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überlieferung zu folgen, um ohne die geringste schwierigkeit zu einer befriedigenden erklärung der meisten sonette zu gelangen. Freilich bleibt auch bei dieser annahme noch manches dunkel, z. b. die reise-sonette, das verhältniss zur schwarzen frau, auch das zeitweilige zerwürfniss oder die entfremdung zwischen patron und schützling, die man wohl annehmen muss.

Aber die chronologie der sonette wird jedenfalls klarer; sie wird in ein anderes, und man darf wohl sagen, angemesseneres licht gerückt.

Es ist jetzt nicht mehr nöthig, mit Conrad den beginn der sonett-periode in die jahre 1588/9 zurückzuverlegen; wir werden vielmehr annehmen dürfen, dass Sh. erst in den jahren 1592/3 anfing, sonette zu dichten: d. h. in den jahren, wo er wegen der durch die pest veranlassten theaterferien mehr musse hatte, in der zeit der ersten bekanntschaft mit Southampton. in einer zeit, wo er sich bereits einige kunstübung, eine reifere bildung, welt- und menschenkenntniss erworben hatte. Nun erklärt sich auch die abhängigkeit von Daniel's sonetten ganz von selbst. Es erklärt sich ferner der enge zusammenhang mit Venus und Adonis, mit Lucretia, mit Romeo und Julia, mit der Verlorenen liebesmühe und anderen dichtungen, die in dieselbe periode fallen. Es passt sodann besser, dass der dichter sich schon in den frühesten sonetten als gereiften, gealterten mann bezeichnet.

Auch das bekannte widmungs-sonett, in welchem der dichter von seinen 'büchern' spricht es können natürlich nur Venus und Adonis und Lucretia gemeint sein, ordnet sich nun ganz von selbst ein. Auf genauere anhaltspunkte für die chronologie habe ich in meinem buche über Shakespeare's lehrjahre hingewiesen.

Wenn ich somit in einem hauptpunkte Conrad's forschungsergebnissen nicht beistimmen kann, so hindert das doch nicht, die feinheit und schärfe seiner interpretation der sonette anzuerkennen. Auch mit der gruppirung der sonette bin ich im allgemeinen einverstanden. In manchen einzelfragen hat, wie ich glaube, Conrad den nagel auf den kopf getroffen. Mit seiner annahme einer italienischen reise Shakspere's stimme ich ebenfalls überein, nur möchte ich sie nicht in die jahre 1590/1 sondern in das jahr 1592 verlegen.

Bedeutender noch als der erste scheint mir der zweite, grössere theil des buches. Für diesen wird der verfasser wohl mehr gläubige finden, als für den ersten. Dass für Shakspere's Hamlet graf Robert Essex gleichsam das modell gewesen, ist von vornherein sehr wohl möglich, auch ohne dass wir ein freundschaftsverhältniss zwischen held und dichter anzunehmen brauchen. Shakspere wird den grafen sicher von ansehen gekannt und durch personen, die ihm nahe standen, z. b. den grafen Southampton, auch viel von ihm gehört haben. Die letzte rede Buckingham's in Heinrich VIII. (II, 1) erinnert, wie Conrad nachweist (s. 137), sehr stark an die rede des grafen Essex vor seiner hinrichtung. Die familiengeschichte der Essex zeigt so auffallende berührungspunkte mit der Hamlet-fabel in Shakspere's drama, dass allerdings die vermuthung sehr nahe gelegt wird, der dichter habe die alte sage im hinblick auf diese neueren vorkommnisse umgemodelt. Conrad vergleicht nun genau den character des älteren grafen Walter Essex, der mit symptomen der vergiftung gestorben war, mit Hamlet's vater; seine witwe, lady Essex, welche schon zu lebzeiten des gatten, wie es scheint, ein ehebrecherisches verhältniss mit dem grafen Leicester gehabt hatte, mit Hamlet's mutter; endlich den grafen Leicester, welcher im verdacht

stand, Walter Essex aus dem wege geräumt zu haben, mit könig Claudius. Er findet überall genaue übereinstimmung. Conrad's darstellung ist so fesselnd und überzeugend, dass man sich ihr zunächst gern gefangen giebt.

Bei reiflicherer erwägung erwachen allerdings manche bedenken Der ältere graf Essex war schon im jahre 1576 gestorben, als Shakspere ein zwölfjähriger knabe war; er war in seinen letzten lebensjahren meist in Irland gewesen. Dass bei der zeichnung des characters von Hamlet's vater Shakspere also durch irgendwelche eigene erinnerung an den älteren grafen Essex geleitet wurde, ist ausgeschlossen; er hätte die skizze nur nach hörensagen ausarbeiten können.

