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offenbar in dieselbe Periode, d. h. genau genommen, fie beginnt 1588-90 und erstreckt sich bis zum Tode Calderon's (1684), obwohl auch nachher noch einige jüngere Zeitgenossen des leztgenannten Meisters das Ansehn desselben bis in's 18. Jahrhundert hinein aufrecht erhielten. Die Hauptbegünstigung des Theaters fam aber von oben, denn Philipp III. hob 1600 das 1598 durch Philipp II ergangene Verbot der Comödien, allerdings mit eini gen Einschränkungen, wieder auf, und Philipp IV. brachte nicht blos die scenische Darstellung auf seiner Hofbühne zu Buen Retiro zu einem bis dahin noch nicht dagewesenen Glanze, sondern er unterstügte auch die Schauspieldichter auf das Freigebigste. Das Drama selbst zerfiel zur Zeit des gleich zu nennenden Love de Vega in verschiedene Bestandtheile. Einer der bedeutendsten und am häufigsten angewendeten war die Comedia, d. b. ein romantisches (jedesmal in 3 Acten und Versen bestehendes) Drama, welches weder Trauerspiel noch Lustspiel in unserem Sinne ist, sondern bald dieses, bald jenes Element in überwiegendem Maße enthält oder beide in sich vermittelt. Man theilte sie weniger. ihrem Inhalte nach, als aus ganz äußern Gründen ein in Comedias de capa y espada (Mantel- und Degenstücke, uach der Tracht der höhern Stände in Spanien), worin Stoffe aus den Kreisen des häuslichen Lebens vorgestellt wurden (auch die comedias de figuron, in denen ein Glücksritter die Stelle des vornehmen Herrn, oder eine Abenteurerin den Plaß der vornehmen Dame einnimmt, gehören zu dieser Classe) und in Comedias de teatro, de ruido oder de cuerpo, welche die historischen, die mythologischen, die allegorisch-phantastischen, die den mittelalterlichen Sagenkreisen entlehnten und die mit Wundererscheinungen gezierten geistlichen Stücke begreifen. Sonst unterschied man auch comedias divinas') y humanas und rechnete zu den erstern die comedias de santos, dramatisirte Lebensgeschichten der Heiligen und gewöhnlich an den betreffenden Festtagen derselben aufgeführt. Außerdem kommen noch burlescas, eigentliche Poffen und Parodieen, fiestas, Festspiele bei Hoffeierlichkeiten, und später auch heroicas, wo der Rang der Hauptpersonen ein fürstlicher war, vor. Sonst hat man noch Autos, d. h. allegorische Darstellungen, an Kirchenfesten aufgeführt; wie die Autos sacramentales zur Feier des Frohnleichnamfestes, die Autos al nacimiento, zur Feier der Geburt Chrifti und des Weihnachtsfestes bestimmt 2c. und gewöhnlich mit einer Art Vorspiele oder Prologe, eben so wie die Comödien, die loas (Lobgedichte) heißen, versehen, endlich Entremeses (Zwischenspiele), worin ge= wöhnlich ein dem Volksleben entlehnter Schwank, bald in Versen, bald in Prosa zwischen den Acten oder Jornadas der Comödien oder der Loa und dem Auto dargestellt ward. Waren dieselben mit Musik und Tanz verbunden, so hießen sie Saynetes und sollten die Zuschauer gewissermaßen für den Ernst der Autos entschädi

