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in sich, mit allen anderen, mit Gott und der Welt, das Höchste sey, wer dürfte, wer wollte dies läugnen? denn, wie das Göttliche vereinigt, so ist das Vereinigende auch das Göttliche. Was bereitet aber die Einigkeit vor, wenn nicht das freieste Denken, das freieste Wollen, die freieste Liebe? Kann aber die Freiheit des Denkens mit dem Dogmenzwang und dem blinden Verdammen alles Håretischen, kann die Freiheit des Willens mit der Unents behrlichkeit äusserlicher Vermittlungen, kann die Freiz heit des Herzens mit dem Bewußtseyn unzähliger ewig Verdammter sich vertragen? Daher sehen wir denn auch, daß fast alle Zerwürfnisse, Spaltungen, Absonderungen und Feindschaften der christlichen Kirche in sich selbst von Anfang her in den angege benen drei Momenten ihren Ursprung und ihre Rechts fertigung gefunden haben. Wir sehen, daß alles dass jenige, was von den Katholiken als Ursache des Zerfalles ihrer Kirche angegeben und der überhandnehmenden Herrschaft des Teufels zugeschrieben wird 1), in seinem legten Grunde aus jenen drei Punkten ent

1) So erklärt sich z. B. das Mémorial Cathol Paris, 1824. (I. p. 75.): „Maintenant que les suppots de Satan se servent de tous les moyens pour corrompre et détruire etc.,“ und,,le venin est universellement répandu, l'enfer a réussi à se glisser jusque dans les préfaces nouvelles des saintes écritures," und pag. 94: „L'église de Satan a ses schismes comme celle de Dieu etc." Doch schon die Indik tionsbulle des Concil. Trident. klagte (ao. 1542.) : ,,Videntes, rem christianam quotidie in pejus ruere," "und Clemens VII. (ao. 1595. de libr. prohib.): „Cum Satanae astutia in (noxiorum) librorum editione nova in dies mala crescerent."

springt. Denn, wie in der alten Zeit das jüdische Bolk) von seiner Entstehung an, so lange ihm die Macht zu Gebote stand, seine Nachbarvölker nur bes fimpfte, und, wo möglich, vernichtete, dann — sich dem, in der Geschichte aufgehenden Lichte, widers segte, und, um fortzubestehen, sich theils an den Buchstaben des vererbten Geseges festklammerte, theils durch beschränkte, überkünstelte Deutungen dess selben im Talmud 2) sich petrifizirte, und dies semnach seine Religion fast gånzlich veräusserte, bis es erst, nach schmählichster Erniedrigung, von dem allgewaltigen Geiste der neuesten Zeit von aussenher gleichsam infizirt und in die allgemeine Wieders auferstehung hineingezogen zu werden anfängt, - fo wiederholte diese Erscheinung sich in einem höheren Elemente und auf höhere Weise in der mittleren Zeit.

Die römisch-katholische Kirche, als solche 3), ges staltete sich zwar zunächst auf positive Weise durch

1) Einen älteren Vergleichungspunkt bietet die Geschichte der brahminischen, einen neueren die der mahomedanischen Religion.

2) Die förmliche Gestaltung desselben fällt zwar chronologisch in die neue Zeit, materiell aber gehört sie noch ganz der alten an. 3) Die katholische Kirche beginnt in ihrer spezifischen, d. h. ausschließenden, sich besondernden, Eigenthümlichkeit erst mit dem Nizänischen Conzilium, auf welchem die Arianer verdammt und damit zu Bildung einer eignen Kirche genöthigt wurden, welche sich damit begnügen zu können glaubte, Chriftus als das edelste, vollkommenste Geschöpf Gottes zu verehren; eine Ansicht, durch welche der Schöpfer verherrlicht, die Menschheit geadelt, Christus erhöht, und der Mensch zu seiner Nachfolge ermuthigt und erkräftigt wird. In der katholischen Kirche heißt es dagegen noch im I. 1825 (wie im I. 325),Chriftus litt und duldete als Gottmensch: auf ihn können wir nur in dieser Hinsicht mit heiliger Ehrfurcht und Scheu hinblicken, ohne je

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theilweise Befriedigung der ephemeren Bedürfnisse derjenigen Völker, welche sie umfaßte; dann aber auch durch immer sich wiederholende Negation der Ves dürfnisse sowohl der wirklich aus ihr heraustretenden Völker, als der in ihr selbst und durch sie ausgeschlossenen Individuen und Sekten. Sie breitete, jenes Negirens ungeachtet, sich aus, so lange das Ponirende und wirklich durch sie Gewährte in ihr noch überwog, so lange noch Völker vorhan= den waren, welchen das Zugestandene und Gesezte ein höheres war, als das, was sie schon besaßen. Sie erhielt sich gegen fortwährend sich vers vielfältigende und wachsende Sektirungen, so lange jenes Negiren noch nicht bis auf die edelsten, das höhere Leben bedingenden, Organe und Funktionen gedrungen 1), und zugleich noch immer von produktiver 2) Thätigkeit begleitet war.

ben Gedanken in uns aufkommen zu lassen, Ihm auch nur in Einem Stücke von fern gleich zu kommen; die Heiligen aber können wir erreichen, denn auch sie waren Menschen 2c.// E. Herzog in den Erläut. zu den Brief. des h. Clemens und Po= lykarp. Breslau, 1825. S: 165.