Auch irgendwelche bekanntschaft mit der lady Essex ist durchaus unwahrscheinlich. Den grafen Leicester, der 1588 starb, mag der dichter allerdings noch gekannt haben, besonders, da er sich, wie es scheint, der unter seinem patronat stehenden truppe anschloss. Ein tieferer einblick in Leicester's character war aber nach der lage der verhältnisse Shakspere kaum möglich.

Es erhebt sich also die frage, ob die allerdings unläugbare ähnlichkeit der charactere nicht doch vielleicht anders zu erklären ist. Liegt sie nicht in den übereinstimmenden verhältnissen schon begründet? Eine ehebrecherin wird doch in den meisten fällen ein schwaches und zugleich ein anziehendes, reizvolles weib sein; ein ehebrecher, der seinen nebenbuhler aus dem wege räumt, wird stets ein schurke sein, aber ein schurke mit gewinnenden eigenschaften, und ein solcher, der auch weichen gemüthsregungen zugänglich ist.

Bei der characterzeichnung des betrogenen und gemordeten ehegatten ist aber eine idealisirende auffassung, eine art heiligenschein ganz natürlich. Es scheint von Conrad nicht genügend beachtet zu sein, dass schon in Belleforest's Hamlet-novelle die auffassung dieser drei charactere eine im wesentlichen übereinstimmende ist.

Sodann wissen wir ja nicht, wieviel Shakspere dem ur-Hamlet, auf den Conrad gar nicht eingeht, verdankt. Es wäre doch sehr wohl möglich, dass die grundzüge der charactere dort schon vorgebildet waren, und von Shakspere nur feiner ausgearbeitet wurden. Bei dem verfasser des älteren Hamlet - dramas (um 1588) wäre ein interesse für diese ziemlich weit zurückliegenden vorgänge, eine kenntniss der personen vielleicht eher begreiflich.

Sodann geht der verfasser zu seiner hauptaufgabe über, den character des Robert Essex zu schildern und mit dem Hamlet's zu vergleichen. Er zeichnet seinen helden als knaben und jüngling, sodann als hofmann, als philosophen, als gelehrten, als dichter, als krieger, als christen, als freund, als volksliebling, als liebhaber, als mann der starken empfindung, als idealisten und kommt zu dem schluss, dass Shakspere die persönlichkeit des grafen Essex in seinem Hamlet getreu nachgeschaffen habe. Nebenher weist er aus den briefen und gedichten des grafen mannigfache stellen nach, die an gedanken Shakspere's auffallend anklingen, und glaubt auch aus diesem grunde ein näheres verhältniss zwischen dem cavalier und dem dichter annehmen zu müssen, in dem sie sich gegenseitig geistig und seelisch beeinflussten.

So interessant und geistreich dieser abschnitt auch ist, so nähert sich die argumentation Conrad's doch mitunter bedenklich der methode der von ihm selbst mit recht bekämpften Baconianer. In dem bestreben, recht viele übereinstimmungen nachzuweisen, construirt er sich gewaltsam ähnlichkeiten, wo in wirklichkeit

keine zu finden sind, oder er findet solche in zügen, die nichts characteristisches enthalten, in gedanken, die zum euphuistischen gemeingut der gebildeten jener zeit gehören.

Die beurtheilung von historischen characteren ist sehr von der subjectiven auffassung bedingt. Das characterbild, welches Conrad von Robert Essex entwirft, ist zum beispiel ein wesentlich anderes, viel idealeres, als das welches im Diction. of National Biography gezeichnet wird. Andererseits schwankt auch die beurtheilung des Hamlet-characters zwischen ganz extremen ansichten hin und her. Conrad schliesst sich am meisten an Werder's auffassung an, die anderen forschern doch nicht ganz annehmbar scheint.

Nun verwahrt sich der verfasser allerdings gegen den vorwurf, seine subjective auffassung in den Hamlet-character hineingetragen zu haben; er meint die absicht und auffassung des dichters aus den worten des dramas mit sicherheit nachweisen zu können. Er stellt den satz auf (s. 219): „Sobald ernsthafte und an der handlung ernsthaft betheiligte personen urtheile über ihre gegenseitigen charactere abgeben, so sind dieses die urtheile des dichters selbst, aus denen seine absicht bei ihrer schaffung unzweideutig hervorgeht." In dieser allgemeinen fassung kann ich die richtigkeit des satzes nicht zugeben. Was Othello über Jago, was Duncan über Macbeth sagt, entspricht doch gewiss nicht dem urtheil des dichters, und doch sind Othello und Duncan ganz ernsthafte, und an der handlung ernsthaft betheiligte personen.

