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gestattet, dieselben in jedem einzelnen Falle besonders zu nennen. Hirzel, Untersuchungen zu Cic. philosophischen Schriften I. Leipzig 1877. Schwenke, Fleckeis. Jahrb. 1879 p. 49flg. und p. 129 flg.; ebendas. 1882 p. 613flg. Ebenderselbe in Bursians Jahresb. 1883 p. 74flg. und in der Philol. Rundschau 1885 p. 268, gelegentlich der Besprechung der Mayorschen Ausgabe. Schiche, in den Jahresberichten des philologischen Vereins, Berlin VI p. 341 flg. J. Müller, Göttinger gel. Anz. 1882 p. 1361flg, gelegentlich der Besprechung der Mayorschen Ausgabe. Vahlen, Zeitschr. für österr. Gymnasien 1873 p. 241flg. Degenhart, Aschaffenburg 1881. Forchhammer, Nordisk Tidskrift for Filologi, Copenhagen 1880 p. 23 flg. Diels, Doxographi Graeci, Berlin 1879 p. 531flg. Brieger, Posen 1873. Lengnick, Halle 1871. Heidtmann, Neustettin 1858. Friedrich, Fleckeis. Jahrb. 1883 p. 421flg. Stamm, Breslau 1873. Deiter, Berl. Phil. Wochenschr. 1886 p. 237. Zuletzt sei noch das Progamm von Lüttgert, Lingen 1885, erwähnt, welcher mit beredten Worten die Lektüre dieser Ciceronianischen Schrift in der Prima unserer Gymnasien empfiehlt und die Berechtigung seiner Forderung überzeugend nachweist.

Glogau, im Februar 1887.

A. Goethe.

EINLEITUNG.

Die Religion der Römer ist, wie die der Griechen, in 1 ihren ältesten Grundlagen Naturreligion gewesen. Aus einer symbolischen und allegorischen Naturanschauung entstanden bei beiden Völkern die ihnen eigentümlichen religiösen Vorstellungen. Diese mußten aber trotz der gemeinsamen Quelle bei der nationalen Verschiedenheit der Griechen und Römer eine im einzelnen durchaus verschiedene Gestaltung annehmen, denn keinen treueren Ausdruck der inneren Eigentümlichkeit eines Volkes giebt es, wie seine Religion. Die geistige Beweglichkeit des Hellenen, seine lebhafte Phantasie, seine leicht erregbare Sinnlichkeit, der Drang nach schöner Gestaltung des Gedankens, die Lust sowohl wie das Geschick zu Fabulieren schufen jene Fülle idealer Göttergestalten, die den Olymp bevölkerten. Eine ganz andere Form erhielt dagegen der Gegenstand religiöser Verehrung bei den Römern, die bei ihrem nüchternen Verstande, bei ihrem ernsten und gemessenen Wesen, bei der Richtung ihres Geistes auf das Praktische und Zweckmäßige einer idealisierenden Auffassung der Dinge vollständig abhold waren. Ihre Götter sind zwar auch Personifikationen der in der Natur und im Menschenleben waltenden Mächte, aber dieselben sind ausschließlich Erzeugnisse des reflektierenden Verstandes, Gestalten, die bloß der Idee als solcher zur Folie dienen und die deshalb nicht bloß alles künstlerischen Schmuckes entbehrten, sondern in der ältesten Zeit nicht einmal plastisch dargestellt wurden.1) Während für den Griechen alles in der Natur eine konkrete Gestaltung annahm, während seine dichtende Phantasie diese Gestalten nach menschlicher Analogie in eine innige Wechselwirkung zu einander setzte, kam der Römer nicht über die nackten, abstrakten Begriffe, die er zu Göttern erhob, hinaus. Seine Minerva ist, wie schon der Name sagt (s. z. II, 67), nichts als eine Abstraktion des denkenden Verstandes, sein Mars nichts als eine Personifizierung des Begriffes männlicher That

1) August. de civ. d. 4, 31: Dicit etiam (Varro) antiquos Romanos plus annos centum et septuaginta deos sine simulacro coluisse.

CICERO, DE NATURA DEORUM.

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kraft. Götter solcher Art sucht man sich nicht menschlich nahe zu führen, und so weiß auch der Römer nichts von ihrer Abstammung, ihrer Verwandtschaft, ihren Thaten zn erzählen, sondern, gleichsam in nebelige Ferne entrückt, erscheint ihr trübes Bild der frommen Phantasie.

