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Einleitung.

Die den Romanzerogedichten gemeinsame Grundstimmung ist ein tiefer Pessimismus. Diese Grundstimmung aber schillert in verschiedenen Nuancen. Den Gedanken vom notwendigen Untergang des Guten und Schönen hat man mit Recht als einen stimmenden Ton des ganzen Werkes bezeichnet. Ein Leitmotiv des Romanzero durfte man in den oft variierten Versen sehen:

Und das Heldenblut zerrinnt

Und der schlechtre Mann gewinnt

und auch in der Seligpreisung des ertrunkenen Knaben: Bist früh entronnen, bist flug gewesen

Noch eh' du erkranktest, bist du genesen.1

Dieser, ich möchte sagen ethische Pessimismus bezeichnet aber noch nicht die lichtloseste Tiefe, die Heine erreicht. Solche Gedanken lösen tiefe Wehmutsstimmungen aus oder steigen aus Wehmutsstimmungen empor, in denen aber doch noch irgendwo ein Trost verborgen liegt. Ja, es ist eine Art herber Befriedigung für den, der noch an sich selbst glaubt, das allgemeine Los des Guten und Schönen zu teilen.

O tröste dich . . was gut und groß

Und schön, das nimmt ein schlechtes Ende.

So heißt es in einem der letzten Gedichte. Wer nur die Weltordnung anklagt, der ist noch nicht ganz verloren: erst der ist es, der sich selbst verliert. Und gerade aus diesem Gefühl werden einige der Romanzerodichtungen geboren. Wenn Legras die Grundstimmung

1 Elster, Heines Werke Bd. I, S. 419; sieh dazu Legras, Henri Heine poète, S. 336 f.; Rich. M. Meyer, Gestalten und Probleme, S. 156.

H. Herrmann, Heines Romanzero.

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des epischen Teils des Romanzero gegen die der lezten Lyrik in folgender Weise abgrenzt: die Romanzerogedichte atmen un pessimisme apaisé, un pessimisme qui compâtit à la douleur des autres et tristement se penche sur les ruines de ses propres espérances", so trifft er damit allerdings sehr feinfühlig den Stimmungsgehalt einer Reihe von Heines lezten Balladen und vieler lyrischer Gedichte.

Müde verzichtende Todessehnsucht erfüllt das ursprünglich für den Romanzero bestimmte Gedicht „Morphine". Hier und in dem Gedicht „Ruhelechzend"1 erscheint doch der Tod fast als ein positives Glück.

O Grab, du bist das Paradies
Für pöbelscheue zarte Ohren.

In „Bimini" drückt sich dieselbe Stimmung aus, auch hier weicht der horror vacui der Sehnsucht nach dem Hinübergleiten in das „gute Land", und in visionär erschautem Traumreiz leuchtet dies Land des Todes in den Versen des Gedichtes auf.

Trost ist auch in der Melancholie der „Hebräischen Melodien“: das Jenseits des Ruhmes erscheint im „Jehuda ben Halevy" doch fast als ein Ersatz für irdische Bitternis, der entadelte Königssproß Israel wird in der Sabbatstunde zum Traumkönigtum emporgewürdigt. Selbst durch den tiefen Pessimismus des „Schlachtfeld bei Hastings" klingt dieser Ton. Die Liebe findet den blutigen entstellten Harald zwischen den Schrecken des Leichenfeldes: und sie bedeckt ihn mit Küssen. Un pessimisme apaisé.

Aber durch die lezte Lyrik und Epik Heines klingt auch noch ein sehr anderer Grundton. Unter den Romanzeroballaden drücken namentlich zwei, nämlich „Viglipugli“ und „Spanische Atriden“ eine durchaus trost und hoffnungslose Verzweiflung aus. Aus diesen Gedichten schaut uns eine Seele an, die mehr verloren hat als den Glauben an die gerechte Weltordnung. Ich meine, man versteht den Pessimismus dieser Balladen am besten, wenn man sie mit einigen der lezten lyrischen Gedichte Heines in Zusammenhang bringt 2, mit all

1 Elster 2, S. 102.

2 Wobei natürlich nicht an chronologischen Zusammenhang gedacht ist.

Resignation. Verzweiflung aus Selbstverachtung.