gen, weil hier faft nur allegorische Personen, in den comedias oder vidas de santos aber doch z. B. Gott Vater, Jesus, der Teufel, Studenten, Spaßmacher 2c. zusammen auftreten. Der eigentliche Schöpfer und Demiurg dieses neuern spanischen Theaters ist aber Lope de Vega Carpio (aus Madrid 1562, + 1635), jener fruchtbare Dichter, der mindestens 1500 Stücke verfaßte und von sich selbst sagte, daß mehr als 100 seiner Comödien in 24 Stunden gedichtet seien (pues mas de ciento, en horas veynte y quatro pasaron de las musas al teatro), so daß die ungeheure Menge des Gedruckten schon zu seiner Zeit nach seinen eigenen Worten bei Weitem von der des Ungedruckten übertroffen ward (No es minima parte, aunque exceso, De lo que esta por imprimir lo impreso). Deswegen galt er, hätte er auch nur das Verdienst seiner beispiellosen Productivität gehabt, mit Recht schon bei seinen Lebzeiten in seinem Vaterlande für ein monstruo de naturaleza und ward zum Theil wohl auch, weil er in ganz andern glänzenden Verhältnissen als der arme Cervantes lebte, nicht blos bis zum Himmel erhoben, sondern auch äußerlich geehrt und geschäßt; er verdiente mit seinen Theaterstücken ungeheure Summen, die aber, wie es bei dergleichen großen Genies immer zu geschehen pflegt, eben so schnell wieder verschwanden, als sie einkamen, obgleich man eigentlich von einem frommen Familiar der Inquifition, wie er war, ein etwas eingezogeneres Leben hätte erwarten sollen. Merkwürdiger Weise ist aber seine kleine Dramaturgie, die er 1609 auf Verlangen eines in Madrid zusammengetretenen Vereins unter dem Titel, Neue Kunst, in jeziger Zeit Comödien zu verfaffen (Arte nuevo de hazer comedias), durchaus kein Be weis seiner kritischen Einsicht in die Geseze des Drama's; denn obgleich er allerdings anerkennt, daß die Regeln des Aristoteles im Interesse der Kunst befolgt werden müßten, so fügt er doch hinzu, daß in Spanien der Geschmack an classischen Stücken untergegangen sei, weshalb ein Dichter, welcher sich Beifall zu erwerben wünsche, der Regellosigkeit, an der man einmal Gefallen finde, huldigen müsse. Gleichwohl ist er aber troß dieses Mangels, der eben macht, daß er immer in Einzelnheiten uncorrect ist, stets groß, sein Genie vereinigt alle Eigenschaften des lyrischen, epischen und dramatischen Dichters in sich, seine Phantasie ist eben so unerschöpflich, wie seine Verstandesreflexion fein und richtig und seinen Plan, überall die menschlichen Handlungen nachzuahmen und die Sitten seines Jahrhunderts zu malen, also nicht die gemeine Wirklichkeit wiederzugeben, sondern das menschliche Leben nach allen Seiten hin poetisch aufzufaffen, hat er überall durchgeführt. Seine historischen Comödien erseßen bei ihm die Trauerspiele (nur eins, die Züchtigung ohne Rachsucht, El castigo sin venganza, heißt Tragödie) und find größtentheils aus der, spanischen Geschichte genommen, die besten find Las Almenas de Toro und L'estrella de Sevilla.

Seine Comödien mit Mantel und Degen find vorzugsweise Intriguenftücke, in denen der meiste Fleiß auf die Handlung verwendet ist; fie malen die svanischen Sitten seiner Zeit auf das Genaueste, obgleich in ihnen nur stehende Personen, ein Alter (vejete), ein Liebhaber, eine schöue Frau (dama), ein Diener und eine Kammerjungfer, zu denen man noch einen Tölpel oder Spaßmacher (gracioso) rechnen kann, vorkommen, was freilich alle diese Stücke sehr einförmig macht; die besten dieser Art sind die Bäuerin von Xetate und die Wittwe von Valencia 2).

Gleichzeitig mit Lope de Vega gingen aber von den Mitgliedern der Academie de los Nocturnos zu Valencia (f. 1594) nicht unmerkliche Versuche aus, das spanische Schauspiel auszubilden und zu reformiren. Sie thaten dies dadurch, daß sie für die dortige Bühne, Corral de la Olivera genannt, Schauspiele_verfaßten. Diese waren Francisco Tarrega (sein bestes Stück war La enemiga favorable), Gaspar Aguilar (am beliebtesten war sein El mercader amante), Luis Ferron de Cardona, der als Ricardo de Turia schrieb (sein bestes Stück war La burladora burlada), Carlos Boyl) († 1621), Miguel Be neyto und Guillen de Castro y Belvis (geb. 1569 zu Valencia, 1634), bei Weitem der ausgezeichnetste von ihnen, der von Voltaire als der Verfasser der ersten wahren Tragödie im modernen Europa bezeichnet wird und in seinen mocedades de Cid offenbar Corneille ein Musterdrama bot, welches derselbe so benußte, daß er Alles, was bei ihm wirklich gut ist, daraus entlehnte, viele Verse fast wörtlich in seine Nachahmung aufnahm, aber leider statt der großartigen Poeste und tiefen Empfindung, die in dem spanischen Stücke herrscht, leere Phrasenmacherei und hohlen Bombast bietet4).

1) S. Vieil Castel, Le drame religieux en Espagne, in d. Revue de deux mondes 1840. Brux. T. III. p. 255. sq.

