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Aber jugendlich immer, in immer veränderter Schöne
Ehrst du, fromme Natur, züchtig das alte Gesez.

Immer dieselbe, bewahrst du in treuen Händen dem Manne, 195
Was dir das gaukelnde Kind, was dir der Jüngling vertraut.
Nährst an gleicher Brust die vielfach wechselnden Alter;
Unter demselben Blau, über dem nämlichen Grün
Wandeln die nahen und wandeln vereint die fernen Geschlechter,
Und die Sonne Homers, siehe! sie lächelt auch uns.

Schiller (1795).

6. Archimedes und der Schüler.

Zu Archimedes kam ein wißbegieriger Jüngling;

„Weihe mich,“ sprach er zu ihm, „ein in die göttliche Kunst, Die so herrliche Frucht dem Vaterlande getragen

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Und die Mauern der Stadt vor der Sambuca beschüßt!" ,,Göttlich nennst du die Kunst? Sie ist's," verseßte der Weise, 5 Aber das war sie, mein Sohn, eh' sie dem Staat noch gedient. Willst du nur Früchte von ihr, die kann auch die Sterbliche zeugen; Wer um die Göttin freit, suche in ihr nicht das Weib." Schiller.

7. Pompeji und Herkulanum.

Welches Wunder begiebt sich? Wir flehten um trinkbare Quellen,
Erde, dich an, und was sendet dein Schooß uns herauf!
Lebt es im Abgrund auch? Wohnt unter der Lava verborgen
Noch ein neues Geschlecht? Kehrt das entfloh'ne zurück?
Griechen, Römer, o kommt! o seht, das alte Pompeji

Findet sich wieder, auf's Neu bauet sich Herkules' Stadt.
Giebel an Giebel steigt, der räumige Portikus öffnet
Seine Hallen, o eilt, ihn zu beleben, herbei!

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Aufgethan ist das weite Theater, es stürze durch seine

Sieben Mündungen sich fluthend die Menge herein! Mimen, wo bleibt ihr? Hervor! Das bereitete Opfer vollende Atreus' Sohn, dem Orest folge der graufende Chor! Wohin führet der Bogen des Siegs? Erkennt ihr das Forum? Was für Gestalten sind das auf dem curulischen Stuhl? 15 Traget, Lictoren, die Beile voran! Den Sessel besteige

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Richtend der Prätor, der Zeug' trete, der Kläger vor ihn! Neinliche Gassen breiten sich aus, mit erhöhetem Pflaster Ziehet der schmälere Weg neben den Häusern sich hin. Schüßend springen die Dächer hervor, die zierlichen Zimmer Reih'n um den einsamen Hof heimlich und traulich sich her. Oeffnet die Läden geschwind und die lange verschütteten Thüren! In die schaudrige Nacht falle der lustige Tag!

Siehe, wie rings um den Rand die netten Bänke sich dehnen,

Wie von buntem Gestein schimmernd das Estrich sich hebt! 25 Frisch noch erglänzt die Wand von heiter brennenden Farben. Wo ist der Künstler? Er warf eben den Pinsel hinweg. Schwellender Früchte voll und lieblich geordneter Blumen Fasset der muntre Feston reizende Bildungen ein. Mit beladenem Korb schlüpft hier ein Amor vorüber,

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Emsige Genien dort keltern den purpurnen Wein; Hoch auf springt die Bacchantin im Tanz, dort ruhet sie schlummernd,

Und der lauschende Faun hat sich nicht satt noch gesehn. Flüchtig tummelt sie hier den raschen Centauren, auf Einem

Knie nur schwebend, und treibt frisch mit dem Thyrsus ihn an. 35 Knaben, was säumt ihr? Herbei! da stehn noch die schönen Geschirre.

Frisch, ihr Mädchen, und schöpft in den etrurischen Krug!

Steht nicht der Dreifuß hier auf schön geflügelten Sphinren?
Schüret das Feuer! Geschwind, Sclaven, bestellet den Herd!
Kauft, hier geb' ich euch Münzen, vom mächtigen Titus gepräget;
Auch noch die Waage liegt hier: sehet, es fehlt kein Gewicht. 40
Stecket das brennende Licht auf den zierlich gebildeten Leuchter,
Und mit glänzendem Del fülle die Lampe sich an!
Was verwahret dies Kästchen? O seht, was der Bräutigam sendet,
Mädchen! Spangen von Gold, glänzende Pasten zum Schmuck.
Führet die Braut in das duftende Bad! hier stehn noch die Salben, 45
Schminke find' ich noch hier in dem gehöhlten Krystall.
Aber wo bleiben die Männer? die Alten? Im ernsten Museum
Liegt noch ein köstlicher Schat seltener Rollen gehäuft.
Griffel findet ihr hier zum Schreiben, wächserne Tafeln;
Nichts ist verloren, getreu hat es die Erde bewahrt.
Auch die Penaten, sie stellen sich ein; es finden sich alle
Götter wieder; warum bleiben die Priester nur aus?
Den Caduceus schwingt der zierlich geschenkelte Hermes,
Und die Victoria fliegt leicht aus der haltenden Hand.
Die Altäre, sie stehen noch da, o kommet, o zündet –
Lang schon entbehrte der Gott—zündet die Opfer ihm an!
Schiller (1796).