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denen, die trostlose Selbstverachtung atmen. Ein Teil der Gedichte, die ein Nachklang des Erbschaftsstreites sind, auf dessen Wert für Heines psychische Zustände wir noch öfter zurückkommen, hat diese Note. So das Gedicht „Lumpentum“ im Romanzero, das mir immer wie eine Art übertreibende Selbstzüchtigung des Dichters erschienen ist: Besinge gar

Mäcenas Hund, und friß dich satt!

Dies Gedicht steht nicht weit von der „Rückschau“, in der er bekennt:
Ich mußte lügen, ich mußte borgen
Bei reichen Buben und alten Vetteln
Ich glaube sogar, ich mußte betteln.

In späteren auf den „Erbfolgekrieg" sich beziehenden Versen werden solche Gefühle durch die wilde, unersättliche Rachsucht übertönt.

Aber der Dichter kennt noch schlimmere Abgründe in der eigenen Seele. Den fargen Trost wiedererwachten religiösen Empfindens bewertet er in solchen Stunden nicht viel anders als die Erniedrigung vor den Menschen.1

Nicht nur Elend und Befleckung von außen her sind das unweigerliche Erdenlos wie es die „klugen Sterne“ ja wissen und der Liebende, der mordend die arme Schönheit frei macht „von der Welt Unfläterei“. Nein, das ist das Tragischste, daß in der eigenen Seele die Bastardnatur über den angeborenen Adel siegt. Erst da ist er ganz verzweifelt, da er an der innersten Kraft seiner Seele verzagen muß. Geburten solcher selbstverachtenden Verzweiflung find vor allem die Heineschen Gedichte, in denen er es ausspricht, daß alle Erkenntnis vom Unwert des Daseins, mit Striemen und Wunden am eigenen Leibe gewonnen, uns nicht frei macht von hündischer Gier nach dem Leben, vom Wimmern und Betteln des Willens um ein elendes Restchen Existenz, nur daß wir „leben, atmen, schnaufen“.2 Selbst in dem Todbewußten, dem alles Gefühl „für eigene wie für fremde Not" gestorben ist, flackert der Lebenswille als horror vacui auf:

Ich brauche hier nur auf die Gedichte hinzuweisen, in denen er seine Belehrung mit äßender Schärfe verhöhnt.

2 Epilog . Elster 2, S. 110.

Der kleinste lebendige Philister

Zu Stuffert am Neckar, viel glücklicher ist er,
Als ich, der Pelide, der tote Held,

Der Schattenfürst in der Unterwelt. 1

Solche Gedichte sind der genaue Stimmungsgegensatz zu den früher genannten Todeshymnen. Man empfindet die ganze Hoffnungslosigkeit dieser Verse erst, wenn man sie mit der bekannten Stelle im „Buch Le Grand" vergleicht, wo er sehr ähnliche Worte sagt, aber aus einer völlig anderen Konzeption des Lebens heraus:

...

,,Gleichviel, ich lebe. Bin ich auch nur das Schattenbild in einem Traum, so ist auch dieses besser als das falte, schwarze, leere Nichtsein des Todes. Das Leben ist der Güter höchstes, und das schlimmste Übel ist der Tod. Jimmermanns Edwin hängt am Leben 'Weil Leben, Atmen, doch das Höchste ist. Wenn Odysseus in der Unterwelt den Achilleus als Führer toter Helden sieht und ihn preist wegen seines Ruhmes bei den Lebendigen und seines Ansehens sogar bei den Toten, antwortet dieser:

