Page images
PDF
EPUB

er nie, so beharrlich er auch auf allen Gebieten des Denkens jene Lehre bekämpft, in der er mit Recht den Kernpunkt des Platonismus sah, mit hochmüthiger Ueberhebung oder gar mit Spott über den großen Mann, auf dessen Schultern er stand. Seine Polemik gegen Platon ist sachlich scharf und schneidend; wir mögen sie auch zuweilen ungerecht nennen und ihr vorwerfen, daß sie nicht immer die platonischen Gedanken in ihrem großen Zusammenhange auffasse; aber nie ist sie unwürdig und gehässig, nie persönlich verlegend, überall wird sie von dem großen Sinn getragen, der sich am Anfange der nikomachischen Ethik in dem berühmten Worte ausspricht, daß, wenn man zwei Freunde habe, die man nicht im Einklange finde, Platon und die Wahrheit, es Gewissenspflicht sei, dieser den Vorzug zu geben 69). Somit bleibt von dem ganzen ärgerlichen Geklätsch zulegt nur die allerdings durch Thatsachen nicht zu begründende Vermuthung übrig, daß Platon schon damals in manchen scharfsinnigen Einwürfen des allmählich zur Reife des Mannesalters gelangten Schülers und in seiner doch auch in den Schriften aus jener Zeit sich schwerlich ganz verleugnenden, sehr verschiedenen Geistesrichtung erkannte, wie weit dereinst noch ihre Wege auseinandergehen würden. würden. Zu allen Zeiten sind bei solchen, die Harmonie in den größten Dingen nicht ausschließenden Verschiedenheiten auch unter den edelsten Naturen, die, sei es als Freunde oder als Meister und Jünger, miteinander verbunden waren, vorübergehende Verstimmungen und Entfremdungen eingetreten, die dann von der Klatschsucht mit Behagen ausgebeutet wurden, während man von der baldigen Wiederkehr der alten Freundschaft zu schweigen liebte. Daß aber Platon den Aristoteles nicht zu seinem

Nachfolger in der Akademie einsetzte und ihm den unbedeutenden Speusippos vorzog, weil er in ihr den nicht nach andern Richtungen abgelenkten Geist seiner Lehre rein und lauter erhalten wollte, hat doch wol am wenigsten solche Verstimmungen veranlaßt, da Aristoteles gewiß nie den Anspruch erhoben hat und erheben konnte, das Haupt der platonischen Schule zu werden. Wie sich das Verhältniß gestaltet haben würde, wenn Platon noch die ganze spätere Entwickelung des Aristoteles hätte verfolgen können, wäre eine müßige Frage; uns genügt das treffliche, wahrscheinlich einem Neuplatoniker entlehnte Wort des Pseudo-Ammonios, daß Aristoteles auch da, wo er dem Platon widerspreche, seines Geistes voll sei 70); ein Wort, dessen Wahrheit durch die gründlichere Forschung je länger je mehr bestätigt wird.

Daß dem Beginn dieser langen Zeit vielleicht jene grundlegenden dialektischen Schriften, in denen er die starre Einseitigkeit des Eleatismus bekämpft, ihrem weitern Fortgange jene gewaltigen, den neuen Bau nach allen Seiten ausführenden Dialoge gehören, die zugleich in der Form die höchste und reinste Vollendung seiner Kunst darstellen, die herrlichen Trias Phädros, Gastmahl, Phädon, sodann sein größtes Lebenswerk, die Trilogie der Republik, des Timäos und des unvollendet gebliebenen Kritias, daß endlich in die Zeit seines höhern Alters, wo er seine Ideenlehre durch pythagoreische Anschauungen ergänzte und zugleich das tief religiöse Moment seiner Lehre noch entschiedener als früher hervortreten ließ, der Philebos und die Gefeße fallen, wird wenigstens in Beziehung auf die meisten jener Dialoge nicht mehr bezweifelt. Geschichtlich erwiesen ist nur das, daß er die Gesetze nach der Republik, auf die sie über

