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Schlußwort.

Die Umformungen, die Heine aus seinem seelischen Bedürfen heraus mit den Stoffen vornahm, bildeten den Ausgangspunkt unserer Betrachtungen. Da zeigte sich denn kein durchgehend gleiches Verhalten. Vielmehr ließ der verschiedene Anteil, den die Phantasie hatte, ein dreifaches Verhalten des Künstlers unterscheiden. Einmal ein genaues Hinhorchen auf alles, was die Überlieferung bot, ein In-die-Hand-nehmen, Erwägen jedes Motivs auf seine Ausdrucksfähigkeit hin. Bei solchem fast ängstlichen Eingehen auf die Quelle sette dann die Phantasie nur etwa an einem Punkt ein, ein ganz neues Motiv bildend, während sie im allgemeinen mehr verstärkte. Diese Art der Überlieferungstreue war beim „Viglipugli“, beim „Jehuda ben Halevy", beim „Firdusi“ zu konstatieren. Dann wieder bietet die Quelle nur den leisesten Anstoß, ein flüchtiger Blick scheint zu genügen; aus zwei, drei Säßen, die nüchtern eine Tatsache erzählen, wird ein sprühendes funkelndes Gebilde ,,Disputation". Endlich ein Kombinieren beider Verhaltungsweisen, genauestes Achten auf die möglichen Ausdruckswerte der Vorlage und immer zugleich ein phantastisches Neuschaffen und Umbilden des Tatsächlichen Spanische Atriden".

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Die späten Balladen Heines lassen sich, soweit wir über ihre Quellen orientiert sind, alle in diese Gruppen einordnen. Zur ersten Gruppe würden „Der Mohrenkönig“ und „Bimini“ gehören1, während

1 über die Quelle von „Bimini", s. Karl Hessel, Dichtungen von Heinrich Heine ausgewählt und erläutert, S. 385. Selbst für die farbenreiche Schilderung der Insel bot Washington Irvings Buch „Voyages and discoveries of the companions of Columbus“ Anhaltspunkte. Das Bild der Ausfahrt Juans ist Heines Eigentum. Daß die Tragikomödie dieses Schicksals gefühlt ist aus dem eigenen Seelenzustand heraus und so die Ereignisse mit innerem Leben erfüllt find (s. E. Schmidt, Charakteristiken 2, S. 66 ff.), das hat damit nichts zu tun, daß Heine hier ganz anders wie etwa im „Schlachtfeld bei Hastings“ erst mit der Fülle des Tatsachenmaterials, das in der Vorlage aufgesucht wird, solche Wirkung erzielt. Hierher gehört auch „Schelm von Bergen"; vgl. F. Wilhelm, Progr. Ratibor. 1905.

,Schlachtfeld bei Hastings“ und „Rhampsenit“ die zweite Verhaltungsweise zeigen. Im „Schlachtfeld bei Hastings" 1 bot die Quelle Heine nur sparsamste Linien äußerer Handlung; Leben und Farbe der Situationen wie der Charaktere ist ganz sein Eigentum. Ja, im „Rhampsenit“ 2 verzichtet er sogar auf eine Reihe Motive, die an sich reizvoll wären, und was innerhalb der Vorlage anregt, ist auf ein Minimum beschränkt.

Die inneren Gründe solchen Verhaltens sind mit wenig Worten zu beschreiben. Er achtet entweder darum auf die Einzelmotive der Überlieferung so genau, weil sie ihm den tieferen Sinn, den er aus dem Stoff hervortreiben möchte, zu verstärken und zu verdeutlichen scheinen. Oder aber es geht von vielen Stoffen, namentlich von denen, die dem Bilderkreis des Orients und des Südens entstammen, ein reiner Materialreiz aus, der Heines Lust daran, seine Dichtungen mit glizernden, funkelnden, Stimmung weckenden Inkrustierungen zu überladen, aufs stärkste anregt. Beides kommt für den „Viglipugli“, für „Jehuda ben Halevy", für „Bimini“ in Betracht.

