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von ihm in der anerkennendsten Weise.32) Er war ein leidenschaftlicher, heftiger Mensch, der in der schärfsten Weise an anderen Kritik übte.33) Diesen derben polemischen Ton erkennt man in der Darstellung Ciceros wieder; wenn denselben Philodemus vermieden hat, so wird diese Verschiedenheit einerseits ihren Grund in den verschiedenen Zwecken haben, den beide mit ihrer Skizze verfolgten, andererseits in dem milden und versöhnlichen Charakter des Philodemus, der sich nur an das Sachliche hielt, dagegen alles Polemische bei Seite ließ. Außerdem mag Cicero viel dazu beigetragen haben, durch mancherlei falsche Auffassungen der Lehren der griechischen Philosophen den polemischen Ton noch gehässiger zu gestalten. Daß Philodemus in theologischen Fragen den Zeno ebenfalls als Autorität gelten ließ, zeigt sowohl der Titel eines Werkes περὶ τῶν θεῶν εὐστοχουμένης διαγωγῆς κατὰ Zývava, von dem noch Bruchstücke erhalten sind (Vol. Herc. VI Neapel 1839), als auch der Umstand, daß er sich in dem Fragment Teol Evoεßeías auf Zeno beruft (Philod. ed. Gomperz p. 118 Z. 18). Ist so für den historischen Teil des epikureischen Vortrags ein ziemlich festes Resultat gewonnen, so hindert nichts auch den dogmatischen auf dieselbe Quelle zurückzuführen, da man nur dann berechtigt ist, einen Wechsel der Quellen anzunehmen, wenn gewichtige Gründe dazu nötigen, was hier nicht der Fall ist. Im Gegenteil weist auch in diesem Teile verschiedenes auf Zeno als den Gewährsmann Ciceros hin.34) Es bleibt demnach noch der erste Abschnitt der Darstellung des Velleius übrig, die Polemik gegen Plato und die Stoiker, die zweifelsohne ebenfalls aus einer griechischen Quelle geflossen ist. Von dem ungeschickten Übergange vom ersten zum zweiten Teile: Atque haec quidem vestra, Lucili. Qualia vero alia sint, ab ultimo repetam superiorum (§ 25) kann kein Schluß auf einen Wechsel der Quelle gemacht werden, da derselbe auf mangelhafter Überlieferung beruht (S. d. Anmerk. z. d. St.); dagegen sprechen andere Gründe gegen die Annahme, daß alle drei Abschnitte aus einer Quelle geflossen sind. Daß ein und derselbe griechische Schriftsteller die Stoiker erst im allgemeinen und dann im besonderen, den Plato aber doppelt kritisiert haben sollte, wobei Wiederholungen, wie wir sie bei Cicero finden, unvermeidlich waren, ist unwahrscheinlich. Im ersten Abschnitte wird die Gottheit der Stoiker vorzüglich aufgefaßt als лóvoia (§ 18), im dritten dagegen als

32) de nat. deor. I, 59. Tusc. Ill, 38. 33) de nat. deor. I, 93. 34) Hirzel, Untersuchungen zu Ciceros philos. Schriften I, Leipzig 1877 p. 25 flg.

εíμaquévη (§ 55), eine Differenz, die mehr auf Verschiedenheit als auf Gleichheit der Quellen schließen läßt. Fragt man daher, wer für den ersten Abschnitt der Rede des Velleius der Gewährsmann Ciceros gewesen sein mag, so liegt, wenn man bedenkt, daß Cicero in dem oben erwähnten Briefe an Atticus diesen um Übersendung von Phädrus' Schrift лɛì Dev bittet, die Vermutung nahe, daß er für diesen Abschnitt den Epikureer Phädrus zu Rate gezogen habe. Cicero hatte ihn in Athen gehört (de fin. I, 16) und ihn schon vorher während seines Aufenthaltes in Rom schätzen gelernt (ad fam. XIII, 1,2). Die ehrende Art, wie er von ihm spricht (de nat. deor. I, 93), macht es um so wahrscheinlicher, daß er bei der Behandlung desselben Stoffes dessen Buch, in welchem er vorzüglich gegen die stoische лóvoa polemisiert zu haben scheint, eingesehen habe.35)