[ocr errors]

dies sich vielfach zurückbeziehen, verfaßt hat und daß sie erst nach seinem Tode von Philippos von Opus herausgegeben sind. Wir werden in spätern Erörterungen zeigen, wie auch in diesen Dialogen Platon's Lebensgang sich abspiegelt, wie namentlich im Philebos und in den Gesetzen überall die Anschauungsweise, der Ton und die Darstellung des höhern Alters vorherrscht, wie auch einzelne persönliche Erfahrungen des Philosophen theils in treuen und farbig frischen Bildern, theils in einzelnen Betrachtungen und nachklingenden Stimmungen hervortreten. Denn wer wollte doch, um anderes für jetzt zu übergehen, in dem unvergleichlichen, ewig wahren, in der Republik aufgestellten Bilde des Tyrannen den ältern Dionysios verkennen, dem nur hier und da einzelne Züge des Peisistratos beigemischt sind? Dagegen scheint in den Gesetzen die Skizze eines jungen, für Weisheit empfänglichen, hochsinnigen Herrschers, der im Bunde mit einem ausgezeichneten Gesetzgeber den besten Staat ins Leben führen könne, wo Platon ausdrücklich hinzufügt, daß, wer mit einem solchen Manne zusammen gewesen sei, ihn am besten kennen müsse, weniger auf den zweiten Dionysios, auf den nur das Wenigste paßt, als auf den Dion zu zielen 71). Wie treu stellt uns dagegen in demselben Dialog der Athener das Bild des greifen Philosophen selbst dar, wie er das Menschenleben und seine meist vergeblichen, zwischen immer neuen Hoffnungen und Enttäuschungen aufund abwogenden Arbeiten, Kämpfe und Leiden oft mit bitterm Humor, öfter mit ruhig frommem Sinn und mit der heitern Ueberzeugung, daß endlich doch Vernunft und Wahrheit siegen werden, überschaut.

XIII.

Platon's Tod.

Der Tod des großen Mannes ist, wie seine Geburt, in verschönernde Sagen gehüllt. Fest steht nur, daß er 80 Jahre alt im Archontenjahre des Teophilos Ol. 108, 1, (348/47), im dreizehnten Regierungsjahre des Philipp 72), rasch und sanft entschlafen ist. Gegen diese genaue Zeitbestimmung kann die ganz vereinzelte Angabe des Neanthes nicht aufkommen, daß er 84 Jahre alt geworden sei73). Man erzählte und glaubte gern, daß der Philosoph mitten im Hochgenuß einer Festesfreude, sei es nun, wie Hermippos angibt, einer Hochzeit 74), oder, wie Suidas meint, sonst eines festlichen Schmauses 75), einschlummernd von der Welt geschieden sei. Einfacher lassen andere ihn auf seinem Lager mitten in ununterbrochener Geistesarbeit sterben76); auf seinem Bette sollen Aristophanes und Sophron, seine Lieblingsdichter, gelegen haben 77); auch fand man bei ihm, wie Euphorion und Panätios berichten, eine Wachstafel, auf welche er den Anfang seiner Republik mit vielfachen Correcturen geschrieben hatte 78); doch geht aus dieser kurzen Angabe nicht hervor, daß er diese Umschrift erst kurz vor

feinem Tode vorgenommen habe. Von einer bestimmten Krankheit, der er erlegen sei, wußte man nichts zu sagen; denn wenn Myronianus 79) aus dem von Philon erwähnten Sprichworte IIάtwvos Deipes schließt, er sei an der Phtheiriasis gestorben, jener scheußlichen, auch dem Speufippos und andern bedeutenden Männern angedichteten Krankheit, die aber selbst nichts als ein Phantasiegebilde ist, so liegt hier entweder ein ungesalzener Spott irgendeines Komikers, den wir nicht mehr zu deuten vermögen, oder vielleicht gar nur ein grobes Misverständniß jenes Sprichwortes zu Grunde, das sich auf eine bekannte Stelle im Sophisten beziehen mochte 80). Wie in der von Seneca 81) erwähnten Sage, daß er an seinem Geburtstage gestorben sei, und in der vom Verfasser der Prolegomena berichteten und ganz richtig motivirten Tradition, daß er das 81. Jahr nicht angetreten, sondern erfüllt habe, der apollonische Mythos anklingt, in der leztern mit pythagoreischem Zahlenspiel verbunden, haben wir bereits erörtert. Aber auch die mit jenem Mythos eng verbundene Schwanensage kehrt bei dem Tode des Mannes wieder, der, wie kein anderer, Poesie mit tieffter Weisheit verbunden hatte. Sein Tod soll ihm durch einen Traum angekündigt sein, in welchem er als Schwan von Baum zu Baum zu fliegen glaubte, ohne von den nachjagenden Vogelstellern erreicht zu werden; ein Traum, den der Sokratiker Simmias, der damals schwerlich noch am Leben war, dahin gedeutet haben soll, daß kein Erklärer dem hohen Fluge seiner Gedanken habe folgen und ihre Tiefe ergründen können 82). Erst in späterer Zeit, wo man ihn zu einem Göttersohn machte und nach dem Tode zu den

« PreviousContinue »