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Es sei hier die Aufmerksamkeit auf einen anderen Umstand gelenkt, der, wenn man einmal rein äußerliche Erscheinungen für bestimmt geartete Liebetriebe verantwortlich zu machen durchaus notwendig findet, nicht außer acht gelassen werden sollte; nämlich das von STELLER an mehreren Orten seines freimütigen und offenbarungreichen Buches hervorgehobene Nicht zusammenpassen der beiderlei Geschlechtsorgane bei den Itelmen.,,... Kleine membra genitalia und große und weite muliebria“, sind es,,,so beyde Völker (Itelmen und Mongolen) noch bis diese Stunde gemein haben" 132 ,, . . . dabey sind die Geburtsglieder (der Männer) sehr klein, ohnerachtet sie große Venerei sind. Die Weibespersonen haben kleine runde Brüste, die bey vierzigjährigen Frauenzimmern noch so ziemlich hart sind, und nicht bald hangend werden, die Schaam ist sehr weit und groß, dahero sie auch nach denen Cosaken und Ausländern allezeit begieriger sind, und ihre eigene Nation verachten und verspotten. Über der Schaam haben sie alleine ein Schöpflein schwarzer dünner Haare, wie ein Krochal auf dem Kopf, das übrige ist alles kahl. Außer diesem haben einige und zwar die mehresten sehr große Nymphen, welche außerhalb der Schaam auf 1 Zoll hervorragen, und wie Marienglas oder Pergament durchsichtig sind. Es werden dieselbe nunmehro vor eine große Schande gehalten, und ihnen in der Jugend, wie denen Hunden die Ohren, abgeschnitten. Die Itälmenen nennen diese außerordentliche Nymphen Syraetan: und lachen sie selbst einander damit aus. "133 Danach scheint es dem Unbefangenen, als seien die Itelmen zur Befriedigung ihrer Wollust durch ihren Körperbau von der Natur selber auf Podikation hingewiesen worden. Es bliebe nur noch ein Restbestand zur Erklärung übrig, weshalb die Itelmen mit ihren kleinen Genitalien die Podikation beim Manne und nicht beim Weibe ausüben. Man wird wohl annehmen dürfen, daß Podikation die besondere Form der päderastischen Liebebefriedigung nicht nur bei den Itelmen, sondern auch die allgemein gebräuchliche der Beringsvölker überhaupt ist. Ihre Allgemeinheit und ihre weite Verbreitung würde dann auf Grund gewohnheitmäßiger Nachahmung, welche bei den Itelmen nach STELLER ja eine überaus große

Rolle spielt, leicht verständlich sein. Wie aber soll sich bei dem gleichen Mißverhältnis der Geschlechtsorgane eine ganz abweichende Form der päderastischen Liebebefriedigung, die Fellation, beziehungsweise Irrumation, unter Indianerstämmen Nordamerikas, die durch HOLDER dargelegt, uns im nächsten Abschnitte beschäftigten wird, erklären lassen?

JOCHELSON meint, die abnormen geschlechtlichen Verhältnisse hätten zweifellos nicht als eine normale Eheeinrichtung behandelt worden sein können und seien auch gering an Zahl gewesen. Während STELLER und KRASCHENINNIKOW sie rein menschlich und ganz unabhängig vom Schamanismus schilderten, nimmt JOCHELSON an, sie hätten sich entwickelt nicht aus der geschlechtlichen Veranlagung heraus, sondern unter dem Einfluß der Vorstellung von schamanistischen Fähigkeiten, welche die,,verwandelten“ Männer von den Geistern, zu denen sie beteten und mit deren Hilfe ihr Geschlechtswechsel sich vollzog, empfingen. Solcher Aberglaube hätte bei Personen anormaler physischer und psychischer Entwicklung einen überaus fruchtbaren Boden gefunden. Und dementsprechend seien denn auch mit dem Niedergange des Schamanismus unter den Korjaken und mit der fortschreitenden Russifizierung der Kamtschadalen diese Praktiken unter beiden Stämmen völlig verschwunden. Läßt man, führt JOCHELSON aus, die Frage der,,Perversion des Geschlechtsinstinktes" im Zusammenhange mit der sogenannten „,Geschlechtsverwandlung" beiseite, so bleibt die interessante Frage übrig: Warum glaubt der Schamane machtvoller zu werden, wenn er in ein Weib verwandelt ist? 134 Aber diese Frage bleibt unbeantwortet. Wenn der Verfasser richtig versteht, ist JOCHELSON geneigt, den Schamanismus als die primäre, die Homoerotik als die sekundäre Ursache der geschilderten Erscheinungen aufzufassen. In dieser Auffassung jedoch kann er ihm nicht folgen, glaubt vielmehr durch ihre Umkehrung der Wahrheit näher zu kommen. Auch ist er überzeugt, daß mit den durch den Schamanismus hervorgerufenen eigenartigen homoerotischen Praktiken nicht zugleich auch die Homoerotik selbst verschwunden ist, sondern lediglich in einer

weniger öffentlichen Form ungebrochen weiter lebt. Die Frage der,,Perversion des Geschlechtsinstinktes" darf eben zum Verständnis der ,,Geschlechtsverwandlung" im Schamanismus nicht beiseite gelassen werden.

