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durch die Reinheit seines Lebens als durch den strengen Gang seiner Dialektik und durch den unermüdlich das Ewige im Zeitlichen suchenden, idealen Schwung seines Geistes der wirksamste Führer zu höhern Welten zu werden, zu denen er uns aus der zerstreuenden Weite des Einzelwissens und aus dem verwirrenden Treiben des praktischen Lebens erhebt. Spätern Erörterungen bleibt eine Darstellung seines schriftstellerischen Charakters und die durch den Gang seines Lebens mit bedingte Entwickelung seiner Philosophie vorbehalten, die wir nur deshalb nicht in die Biographie verflechten wollten, weil über die Zeitfolge seiner Schriften, in welchen sich jene Entwickelung darstellt, die Ansichten noch immer nach den verschiedensten Richtungen auseinandergehen und keine Hypothese das Recht hat sich an die Stelle der Geschichte zu sehen.

Anmerkungen.

I. Seite 1-32.

1) Zuerst hat von Stein in seinen Sieben Büchern zur Geschichte des Platonismus (Göttingen 1862-64), Theil 2, S. 158-179, fast die ganze Ueberlieferung über Platon's Leben, namentlich seine Reisen nach Megara, Kyrene, Aegypten, mit etwas geringerer Zuversicht auch die nach Großgriechenland und Sicilien für Mythus oder tendenziöse Erdichtung erklärt. Sein Urtheil gipfelt in den Worten:,,Wahrlich! nach all diesem wird man sich denn doch wol von dem Wahne trennen müssen, als besäßen wir wirklich eine Biographie des Platon, und nicht vielmehr nur einen biographischen Mythus, der in geschichtlicher Hinsicht genau so viel und so wenig bedeutet als irgendein an den Namen eines großen Mannes sich anschließender Sagenkreis.“ Derselben Ansicht ist Schaarschmidt: Die Sammlung der platonischen Schriften, zur Scheidung der echten von den unechten untersucht (Bonn 1866), S. 61-81. Ihm sind auch jene italischen und sicilischen Reisen, wie überhaupt so ziemlich alles, was über Platon's Leben berichtet wird, Elemente eines Romans, welcher zum allergrößten Theile lobhudelnden oder misgünstigen Schulflatschereien, gezwungener Auslegung platonischer Stellen, übrigens dem gewohnten Leichtsinu und der allbekannten Lügenhaftigkeit ausschmückungsluftiger alexandrinischer Literarhistoriker (ein in dieser Ausdehnung höchst ungerechtes Urtheil) verdankt wird“.

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2) Ueberweg in den Untersuchungen über die Echtheit und Zeitfolge platonischer Schriften und über die Hauptm mente in Plato's Leben (Wien 1861) spricht sich noch mit Vorsicht über diesen Gegenstand aus; den doch genau mit Platon's Leben zusammenhängenden Forschungen über die Abfassungszeit der

Dialoge stellt er (S. 3) die Betrachtung entgegen, daß, was immer unwandelbar ist, was es ist, und an keinen Ort gebunden ewig sich selbst gleich beharrt (also doch die platonische Philosophie), beffer sei als das, was jezt zwar ist, zu einer andern Zeit aber nicht, und hier zwar ist, dort aber nicht und immer wechselt (die Lebensverhältnisse des Philosophen); aber er erkennt doch die chronologischen Untersuchungen als ein Evvaitiov der Erkenntniß der platonischen Philosophie an (S. 5). Hierbei ist freilich übersehen, daß doch auch die Philosophie Platon's nicht eine unwandelbare, immer sich selbst gleiche, sondern eine in der Zeit gewordene, gewachsene und verschiedenen Wandlungen unterworfene war. Auch von Stein sagt limitirend: „Wobei ich denn freilich ebenso wenig denjenigen unter den neuern Gelehrten mich anschließen kann, die mit Nichtachtung der platonischen Schriften unsere Kenntniß des Plato für mangelhaft halten, weil die der Person des Plato es ist, als denjenigen, die, aus der Noth eine Tugend machend, jeden Wunsch nach einer urkundlichen Erkenntniß des die Person Plato's Betreffenden für thöricht erklären. Allerdings in seinen Werken haben wir das Beste, was Plato war und hatte. Wir haben darin die köstliche Frucht seines äußern Lebens und seiner Persönlichkeit, aber wer lernte daneben nicht doch auch gerne den Baum noch etwas genauer erkennen, auf dem sie gewachsen ist?" (I, S. 78–79.) Am entschiedensten drückt sich auch hier Schaarschmidt aus: „Hermann's Versuch, wenn auch an die richtige Beobachtung anknüpfend, daß Plato in einem langen Leben als Philosoph und Autor nicht immer gleich gedacht, sich vielmehr weiter gebildet habe, darf schon deswegen als gescheitert angesehen werden, weil, abgesehen davon, daß Plato's Geistesentwickelung nicht sowol aus den uns übrigens ganz unbekannten Schicksalen seines äußern, als aus Momenten seines innern Denkerlebens verstanden werden muß, eben jene Basis der Hermann'schen Hypothese, die biographische und literarhistorische Tradition der Alten, keine authentische und keine urkundliche ist.“ (S. 62). Wie aber die Annahme, daß Plato's Leben uns völlig unbekannt sei, eben nur ein Vorurtheil einer sich selbst überspannenden Kritik ist, so ist die Trennung der äußern und der innern Lebensentwickelung nicht blos bei Männern der That, sondern auch bei Dichtern und Denkern eine psychologische Unmöglichkeit. Wir sind daher gewiß berechtigt, auch da, wo wirklich das äußere Leben ganz unbekannt ist, aus der innern Entwickelung, insofern sie in einer Reihe von Schriften vorliegt, auf die äußere combinirend zurückzuschließen.

