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Übergang beider Stimmungen zur Weltironie.

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erblicken, ich sehe hier einen, der die Ketten seines Weltschmerzes zersprengt hat und frei dasteht - wenn auch mit wunden Händen:

Dann bleibt uns doch das schöne gelle Lachen.

Mit dem „Rhampsenit", einem Gedicht fast behaglicher Weltironie, beginnt das Buch. Es läßt am Schluß in der „Disputation" den Ton, der im Anfang spöttisch klingt und klingelt, zu mächtiger Kraft anschwellen. Die Gedichte, die wir behandeln, offenbaren, wie vielgestaltig das pessimistische Grundgefühl zu Welt und Leben ist, das Heine in seiner Leidenszeit zu dichterischem Ausdruck drängt.

I.

Vi klip u ķli.

Die allgemeinsten Züge der mexikanischen Eroberungsgeschichte, soweit sie Schulbildungsgut sind und wohl schon damals waren, darf man auch bei Heine als bekannt vorausseßen. Kenntnis von Einzelzügen der Geschichte verrät sich in einer Stelle der „Französischen Zustände". Hier schreibt Heine: „Als der erste Spanier fiel und die Mexikaner merkten, daß die weißen Götter, die sie mit Blizz und mit Donner bewaffnet sahen, ebenfalls sterblich seien: wäre diesen der Kampf sehr schlecht bekommen, hätten die Feuergewehre nicht den Ausschlag gegeben.“ 1

Die Geschichte Mexikos oder vielmehr der mexikanischen Religion hatte Heine schon früher interessiert.2 Im dritten Teil der „Reisebilder" (Nordsee) spricht er davon, wie tief Nationalerinnerungen in des Menschen Brust lägen: „Man wage es nur, die alten Bilder wieder auszugraben, und über Nacht blüht hervor auch die alte Liebe mit ihren Blumen. Das ist nicht figürlich gesagt, sondern es ist eine Tatsache: als Bullock vor einigen Jahren ein altheidnisches Steinbild

1 Elster 5, S. 131. Derselbe Zug dann im „Vitlipußli" :

Anfangs glaubten wir, sie wären

Wesen von der höchsten Gattung,

Sonnensöhne, die unsterblich

Und bewehrt mit Blitz und Donner.

Aber Menschen sind sie, tötbar

Wie wir andre ...

Elster 1, S. 385.

2 Die Kenntnis der Spontinischen Oper Cortez" (Briefe aus Berlin) besagt

nichts; der Operntext hat kaum etwas mit dem zu tun, was in Heines Dichtung eine Rolle spielt.

Viglipuzli. Erste Anregung: Bullock.

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in Mexiko ausgegraben, fand er den andern Tag, daß es nächtlicherweile mit Blumen bekränzt worden; und doch hatte Spanien mit Feuer und Schwert den alten Glauben der Mexikaner zerstört und seit drei Jahrhunderten die Gemüter gar stark umgewühlt und gepflügt und mit Christentum besäet." 1

Das Werk, auf das Heine sich hier bezieht, ist Bullocks Reise nach Mexiko im Jahre 1823. Bullock spricht an jener Stelle von dem Viglipuglibilde, das lange unter der Gallerie der Mexikanischen Universität vergraben lag.2 Sehr früh also müssen Heine, der die Reisebeschreibung mit Aufmerksamkeit las, Elemente des im „Vizlipuzli" gestalteten Stoffes bekannt geworden sein. In unmittelbarer Nähe der eben zitierten Stelle findet sich bei Bullock eine detaillierte Beschreibung des grauenhaften Gößenbildes 3 und dann folgende Zeilen über die Menschenopfer:

„Nach Cortez Bericht von der Belagerung von Mexico muß man schaudern über die Grausamkeiten, welche die Heiden an ihren Gefangenen ausübten. Dem lebenden Schlachtopfer wurde vom Priester das Herz aus der Brust gebrochen, und je mehr es noch gleichsam einige Lebenskraft zu verrathen schien, je angenehmer war es der Gottheit.... In der Trauernacht, worin die Mexicaner einige

1 S. Elster 3, S. 115.

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„Während der Zeit, daß der Göße im Universitätshofe zur Schau stand, war der Hof beständig voll Menschen, von denen die meisten Weißen Angst und Verachtung ausdrückten. Ganz anders benahmen sich hiebei die Indianer. Ich bemerkte sie sehr aufmerksam, nicht ein Lächeln, nicht ein Wort entfiel ihnen; sie waren still und beobachteten Alles. Scherzend rügte dieß einer der Studenten, worauf ihm ein alter Indianer erwiderte: 'Es ist wahr, die Spanier haben uns drei gute Götter gegeben, es wäre aber so übel nicht, wenn wir einige Gößen unserer Vorfahren beibehalten hätten. Ich erfuhr, daß einige Eingeborne Blumen gestohlen und in Kränze gewunden abends im Finstern am Gößenbilde aufgehängt hätten. Man nahm dieß als einen Beweis an, daß nach dreihundertjähriger Anstrengung der Spanischen Geistlichkeit unter den Indianern noch immer einige Spuren des heidnischen Aberglaubens übrig geblieben sind." Ethnogr. Archiv 26 (1824), S. 345 f.

