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1. Der Hexameter.

Gleichwie sich dem, der die See durchschifft, auf offener Meerhöh' Rings Horizont ausdehnt, und der Ausblick nirgend umschränkt ist, Daß der umwölbende Himmel die Schaar zahlloser Gestirne, Bei hell athmender Luft, abspiegelt in bläulicher Tiefe: So auch trägt das Gemüth der Herameter; ruhig umfassend 5 Nimmt er des Epos Olymp, das gewaltige Bild, in den Schooß auf Kreißender Fluth, urväterlich so den Geschlechtern der Rhythmen, Wie vom Okeanos quellend, dem weit hinströmenden Herrscher, Alle Gewässer auf Erden entrieselen oder entbrausen. Wie oft Seefahrt kaum vorrückt, mühvolleres Rudern Fortarbeitet das Schiff, dann plößlich der Wog' Abgründe Sturm aufwühlt und den Kiel in den Wallungen schaukelnd dahinreißt:

So kann ernst bald ruhn, bald flüchtiger wieder enteilen, Bald, o wie kühn in dem Schwung! der Herameter, immer sich

selbst gleich,

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Ob er zum Kampf des heroischen Lieds unermüdlich sich gürtet, 15
Oder, der Weisheit voll, Lehrsprüche den Hörenden einprägt,
Oder geselliger Hirten Idyllien lieblich umflüstert.

Heil dir, Pfleger Homers! ehrwürdiger Mund der Orakel !
Dein will ferner gedenken ich noch und andern Gesanges.

A. W. Schlegel.

2. Der epische Hexameter.

Schwindelnd trägt er dich fort auf raftlos strömenden Wogen; Hinter dir siehst du, du siehst vor dir nur Himmel und Meer.

3. Das Distichon.

Schiller.

Im Herameter steigt des Springquells flüssige Säule;
Im Pentameter drauf fällt sie melodisch herab.

4. Der siebzigste Geburtstag.

Schiller.

Auf die Postille gebückt, zur Seite des wärmenden Ofens, Saß der redliche Tamm in dem Lehnstuhl, welcher mit Schnißwerk Und braunnarbigem Jucht voll schwellender Haare geziert war: Tamm, seit vierzig Jahren in. Stolp, dem gesegneten Freidorf, 5 Organist, Schulmeister zugleich, und ehrsamer Küster;

Der fast allen im Dorf, bis auf wenige Greise der Vorzeit, Einst Taufwasser gereicht, und Sitte gelehrt und Erkenntniß, Dann zur Trauung gespielt, und hinweg schon manchen gesungen. Oft nun faltend die Händ', und oft mit lauterem Murmeln 10 Las er die tröstenden Sprüch' und Ermahnungen. Aber allmählich Starrte sein Blick, und er sank in erquickenden Mittagsschlummer. Festlich prangte der Greis in gestreifter kalmankener Jacke; Und bei entglittener Brill' und silberfarbenem Haupthaar Lag auf dem Buche die Müße von violettenem Sammet, 15 Mit Fuchspelze verbrämt und geschmückt mit goldener Troddel.

Denn er feierte heute den siebzigsten frohen Geburtstag, Froh des erlebeten Heils. Sein einziger Sohn Zacharias,

Welcher als Kind auf dem Schemel geprediget, und, von dem

Pfarrer

Ausersehn für die Kirche, mit Noth vollendet die Laufbahn
Durch die lateinische Schul' und die theuere Akademie durch: 20
Der war jezt einhellig erwähleter Pfarrer in Merlig,

Und seit kurzem vermählt mit der wirthlichen Tochter des Vorfahrs.
Fernher hatte der Sohn zur Verherrlichung seines Geburtstags
Edlen Toback mit der Fracht und stärkende Weine gesendet,
Auch in dem Briefe gelobt, er selbst und die freundliche Gattin, 25
Hemmeten nicht Hohlweg' und verschneiete Gründe die Durchfahrt,
Sicherlich kämen sie beide, das Fest mit dem Vater zu feiern
Und zu empfahn den Segen von ihm und der würdigen Mutter.
Eine versiegelte Flasche mit Rheinwein hatte der Vater
Froh sich gespendet zum Mahl und mit Mütterchen auf die Ge-
sundheit

Ihres Sohns Zacharias geklingt und der freundlichen Gattin,
Die sie so gern noch sähen und Töchterchen nännten und bald auch
Mütterchen, ach! an der Wiege der Enkelin oder des Enkels.
Viel noch sprachen sie fort von Tagen des Grams und der Tröstung,
Und wie sich alles nunmehr auflös in behagliches Alter:

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Gutes gewollt, mit Vertraun und Beharrlichkeit, führet zum Ausgang:

Solches erfuhren wir selbst, du Trauteste, solches der Sohn auch. Hab' ich doch immer gesagt, wenn du weinetest: Frau, nur geduldig!

