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durch die vielen o und au. Diese Sprache, von der der Dichter sagt, sie töne „seufzend, röchelnd, wie der Nachtwind, welcher koset mit dem Seeschilf":

Rotjad', Rotjack', blut'ger Schlächter,

Haft geschlachtet viele Tausend,
Bohre jezt das Opfermesser

In den eignen alten Leib.

Man beachte den Kontrast der scharf und hell klingenden, betonten i und ei der lezten Zeile mit den dunklën Vokalen der ersten Verse. Auch in der folgenden Strophe ist die Tonmalerei bemerkbar. Auf die tonmalenden Strophen der zweiten Romanze machte ich schon aufmerksam.

Zu komischen Wirkungen verwendet sie Heine:

Oder traßt ihn Kazlagara,

Die verhaßte Unheilsgöttin?

Sehr fein ist es, wie er durch die Betonung in dem Vers:
Mit hinschleppend weißen Laken

das langsame Ziehen der Morgennebel nachfühlen läßt.

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Je mehr wir uns in diese formale Durchbildung des Gedichtes versenken, desto mehr verstehen wir die wundervollen Verse, die Heine den „Historien“ als Motto vorangeseßt hat.

Das Gedicht „Vißlipußli“ ist ein Ausdruck tiefer Verzweiflung. Es ist nicht einmal ein Heldenlied dem Stoff nach. Aber darauf kam es nicht an. Während Heine sich zum Meister über den Stoff machte, fühlte er die Treue des Künstlers, die einzige große Tugend seiner Seele, in sich wirksam. Solange er so gestalten konnte, hatte er Wehr und Waffen gegen die persönliche Unbill, auf die er in den folgenden Versen anspielt, und gegen die Weltverachtung, die sein Lied doch ausdrückt. Jenes Motto lautet:

Hat man an dir Verrat geübt,

Sei du um so treuer;

Und ist deine Seele zu Tode betrübt,

So greife zur Leier.

Die Saiten klingen! Ein Heldenlied,

Voll Flammen und Gluten!

Da schmilzt der Zorn, und dein Gemüt
Wird süß verbluten.

II.

Hebräische Melodien.

Die drei Gedichte, die Heine, Byrons eingedenk, unter diesem Titel zusammenfaßt, sind aus sehr andern Stimmungsnüancen hervorgegangen als der Viglipugli".

Erinnerung und Sehnsucht sind die Musen der beiden ersten Gedichte, wie die Verzweiflung ihm den Vißlipuglistoff gestalten half. Der tiefe Schmerz in ihnen ist von tröstlicher Wehmut erhellt.

Scharfer Religionsspott erfüllt das letzte Gedicht: die „Disputation". Der Spott ist schonungslos schneidend — und doch nicht so gallebitter, wie im „Vißlipugli“; auch da nicht, wo er sich gegen das Christentum richtet. Das komische Element tritt befreit und selbständig uns entgegen, nicht mehr dem Grauen unlöslich verknüpft. Wir haben den Eindruck der Sicherheit, eines überlegenen Fertigseins des Künstlers.

All der Erinnerungsbesiß jüdisch - religiösen Fühlens scheint in den beiden ersten Gedichten wieder aufzuleben, geweckt durch seine Leiden.

Bei der Analyse dieser Erinnerungsdichtung werden wir das Typische beachten: wie viel sich in Gefühl und Bild das zu wiederholen scheint, was früher gestaltet wurde, - und wie doch alles anders geworden ist.

Ein Menschenleben ist vergangen, seit Heines Jugenddichtungen Judas Leid besangen; die Dinge haben neue Bedeutung für ihn gewonnen.

Daß es sich in den „Hebräischen Melodien“ nicht einfach um eine Verherrlichung des Judentums handelt, haben einsichtige Kritiker längst gesehen. Ein Blick auf die „Disputation“, die Heine ausdrücklich mit

Hebräische Melodien. Heines Verhältnis zum Judentum.