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Die im Rhampsenit" geübte Enthaltsamkeit den Details der Quelle gegenüber ist darauf zurückzuführen, daß hier der tiefste Sinn der Erzählung, die groteske Weltironie am besten durch eine Situation herauszuarbeiten war und daß gerade diese Situation in der Vorlage nebensächlich erscheint, während die bei dieser Gelegenheit zur Sprache kommenden Vorgänge dort aufs genaueste auseinandergesetzt werden. Wo eine Situation, die vielleicht durch leiseste Andeutungen der Quelle in der Vorstellung des Dichters hervorgerufen wurde, so starken Ausdruckswert für das besigt, was er darstellen möchte, da fällt alles, was die Quelle sonst noch bietet, als Beiwerk ab. Bei der „Pfalzgräfin Jutta" blieben von einer ganz langen, moralistischen Erzählung in dem Gedicht des Wunderhorns" nur wenige Verse, aus denen sich die Situation entwickelt haben kann, die allein den neuen Sinn

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Legras findet gerade diese Ballade typisch für Heines Verhältnis zu seinen Vorlagen. Diese Anschauung bedarf einer Korrektur.

2 Heines Note zum Romanzero erlaubt hier besonders gut, das Verhältnis zur Quelle zu kontrollieren.

3 Die Erzählung der Tochter. Im „Rhampsenit“ ist übrigens ein Stilmittel, das wir hie und da beobachteten: die burlesken Anachronismen ein Hauptfaktor der Wirkung.

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ausdrückt, den er mit allem lyrischen Reiz unheimlicher Situationsund Seelenstimmung hervorbrechen läßt: die Dämonie der Liebe.1 Sobald die Einzelheiten der Quelle den Sinn, den er sucht, direkt yerdunkeln würden, weiß er sie zu ignorieren.2 Vor allem: aus den Geschehnissen ist ein Bild, eine Situation geworden. Und diese „Balladenbilder", in denen nicht so sehr die Handlung, Vorgänge und Charaktere wie die bildhafte Situation und der lyrische Gefühlsausdruck Träger des innern Sinnes sind, stehen bei Heine stets neben den eigentlichen Handlungsballaden3, ja, sie liegen seinem durchaus lyrischen Temperament eigentlich am meisten. Dies war ja nun bei unsern Einzelbetrachtungen der Form das Hauptergebnis: daß das lyrische Element, daß Stimmungskunst, Ausdruckskunst die Balladen durchtränken und oft über das Dramatische, Handlungsmäßige den Sieg davon tragen, ja, der Komposition das Gepräge geben. Man wird wohl sagen können, daß dieses Element bei dem späten Heine immer bedeutsamer neben das dramatisch - balladeske tritt, wenn man die früheren Balladen zum Vergleich heranzieht.

Es bleibt die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Erlebnis und dem Kunstwerk, wie es sich in unsern Dichtungen spiegelt. Wir konnten beobachten, wie vor allem die Grundstimmungen einer ganzen Lebensperiode zu immer erneutem Ausdruck drängen; daneben aber kamen auch für einige Romanzen bestimmte Einzelerfahrungen in Betracht, die zugleich oder später lyrische Gedichte hervorriefen. Und wo wir das konstatierten, da fanden wir jene Sehnsucht danach, das

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1 Heffel a. a. D. S. 327. Die Tatsache, daß die Königin die Jünglinge nach dem Liebesgenuß ertränken läßt, ihr Lachen und die Vision des Albertus: „Neun Jüngling seh ich schweben dort“

waren das Einzige aus dem Gedicht, was Heine reizte und was sich ihm in ein wirkliches Balladenbild umseßte, darin schließlich doch alles: Sinn und Form sein Eigentum ist.

2 Freilich übernimmt er oft aus jener Freude am Material heraus, was nicht direkt diesen Sinn herausarbeitet („Jehuda ben Halevy“).

3 Im Romanzero wären z. B. noch zu nennen: „Karl I.“, „Geoffroy Rudel“, „Das goldene Kalb“, „Der Helfer“, „König Richard“ und vor allem „Salomo“, das mit seiner ehernen Rhythmik und dem kostbaren Bilde:

„Da fahren sogleich die stählernen Flammen,

Zwölftausend Schwerter hervor aus der Scheide"

fast ganz als balladesk gekleidetes, lyrisches Gedicht, als Stimmungsausdruck wirkt.

eigene Los groß und typisch zu sehen und demgemäß auch das eigene Wesen umzustilisieren. Dabei bleibt es Heines Schicksal, durch Phantasie und Sehnsucht emporzusteigern, was im Leben kleine niedrige Misere war.