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Bet' und vertrau'! Je größer die Noth, je näher die Rettung. Schwer ist aller Beginn; wer getrost fortgehet, der kommt an.“ 40

Feuriger rief es der Greis, und las die erbauliche Predigt Nach, wie den Sperling ernähr' und die Lilie kleide der Vater.

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Doch der balsamische Trank, der altende, löste dem Alten Sanft den behaglichen Sinn und dustete süße Betäubung.

Mütterchen hatte mit Sorg' ihr freundliches Stübchen gezieret, Wo von der Schule Geschäft sie ruheten und mit Bewirthung Rechtliche Gäst' aufnahmen, den Prediger und den Verwalter; Hatte gefegt und geuhlt und mit feinerem Sande gestreuet, Reine Gardinen gehängt um Fenster und luftigen Alkov, 50 Mit rothblumigem Teppich gedeckt den eichenen Klapptisch, Und das bestäubte Gewächs am sonnigen Fenster gereinigt, Knospende Ros' und Levkoj' und spanischen Pfeffer und Goldlack, Sammt dem grünenden Korb Maililien hinter dem Ofen. Ringsum blinkten gescheurt die zinnernen Teller und Schüffeln 55 Auf dem Gefims; auch hingen ein Paar stettinische Krüge, Blaugeblümt, an den Pflöcken, die Feuerkieke von Messing, Desem und Mangelholz und die zierliche Elle von Nußbaum. Aber das grüne Klavier, vom Greise gestimmt und besaitet, Stand mit bebildertem Deckel und schimmerte; unten befestigt 60 Hing ein Pedal; es lag auf dem Pult ein offnes Choralbuch. Auch den eichenen Schrank mit geflügelten Köpfen und Schnörkeln, Schraubenförmigen Füßen und Schlüffelschilden von Messing (Ihre felige Mutter, die Küsterin, kauft' ihn zum Brautschaß) Hatte sie abgestäubt und mit glänzendem Wachse gebohnet. 65 Oben stand auf Stufen ein Hund und ein züngelnder Löwe, Beide von Gyps, Trinkgläser mit eingeschliffenen Bildern, Zween Theetöpfe von Zinn und irdene Taffen und Aepfel.

Als sie den Greis wahrnahm, wie er ruht' in athmendem
Schlummer,

Stand das Mütterchen auf vom binsenbeflochtenen Spinnstuhl, 70 Langsam, trippelte dann auf knirrendem Sande zur Wanduhr

Leif und knüpfte die Schnur des Schlaggewichts an den Nagel, Daß ihm den Schlaf nicht störe das klingende Glas und der Kukuk. Jego sah sie hinaus, wie die stöbernden Flocken am Fenster Nieselten, und wie der Ost dort wirbelte, dort in den Eschen Rauscht und der hüpfenden Krähn Fußtritte verweht an der Scheuer.

Lange mit ernstem Gesicht, ihr Haupt und die Hände bewegend, Stand sie vertieft in Gedanken und flüsterte halb, was sie dachte:

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Lieber Gott, wie es stürmt und der Schnee in den Gründen

sich anhäuft!

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Armer, wer jezt auf Reisen hindurch muß, ferne der Einkehr! Auch wer, Weib zu erwärmen und Kind, auswandert nach Neisholz, 80 Hungrig oft und zerlumpt! Kein Mensch wohl jagte bei solchem Wetter den Hund aus der Thür, wer seines Viehs sich erbarmet! Dennoch kommt mein Söhnchen, das Fest mit dem Vater zu feiern! Was er wollte, das wollt' er, von Kind auf. Gar zu besonders Wühlt mir das Herz. Und seht, wie die Kag' auf dem Tritte des Tisches

85 Schnurrt und das Pfötchen sich leckt, auch Bart und Nacken sich

puget!

Das bedeutet ja Fremde nach aller Vernünftigen Urtheil."

Sprach's, und trat an den Spiegel, die festliche Haube zu ordnen, Welche der Vater verschob, mit dem Kuß ausgleichend den Zwiespalt;

Denn er leerte das Glas auf die Enkelin, sie auf den Enkel. 90 Nicht ganz schäme sich meiner die Frau im modischen Kopfzeug! Dachte sie leis' im Herzen und lächelte selber der Thorheit.

Neben dem schlummernden Greis', an der andern Ecke des Tisches,

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