Der zweite Hauptabschnitt des ersten Buches, die Kritik der epikureischen Lehre, ist zurückzuführen auf Posidonius.36) Dieser, geboren zu Apamea in Syrien um 135 v. Chr., war nach dem Tode des Panaetius, dessen Schüler er war, der Hauptvertreter der Stoa (omnium maximus Stoicorum Cic. fragmm. ed. Orelli p. 482), der für die Verbreitung der stoischen Philosophie unter den Römern von dem größten Einfluß gewesen ist. Cicero hörte ihn in Rhodus, wo er sich meistens aufhielt, später wechselte er Briefe mit ihm und rühmte sich seiner Freundschaft. Er war ein sehr fruchtbarer Schriftsteller, von seinen Werken sind jedoch nur Fragmente erhalten. In der Philosophie zeigte er eine offenbare Vorliebe für Plato und Aristoteles, an deren Ansichten er, in manchen Punkten von dem altstoischen System abweichend, sich anschloß. Bewundernswert ist an ihm besonders seine umfassende Gelehrsamkeit, er zeichnete sich aus durch eine Fülle mathematischen, historischen, geographischen Wissens und naturwissenschaftlicher Kenntnisse. Dieser Posidonius ist der Verfasser eines Werkes лɛì dev (Diog. Laert. VII, 138; 148). Dasselbe bestand mutmaßlich aus fünf Büchern, das fünfte Buch citiert Cicero I, 123. Aus dem Citate geht hervor, daß Posidonius in diesem Buche die Lehren anderer Philosophen und besonders die Epikurs widerlegte. Obgleich bei Cicero ein Akademiker spricht, so ist doch der Grundton des Vortrages des Cotta stoisch (vgl. d. Anmerk. zu §§ 87; 92; 96; 100; 103; 104; 121); zwar sind hier und da Bemerkungen eingestreut, die im Sinne eines Neuakademikers ge

35) s. Schiche a. a. O. p. 378, während Schwenke für Zeno als Ciceros Quelle auch hier eintritt. 36) Vgl. Schwenke a. a. O. p. 57 flg.

sprochen sind, dieselben verraten jedoch deutlich die Absicht Ciceros, dem Vortrage eine dem Charakter des Redenden entsprechende Färbung zu geben.

Und wie der letzte Teil des ersten, so ist das ganze 20 zweite Buch Ciceros demselben Werke des Posidonius entlehnt. Es ist natürlich, daß, wenn er dessen Buch sogar für die Entgegnung des Neuakademikers benutzte, er aus demselben da, wo es sich um einen rein stoischen Vortrag handelte, um so lieber seine Wissenschaft entnahm. Der Stoiker Balbus teilt seinen Vortrag in vier Teile (II, 3), entsprechend den vier ersten Büchern der Schrift des Posidonius. Aus Diogenes Laertius a. a. O. wissen wir, daß Posidonius im ersten Buche bewiesen hatte, daß die Welt und die Gestirne Gott seien: derselbe Nachweis macht im großen und ganzen den Inhalt des ersten Teiles des stoischen Vortrags bei Cicero aus (§ 18-44). Das dritte Buch des Posidonius handelte von der göttlichen Vorsehung, κόσμον διοικεῖσθαι κατὰ νοῦν καὶ πρόνοιαν (Diog. Laert. VII, 138), gleich dem dritten Teile der Ciceronianischen Disposition, mundum ab iis administrari, so daß der Schluß berechtigt erscheint, daß auch das zweite und vierte Buch sich dem Inhalte nach mit dem zweiten und vierten Teile der Darstellung Ciceros deckten. Und wie die allgemeine Anlage, so weisen eine ganze Reihe speciell von Posidonius vertretener Ansichten, die uns im zweiten Buche begegnen, auf diesen als den Gewährsmann Ciceros hin.37) Eine Fülle des mannigfaltigsten Wissens ist in demselben aufgespeichert, keiner aber von den Stoikern, weder von den jüngeren, noch von den älteren, verfügte über so umfassende Kenntnisse auf allen Gebieten menschlichen Wissens, Posidonius. Die Stoiker pflegten ihre Ansichten in gedrängter, knapper, syllogistischer Form zu entwickeln; von Posidonius berichtet Strabo III, 2,9, daß er einer rhetorischen Darstellung nicht abgeneigt gewesen sei. Es ist selbstverständlich, daß Cicero dem Stile des letzteren den Vorzug gab, und wenn er II, 20 sagt, daß er sich über die Philosophie der Stoiker uberius et fusius äußern wolle, so hatte sicher auch seine Vorlage diese Eigentümlichkeit des Stiles aufzuweisen.

