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Siebenter Abschnitt.

Lehre von der Elektricität
von P. Riess.

Die nachfolgenden Erklärungen machen keinen Anspruch darauf, er

schöpfend zu sein, oder irgend theoretischen Werth zu haben. Sie sollen nur als Erläuterungen gelten von Abkürzungen, deren wir uns bedienen und die, bei der so schwankenden Terminologie der Elektricitätslehre, leicht zu Missverständnissen Anlass geben könnten.

Elektricität. Elektricität, Reibungs-, Maschinen-Elektricität, heisst die unbekannte Ursache verschiedener Wirkungen, welche die Körper in einem gewissen vorübergehenden Zustande äussern, der deshalb der elektrische Zustand genannt wird. Der Körper bringt alsdann an einem Goldblattelektrometer die Goldblättchen zum Divergiren, er zieht leichte Körper an, zeigt unter gewissen Bedingungen eigenthümliche Lichterscheinungen, lenkt eine Magnetnadel ab, erhöht die Temperatur eines dünnen Metalldrahtes u. s. w. Wir nehmen aber nur die erstgenannte Wirkung, die Divergenz des Elektrometers und die damit zusammenhängenden Erscheinungen, als das charakteristische Merkmal der Elektricität, und werden aus dem Umstande allein, dass ein Körper vorübergehend die Magnetnadel ablenkt, oder ein dem elektrischen ähnliches Licht entwickelt, oder u. s. f. nicht schliessen, dass sich derselbe im elektrischen Zustande befinde. Hiermit ist der Kreis von Arbeiten bestimmt, die der vorliegende Bericht umfasst.

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Quantität der Elektricität.

Der elektrische Zustand eines

Körpers ist vorübergehend, er kann willkührlich gesteigert und vermindert werden. Geschieht diese Steigerung oder Verminderung in einzel

nen bemerkbaren Perioden, und ist man berechtigt, jede derselben als elektrisch gleichbedeutend anzusehen, so ist die Anzahl dieser Perioden das Maass der Quantität der Electricität. Ein Körper hat die Elektricitätsmenge 3, soll also nur sagen, dass bei seinem Elektrischwerden ein gewisser Akt dreimal eingetreten ist, und dass hiernach sein el. Zustand als Summe dreier gleich grosser el. Zustände gedacht werde. Es ist gleichgültig, welche von den bei der Elektricitätserregung vorkommenden Erscheinungen in einzelnen Fällen als Einheit der Quantität zu Grunde gelegt wird; man hat sich nur zu rechtfertigen, richtig gezählt, d. h. in Bezug auf die Erregung oder Verminderung der Elektricität wirklich äquidistante Perioden gewählt zu haben. Ausser den direkten Mitteln, die elektrische Quantität zu messen, giebt es begreiflicherweise viele indirekte. Die elektrischen Wirkungen sind sämmtlich von der Elektricitätsmenge abhängig, und geben, wo das Gesetz dieser Abhängigkeit bekannt ist, das Quantum der wirksamen Elektricität durch Rechnung.

Dichtigkeit der Elektricität. Das Verhältniss der Elektriçitätsmenge zu der Oberfläche, auf der sie verbreitet ist. Bezeichnet s die Oberfläche des Körpers, der sich im elektrischen Zustande befindet, q seine Elektricitätsmenge, so ist die Dichtigkeit der Elektricität. Die bisher genauer untersuchten Wirkungen der Elektricität haben sich proportional gewissen Funktionen von gezeigt.

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Intensität, Tension, Spannung, Repulsivkraft der Elektricität. So werden einige der charakteristischen Wirkungen der Elektricität genannt, oder allgemeiner, die Funktionen der elektrischen Dichtigkeit, denen sie proportional sind. Bei dem verschiedenen Gebrauche dieser Worte ist es schwer anzugeben, welche besondere Wirkung und Funktion mit jedem von ihnen gemeint sei. In den meisten Fällen entsprechen sie oder (2)2, und nur Intensität findet sich zuweilen für eine noch unbekannte Funktion der Dichtigkeit gebraucht. Wo wir im Folgenden genöthigt sind, eins dieser mehrdeutigen Worte zu gebrauchen, soll darunter f(), eine unbestimmt gelassene Funktion der Dichtigkeit, oder die ihr proportionale elektrische Wirkung verstanden werden.