2) Eine Geschichte seines Lebens giebt Lope de Vega selbst im zweiten Theile seiner Filomena und in seiner Dorotea, wo er unter dem Don Fernando gemeint ist; f. a. Fama posthuma a la vida y muerte del Doct. Frey Lope Felix de Vega Carpio. Escr. por las mas esclarecidos ingenios, solic. p. J. Perez de Montalvan. Madr. 1636. 4. Scheibens Ge. danken Bd. I. p. 92. Menage, Antibaillet T. I. p. 30. sq. 240. sq. Lord Holland, Acc. of the lives and writings of L. F. de Vega Carpio and Guillen de Castro. Lond. 1816. Ed. II. 8. (f. Edinb. Rev. T. IX. p. 224. sq.) Revue des deux mondes 1839. 4. Septbr. 1843. 45. Sptbr. Lardner, Lit. and scient. men of Italy, Spain and Portugal T. III. p. 189. sq. M. Ent, Studien über L. de V. C. Wien 1838. 8. Ticknor T. II. p. 420-254. Schack, Gesch. d. span. Theaters Bd. II. p. 452-416. comedias. Madr., Valencia, Valladolid y Zaragoza 1609-47. XXV. 4. Colleccion de sus (eigentlich XXVIII, weil der XXIV. Bd. aus drei ganz verschiedenen Theilen besteht, die aber alle den Titel 24 haben, nämlich Zarag. 1633. Madr. 1638. od. 1640. und Zarag. 1644. Den achtundzwanzigsten Band bildet Vega del Parnaso. Madr. 1637. 4. Dieser enthält 8 Stücke, jene 27 aber deren 332 und 12 Autos, und eben so viele Loas und Entremeses stehen in den Fiestas del

santissimo Sacramento. Sarag. 1644. 4. Den Inhalt dieser Bände s. b. Anton. Bibl. Hisp. T. II. p. 76. sq. und vollständiger bei Schack Ed. II. p. 694. sq. Gin Gremplar ist beschrieben in d. Bibl. Heber. T. VII. nr. 4574. cf. Tiecksch. Bibl. Catal. nr. 2847. Im Prolog zu seinem Peregrino giebt er ein Verzeichniß von 249 von ihm bis 1603 geschriebenen Stücken, in den sväs tern Ausgaben dieses Romans, z. B. d. Obras sueltas T. V. ist dieses Verzeichniß auf 339 gebracht.) Colleccion de las obras sueltas assi en prosa come en verso. Madr. 4776-79. XXI. 4. Arcadia, prosa y versos, con una exposicion de los nombres poeticos y historicos. Madr. 4602. 8. La Circe con otras rimas y prosas. Madr. 1624. 4. Corona tragica, vida y muerte de Maria Estuarda de Escocia. ib. 1627. 4. La Dorotea, accion en prosa. ib. 4632. 4. Rimas (humanas) con el nuevo arte de hazer comedias de este tiempo. P. I. II. Madr. 4609. 16. (Gine frühere Ausgabe ist: Rimas. Primera y seg. parte. Lisb. 1605. 8. [s. Catal. d. Tieckich. Bibl. nr. 2838.] allein da La Dragontea o tercera parte de las rimas. Madr. 1598. 1602. 8. angeführt wird, so muß es eine noch ältere geben.) La Filomena, con otras diversas rimas, prosas y versos. Madr. 1624. 4. La Hermosura de Angelica con otras diversas rimas. Madr. 1602. 8. Jerusalem conquistada, epopeya tragica. Madr. 1509. 4. Isidro poema castellano, en que se escrive la vida del bienaventurado Isidro, labrador de Madrid. Madr. 1599. 1613. 8. Justa poetica y alabanzas justas, que hizo la villa de Madrid al bienavendurado S. Isidro en las fiestas de su beatificatione, recopiladas p. L. de Vega. Madr. 1620. 4. Relacion de las fiestas de san Isidro, la niñez, la juventud del mismo y la justa poetica, ib. 1622. 4. Laurel de Apolo con otras rimas. Madr. 1630. 4. Pastores de Belen, prosas y versos divinos. Madr. 1612. 8. El Peregrino en su patria. Sev. 1604. 4. El Romancero espiritual. Zarag. 1622. 46. El Robo de Proserpina, la Rosa blanca, la Manaña de S. Juan y Catorce romances a la passion de Christo. Čuença p. Salv. Viader. s. a. 16. Soliloquios amorosos. Madr. 1626. 16. Triunfos divinos, con otras rimas sagradas. Madr. 4625. 4. Triunfo de la fé en los reynos del Japon por los años de 4644 y 1645. Madr. 4618. 8. La Virgen de la Almundena, poema historico. Madr. 1736. 4. Rimas humanas y divinas de Tomé de Burguillos. ib. 4634. 4. Gatomaquia, poemo epico burlesco, añadida al fine la celebre satira de el Murcielago del Mtro Fr. Diego Gonzalez. Madr. 4826. 8. (Fast alle diese einzelnen Werke sind sehr oft gedruckt, f. Brunet T. IV. p. 578. sq.)