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Dem dritten Buche, den Ausführungen Cottas, die gegen 21 die stoische Theologie gerichtet sind, liegt eine akademische Quelle zu Grunde. Auf Karneades, den eigentlichen Begründer der neueren Akademie (213-129 v. Chr.), beruft sich Cicero an mehreren Stellen des dritten Buches. Er galt ihm,

37) S. die Anmerkungen z. Buch II. Vgl. Mayor's Ausgabe p. XVIIIfg. Schwenke a. a. O. p. 129 flg.

CICERO, DE NATURA DEORUM.

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dem Anhänger der neueren Akademie, als höchste Autorität. Von Karneades steht fest, daß er seine Polemik besonders gegen die Stoiker richtete ;38) da er jedoch nichts Schriftliches hinterlassen hat, so ist eine direkte Benutzung desselben durch Cicero ausgeschlossen. Die Ansichten desselben hat sein Schüler und Nachfolger in der Leitung der Akademie, der Karthager Klitomachus, in zahlreichen Schriften überliefert. Cicero hält ihn für die Hauptquelle der Lehre des Karneades,39) und schreibt ihm in diesen Dingen größere Glaubwürdigkeit zu, als selbst seinem Lehrer Philo.40) Klitomachus besaß eine gründliche Kenntnis der stoischen Philosophie, nichts ist deshalb natürlicher, als daß Cicero eine seiner Schriften, die gegen den Stoicismus gerichtet waren, für das dritte Buch benutzte. III, 91 wird der Zerstörung Karthagos in einer Weise Erwähnung gethan, wie sich nimmermehr ein Römer über dieselbe geäußert haben würde. Wenn dort voller Mitgefühl Karthago und Korinth die beiden Augensterne des Mittelmeeres genannt werden, große und herrliche Städte, welche die Götter hätten retten müssen, so hören wir den Karthager reden, dessen Gedanken Cicero unpassender Weise dem Römer in den Mund legt.41)

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22 Haben wir so die Epikureer Zeno und Phaedrus, den Stoiker Posidonius und den Neuakademiker Klitomachus als die Gewährsmänner Ciceros erkannt, so entsteht die Frage, in welcher Weise derselbe diese Quellen benutzt hat. Zunächst steht fest, daß man sich die Thätigkeit Ciceros nicht als eine bloße wörtliche Übersetzung des griechischen Originals zu denken hat. Wir können in diesen Dingen seiner eignen Versicherung vollkommen Glauben schenken, wenn fin. 1,6 sagt: non interpretum fungimur munere, sed tuemur ea, quae dicta sunt ab iis, quos probamus, eisque nostrum iudicium et nostrum scribendi ordinem adiungimus (vgl. auch d. off. I, 6). Es kommen in der Schrift Ciceros eine ganze Reihe Fehler in der Disposition, in der Anordnung, in der Gedankenentwicklung und Beweisführung vor, von denen sicher das griechische Original frei war und die auch von Cicero. vermieden worden wären, wenn er sich auf eine wörtliche Übersetzung beschränkt hätte. Eine solche ist von herein da ausgeschlossen, wo er, wie im dritten Buche, die Ansichten eines Redners, der sich an eine jüngere Quelle (Posidonius) anschließt, widerlegt, unter Benutzung einer älteren Quelle (Klitomachus). Cicero hat also seine griechischen Gewährsmänner in freierer Weise benutzt, er excerpiert