1) Eine solche klare positive Negation war namentlich die Bulle in coena Domini (s. Beilage n. IV.), so wie die Bulle Unigenitus und die stillschweigende Beigerung des Papstes, ein Conzilium zur Lösung der Apellation der französischen Bischöfe zu berufen (f. die Beilagen n. V. VI.) u. s. w. vgl. Abth. 1. Abschn. 3. Cap. 22. S. 419 ff.

*2) Die katholischen Kirchenlehrer, von Vincenz von Lering († 430) an bis auf den Bischof Ziegler, lehnen freilich jede eigentliche Produktivität ab; denn der lettere, auf den ersteren sich berufend, fagt (Das kathol. Glaub. Prinz. S. 189): „objektiv steht die Religion abgeschlossen und vollkommen da. Wenn zuweilen der alte Glaube, die alte Lehre

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Als aber die jenseitige, immer beengtere Ses ligkeit mit der Unfreiheit, Quålung und Abtödtung des ganzen hiesigen Lebens erkauft werden sollte *), als mit jeder Gewaltsamkeit, als mit Feuer und Schwerdt gegen achtunggebietende 2, aber andersgläubige, Menschen und Völkerschaften gewüthet 3), als die Seligwerdung auf das ausdrücklichste von ausserlichen Werken und Bedingungen abhängig erklärt wurde *), als das überall hervorbrechende reis

durch neue Formeln klarer und bestimmter ausgedrückt wird, so führen wir deswegen keine neue Lehre ein u. s. w.//

1) Certes, ceux qui ont lû et qui ont considéré que Dieu même inspire à ses serviteurs le désir de s'affliger dans le jeûne, dans le sac et dans la cendre, non seulement pour leurs péchés, mais pour les péchés de tout le peuple, ne s'étonneront pas, si nous disons, qu'il accepte miséricordieusement l'humble sacrifice de leurs mortifications volontaires, en diminution des châtimens qu'il préparoit à son peuple, etc." (Bossuet, Expos. ch. 8. p. 55.)

2) Bossuet, in der Hist. des variat. (L. XI. §. 142.) von den Waldensern und andern Kegern jener Zeit sprechend, gesteht zu: „leurs moeurs sont irréprochables."

3) Die Verfolgung der Waldenser, Albigenser, Hussiten u. s. w. wird daher auch von frommen Reformirten als eine Wohlthat Gottes gepriesen, durch welche, wie durch einen Sturm, die Funken des wiedergebornen christlichen Lebens überall hin verbreitet und zu Flammen angefacht worden seyen.

4) Wir könnten an die Ablaßkrämerey, an die Wallfahrten, an Rosenkranzbeterey und Prozessionen u.s.w erinnern; allein alles dieses wird durch Kinder taufe, Kinderconfirmation und die allgemeine Unsicht von den Sakramenten überboten, wie sie noch bei Bossuet (a. a. D. c. 9. p. 57.) ausges sprochen ist:,,Les sacremens de la nouvelle alliance ne sont pas seulement des sceaux qui nous confirment la grâce; mais des instrumens du S. Esprit, qui servent à nous l'ap

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nere Licht des Gedankens und der Wahrheit, und die überall aufglimmende Wärme allgemeinerer Mens schenliebe zurückgedrängt werden sollten, da machte der höhere Geist sich frei; ́es erhob sich eine neue Kirche, und zurück blieb in der alten 1) die, noch nicht zur höheren Freiheit, zur weiteren Erkenntniß, zum reineren Gefühl gereifte, Masse. Aber weil der Geist der alten Kirche noch eine wirks liche Grundlage hatte, so blieb auch die Möglichkeit des Fortbestandes, oder vielmehr der Fortvers theidigung. Somit erregte der neue Gegensag die gealterte Kirche zur höchsten und legten Spannung. Sie verbaute sich auf das vollständigste und mit ents schiedener Absichtlichkeit 2) zu einer allseitig scharfbes

pliquer, et qui nous la confèrent en vertu des paroles qui se prononcent, et de l'action qui se fait sur nous audehors."

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1) Die Taube, das schöne Symbol des h. Geistes, weil der geheiligte Geist wesentlich Liebe ist, war hier gleichsam in die versteinernde Flut der clerikalischen Unfehlbarkeit getaucht worden, während in der neuen Kirche die leßte Feßel von ihren Schwingen gelöst, und sie der ursprünglichen Freiheit zurückgegeben wurde. Daß aber auch historisch betrachtet die Christen ursprünga lich, und fast drei Jahrhunderte lang, nur durch die apostolische Ueberlieferung gebunden, in Beziehung auf ihre Uebergeordnete hingegen frei waren, dies wird selbst von katholischen Schrifts stellern ausdrücklich zugestanden.

2) Aus hunderten nur dies Eine zum Beispiel. Als man zu Trient über die Zahl der Sakramente discutirte, über welche die canonischen Kirchenväter der verschiedensten Meinung sind, wurde bemerklich gemacht: „daß es nöthig sey, festzusehen, daß Christus der Ürheber und Einseher der (um der Heiligkeit der Siebenzahl angenommenen sieben) Sakramente sey, um die Kezerey der Lutheraner zu züchtigen.“ (f. Sarpi's Gesch. des Trid. Concil. Bd. II. S. 541. (Rambach's Ausg.)

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