2 Je weniger greifbar und individualisiert aber diese Göttergestalten waren, je weniger man bei der ausgesprochenen Abneigung gegen spekulative Untersuchungen ihr Wesen und ihre Natur zu erforschen sich bemühte, mit um so größerer Scheu und desto frömmerer Verehrung pflegte man sich ihnen zu nahen. Denn da man ihre Macht in dem Walten der Natur täglich zu beobachten Gelegenheit hatte, da man sich überall von unsichtbaren höheren Wesen umgeben sah, welchen der Mensch unterworfen ist und welche ihm in jedem Augenblicke verhängnisvoll werden können, so galt es durch eine pünktliche und peinliche Befolgung der religiösen Gebräuche und Vorschriften die Neigung der Götter zu gewinnen. War man doch überzeugt, daß von ihnen alle Wünsche der Menschen erfüllt würden, wenn dieser seinerseits es in dem Verkehr mit den Göttern an nichts fehlen lasse, ein Verkehr, der nach der praktisch-materiellen Auffassung der Römer auf Leistung und Gegenleistung beruhte. Indem man so den Gottesdienst in die äußere Handlung, nicht in das Innere des Herzens verlegte, mußte ein komplicierter Cerimonialdienst entstehen, der die genaue Befolgung des vorgeschriebenen Rituals dem Gläubigen zur Pflicht machte und die Wirksamkeit des Gottesdienstes von der Anwendung bestimmt formulierter Gebete und genau fixierter Kultushandlungen abhängig sein ließ. Strengste Ordnung und Gesetzmäßigkeit, zähes Festhalten an der äußeren Form, die alle national-römischen Schöpfungen charakterisiert, finden wir auch in der Religion wieder; jede Unregelmässigkeit in der Ausführung der heiligen Handlung, jede Unterlassung, jeder Verstoß gegen die vorgeschriebene Form kann den ganzen Akt nichtig oder unheilbringend machen.2) Deshalb wird nichts der Willkür und dem Belieben des Einzelnen überlassen, und da die Gefahr nahe liegt, daß durch die Verletzung der Götter das ganze Gemeinwesen Schaden leide, so übernimmt der Staat die Aufsicht über die religiöse Verehrung, derselbe schreibt bis ins einzelnste das Ritual vor und kommt darin den Wünschen der Gemeinde entgegen, die in ihrem frommen Sinne und durchdrungen von dem lebendigen Gefühle steter Abhängigkeit von der Gottheit, von dem eifrigsten Streben erfüllt ist, allen ihren Verpflich

2) Vgl. Zeller, Religion und Philosophie bei den Römern, Berlin 1872. p. 11.

tungen gegen die Götter des Staates gewissenhaft nachzukommen. Da diese durch allerlei Zeichen und Wunder ihren Willen zu erkennen geben, diese Offenbarungen aber der menschlichen Deutung bedürfen, so erwuchs für den Staat besonders die Aufgabe, durch eine bis in das kleinste Detail ausgearbeitete Cerimonialgesetzgebung festzustellen, was die Zeichen in jedem einzelnen Falle bedeuteten und auf welche Weise dem Willen der Götter Genüge geschehe.

Diese ursprünglichen Ansichten der Römer über ihre 3 Götter und das Verhältnis der Menschen zu denselben wurden zwar früh schon wesentlich beeinflußt, als zur Zeit der Tarquinier hellenische und etruskische Elemente in die römische Religion eindrangen,3) eine vollständige Umgestaltung jedoch haben dieselben dadurch nicht erfahren. Die Etrusker lehrten die Römer kunstvolle Tempel erbauen und ihre Götter in menschlicher Gestalt zu bilden, die Tarquinier waren die ersten, die den höchsten Göttern Jupiter, Juno und Minerva auf dem Kapitol einen gemeinsamen Tempel erbauten und ihn mit etruskischer Kunst ausschmückten. Durch die Etrusker erfuhr ferner die divinatio der Römer, jene so bedeutungsvolle Wissenschaft, aus der Beobachtung bestimmter Zeichen den Willen der Götter zu erkennen, durch eine neue Disciplin, die Haruspicin, die Lehre von der Eingeweideschau, der Blitzsühne und der Prokuration der Prodigien eine wesentliche Bereicherung. Wichtiger noch ist der Einfluß gewesen, den die Griechen in jener Zeit auf die Religion der Römer ausgeübt haben; eine Reihe der wichtigsten Kulte übernahmen die Römer von diesen, so vor allen Dingen den Kult des Apollo, mit dem die Einführung der sibyllinischen Orakel, die in dem römischen Staatsleben eine so wichtige Rolle spielten, eng zusammenhängt. Obgleich aber neben Apollo auch noch andere hellenische Götter, wie Demeter, Hermes, Herakles in den römischen Götterkreis aufgenommen wurden, so steht doch als wichtige Thatsache fest, daß der ursprüngliche römische Kultus durch die Einführung dieser fremden Elemente keine Störung erlitt, sondern daß das Fremde dem Nationalen angepaßt und, wenn es nötig war, so umgestaltet wurde, daß die Staatsreligion dabei nicht zu Schaden kam. Im Gegenteil fest und unwandelbar trotzt das wohlbegründete Gebäude der religio civilis fast drei Jahrhunderte lang nach der Gründung der Republik allen Stürmen der Zeit, das Volk behielt seinen naiven, frommen Glauben und der Staat, der in der Erregung religiöser Bedenken ein wohlfeiles Mittel sah, die abergläubische Menge