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"Nicht mir rede vom Tod ein Trostwort, edler Odysseus! Lieber ja wollt ich das Feld als Tagelöhner bestellen, Einem dürftigen Mann, ohn' Erbe und eigenen Wohlstand, Als die sämtliche Schar der geschwundenen Toten beherrschen."" 2 Hier spricht der Jüngling, der aus krankhaft jugendlichem, alles an einem Liebeserlebnis messendem Pessimismus zur Lebensfreude zu erwachen beginnt, im gleichen Homerischen Bilde die gleiche Erkenntnis jubelnd aus, die dem Sterbenden der schärfste Stachel zu grenzenloser Lebensverachtung wird. Sein persönliches Gefühl dem Leben und dem Tode gegenüber schwankt bis zuletzt, und wie er dies Schwanken bewertet, das kann auch entscheidend werden für seine Gesamtauffassung der Welt.

Das Verhältnis zu Leben und Tod ist also nicht etwas, was erst für die späten Gedichte bedeutsam wird, es ist ein künstlerisches Grundthema Heines, das in ihnen nur gleich vielem andern seine

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3 S. Elster 2, S. 110 Epilog. „Der Pelide sprach mit Recht: leben wie der ärmste Knecht in der Oberwelt ist besser als am stygischen Gewässer Schattenführer sein, ein Heros, den besungen selbst Homeros."

Leben und Tod, ein Urthema Heinescher Kunst.

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lezte und reichste Formulierung erhält. Ein Leben lang hat der Dichter um die bildnerische Gestaltung dieses Verhältnisses geworben, bald sein intensivstes Fühlen hineingelegt, bald nur mit diesen Motiven gespielt. Den schauerlichen Reiz des Vergehens zu fühlen, den Tod, der mitten im Leben ist, in vergleitende Bilder zu bannen, war er als Erbe romantischer Tradition, war er durch persönliche Anlage und das frühe Jugendgeschick der großen erotischen Enttäuschung mehr als andere berufen. Er möchte, dieses Schicksal emporsteigernd, aus ihm Symbole des unaufhörlich toddurchflochtenen Lebens schaffen. Daß er in romantischer Überlieferung erwuchs, läßt ihn, nicht zum Heile seiner frühen Lyrik und der prosaischen Jugendschriften, als Ausdrucksformen Bilder von Traum und Vision, Bilder des Gespensterreiches mit oft verbrauchten Formeln variieren, denen er erst später Eigenart zu geben vermag.

Und er nimmt diesen Gegensaz Leben - Tod als liebstes Thema hinüber in die Zeit, da ihm längst aus den Hilfsquellen seines Temperamentes Befreiung geflossen war, da ihn schon die Spottlust, die auf die Dauer das eigene Gefühl am wenigsten ernst nehmen. kann, und die siegreich hervorbrechende Freude am sinnlichen Lebensgenuß aus jenem Vorstellungskreis losgemacht haben. Auch die Aufnahme neuer Denkinhalte ist für diese innere Annäherung an das Leben wichtig.

"

Jenes Zuhausesein in Todesvorstellungen, die sich den neuen Lebenssymbolen dauernd gesellen, wird bewußt ausgenußt zur Erzeugung bestimmter stilistischer Reize im Buch Le Grand", wo durch die übertriebene Anwendung des Kontrastes sich schließlich beim Leser der Widerwille einstellt, in der „Reise von München nach Genua“, selbst in den Bädern von Lucca". Da stehen neben durchaus ernst zu nehmenden Äußerungen über die Veredelung und Beseelung durch Leiden und Todesnähe viele spielerische, allzu absichtlich eingefügte Motive, die Todes- und Vergehensassoziationen inmitten dieser vom Dichter hervorgerufenen Bilder des Lebensgenusses, inmitten zynischer Grotesken beschwören sollen. Am schlimmsten die ewige Nachtviole

1 Für die Lyrik s. Legras, Henri Heine poète.

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