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S. F. W. Hoffmann's

Bibliographisches Lexicon

der gesammten Litteratur

der

Grie che n.

Zweite umgearbeitete, durchaus vermehrte, verbesserte
und fortgesetzte Ausgabe.

Zweiter Theil. E-N.

Leipzig,

bei A. F. Böhme.

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Länger als ein Jahrzehend beschäftigt sich der Verfasser mit diesem Werke: freilich nicht mit einer solchen ausschliessenden Einseitigkeit, wie er durch die That bewiesen zu haben glaubt, dass ihm die klassische Bibliographie der einzige Gegenstand seines Strebens geblieben wäre. Diese Arbeit ist ihm eine reiche Quelle freudiger, aber auch sehr betrübender Erfahrungen gewesen: wie und wo, verschweigt er indessen, weil diese Persönlichkeiten keinen bedeutenden Einfluss auf das Werk selbst erhielten. Die Sache blieb das einzige und unveränderliche Ziel, um dies möglichst gut zu gewinnen, so umfassend und schwierig auch die Arbeit war. Sie hat Beifall und Anerkennung, im Inlande wie im fernen Auslande, gefunden, wenn auch die Theilnahme nicht so allgemein seyn kann, wie bei einem Werke von allgemeinem Interesse; und namentlich hat ihn das Urtheil der der Sache kundigsten Männer erfreut. Eine Freude, die durch kein Bemühen vorher verdient war, und deshalb viel werther und befriedigender ist, als eine vorherverdiente. Kunststücke der Art sind dem Verfasser unbekannt; in der litterarischen Welt sollte überhaupt Bestechlichkeit dem Geber wie dem Empfänger eine nie zu tilgende Schande bringen. Ist etwas zu loben an einem Werke, so werde es gelobt, jedoch nur von dem gewürdigt, der es vermag, d. h. der mit dem Gegenstande vertraut ist, und nicht blos mit der Feder in der Hand, aus dieser oder jener persönlichen Rücksicht gegen den Verfasser, schön klingende Worte und Phrasen auf das Papier malt; enthält dagegen ein Werk Tadelwürdiges, so werde dies durch Gründe, die es in der That sind, indem man sie aus der Sache selbst entwickelt, nachgewiesen, wobei Lessing's, des scharfen aber besonnenen deutschen Kritikers, Lehre wohl zu beachten ist. Das sogenannte Recensionswesen ist schon oft angegriffen, und von Verschiedenen in seinem Unwesen durch Erklärungen, Gegenerklärungen und Antikritiken blos gestellt und infamirt worden, dennoch sind der Klagen darüber noch nicht weniger geworden. Es könnte wohl anders seyn, und auch anders werden, wenn Eine der neuesten Schilderungen dieses übeln Zustandes in den litterärischen Verhältnissen findet sich in dər Zeitschrift: Braga, vaterländische Blätter für Kunst und Wissenschaft, erster Jahrgang, drittes Heft, 1838, p. 377 sq. Wir theilen dieselbe hier mit, weil sie die Beachtung verdient. ,, Und nun dazu die Cotterien, die gegenseitige Lobhudelei, die gehässige Verfolgung! Es ist eine Schmach für den deutschen Namen, dass der Unfug, wie er in unsern Journalen verübt wird, so lange sein Wesen treiben kann. Und ist es etwa unbekannt? Weiss es denn nicht die

Nation, wie sie es treiben? wie sie ohne Rücksicht auf die Sache, nur die Person ansehen, den Freund bis in den Himmel erheben, um Gleiches von ihm sich thun zu lassen, den Feind aber verfolgen, weil er ihnen beim Publicum im Wege steht? *) Gründlichkeit, Eigenthümlichkeit, Eingehen in die Sache, in den Geist und die Tendenzen des Schriftstellers diess Alles sucht man vergebens in unsern Journalen. Entweder unmässiges Lob, oder ungerechter Tadel, oder nichtssagende Halbheit! Wahrhaftig! es ist Zeit, es ist hohe Zeit, diesem Unfuge mit der entschiedensten Kraft gegenüberzutreten. Wir wollen den Anfang machen. Auch uns hat man gelobt, und wahrlich nicht in solchen Ausdrücken, als wir mit gutem Gewissen für uns in Anspruch nehmen, und nicht in solcher Weise, wie wir sie vom gründlich Gebildeten erwarten können. Wir wollen kein Lob wir sprechen es hiermit für alle Zeit aus das nicht auf der reinsten Ueberzeugung beruht und das sich nicht auf trif tige Gründe zu stützen vermag. Und wenn es so fortginge? wenn diese Anarchie in der Literatur einerseits und jene gelehrte Pedanterie anderntheils sich in die Herrschaft über die geistige Bildung unserer Nation theilten? Wir müssten den litterarischen Ruhm, den wir bis jetzt vor den übrigen Völkern voraus gehabt, das Einzige Bemühn, worin wir uns vor jenen ausgezeichnet wir müssten auch diesen verlieren."