3) Vgl. Preller, Römische Myth. I3 p. 11 flg. u. Marquardt, Römische Staatsverwalt. III p. 37 flg.

in Schranken zu halten, hatte alles Interesse daran, durch die von ihm bestellten Priester, welche die vorschriftsmäßige Ausführung der gottesdienstlichen Gebräuche überwachten, für die Erhaltung derselben Sorge zu tragen. Deshalb ist es keine Übertreibung, wenn Cicero und Sallust1) ihr Volk als das frömmste von allen rühmen, wenn man eben unter Frömmigkeit nichts anderes als gewissenhaften Kult der Götter versteht, und es ist nach dem Gesagten leicht erklärlich, wie die Römer von der festen Überzeugung durchdrungen sein konnten, daß um diese ihrer Frömmigkeit willen die Götter ihren Staat groß und mächtig gemacht hätten.5)

4 Hatte sich aber diese innige Frömmigkeit bei den Römern auch verhältnismäßig lange erhalten, und hatte die Staatsreligion selbst dadurch, daß die Plebejer die Zulassung zu den Priesterämtern durchgesetzt hatten, keine wesentliche Einbuße erlitten, so lag doch in der äußerlichen Auffassung des Wesens der Religion, welche das Schwergewicht auf eine mechanische Observanz und pharisäische Gesetzlichkeit legte, nicht aber auf die Vertiefung des Geistes in Gott, die Hauptursache ihres Verfalles. Es war in der natürlichen Entwicklung der Dinge begründet, daß der Gottesdienst immer weitschichtiger, immer formelhafter wurde, man ging zuletzt so weit, daß ein einziges Opfer, weil immer und immer wieder Fehler gegen den Ritus dabei vorgekommen waren, dreißig Mal wiederholt wurde, eine Übertreibung der Gewissenhaftigkeit, die notwendig Gleichgültigkeit und Unglauben erzeugen mußte.") So ist es ein bedenkliches Zeichen der Zeit, wenn L. Junius Pullus im ersten punischen Kriege gegen die Auspicien abzusegeln wagt und sein Kollege P. Claudius Pulcher mit diesen sogar gotteslästerlichen Spott treibt.) Unter diesen Umständen bedurfte es nur eines kraftvollen äußeren Anstoßes und das künstlich aufgeführte Gebäude der römischen Religion geriet ins Wanken. Dieser Anstoß kam von Griechenland. 5 Durch die Bekanntschaft mit der griechischen Kunst und Litteratur, welche ungefähr um die Mitte des dritten Jahrhunderts v. Chr. erfolgte, wurde den Römern plötzlich eine neue Welt eröffnet, ihr Gesichtskreis erweitert, die schlummernden Geisteskräfte geweckt, dabei aber zugleich auch das altrömische Wesen untergraben und der Glaube des Volkes an die alten Götter gefährdet. Nach der Besiegung Hannibals,

4) Cic. de nat. deor. II, 8. Sall. Cat. 12: Nostri maiores, religiosissimi mortales. 5) Livius 44, 1: favere enim pietati fideique deos, per quae populus Romanus ad tantum fastigii venerit. Cic. de harusp. resp. 19: pietate ac religione atque hac una sapientia, quod deorum numine omnia regi gubernarique perspeximus, omnes gentes nationesque superavimus. — 6) Vgl. Mommsen, Röm. Gesch. I p. 863. 7) de nat. deor. II, 7.

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