3 Die Schilderung betont ebenso wie die meisten Berichte mehr das Schauerlich-Phantastische, weniger die Komit des gransigen Gößen, die Heine so sehr unterstreicht. Immerhin waren schon diese so außerordentlich detaillierten Beschreibungen geeignet, das Götterbild für alle Zeit als etwas Besonderes dem Dichter einzuprägen.

Spanier zu Gefangenen machten, wurden der kühne Cortez und seine Krieger von Schrecken ergriffen, da sie das Schicksal ihrer gefangenen Cameraden wissen konnten.“

Bullock gibt im XXIII. Kapitel der Reisegeschichte, „Das alte Mexico", Auszüge aus Clavigero's und Bernal Diaz' Berichten und eingehende Schilderungen von Montezumas märchenhafter Hofhaltung, seinen Palästen, seinen Menagerien, seinen schwimmenden Gärten, von dem großen Göttertempel auf dem Markt.

So mögen wir sagen, daß diese beiden Momente der Geschichte: die zauberhafte Pracht des zerstörten Reiches und das blutige • Grauen der mexikanischen Religion sich Heine früh eingeprägt, sein Interesse für den Stoff geweckt haben könnten. Alles Fremdgestaltete, Unheimliche, Bizarre mußte den Romantiker interessieren; für den damals sehr antikatholisch Gesinnten wehte troß aller abschreckenden Schilderung des Gößendienstes ein Hauch der Wehmut aus den Blättern der Reisebeschreibung, die von den Kulturmordtaten der spanischen Geistlichen handelten. Das ist aber auch alles. Quelle für Heines Ballade ist Bullocks Werk keinesfalls. Es enthält nicht die wichtigsten Zusammenhänge, die bedeutsamsten Einzelzüge, so daß die Erinnerung daran genügt hätte, als Heine Jahrzehnte später den Stoff gestaltete.

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Ernst Elster nennt im siebenten Bande seiner Heineausgabe als Quelle des „Viglipuzli" das Buch: „Horribles Cruautés des Con-> quérants du Mexique. Mémoire de Don Alva Ixtlilxochitl", (im achten Band der Sammlung von Ternaux-Compans 1837)1 und erwähnt desselben Autors „Histoire des Chichimèques". Der Vergleich dieses Werkes mit Heines Ballade veranlaßt zunächst die Anschauung, daß der Dichter eine Reihe entscheidender Züge erfunden habe, denn gerade über die Hauptereignisse, um die sich Heines Gedicht konzentriert: die Nacht, in der die Spanier aus Mexiko fliehen, die sogenannte „noche triste", und die Hinschlachtung der Gefangenen im Viglipuglitempel, geht jenes Werk sehr schnell hinweg. Die Schrecknisse der Flucht sind überhaupt nicht erwähnt; es heißt nur: „Beaucoup

1 Ich benutze das Exemplar der Leipziger Universitätsbibliothek.

Quellenfrage: Ixtlilxochitl. Chevalier.

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d'Espagnols périrent dans la retraite." Etwas ausführlicher, aber auch nicht sehr detailliert, wird dies Ereignis in der „Histoire des Chichimèques" berichtet. Hier fehlt wiederum die Opfernacht ganz und gar. Nun zeigte mir aber ein Blick auf eine Reihe anderer, Heine recht wohl zugänglicher Berichte, daß alle die vom Dichter entworfenen Bilder schon der Überlieferung angehören. So konnte ich mich Elsters Meinung über die Quelle nicht anschließen. Es galt die Betrachtung weiter auszudehnen. Ich vermute nun, daß die erste Station für Heine Michel Chevaliers langer Aufsatz in der Revue des Deux Mondes 1845 gewesen ist, der noch im selben Jahre als besondere Publikation, „Du Mexique avant et pendant la conquête", erschien.1 Heine kann diesem Aufsaß vieles, wenn auch nicht alles entnommen haben. Er muß außerdem mindestens eine ergänzende Quelle gelesen haben, die eine Reihe von Einzelzügen ausführlicher enthält. Der Aufsay selbst aber gibt genügend Hinweise auf leicht zugängliche Literatur. Daß Heine den Essai gelesen hat, scheint mir aus folgenden Gründen sicher. Er ist selbst regelmäßiger Mitarbeiter und Leser der Revue des Deux Mondes. Im gleichen Jahrgang wie Chevaliers Auffat enthält die Revue eine seitenlange Besprechung von Heines „Neuen Gedichten" (1844) durch St. René Taillandier, und in der gleichen Nummer steht ein Aufsatz über Mörike, in welchem Heine ausführlich erwähnt wird.

Er hat Michel Chevalier gekannt und geschätzt.2 „Michel Chevalier ist mein sehr lieber Freund", schreibt er im Jahre 1832, „einer der edelsten Menschen, die ich kenne". - In den nachgelassenen Aphorismen 3 findet sich folgende Charakteristik: „Michel Chevalier ist Konservateur und Progressivster zugleich mit der einen Hand stüßt er das alte Gebäude, damit es nicht den Leuten auf den Kopf stürze, mit der andern zeichnet er den Riß für das neue, größere Gesellschaftsgebäude der Zukunft." Bis in die lezten Lebensjahre dauern die freundschaftlichen Beziehungen zu Chevalier. Den Dichter und

1 Ich zitiere ihn fernerhin nach dieser Sonderausgabe.

2 S. die von Legras mitgeteilten Briefe aus dem Februar 1855: Henri Heine poète S. 414-18. Deutsche Rundschau LXXX 1894.

3 Elster 7, S. 428.

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