38) de nat. deor. I, 4. II, 162. de div. I, 7. 40) Acad. II, 78. 41) Vgl. Hirzel a. a. O. p. 243.

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ihre Schriften, kürzt da, wo es ihm gut scheint, ordnet nach eignem Gutdünken den Stoff, modificiert entsprechend dem Charakter der redenden Personen, unternimmt selbständig die Widerlegung einer ausgesprochenen Ansicht, macht unabhängig von der Quelle aus dem Schatze seines Wissens Zusätze und sucht durch Beispiele aus der römischen Geschichte und den römischen Altertümern und durch Citate aus den nationalen Dichtern seine Darstellung zu beleben, während er andere größere Partien, insbesondere solche, welche die bloße Darstellung philosophischer Dogmen enthielten, wörtlich aus dem Original übertrug. Wenn bei diesem Verfahren mancherlei Fehler und Versehen mit unterliefen, wenn sich Cicero eine große Anzahl Flüchtigkeiten zu Schulden kommen ließ, wenn der Dialog nicht immer zweckentsprechend gearbeitet ist, wenn er manche Stellen des Originals gar nicht oder nur mangelhaft verstand, so findet dies einigermaßen Entschuldigung sowohl in der Schwierigkeit des behandelten Gegenstandes, als auch in der unglaublichen Schnelligkeit, mit der er arbeitete. Sind doch die meisten seiner philosophischen Schriften, de finibus bonorum et malorum, Academica, Tusculanae disputationes, de natura deorum, de divinatione, de fato, Cato maior, Laelius, de officiis, ferner die nur fragmentarisch erhaltenen oder gänzlich verloren gegangenen, de consolatione, Hortensius, Timaeus, de gloria, de virtutibus in dem kurzen Zeitraume von zwei Jahren, 45 und 44, abgefaßt worden. Ist so diese Schrift Ciceros auch nicht frei von Fehlern und Mängeln, so bleibt dieselbe doch von der größten Bedeutung und beansprucht das höchste Interesse, da sie "das zugänglichste und vollständigste der auf uns gekommenen Denkmale der antiken Religionsphilosophie ist", welches uns Aufschluß darüber giebt, wie die griechischen Denker die wichtigste und schwierigste aller Fragen, die nach dem Wesen Gottes und dem Verhältnis der Menschen zu demselben, beantwortet haben.

Die Bücher de natura deorum sind in zahlreichen Hand- 23 schriften überliefert, welche sämtlich, wie einerseits die allen gemeinsamen Lücken namentlich des dritten Buches, andererseits die in allen sich gleichmäßig findenden Interpolationen beweisen, auf einen einzigen Archetypus zurückgehen. Der Wert dieser Handschriften ist jedoch sehr verschieden, die meisten von ihnen stammen aus dem XIV. und XV. Jahrhundert und sind, da das, was sie abweichend von den älteren Handschriften an besseren Lesarten bieten, auf Konjekturen zeitgenössischer Humanisten beruht, für die Konstituierung des Textes ohne Bedeutung. Dieser gründet sich vorzüglich auf folgende Handschriften: Leid. 84 (A), Leid. 86 (B), Vindob. (V), Laurentianus 257, Leid. 118 (H), Palatinus 1519 und

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