Conrad findet nun die Hamlet - auffassung Shakspere's in den bekannten worten der Ophelia :

Ach, welch ein grosser geist ist hier zerstört!
Des hofmanns auge, des gelehrten zunge,

Des kriegers schwert; die hoffnungsvolle ros'
Des blüh'nden stabs u. s. w.

Von allen personen des Hamlet - dramas ist aber Ophelia (nach der auffassung des dichters) wohl die am wenigsten geeignete, ein objectives urtheil über Hamlet's character abzugeben. Von ihrem geringen scharfsinn ganz abgesehen seit wann git denn die ansicht, die ein liebendes mädchen von den vorzügen ihres geliebten hat, für einen untriglich sicheren, buchstäblich zu nehmenden maassstab seines wirklichen werthes? Der geliebte erscheint natürlich immer als der herrlichste von allen. Dass einige übertreibung in der schwärmerei der Ophelia liegt, geht allein schon aus den worten: 'des kriegers schwert' hervor; denn Hamlet hat überhaupt noch keine gelegenheit gehabt, sich als krieger zu bewähren.

Auch die letzten worte des Fortinbras über Hamlet sind schwerlich als erschöpfende characteristik aufzufassen. Fortinbras hat Hamlet ja gar nicht gekannt und lobt den todten nur mit allgemeinen worten, wie es sich geziemt.

Die grundlage also für Conrad's Hamlet-auffassung ist doch nicht so sicher wie er meint. Wenn wir aber Hamlet nach seinen handlungen und seinen worten beurtheilen, was schliesslich doch der einzig gangbare weg ist, so gewinnen wir ein anderes, ein weniger ideales und heldenhaftes, ein complicirteres characterbild, als Conrad will, ein bild, welches seinem ideal-porträt von Robert Essex nicht so ähnlich ist. Ohne auf die neuerdings von Loening so sorgfältig erörterte frage des Hamlet-characters näher einzugehen, möchte ich nur einige punkte hervorheben, in denen Hamlet und Robert Essex nicht übereinstimmen.

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1) Hamlet leidet, trotz allem, was Werder und genossen gesagt haben, an thatenscheu, wie er selbst in seinen monologen deutlich genug bekennt. Einer der am meisten characteristischen züge von Robert Essex war aber bekanntlich sein thatendrang.

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2) Hamlet weiss sich sehr wohl zu beherrschen und zu verstellen. Conrad geht sogar soweit zu behaupten (s. 256): „Hamlet sagt uns, wie bereits festgestellt, niemals, was er denkt“, was mir allerdings exorbitant erscheint.') Von Essex aber sagte Camden (Conrad s. 36): 'Er war sicher nicht zum höfling geschaffen, denn liebe und hass stand ihm immer an der stirn geschrieben; er konnte seine gefühle nicht verbergen'.

3) Hamlet ist ein gönner und kenner der schauspielkunst. entsprechenden seite in Essex' wesen ist nichts bekannt.

Von einer

4) Hamlet ist ein meister der sarkastischen, bitter ironischen rede. Bei Essex ist eine entsprechende neigung nicht bemerkt worden.

5) Hamlet's Verhältniss zu Ophelia ist ein ganz anderes, wie die mehrfachen beziehungen zu hofdamen, die graf Essex auch als verheiratheter mann noch unterhielt.

So ganz genau passt also das characterbild Hamlet's doch nicht auf Robert Essex. Eine ziemlich stark idealisirende retouche war nöthig, um die beiden bilder einander so ähnlich zu machen. Aber eine gewisse typische ähnlichkeit lässt sich nicht läugnen. Ich halte es nach Conrad's ausführungen in der that für wahrscheinlich, dass dem dichter bei der abfassung des dramas die gestalt des unglücklichen grafen, der im jahr 1601 hingerichtet wurde, vorgeschwebt, dass er von ihm mehrere züge auf seinen unglücklichen Dänen-prinzen übertragen hat.