Für die zugleich päderastischen und sogenannten normalen Verbindungen, wie sie unter den Aleuten und den Kamtschadalen (Itelmen) üblich gewesen, hat BASTIAN den neuen Terminus,,P antoiogamie" eingeführt.135

IV.

Die amerikanischen Naturvölker
(Rothäute, Indianer, Amerindier)

Die Naturanlage des Indianers 1 wird überall gern in Gegensatz zu der des Negers gestellt. Und das ist leicht verständlich. Leben doch seit Jahrhunderten beide Rassen auf dem Heimatboden der Rothaut zusammen und während die Indianer sich in ihrem eigenen Lande vermindern und absondern, vermehren sich im fremden Lande die Neger und mischen sich mit der herrschenden eingewanderten arischen Bevölkerung. Auch sonst scheinen sie kaum etwas gemeinsam zu haben als das Menschenantlitz.

Wenn MANTEGAZZA recht hat, steht der Indianer auf einer höheren Stufe der menschlichen Entwicklung als der Neger. Er soll intelligenter und sein Empfindungleben viel reicher sein. Dagegen flöße unser afrikanischer Bruder größere Sympathien ein, weil er ein heiterer Gesellschafter sei und die Fähigkeit besitze, sich veränderten Verhältnissen anzupassen, z. B. in der neuen Welt sich wohl zu befinden, wogegen die Rothaut ihren amerikanischen Heimatboden nicht verläßt. Der Neger wäre nach dem italienischen Forscher ein Mensch gewordener Affe, der Indianer dagegen wie ein Weißer, der mit Trauer seiner besseren Vergangenheit gedenke oder über Rachepläne für die Zukunft brüte. Der Neger belustige, ohne tieferes Verständnis zu finden, der Indianer flöße Furcht oder Mitleid ein. In beiden Rassen will MANTEGAZZA nur entfernte Verwandte, höchstens Vetter, nicht aber Brüder erkennen. W. HEYWORTH DIXON (1868) hält es für ausgemacht, daß der rote Mann in den Vereinigten Staaten weit

weniger gelehrig, aber dafür fruchtbarer an Gedanken ist als der schwarze Mann daselbst, daß er seine eigene Weise, seine eigenen Künste, seine eigenen Überlieferungen besitzt und die Fähigkeit hat, die dem schwarzen Manne fehlt, selbständig zu denken und seine Gedanken auch wiederzugeben. So komme

es, daß durch die Rothaut beeinflußte Spuren ihres Wesens im Nationalcharakter, in der Volkspolitik, im Volksleben der arischen Rassen sich wiederfänden, welche den Indianer erst nach den Alleghanies, dann nach dem Ohio und Wabasch, dann an den Mississippi und endlich über den großen Fluß westlich bis nach Kansas und Arkansas verdrängt und dessen frühere Sitze eingenommen haben. Der Neger sei der geborene Sklave. Die Rothaut sei Jäger oder Krieger und eine vornehme Natur.5 Ohne eine Vorstellung vom Nutzen und von der Macht der Arbeit, vermöge die Rothaut kaum sich dazu aufzuraffen, Handel zu treiben, und sie sei zu stolz, sich selbst zu plagen, da sie durch jede Arbeit, als eine Beschäftigung der Frauen und männlicher Feiglinge, sich zu schänden glaube. Wer nun aber daraus schließen wollte, die soziale Stellung der indianischen Frau müsse eine niedere sein, erfährt durch DIXON, daß unter einigen Indianerstämmen, wie den Delawaren, Mohikanern, Senecas, der Frau im Gegenteil eine ganz besondere Macht zuerkannt wird, derart, daß sie nicht nur im Wigwam, sondern auch im öffentlichen Leben eine Rolle spielt. Sie hat selbst das Recht, Versammlungen zu halten und über Krieg und Frieden mitzuberaten. Die tapferen Männer seien stolz darauf, ihren Squaws solche Ehren zu erweisen, was nicht nur eine poëtische, sondern auch eine ethische Schönheit ihrer Sitten darstelle. Nach J. LONG dagegen hätte für die männliche Rothaut das Weib nur die Bedeutung einer Geburtmaschine und eines Lasttieres. Söhne seien ihr der kriegerischen Zwecke wegen lieber als Töchter; die Töchter sollen den Kriegern aufwarten und alle Arbeit verrichten, deren Ausführung den Mann erniedrigen würde.8

Aber die Ansichten über die Rothaut gehen auch sonst oft weit auseinander.

JAMES ADAIR schilderte 1782 den Indianer als ausgesprochenen Hosenfeind, als verschwiegen und neugierig,10

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