nachdruck einherschritt und sich dem Inhalte der Rede auf's innigste anschmiegte.' Er ist so kunstvoll, dass die heutige englische Metrik gar kein Verständniss mehr dafür besitzt. Die ags. Metrik steht in dieser Hinsicht durchaus der ags. Grammatik (Wortlehre) zur Seite, und wie die letztere im Laufe der Jahrhunderte alle die fein und sinnig ausgebildeten Flexionen über Bord geworfen hat, so die erstere das durchgebildete System der mit dem Stabreim Hand in Hand gehenden Hebungen und Senkungen. Auf beiden Gebieten begegnen wir demselben Processe, und dieselbe sprachliche und volksgeistige Entwickelung ist es, die ihn hervorgerufen und durchgeführt hat. Auf der andern Seite vermisst ten Brink freilich an dem ags. Verse schöne Rundung und schreibt ihm eine 'sinnlich starke, aber nicht harmonische Wirkung' zu, so dass 'das Ganze den Eindruck einer Verbindung von tiefglühender Leidenschaft mit einer gewissen Schwerfälligkeit' mache. Auf alle Fälle war der Vers einerseits für die epische Poesie besonders geeignet und andererseits sangbar, denn wir besitzen gleichzeitige Zeugnisse dafür, dass er zur Harfe gesungen wurde.

384. Der Bau der ags. Langzeile und die Regeln, denen derselbe unterliegt, lassen sich hier um so weniger eingehend darstellen, als darüber adhuc sub judice lis est.' Der bisherigen, auf Lachmann

zurückgehenden sog. Vierhebungstheorie, nach welcher jeder Halbvers vier Hebungen besitzt, ist von Ferdinand Vetter (Ueber die germanische Alliterationspoesie, Wien 1872 und Zum Muspilli und zur germanischen Alliterationspoesie, Wien 1872) die von W. Wackernagel ausgehende Zweihebungstheorie gegenüber gestellt worden, welche namentlich von Max Rieger (Die alt- und angelsächsische Verskunst, in Höpfner und Zacher's Zeitschrift für deutsche Philologie, Bd. VII, S. 1-64; Sonder-Ausgabe, Halle 1876) und nach ihm von Schipper vertreten wird, während March (Comp. Gram., 1875) und ten Brink in seiner 1877 erschienenen Literatur-Geschichte noch der Vierhebungstheorie anhängen. Die Vierhebungstheorie muss zugestehen, dass das regelmässige Schema des Verses Abweichungen unterliegt, namentlich in Bezug auf die Zahl der Hebungen, indem einerseits die Vierzahl häufig nicht erreicht, andererseits bisweilen auch überschritten wird. Es finden sich Halbverse, welche nur drei, ja nur zwei Hebungen besitzen, was zumeist im zweiten Versgliede vorkommt (ten Brink, a. a. O.). Als ein Erklärungsgrund wird es betrachtet, wenn sich Contractionen im Verse vorfinden, deren volle Formen die vier Hebungen vollzählig machen würden, wie z. B. hean st. heahan (Beóv. ed. Grein, 116) oder seôn st. seóhan (ib. 1275). Auch kann die Unregelmässigkeit durch Eigennamen, namentlich fremde, hervorgebracht werden, wie z. B. Sem and Cham (Cadm. ed. Grein, 1551). Aber auch abgesehn von solchen Anlässen kommen verkürzte Halbverse von drei Hebungen und einer Senkung und selbst von zwei Hebungen und einer Senkung vor. Den tiefern Grund für dieses Zurückbleiben hinter der regelmässigen Hebungszahl findet ten Brink, S. 59 fg., in dem streng rhythmischen Vortrage der epischen Sänger, der ihnen gestattete, durch längeres Verweilen auf gewissen Silben oder durch Pausen das Zeitmass auszufüllen und so trotz der geringern Zahl der Hebungen dem Verse die gebührende Ausdehnung zu geben; eine Ueberschreitung der regelmässigen Hebungszahl hingegen durften sie sich nicht gestatten. Diese konnte nur bei den geistlichen Epen unbemerkt hingehen, da dieselben aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gesungen, sondern nur recitirt wurden, wobei 'eine grosse Mannichfaltigkeit der Formen entsteht, die nur durch die Lage der drei Reimstäbe unter die Einheit eines Gesetzes gebracht werden. Verhältnissmässig selten sind solche Streckverse in Genesis und Exodus, häufiger in Daniel und namentlich in Judith, wo sie in auffallender, aber keineswegs unkünstlerischer Weise zur Verwendung kommen' (ten Brink, a. a. O.). Die jüngere, interpolirende Dichtung der Redactoren hat sich dann die Ueberschreitung der Hebungszahl auch in der Volksepik gestattet. Eine eingehende Charakteristik dieser 'Streckverse' giebt March, Comp. Gram., § 512, der sie jedoch als ein besonderes und selbständiges Versmass auffasst, das er als 'Long Narrative Verse' bezeichnet und dem er in jedem Halbverse sechs Füsse zutheilt.

Was die Senkung angeht, so erfreut sich diese

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