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jenen beiden Gedichten zur Einheit zusammenschließt, zeigte das. Aber es steht auch nicht so, daß Heine das reine begeisterte Gefühl für das Judentum, das in den ersten Dichtungen lebte, später zerstören mußte, wie er zu tun pflegt, weil sich die Kontraststimmung mit Notwendigkeit bei ihm einstellte. Gewiß ist „,Disputation" aus der Kontraststimmung entsprungen; aber das religiöse Fühlen, das die „Prinzessin Sabbath“ und der „Jehuda ben Halevy“ ausdrücken, ist schon in sich ein sehr kompliziertes und uneinheitliches. Jugendgefühle werden lebendig — ja! aber, so oft wir im einzelnen an den „,Rabbi von Bacharach" werden erinnern müssen, die Grundstimmung ist eine andere. Damals litt er als Jude; litt unter der Zurückseßung; litt durch neuerwachte Liebe. Die Studien, die er im „Verein für Geschichte und Literatur der Juden" getrieben, hatten ihn mit Begeisterung für die Kultur seines Stammes, für die Poesie seiner angstvoll bewahrten Tradition, für seine Zähigkeit im Leiden erfüllt. Empörung über grausames, jahrtausendelanges Unrecht bewegte ihn. Da überkam ihn jene Stimmung: ,,Brich aus in wilden Klagen, du düst'res Martyrlied!" Er konzipiert den „Rabbi“ — kein düsteres Martyrlied freilich — ein farbiges Bild, ein seltsames Durcheinander von Tragik und Fronie.

Der Grundton der ersten Kapitel ist heiße Liebe zum Judentum, durchsezt mit anklagendem Zorn gegen „Edom“, die Stimmung des formal so mißglückten „Almansor“.

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Die eigenen Erlebnisse bringen ein neues Element hinein. Äußere Gründe weit mehr als innere bewogen ihn, das „Entreebillet zur europäischen Kultur" zu lösen. Man weiß, wie die unmittelbarste seelische Rückwirkung der Taufe auf ihn ein jäh auflodernder Haß gegen die neue Religion war. Dabei fühlte er doch, daß der Zusammenhang mit dem Judentum ihm verloren war, und ein unreines Motiv - Bedauern über entgangene Vorteile - mischte sich auch hier in den Schmerz über die Zusammenhanglosigkeit seiner jeßigen Existenz. Zwiespältige Empfindungen, in denen stärker, als er es wußte, der Ekel über sein unmannhaftes Tun und das Bedürfnis der Rechtfertigung vorwogen, ließen ihn die Gestalt des jungen

1

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1 Die Lektüre von Heines Briefen aus dieser Zeit ist recht unerquicklich.

Renegaten schaffen, die Selbstanklage, Selbstbespiegelung, Selbstverteidigung ist. 1

Alles in allem: die Gefühlszustände, aus denen der „Rabbi“ erwuchs, sind innere Erlebnisse des Juden mehr als irgend etwas anderes. Das alles scheidet das Werk innerlich von den „Hebräischen Melodien". Denn hier nimmt ein allgemein menschliches Leid das Leidensschicksal eines Volkes als besonders starken Ausdruck, als Symbol.