Ein ähnliches Geschick hatte ihn in seiner Jugend verfolgt: in seinen ersten Liebeserlebnissen; aber der Dichter in ihm hatte es damals noch nicht immer vermocht, über die Kluft, die zwischen dem wirklichen und dem gewünschten Schicksal sich dehnte, sein Gedicht leicht wie einen federnden Brückenbogen zu spannen. Wir glauben aus vielen dieser frühen Dichtungen die Diskrepanz zu erraten. Die gesamte Lebensstimmung, der Weltschmerz der frühsten Periode vor allem war in sich schon viel zu sehr aus Gewünschtem und Erlebtem gewoben, von literarischen Einflüssen bestimmt, als daß aus ihr allein sich jene Schemen des Liebesleids immer wieder hätten Lebensblut trinken können. Erst ein auf ganz davon verschiedenem Gebiete liegendes Erleben: der erste Anblick des Meeres bringt diese Wirkung hervor.

Anders steht es mit dem Heine der Spätzeit. Er hatte das, was dem Jüngling so oft fehlte, wenn er Einzelerfahrungen umstilisieren wollte: das eine große Geschickt, das mit seinen dunkeln Flügeln alles beschattete, das eine unablässig erneuerte Gefühl der tödlichen, langsam verzehrenden Krankheit. Das gab seinem Leben tragische Größe. Und seiner Seele die Grundverfassung, aus der heraus noch in der Erinnerung die elenden Einzelerlebnisse, z. B. des Erbschaftsstreites, der Geld- und Ehemisere, des Familiengezänks sich umwandeln ließen zu großen dichterischen Motiven, sich verschmelzen ließen mit den andern Typisierungen seines Lebens zum Symbol des Dichtergeschickes und des Heldenloses.

Wir fanden in diesen späten Gedichten nicht nur Spiegelung dessen, was im weitesten Sinne genommen Erleben des todkranken Dichters war, wir fanden auch zum letzten Male festgehalten, neugeprägt durch das besondere Schauen und Empfinden der Leidenszeit, Urmotive Heines, die früher in anderer Weise lebendig gewesen waren. Und die Analyse der Gedichte gab uns Gelegenheit, die Entwicklung dieser Motive in Heines Kunst zu verfolgen.

Exkurs.

Vergleich des „Viglipugli“ mit der Überlieferung

des Stoffes.

Alle Berichte von der Eroberung Mexikos erzählen von dem prächtigen Empfang der Spanier in Montezumas Hauptstadt, von den kostbaren Geschenken, die der Monarch beim Einzuge und schon früher, als sich die Abenteurer noch nicht in mexikanischem Landesgebiet befanden, ihnen überreichen ließ.1 Bei der Schilderung dieser Dinge verweilt Heine mit besonderer Freude. In Chevaliers Aufsay (S. 65) lautet die Stelle: „Ce sont des tissus de coton d'une grande beauté, des étoffes de plume, article dans lequel les Mexicains excellaient, et qui leur était propre. Ce sont des bijoux d'or et d'argent, d'un grand poids et d'une façon égale à la matière. C'est de la poudre d'or à pleins casques; Cortez avait dit à Teutlile que ses compagnons étaient sujets à une affection de coeur pour laquelle la poudre d'or était un spécifique souverain."

Montezuma, so erzählen alle Berichte, bot den Fremden den Palast seines Ahnherrn Arajacoatl als Behausung an. Bei der ersten Audienz 2, die er den Spaniern gewährte, erzählte er von der

1 Solis, Geschichte der Eroberung von Mexiko, übers. von L. G. Förster. (1838) I. Bd., S. 253f. u. ö. Bernal Diaz, Denkwürdigkeiten ed. Rehfues I, S. 230; II, S. 11. Jetlilxochitl S. 4. W. Robertson, History of America: Works (1812). IX, S. 266. Prescott, History of the Conquest of Mexico (1843). I, S. 322, 424; II, S. 35, 76. Russell, Geschichte von Amerika, von dessen Entdeckung bis auf das Ende des vorigen Krieges (1779). I, . 171 u. ö.

2 Chevalier S. 74, 75. Prescott II, S. 70-74, 83. Bernal Diaz II, S. 56, 59. Solis S. 1, 254 ff., 23f. Jytlilxochitl S. 5. Robertson IX, S. 317. Russell I, S. 307.

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