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vor 385 geschrieben ist, noch mit gutem Gewissen jenes Urtheil über den Isokrates aussprechen; wenn dieser aber später sich in seinem Vorurtheil gegen alle speculative Philosophie immer mehr verrannte und dabei auch manche Worte fallen ließ, die leicht auf Platon selbst, den er übrigens nie nennt, bezogen werden konnten 96), so kann dies hier nicht in Betracht kommen, wo es sich allein um die Motivirung des sokratischen Wortes im Phädros handelt. Immer aber werden wir nicht verkennen dürfen, daß im großen und ganzen Isokrates dennoch der sicilischen und sophistischen Rhetorik, auch dem Lyfias, als der philosophischere Redner gegenübersteht, der in zahlreichen Kunstreden und politischen Flugschriften seiner Kunst überall einen tiefern Gehalt zu geben und das Einzelne an höhere und allgemeinere Beziehungen anzuknüpfen bemüht war. Namentlich nach drei Seiten hin gab er der Rhetorik einen neuen Gehalt und eine neue Gestalt. Zuerst befreite er die epideiktische Beredsamkeit von dem oft inhaltsleeren Spiele mit Worten und Wortklängen, wie es in der Schule des Gorgias geübt wurde; er machte sie den höchsten Lebenszwecken dienstbar und gerade in ihnen legte er eine Fülle großartiger, auf genauer Kenntniß der verschiedenen Staaten und ihrer Verfassungen beruhender weltgeschichtlicher Anschauungen und Aussichten nieder; er wird nicht müde, den Hellenen zu rathen, ihren Kämpfen und Zwietrachten ein Ende zu machen, sich unter einem Haupte zu vereinigen und mit vereinten Kräften am Sturze des Perserreiches und an der Hellenifirung des Orients zu arbeiten, nicht nur, um der echten Bildung auch in den unfreien Barbarenländern eine freie Bahn zu brechen, sondern auch, um der eine immer zu

nehmende Verarmung drohenden Uebervölkerung Griechenlands durch umfassendere Colonisirung neue Abzugswege zu eröffnen. Sodann strebte er, im Gegensatze zu der einseitigen Ausbildung der gerichtlichen Beredsamkeit in der sicilischen Schule, die echt attische politische Rede wieder zu ihrer frühern Höhe zu erheben und auch diesem Zweige der Kunst durch einen Reichthum geschichtsphilosophischer Gedanken und durch Anknüpfung an festere, ethische Grundfäße, obgleich seine Ethik die Reinheit der platonischen nicht erreichte, eine höhere Würde und eine tiefer greifende, das Volk wahrhaft bildende Wirksamkeit zu verleihen. Endlich bildete er die früher bald gefeßlos und locker Glied an Glied reihende, bald durch die starre Symmetrie der gorgianischen Periodik gebundene attische Prosa zu jener kunstvoll gegliederten, durch poetische Blige und eine vielgestaltige Fülle von Figuren belebten, dabei doch immer durch eine kaum. merkliche, aber feste Grenze von dem poetischen Ausdrucke geschiedenen periodischen Rede um, welche dann Platon und Demosthenes, jeder auf seinem Wege, zu einer in keiner Sprache und Literatur je wieder erreichten Vollkommenheit erhoben. Wie bedeutend in der That die Wirksamkeit jenes Mannes war, geht zur Genüge daraus hervor, daß die von dem edelsten sittlichen Pathos getragene Kunst großer patriotischer Redner, wie Isäos, Lykurgos, Hyperides, und mittelbar doch auch des Demosthenes selbst, jene echt attische Rhetorik, deren Wiedererstehen Platon im Geiste voraussah, theils auf seinen Unterricht, theils doch auf seine Anregung und auf sein Vorbild zurückging. So wenig wir nun, bei den je länger je weiter auseinandergehenden Wegen des Philosophen und des Rhetors, mit Diogenes 97) ein eigent