3) Einzelne Stücke von Tarrega, Aguilar, Beneyto, G. de Castro, Boyl und Gardona (Turia) sind gesammelt in: Doze Comedias de cuatro poetas naturales de Valencia. Valenc. 1608. Barcel. 1609. Madr. 1644. 4. n. Norte de la Poesia Española illustrado del Sol de doze comedias (que forman parte segunda de laureados Poetas Valencianos) y de doze escogidas Loas. Sacado a luz p. A. Mey. Val. 1616. 4. s. Schack Bd. II. p. 418. sq. Ticknor T. II. p. 278. sq.

4) Primera Parte de las Comedias de D. G. de Castro. Val. 1624. 4. Segunda Parte. ib. 4626. 4. El Amor Constante und El Caballero bobo in d. Doze Comedias a. a. D. Las Maravillas de Babilonia in d. Flor de las Mejores doce comedias. Madr. 1652. 4. (diese 3 fehlen in f. ComödienSamml.) . Ticknor T. II. p. 284. sq. Schack Bd. II. p. 429. sq.

§. 20.

Der ungeheure Beifall, den Lope de Vega erfuhr, macht es erklärlich, daß er viele Nachahmer fand, aber seine Schule hat feinen Einzigen hervorgebracht, der sein Talent gehabt hätte; es

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find wohl einige talentvolle Köpfe aus ihr hervorgegangen, allein einen Vergleich mit ihrem Meister halten sie nur rücksichtlich ihrer Mängel aus. Auf besondere Beachtung macht Antonio Mira d'Amescua1) (oder de Mescua), der als Geistlicher noch am Hofe Philipps IV. lebte (er war geb. zu Guadix im Königreich Granada), Anspruch, obgleich Antonio's (Bibl. Hisp. N. T. I. p. 114.) Lob, der ihn L. de Vega gleichstellt (,, natus quantumvis in musico hoc coelo velut alter aethereus sol") bei Weitem übertrieben ist, da eigentlich sein Hauptverdienst darin besteht, dramatische Motive zu erfinden und seltsame und ungewöhnliche Vorfälle dem Publicum vorzuführen (so brachte er z. B. im Caballero sin nombre einen Bär auf's Theater). Weit höher steht daher in fünstlerischer Hinsicht Luis Velez de Guevara 2), der in seinem Diablo cojuelo, tr. IV. ein sehr nettes Raisonnement über das damalige Theater eingerückt hat und dessen beste Stücke Si cl eavallo vos han muerto und Mas pesa el rey que la sangre find. Nicht ganz übel sind die Autos des Jose de Valdivieso3) gerathen, desto schlechter dagegen seine geistlichen Comödien. Andres de Claramonte 4), ein berühmter Schauspieler und Theaterdirector (aus Murcia, + 1610), schrieb ein interessantes Stück, El negro valiente en Flandes, allein ale Charaktermaler verdient unbedingt Diego Ximenez de Enciso 5) aus Sevilla mit seinem Den Carlos, den Schiller leider nicht gekannt hat, den Preis, da Juan Perez de Montalvan 6) (aus Madrid 1602-38), der allerdings L. de Vega nachstrebte, weit davon entfernt ist, das Lob, welches ihm seine Zeitgenossen ertheilten, zu verdienen und wohl wie dieser Vielschreiber, aber nicht auch zugleich wahrhafter Dichter war. Sein bestes Stück ist la doncella de labor, und das Verdienst hat er allerdings, die Autos populärer gemacht zu haben, da er ihnen statt der Allegorie historische Grundlagen gab, obwohl sein Polifemo, worin das Jesusfind auftritt, Ulyffes den Heiland, Polyphem den Teufel, Galathea die Seele oder den Glauben, die vier Cyklopen aber das Judenthum, den Unglauben, den Betrug oder Judas Ischarioth und das natürliche Gesez bedeuten sollen, ein Muster von Unsinn ist. Jedenfalls der gestreichste von allen seinen Nachahmern ist aber Gabriel Tellez (aus Madrid, † 1648 im 78. Jahre), der unter dem Namen Tirso de Molina) eine überaus große Anzahl von Schauspielen gedichtet hat (schon 1621 hatte er 300 geschrieben), von denen jedoch nur der fleinste Theil auf unsere Zeit gekommen ist. Dieselben sind aber im Ganzen so gelungen, ihre Erfindung und das von ihm bei der Ausführung seiner Stoffe bewiesene Talent so mannigfaltig, seine Satire und sein Wig so schlagend und treffend (seine Graziosos find die besten Spaßmacher des ganzen spanischen Theaters), seine Poefte so originell, daß er zu den besten Dramatikern des spanischen Theaters überhaupt ge= hört. Im Auslande ist er besonders durch seinen Don Juan

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