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War nicht geboren auf dem Thron,
Doch für den Thron geboren;
Zum Herrscher war des Hammers Sohn
Von Gottes Gnad' erkoren.

"I

Papst Zacharias sprach dies Wort:
Des Königs Würd' und Namen
Gebührt der Völker starkem Hort!"
Und alle Welt sprach: Amen!

Doch unser Held, der Kurze, schien
Zu klein manch kleinen Geistern,
Die maßen mit den Augen ihn,
Und hatten viel zu meistern.

Deß schwieg der Held, und ritterlich
Sinnt er den Hohn zu dämpfen,
Und lädt zum Spiele männiglich,
Wo wilde Thiere kämpfen.

Schon eilt das Volk herbei, mit Drang
Die stolzen Großen alle,
Sie nahen beim Trommetenklang,
Mit lautem Waffenschalle.

Still sist Pipin, gedankenschwer;
Wie nahend Ungewitter
Wirft er nur Blize um sich her —
Da rauscht herab das Gitter.

Ein grimmer Leu, ein wilder Stier,
Die stürzen in die Schranken,
Begegnen sich mit Kampfbegier,
Und keiner wollte wanken.

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Jezt aber faßt des Leuen Zahn
Den Ur in dem Genicke,
Und reißt ihn nieder auf den Plan,
Blut, Feu'r und Wuth im Blicke.

,,Wer ist von euch" so fragt Pipin, Und blizet durch die Reihen

Wer ist von euch so stark und kühn, Entreißt die Beut' dem Leuen ?"

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Da machen große Augen zwar
Ringsum die großen Leute;
Doch jeder bebt vor der Gefahr,
Und keiner will zum Streite.

Und wie noch Alle schweigend stehn
und an dem Kampf verzagen,
Sieht man Pipin zum Kampfplatz gehn,
Allein den Strauß zu wagen.

Er ruft den blut'gen Löwen an
Mit donnergleicher Stimme;
Der stürzt auf ihn mit Wuth heran,
Und brüllt vor wildem Grimme.

Und alles Volk sieht es mit Graus,
Pipin nur ohne Grausen;
Sein gutes Schwert zur Scheid' heraus,
Läßt's durch die Lüfte sausen,

Und schlägt den Löwen in den Bart,
Daß todt er niederstürzet;

Das war ein Schlag nach Heldenart,
Mit Heldenkraft gewürzet.

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Nun rafft der wilde Ur sich auf,
Den neuen Feind er wittert,
und rennt heran in vollem Lauf,
Daß Schrank' und Boden zittert.
Doch unser Held steht mauerfest,
Und wankt nicht von der Stelle :
Das Schwert er wieder sausen läßt,
Und schwingt's mit Bligesschnelle.

Und trifft den Schnaubenden so gut,
Dicht an des Nackens Rande
Da sprizt zum Himmel schwarzes Blut,
Das Haupt stürzt hin zum Sande.

Wie nun, ihr großen Recken ihr,
Was dünft euch von dem Kleinen?
Mag nun der Held im Kampfrevier
Euch groß genug erscheinen?

Es stehn beschämt die Spötter werth,
Gesenkt die stolzen Blicke;
Pipin steckt ein sein gutes Schwert,
Dann tritt er schnell zurücke.

Des Volkes Jubel aber füllt
Ringsum die weiten Schranken;
Empor ihn hebend auf dem Schild
Zeigt ihn der Frank dem Franken.

Als König grüßt ihn alle Welt,
Die Spötter müssen schweigen,
Und ihm, der Leu und Ur gefällt,
Demüthiglich sich beugen.

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Und Barden fingen allzumal
Vom Stier- und Löwensturze;
Pipin glänzt in der Fürstenzahl:
Groß war Pipin der Kurze.

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Roland Schildträger.
(Roland + 778)

Der König Karl saß einst zu Tisch
Zu Aachen mit den Fürsten.
Man stellte Wildpret auf und Fisch
Und ließ auch keinen dürsten;
Viel Goldgeschirr von klarem Schein,
Manch rothen, grünen Edelstein
Sah man im Saale leuchten.

Da sprach Herr Karl, der starke Held: Was soll der eitle Schimmer?

"I

Das beste Kleinod dieser Welt,

Das fehlet uns noch immer.
Dies Kleinod, hell wie Sonnenschein,
Ein Riese trägt's im Schilde sein,
Tief im Ardennerwalde.“

Graf Richard, Erzbischof Turpin,
Herr Haimon, Naims von Baiern,
Milon von Anglant, Graf Garin,
Die wollten da nicht feiern;
Sie haben Stahlgewand begehrt
Und hießen satteln ihre Pferd',
Zu reiten nach dem Riesen.

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Jung Roland, Sohn des Milon, sprach:
,,Lieb Vater! hört, ich bitte!
Vermeint ihr mich zu jung und schwach,
Daß ich mit Riesen stritte,

Doch bin ich nicht zu winzig mehr,
Euch nachzutragen euern Speer
Samt eurem guten Schilde.“

Die sechs Genossen ritten bald
Vereint nach den Ardennen;
Doch als sie kamen in den Wald,
Da thäten sie sich trennen.
Roland ritt hinterm Vater her;
Wie wohl ihm wär, des Helden Speer,
Des Helden Schild zu tragen!

Bei Sonnenschein und Mondenlicht
Streiften die kühnen Degen;
Doch fanden sie den Riesen nicht
In Felsen noch Gehegen.
Zur Mittagsstund' am vierten Tag
Der Herzog Milon schlafen lag
In einer Eiche Schatten.

Roland sah in der Ferne bald
Ein Blizen und ein Leuchten,
Davon die Strahlen in dem Wald
Die Hirsch und Reh' aufscheuchten;
Er sah, es kam von einem Schild,
Den trug ein Riese, groß und wild,
Vom Berge niedersteigend.

Roland gedacht im Herzen sein:

Was ist das für ein Schrecken!

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