liches Freundschaftsverhältniß beider Männer annehmen mögen, so wenig sind wir doch auch berechtigt, eine fortdauernde feindliche, bis zum Ausschluß alles persönlichen Verkehrs getriebene Spannung zwischen beiden anzunehmen; wir mögen vielmehr gern dem Diogenes glauben, daß auch Isokrates sich zuweilen als gern gesehener Gast in Platon's geselligen Kreisen einstellte, sodaß Praxiphanes beiden, ohne gegen die geschichtliche Wahrheit zu verstoßen, einen in Platon's Garten gehaltenen Dialog über die Dichter andichten konnte. Für ein wenn auch vielleicht nur vorübergehendes wirkliches Misverhältniß würde man aus Platon's Schriften nur das bittere Urtheil anführen können, das er im Euthydemos 98) über einen ungenannten Logographen ausspricht, der, ein Stückchen Politiker und ein Stückchen Philosoph, aber keins von beiden ganz, sich über beide erhebe, weil er an beiden. theilhabe, in der That aber hinter beiden zurückstehe und nicht, wie er meine, die erste, sondern nur die dritte Stelle einnehme, wenn wir nämlich gezwungen wären, mit Schleiermacher und Spengel 99) unter jenem anmaßenden Redenschreiber, dem selbst der biedere Kriton, dem Sokrates gegenüber, seine Zustimmung nicht ganz versagt, allerdings nicht ohne einen tüchtigen Anachronismus, den Isokrates zu verstehen. Da wir aber unmöglich annehmen können, daß der Euthydemos erst eine Reihe von Jahren nach dem Phädros geschrieben sei, wo er gar nicht mehr in die Entwickelungsreihe der platonischen Dialoge passen würde, so beharren wir lieber bei der Annahme, daß Platon dort das ganze Geschlecht der zugleich mit staatsmännischem und philosophischem Wissen prunkenden Logographen, das er im Phädros und auch im Euthydemos selbst mit so schneidigen

Waffen bekämpft 1), in einem Gesammttypus habe darstellen wollen. Wenn aber doch durchaus eine bestimmte Persönlichkeit ihm zu seinem Bilde gesessen haben soll, so bietet sich leicht der bereits von Sauppe 2) vorgeschlagene Theodoros von Byzanz dar, über den wir allerdings nur mangelhaft unterrichtet sind. Aber selbst wenn wir, über alle entgegenstehenden Schwierigkeiten kühn hinwegsehend, dennoch zu dem Isokrates zurückkehren dürften, dessen späterer Richtung jenes Bild allerdings ganz gut entsprechen würde, so wäre doch gerade des Sokrates mildernde Schlußbemerkung, daß man auch Männern dieser Art nicht zürnen dürfe, vielmehr zufrieden sein müsse, wenn nur ihre Reden ernstes Denken verrathen und wenn sie ihre Arbeit mit rüstigem Eifer mannhaft durchführen, ein genügender Wink, daß Platon ungeachtet seines die Sache treffenden Tadels die Persönlichkeit des Rhetors und sein Streben in einer Weise anerkannte, die jeden Gedanken an ein dauerndes Misverhältniß ausschließt.

X.

Platon's Wirksamkeit nach außen.

Weit über Athen hinaus verbreitete sich Platon's Ruhm und großartige Wirksamkeit. Nicht nur bestand der engere Kreis seiner philosophischen Schüler, von denen wir später handeln werden, aus jungen Männern, die um ihn, wie früher um Sokrates, aus allen Theilen der griechischen Welt sich gesammelt hatten, sondern auch Staatsmänner und Fürsten, deren politische Anschauungen und Charaktere bis zum Gegensaße auseinandergingen, sollen seine Vorträge gehört oder mit ihm im schriftlichen Verkehr gestanden, ja, ganze Staaten sollen bei der Ordnung ihrer Verfassungen sich seinen Rath erbeten haben. Seines Einflusses auf Dion haben wir bereits gedacht und werden sogleich auf sein Verhältniß zu dem jüngern Dionysios zurückkommen. Obgleich er aber mit seinen Planen und Hoffnungen am liebsten sich jenen bildungsreichen Staaten des Westens zuwandte, in denen die Pythagorcer seit langer Zeit für ihre Ideale gewirkt hatten, so blieb doch auch der Osten und Norden der hellenischen Welt nicht ganz unberührt von den Einwirkungen seines Wortes und seiner Schriften. Mit besonderm Behagen führt Athenäos, freilich ohne genügenden

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