Gebundene Elektricität. Die elektrischen Wirkungen eines isolirten mit einer Elektricitäts-Art geladenen Leiters A werden wesentlich modificirt, wenn sich ein zweiter Leiter B in seiner Nähe befindet, der mit der entgegengesetzten Elektricitätsart geladen ist. Die gleichzeitige Wirkung beider Leiter kann, nach Art der Anstellung

des Versuchs, eine früher beobachtete elektrische Wirkung von A als aufgehoben, vermehrt oder vermindert erscheinen lassen. Ganz allgemein sagt man, dass die Elektricität von A oder die von B gebunden sei, wodurch eben nur die Nähe eines zweiten mit entgegengesetzter Elektricität geladenen Leiters angedeutet werden soll. Im engern Sinne, wenn der Grad der Bindung angegeben ist, bezeichnet das Wort gebunden, dass eine ganz bestimmte elektrische Wirkung von A nach bestimmter Richtung hin vermindert worden sei. Wenn von gebundener Elektricität im engeren Sinne die Rede ist, ohne Angabe der elektrischen Wirkung, auf welche die Bindung sich bezieht, so ist für dieselbe die Schlagweite der Elektricität, in bestimmter Richtung nach einem neutralen Körper hin, zu nehmen. Der Ausdruck, ein Körper A besitze eine Elektricitätsmenge q, von welcher der Theil e gebunden sei, sagt hiernach, dass durch die Nähe eines elektrisirten Leiters B, die Schlagweite der Quantität q nach einem neutralen Leiter hin, so vermindert sei, als ob sie einer Quantität q(1-c) zugehöre. Es kommt bei der gebundenen Elektricität nicht in Betracht, auf welche Weise einer der beiden Leiter elektrisch ge`worden ist.

Inducirte Elektricität. Ein isolirter neutraler Leiter, dem ein elektrischer Körper nahe steht, erscheint an zwei entgegengesetzten Enden entgegengesetzt elektrisch. Diese erregten Elektricitäten, die bei Entfernung des elektrischen Körpers wieder verschwinden, heissen inducirte (durch Vertheilung erregte) Elektricitäten. Der elektrisirte Körper und das ihm nächststehende Ende des Leiters sind ungleichnamig elektrisch; die Elektricität dieses Endes muss daher als gebunden betrachtet werden. Sie ist aber auch im engern Sinne, und zwar gänzlich gebunden, das heisst, nach der obigen Erklärung, ihre Quantität mag noch so gross sein, so ist ihre Schlagweite nach einem neutralen Körper hin die, welche der Quantität q (1-1)=0 zukommt. Man kann den Leiter mit dem Finger berühren, ohne dass diese Elektricität abgeleitet wird. Es ist dies der ganz specielle Fall, welcher der oben erwähnten Klasse von el. Erscheinungen den unpassenden Namen der gebundenen Elektricität verschafft hat, womit durchaus nicht gemeint sein konnte, dass die elektrischen Wirkungen ohne Unterschied gebunden und neutralisirt worden seien. Der Ausdruck: gebundene Electricität für: inducirte gebundene Elektricität kann an seiner Stelle weiter keine Zweideutigkeit veranlassen.

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A. Eigenschaften der Elektricität im Allgemeinen.

I. Grundgesetze der Elektricität.

Die Elektricitätslehre geht von der Abstossung und Anziehung der durch Mittheilung elektrisirten Leiter aus; sie analysirt diese Erscheinung, entwickelt ihre Gesetze und sucht aus ihnen mit gewissen Annahmen alle elektrischen Wirkungen abzuleiten. Die Annahmen sind nicht so unbestreitbar, die Ableitung ist nicht überall so einfach, als dass wir unbedingt den Versuch tadeln könnten, die bisher geltenden elektrischen Grundgesetze für einen Augenblick bei Seite zu legen und von einer andern Erscheinung ausgehend, sie durch neue zu ersetzen. Aber ein solcher Versuch, wenn er von Werth sein sollte, müsste mit Klarheit und Consequenz durchgeführt sein, er könnte bekannte Hypothesen, aber nicht bekannte Thatsachen ignoriren, er dürfte keine Hypothesen aufstellen, die grössere Widersprüche herbeiführen, als die sind, welche er zu umgehen beabsichtigt. Diesen Anforderungen wird keinesweges genügt in einer Abhandlung von Snow Harris 1), die nicht undeutlich prätendirt, die Elektricität auf eine leichtere Art, als bisher geschehen, unter die Herrschaft der Analysis zu bringen. Der Verfasser stellt die am längsten beobachtete Erscheinung, dass ein elektrisirter Körper einen neutralen Leiter anzieht, an die Spitze und betrachtet sie als die einfachste, indem er von der inducirten gebundenen Elektricität des Leiters gänzlich abstrahirt. Die inducirte Elektricität des angezogenen Körpers ist aber ein eben so unbestreitbares Factum, als die Electricität des anziehenden; die neuen Grundgesetze, mit Beachtung dieser Electricität gedeutet, sind durchaus nicht so einfach, als sie erscheinen, und die Versuche aus welchen sie abgeleitet sind, bleiben nur als specielle Fälle stehen, die als solche von geringem Interesse sind. Wir gehen, der angedeuteten Tendenz wegen, die Abhandlung als Ganzes genommen, durch; obgleich sie, nach Fortlassung des meistentheils sehr unklaren Raisonnements, nur als ein Convolut der verschiedenartigsten elektrischen Experimente erscheint, die ohne Nachtheil hätten vereinzelt werden können.

