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Heinrich der Finkler.

(919)

Herr Heinrich sizt am Vogelherd
Recht froh und wohlgemuth;
Aus tausend Perlen blinkt und blizt
Der Morgenröthe Glut.

In Wies' und Feld und Wald und Au-
Horch, welch ein füßer Schall!
Der Lerche Sang, der Wachtel Schlag,
Die füße Nachtigall!

Herr Heinrich schaut so fröhlich drein :
"Wie schön ist heut die Welt!
Was gilt's? heut gibt's 'nen guten Fang!"
Er lugt zum Himmelszelt.

Er lauscht und streicht sich von der Stirn
Das blondgelockte Haar:

„Ei doch! was sprengt denn dort herauf
Für eine Reiterschaar?"

Der Staub wallt auf, der Hufschlag dröhnt,
Es naht der Waffen Klang.

„Daß Gott! die Herrn verderben mir Den ganzen Vogelfang!"

,,Ei nun! Was gibt's?"— Es hält der Troß Vor'm Herzog plöglich an;

Herr Heinrich tritt hervor und spricht: ,,Wen sucht ihr Herrn? sagt an!"

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(942)

Zu Quedlinburg im Dome ertönet Glockenklang,
Der Orgel Stimmen braufen zum ernsten Chorgesang:
Es sißt der Kaiser drinnen mit seiner Ritter Macht,
Voll Andacht zu begehen die heil'ge Weihenacht.

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Hoch ragt er in dem Kreise, von männlicher Gestalt, 5
Das Auge scharf wie Blige, von goldnem Haar umwallt;
Man hat ihn nicht zum Scherze den Löwen nur genannt,
Schon Mancher hat empfunden die löwenstarke Hand.
Wohl ist auch jezt vom Siege er wieder heimgekehrt,
Doch nicht des Reiches Feinden hat mächtig er gewehrt; 10
Es ist der eigne Bruder, den seine Waffe schlug,
Der dreimal der Empörung blutrothes Banner trug.

Jezt schweift er durch die Lande geächtet, flüchtig hin, Das will dem edlen Kaiser gar schmerzlich in den Sinn; Er hat die schlimme Fehde oft bitter schon beweint: 15 „O Heinrich, du mein Bruder, was bist du mir so feind!“

Zu Quedlinburg vom Dome ertönt die Mitternacht,
Vom Priester wird das Opfer der Messe dargebracht,
Es beugen sich die Kniee, es beugt sich jedes Herz,
Gebet in heil'ger Stunde steigt brünstig himmelwärts. 20

Da öffnen sich die Pforten, es tritt ein Mann herein,
Es hüllt die starken Glieder ein Büßerhemde ein-
Er schreitet auf den Kaiser, er wirft sich vor ihm hin,
Die Knie' er ihm umfasset mit tiefgebeugtem Sinn.

,, Bruder, meine Fehle, sie lasten schwer auf mir; 25
Hier liege ich zu Füßen, Verzeihung flehend, dir;
Was ich mit Blut gesündigt, die Gnade macht es rein,
Vergib, vergib, o Kaiser, vergib, du Bruder mein!"

Doch strenge blickt der Kaiser den sünd'gen Bruder an:
„Zweimal hab' ich vergeben: nicht fürder mehr fortan !
Die Acht ist ausgesprochen, das Leben dir geraubt, 31
Nach dreier Tage Wechsel, da fällt dein schuldig Haupt!“
Bleich werden rings die Fürsten, der Herzog Heinrich bleich,
Und Stille herrscht im Kreise, gleich wie im Todtenreich,
Man hätte mögen hören jezt wohl ein fallend Laub, 35
Denn keiner wagt zu wehren dem Löwen seinen Raub.

Da hat sich ernst zum Kaiser der fromme Abt gewandt, Das ew'ge Buch der Bücher, das hält er in der Hand; Er liest mit lautem Munde der heil'gen Worte Klang, Daß es in Aller Herzen wie Gottesstimme drang.

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,, Und Petrus sprach zum Herren: Nicht so? Genügt ich hab',
Wenn ich dem sünd'gen Bruder schon siebenmal vergab?
Doch Jesus ihm antwortet: Nicht siebenmal vergib,
Nein, siebenzig mal sieben, das ist dem Vater lieb."

Da schmilzt des Kaisers Strenge in Thränen unbewußt, 45
Er hebt ihn auf, den Bruder, er drückt ihn an die Brust;
Ein lauter Ruf der Freude ist jubelnd rings erwacht,
Nie schöner ward begangen die heil'ge Weihenacht.

Heinr. v. Mühler.

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