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Der hier geschilderte Zustand ist leider eine Thatsache, welche die ganze Welt kennt. Da jedoch der ungenannte Verfasser jenes wahren Aufsatzes nicht ein allgemein gültiges Mittel bezeichnet, durch welches jener Uebelstand, der sich immer tiefer in das litterarische Leben frisst, und ein wahrer, d. h. unheilbarer, Krebsschaden zu werden droht, beseitigt und allen über lang oder kurz daraus entspringenden Folgen vorgebeugt werden kann, so erlaubt sich der Verfasser Andeutungen darüber. Es sollten sich freiwillige Vereine von Gelehrten bilden, deren Aufgabe es wäre, auf alle Weise jenem geschilderten Unwesen entgegenzutreten. Am Kräftigsten wäre dies möglich durch ein literarisches Blatt, das auf Kosten jedes Vereins begründet würde und erschiene, worin auch jedes Vereinglied seine Stimme und Urtheil über gewisse ihm näher bekannte litterarische Erscheinungen und Zustände abzugeben verpflichtet ist. Das Ganze müsste ein Vorstand leiten, dem auch die Correspondenz, unterstützt durch gewählte Mitglieder des Vereins, obläge, und zwar unter der strengsten Verpflichtung zur Verschwiegenheit über die eingehenden Berichte, damit aller Zwiespalt verhütet würde. Solche Bündnisse nur können die Herrschaft des -Egoismus vernichten. Denn nicht das unbegründete Lob allein richtet Schaden an, sondern gewiss in einem weit grösseren Maasse der Tadel, den Unbefugte drucken zu lassen sich anmaassen. Nur durch diesen ist der herrschende Zwiespalt in die litterarische Welt

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*) Zusatz: ,, oder weil er den vermeintlicken glücklichen Erfolg einer Absicht vereitelte, und so der Ehre des Egoismus zu nahe tritt, der sich seiner nahen Befriedigung schon freutę.“

gekommen. Der will andere meistern, der selbst kein Zeugniss über seine Tüchtigkeit vorzuzeigen hat. Vor allem ist es nothwendig, eine Annäherung und grössere Einigung zu bewirken; geschieht dies nicht, so wird der klaffende Riss immer grösser werden.

Dann lässt sich vielleicht auch ein anderer Zweck glücklicher als bisher verfolgen: nämlich der Verein der Wissenschaft mit dem Leben. Eine Aufgabe, die zu den Lieblingsthemen unserer Zeit gehört, und zu verschiedenen Untersuchungen veranlasst hat. Die Zeit fordert denselben allerdings, aber wie es scheint, wird durch die Theorie und Nachweisung des Fehlerhaften in den bisherigen Verhältnissen nichts oder doch nur sehr wenig gewonnen. So wie das Leben selbst- jenen Zwiespalt gebildet hat, so wird derselbe auch wieder ausgeglichen, wenn das Gleichgewicht in den wirkenden Ursachen wieder hergestellt ist. Die Wissenschaft und das Leben müssen hier allein wirken durch die ihnen eigenthümlichen Organe. Die Geschichte aller grossen und bedeutungsvollen Veränderungen in der Welt beweist dies. So schätzbar daher alle jene Untersuchungen sind, die einen freien Blick in die Lebensverhältnisse zeigen, so wird ihre Wirkung doch die Hoffnung nicht befriedigen.

Zu den angefeindeten und verdächtigten litterarischen Bestrebungen gehört in heutiger Zeit vorzugsweise die Bibliographie. Die Ursache dieser Erscheinung liegt nahe, Man sieht nur eben die Form, und die Geistreichen in allen Dingen messen nur diese mit dem Maasse ihrer eigenen Kräfte. Sie wissen nichts weiter darin zu finden, als was ihnen eine nicht verstandene Aeusserlichkeit zu versprechen scheint. Ohne dass hier ein Kampf pro aris et focis beabsichtigt wird, so soll nur die Sache vor Verdächtigung derer geschützt werden, deren höchste Kraft auch nicht weiter sich zu bewähren vermag, als durch leeres Geklingel aufgeputzter Redensarten, die immer hohle Figuren bleiben würden, wie die sieben egyptischen mageren Kühe, und liessen sie dieselben sogar ein dreifaches „ nonum prematur in annum“ geniessen. Blendeten solche Leute durch ihre Schmähungen nicht, so würde es in der That nicht der Mühe Iohnen, von ihren Bemühungen zu reden. Dass bibliographische Arbeiten einen sehr untergeordneten Werth haben, soll zugegeben werden, sobald man zu beweisen im Stande ist, dass alles menschliche Streben ohne Ausnahme, zur Thatsache geworden, vermöge seiner Form der Aeusserlichkeit allein, ohne je einen höheren Werth zu haben oder zu erhalten, angehört. Man verstehe nur erst die Erscheinung in seiner Form, worüber freilich die Geistreichen in dem leichtsinnigen Spiele mit den bunten Bildern ihrer Rede ganz unbekümmert zu den Höhen ihres Weltgeistes empor sich heben, oder zu den Tiefen geistiger Grösse hinabsteigen, um zu sehen, ob sie etwas an diesen grossen Gütern der Menschheit für sich gewinnen können. Es liegt ja wohl in allen stetigen Erscheinungen eine höhere, geistige Bedeutung im wahren Sinne, und den Bemühungen um das klassische Alterthum namentlich gebührt ohne Zweifel ausschliesslich der Ruhm, ein so durchdringendes Licht bewirkt zu haben, dass die tief

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