Messende Instrumente. Das von Harris angegebene Elektroskop hat bei einem complicirten Bau vor den zu gleichem Zwecke gebräuchlichen Instrumenten den nicht wesentlichen Vorzug, gegen den Horizont beliebig geneigt werden zu können. Wir lassen es füglich

1) Philos. transact. f. 1834. pag. 213.

unbeschrieben, da es auch sonst keinen Einfluss auf die Darstellung des Verfassers hat. Anders ist es mit seinen Elektrometern. Harris nennt die Anziehung zwischen einem elektrisirten Leiter und einem nicht isolirten Leiter elektrische Intensität, und misst diese durch das Gewicht, das jene Anziehung aufwiegt. Er gebraucht hierzu eine gewöhnliche feine Wage und eine eigens construirte hydrostatische, welche letztere vorzugsweise als Elektrometer bezeichnet wird. Beide Instrumente machen die Anwendung der grossen unsymmetrischen Leiter nothwendig, dié in Taf. I. Fig. 1 abgebildet sind. a und b sind hölzerne mit Goldblatt überzogene Scheiben von 2 Zoll Durchmesser, auf der Rückseite mit hohen Kegeln versehen; b trägt seitlich die Zuleitung c und ist isolirt auf einer vertical stehenden Schraube befestigt, durch welche die Entfernung der beiden Scheiben bestimmt werden kann. Bei der gewöhnlichen Wage ist die Scheibe a mittelst eines feinen Silberdrahts an dem einen Arme des metallenen Wagebalkens aufgehängt, dessen gleichfalls metallenes Lager durch einen Draht mit der Erde verbunden wird. Erhält die feste Scheibe b Elektricität von dem Innern einer leydener Flasche, so wird der letztgenannte Draht mit der äussern Belegung derselben verbunden.

Am Elektrometer dient ein ähnlicher Apparat Fig. 1. Der Silberdraht der Scheibe a ist an der Peripherie eines metallenen Rades befestigt, das um eine horizontale, auf Friktionsrädern ruhende Axe sehr leicht beweglich ist. An der andern Seite der Peripherie trägt das Rad an einem Silberdraht einen hohlen hölzernen Cylinder, der zum Theil in ein Gefäss mit Wasser taucht und mit Schrot beschwert wird, bis der Zeiger an der Axe des Rades auf Null zeigt. Der Apparat ist dann nur in dieser Lage im Gleichgewicht, bei einer Drehung des Rades taucht das Gegengewicht weniger ins Wasser, und die Gewichte sind nicht mehr zu beiden Seiten des Rades gleich. Rückt der Zeiger um 1o, so entspricht dies einer Gewichtsvermehrung von 0,2 Gran und einer Senkung der Scheibe von 0,01 Zoll. Die Friktions räder, und daher auch die Scheibe a, stehen metallisch mit der Erde in Verbindung.

Abgesehen von der Ansicht, die diesen Instrumenten zu Grunde liegt, lässt es sich bezweifeln, dass sie zur Wägung der elektrischen Anziehung hinlänglich fein wären. Die numerischen Werthe, die der Verf. mit ihnen gewonnen haben will, sind der Art, dass wir es uns nicht versagen können, ihre Uebereinstimmung bei jeder Tabelle durch eine hinzugefügte letzte Spalte deutlicher herauszustellen.

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