Es ist bezeichnend für Heines Verhältnis zum Judentum, daß die Epochen, in denen er am stärksten persönlich berührt ist von der Tragik seines Stammes, nicht zusammenfallen mit den Epochen, in denen er die geistig freiste Auffassung vom Judentum hat, die reifsten künstlerischen Symbole dafür findet. Der „Rabbi" gilt als Kunstwerk des Juden Heine zar' ozýv. Aber der Tod des kleinen Simson in den Schnabelewopski-Memoiren und die „Prinzessin Sabbath“ bedeuten vielleicht als künstlerische Werte mehr: beide stammen aus einer Zeit, in der Heine Distanz zum Judentum hat. Und ebenso steht es um seine Wertungen des Judentums als Kulturfaktor, als Agens in der Geistesgeschichte. Die Briefe vor und nach der Entstehung des „Rabbi“ zeigen nichts von jener inneren Freiheit. Die Widersprüche in ihnen beruhen rein auf Stimmungsschwankungen, die vor allem Ausdruck jener engen persönlichen Erlebnisse sind. Bald überschwängliche Sympathie, bald jähe Abneigung. Die im „Almansor“ und in „Donna Clara" bereits einmal kristallisierten Gefühle erscheinen in den Briefen gemischt mit Regungen entgegengesetter Art, durchsetzt von jähem Widerwillen gegen die Juden, wie sie ihm vielfach im Leben entgegentraten, während er mit den Vereinsgenossen sich für ein Idealjudentum entflammt und vor sich selbst den gläubigen Bewunderer der Vereinsziele spielt, auf Momente wohl fortgerissen von der innigen Reinheit des Freundes Moser.

Diese wechselnden Gemütsverfassungen und die trüben Seelenzustände nach der Taufe — wohl die innerlich herabgekommenste Zeit,

1 S. Elster 4, S. 443. Es wird zu fragen sein, wie weit die Züge, welche die heidnische Lebensstimmung betonen, auf Rechnung der Neubearbeitung für den „Salon“ zu setzen find.

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Persönliches und sachliches Verhältnis zum Judentum.

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die der junge Heine durchlebte: ein Verräter an dem, was er verließ, wie an dem, was er aufsuchte — all das hat freilich durch die Arbeit am „Rabbi“ eine Läuterung erfahren. Es ist im Kunstwerk alles getragen von der großen Welle des Mitleidens und Verstehens. Das tiefe Gefühl der Zusammengehörigkeit ist Grundstimmung, und die dem Judentum entgegengeseßten Regungen sind sachlicher, gereinigt vom Selbstischen des Lebens. Und doch, die Auffassung selbst ist nicht eigenartig. Es ist kein freies Darüberstehen, keine Größe in der Anschauung. Die Rabbistimmung, die vor allem persönlicher Gefühlsanteil ist, taucht später nur gelegentlich wieder auf: so in der Shylockanalyse.

Heines Abwendung von den Zielen eines Vereins, der die Kultur des Juden aus dem Judentum heraus zu seiner Aufgabe macht, war innerlich notwendig auch ohne die Taufe und ohne das Scheitern des Vereins. Der moderne Mensch, der seine geistige Nahrung aus dem Boden nahm, den Goethe und die deutschen Romantiker bestellt hatten, mußte bald erkennen, wie wenig über ein jähes Gefühlsbedürfnis hinaus ihm jene Gemeinschaft bedeuten konnte.

Was ihn von jezt ab rein persönlich mit dem Judentum verbindet, wird meist als Fessel empfunden. Die Kränkungen, die ihm der „nie abzuwaschende Jude" bereitet, reizen ihn, wie ihn nichts reizen konnte. Der infame Streich gegen Platen ist eine Rache dafür. Daß er ihn als das volle Recht des Beleidigten empfand, bestätigt uns erst neuerdings wieder die Anekdote, die Therese Devrient in ihren Erinnerungen erzählt.1 Bezeichnend für eine Art bitterer Scham, die ihm wie so vielen modernen Juden einmal das Wort eingibt: „nie von jüdischen Verhältnissen sprechen“, sind die Briefe aus Paris, die auf Guzkows Angriffe Bezug nehmen. Den etwas aufgerechten Stolz auf seine Abstammung, den späte Äußerungen atmen, findet er erst wieder von einem ganz sachlichen Standpunkt aus. Dem Pariser Heine rückt der Antisemitismus nicht mehr nahe auf den Leib. Seine persönlichen Interessen an der Frage sind jezt nicht mehr „persönlich" im engeren Sinne. Ein gelegentliches Auftreten gegen die

Jugenderinnerungen von Therese Devrient S. 331.

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