8. Odysseus.

Alle Gewässer durchkreuzt, die Heimath zu finden, Odysseus; Durch der Scylla Gebell, durch der Charybde Gefahr, Durch die Schrecken des feindlichen Meers, durch die Schrecken

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Endlich trägt das Geschick ihn schlafend an Ithaka's Küste; 5

Er erwacht und erkennt jammernd das

Vaterland nicht.
Schiller (1795).

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Steure, muthiger Segler! Es mag der Wiß dich verhöhnen, Und der Schiffer am Steu'r senken die lässige Hand. Immer, immer nach West! Dort muß die Küste sich zeigen,

Liegt sie doch deutlich und liegt schimmernd vor deinem Verstand. 5 Traue dem leitenden Gott und folge dem schweigenden Weltmeer! Wär' sie noch nicht, sie stieg' jezt aus den Fluthen empor Mit dem Genius steht die Natur im ewigen Bunde : Was der eine verspricht, leistet die andre gewiß. Schiller (1795).

10. Deutsche Treue.

Um den Scepter Germaniens stritt mit Ludwig dem Bayer Friedrich aus Habsburgs Stamm, Beide gerufen zum Thron ; Aber den Auftrier führt, den Jüngling, das neidische Kriegsglück In die Fesseln des Feinds, der ihn im Kampfe bezwingt. 5 Mit dem Throne kauft er sich los, sein Wort muß er geben.

Für den Sieger das Schwert gegen die Freunde zu ziehn; Aber was er in Banden gelobt, kann er frei nicht erfüllen, Siehe, da stellt er auf's Neu' willig den Banden sich dar. Tief gerührt umhalft ihn der Freund, sie wechseln von nun an, Wie der Freund mit dem Freund, traulich die Becher des Mahls, Arm in Arme schlummern auf einem Lager die Fürsten,

Da noch blutiger Haß grimmig die Völker zerfleischt. Gegen Friederichs Heer muß Ludwig ziehen. Zum Wächter Bayerns läßt er den Feind, den er bestreitet, zurück. 15,,Wahrlich! So ist's! Es ist wirklich so! Man hat mir's geschrieben!"

Rief der Pontifer aus, als er die Kunde vernahm.

Schiller (1795).

11. Deutscher Genius.

Ringe, Deutscher, nach römischer Kraft, nach griechischer Schönheit! Beides gelang dir-doch nie glückte der gallische Sprung.

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Jeht da jeglicher lies't, und viele Leser das Buch nur Ungeduldig durchblättern und, selbst die Feder ergreifend, Auf das Büchlein ein Buch mit seltner Fertigkeit pfropfen, Soll auch ich, du willst es, mein Freund, dir über das Schreiben Schreibend die Menge vermehren und meine Meinung verkünden, 5 Daß auch andere wieder darüber meinen, und immer So in's Unendliche fort die schwankende Woge sich wälze. Doch so fähret der Fischer dem hohen Meer zu, sobald ihm Günstig der Wind und der Morgen erscheint; er treibt sein

Gewerbe,

Wenn auch hundert Gesellen die blinkende Fläche durchkreuzen. 10

Edler Freund, du wünschest das Wohl des Menschengeschlechtes, Unserer Deutschen besonders und ganz vorzüglich des nächsten Bürgers, und fürchtest die Folgen gefährlicher Bücher; wir haben Leider oft sie gesehen. Was sollte man, oder was könnten Biedere Männer vereint, was könnten die Herrscher bewirken? 15 Ernst und wichtig erscheint mir die Frage, doch trifft sie mich eben In vergnüglicher Stimmung. Im warmen heiteren Wetter Glänzet fruchtbar die Gegend; mir bringen liebliche Lüfte Ueber die wallende Fluth süßduftende Kühlung herüber, und dem Heitern erscheint die Welt auch heiter, und ferne 20 Schwebt die Sorge mir nur in leichten Wölkchen vorüber.

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