Ich halte Conrad's ansicht etwa für ebenso richtig und ebenso unzulänglich, wie die ansicht derer, welche den jungen, durch selbstmord geendeten Jerusalem als das urbild von Goethe's Werther ansehen. Meiner ansicht nach ist das eigentliche urbild des Werther nicht Jerusalem, sondern Goethe selbst. Ebenso glaube ich mit bestimmtheit, dass das innerste wesen des Hamlet - characters Shakspere selbst ist. Für meine ansicht spricht der umstand, dass die wesentlichen characterzüge bei den meisten helden Shakspere's wiederkehren, so bei Romeo, prinz Heinz, Brutus, Othello. Ueberall finden wir dieselbe vorwiegend contemplative, zur melancholie neigende geistesrichtung, denselben mangel an initiative und dieselbe rücksichtslose energie in der defensive; fast überall auch dieselbe bonhommie und leutseligkeit, dieselbe neigung, die genossen ein wenig zu foppen, dieselbe vorliebe für sarkastische und ironische redeweise; fast überall endlich blickt auch die schauspielernatur des dichters durch.

Conrad selbst hat gezeigt, dass der berühmte 'sein- oder nichtsein'-monolog sich in den gedanken mit einem weltschmerzlichen sonett Shakspere's berührt.

Das eigenthümlich vieldeutige, schillernde des Hamlet-characters ist m. e. wesentlich in der entstehung der Hamlet-tragödie begründet. Fast alle commentatoren, auch Conrad, berücksichtigen den umstand gar nicht, dass das stück keine

1) Andererseits behauptet Conrad (s. 36):

'Hamlet's unglück ist

die gänzliche unfähigkeit zur heuchelei', was mir nach der anderen seite hin übertrieben erscheint. Wie Conrad die beiden aussprüche vereinigt, weiss ich nicht.

vollständig freie dichterische schöpfung Shakspere's, sondern höchst wahrscheinlich, wie jetzt allgemein angenommen, die neubearbeitung eines älteren, verloren gegangenen dramas ist.

Conrad scheint allerdings auch jetzt noch der ansicht zu sein, dass der ur-Hamlet, auf den Thomas Nash im jahr 1589 anspielte, von Shakspere selbst herrührte (s. 40). Ich glaube diese ansicht in meinem buche über Thomas Kyd endgültig widerlegt zu haben; sie wird auch m. w. von keinem anderen Shakspereforscher mehr getheilt.

Shakspere hat die überaus schwierige aufgabe, ein wahrscheinlich nur mittelmässiges, auf den äusseren effect berechnetes stück zu einem tiefergreifenden seelengemälde umzugestalten, so gut gelöst, wie es eben nur Shakspere konnte. Aber auch er konnte nicht verhindern, dass unter der übermalung hier und da die farben und contouren des ursprünglichen gemäldes durchschimmerten. Die mehr heldenhaften, aber auch die roheren, brutaleren züge des Hamlet-characters dürften aus dem älteren drama und der alten sage stammen.

Goethe hat bei seiner beurtheilung mehr die deckfarbe, Werder und Conrad haben mehr die grundfarbe des gemäldes ins auge gefasst; den intentionen Shakspere's aber scheint Goethe gerade darum gerechter geworden zu sein, als die letztgenannten kritiker.

Im übrigen ist Conrad's Hamlet-kritik vortrefflich. Ich stehe nicht an, besonders den letzten abschnitt seines buches zu dem besten zu rechnen, was die Hamlet - litteratur aufzuweisen hat. Jeder Hamlet - interpret wird ihn mit nutzen lesen.

Kiel, Sept. 1897.

G. Sarrazin.

Otto Speerschneider, Metrische untersuchung über den heroischen vers in John Dryden's dramen. Halle, inaugural-dissertation. Halle a. S. Wischau und Wettengel. 1897. 89 ss. 8".

It seems that Halle is not to be enlightened as to the absurdity of the attempts of its disciples to cope with the difficulties of English verse. The faith of these young men in their cat and dry method of enquiry is not to be shaken. In the present instance Speerschneider, after a scanty introduction (31⁄2 pages), in which he says shortly and decidedly of Dryden: "Corneille, Boileau und Racine waren seine vorbilder", goes on to the ludicrous „silbenmessung, wortbetonung &c." to which Halle people have accustomed us. That the influence of Racine (born 1639) on Dryden (born 1631) could have been considerable) is an absolute impossibility. Corneille (born 1606) may have influenced him to some extent, and as to Boileau (born 1636) is it to be imagined that such a poet as Dryden, would have looked up to a man five years his junior as to a master? That Dryden to some extent was influenced by French models is certain, but it is necessary to state that this influence has been much overrated and that it began to take effect when Dryden in his riper years could venture to regard the French poets from a critical point of view.

Sp. treats us like his predecessors to all the spelling-book learning at his command. His predecessors have done the same, but some of them at any

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