3) Gegen den im Text aufgestellten Satz wird man doch wol weder Xenophon's sokratische Denkwürdigkeiten die eben keine Biographie

sind, noch seinen ethisch-politischen Roman vom Kyros aufstellen wollen.

4) Ariftoteles bringt uns Metaph. I, 6 die ganz unschätzbare, aber doch mehr auf die philosophische Entwickelung Platon's bezügliche Notiz, daß er schon, ehe er des Sokrates Schüler wurde, mit Kratylòs und durch ihn mit den Meinungen des Herakleitos vertraut geworden sei; Rhet. II, 23 theilt er uns eine Aeußerung des Aristippos gegen Platon mit, die wenigstens feiner und glaubwürdiger ist als alle spätern Fabeleien über das Verhältniß der beiden Männer.

5) Wie kurz und fast widerstrebend spricht doch der große Thukydides von seinen eigenen Lebensschicksalen; in den allgemeinsten Andeutungen, wenn er nachweist, wie er schon durch den Gang seines äußern Lebens zu seinem großartigen Geschichtswerke berufen und befähigt gewesen sei, ausführlicher nur an jener einen Stelle, wo er seine einzige, für ihn ebenso ehrenvolle als unglückliche Kriegsthat erzählen muß. Aber auch der viel weniger objective Xenophon redet von sich erst von dem Moment an, wo er an der Spitze des kühnen Rückzuges steht; in den Denkwürdigkeiten, in denen er doch gern seines Ohrenzeugnisses gedenkt, führt er nie sich selbst im Verkehr und Ge= spräch mit Sokrates ein.

6) Ueber die Ansicht, daß Platon unter dem ungenannten Athener, der in den Gesetzen das Gespräch leitet, sich selbst verborgen habe, vgl. m. Einl. in die Gesetze, S. 103–105.

7) Apologie, S. 34, a.

8) Apologie, S. 38, b.

9) Phädon S. 59, b.

10) Von Lysias, Isokrates, Demosthenes wird Platon gar nicht, vom Xenophon nur einmal (Denkw. III, 6, 1) genannt. Jener Platon, den Andokides (Ueber die Mysterien §. 35) unter den als Hermokopiden Verdächtigten aufführt, ist uns ganz unbekannt; unser Philosoph war damals noch ein zwölfjähriger Knabe; vgl. Grote Plato, I, S. 114.

11) Von Platon's Verhältniß zu Xenophon und zu den drei großen Rednern Lysias, Isokrates, Demosthenes wird später die Rede sein. Vor dem Irrthum, aus jener Verschweigung eines so bedeutenden Namens, die doch in Reden, welche sich auf bestimmte Fälle beziehen, am wenigsten auffallen kann, sofort ein kühles oder gespanntes Verhältniß zu folgern, hätte schon die Erinnerung an die jener Zeit charakteristische, besonders bei Thukydides oft recht auffallend, aber auch bei Platon und Aristoteles hervortretende Scheu vor Nennung

von Eigennamen warnen sollen. Bekanntlich theilte unter den Neuer besonders Schleiermacher diese Abneigung.

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12) Auf die vielbesprochene Frage, ob Aristophanes in den Ekklesiazusen an Platon's Staatstheorien gedacht habe, die er schon damals etwa in engern Kreisen ausgesprochen haben mochte, werden wir an einem andern Orte eingehen. Daß er aber, wie Meineke hingeworfen hat (Hist. critica comicorum, p. 288–89), unter dem Ariftyllos in den Ekklesiazusen v. 647 und im Plutos v. 313 unsern Aristokles-Platon verstanden habe, weil Aristyllos (vgl. Etymol. magnum, p. 142. Euftathios zur Ilias, S. 989) ein Kosename für Aristokles war, wie Bathyllos für Bathykles, Thrafyllos für Thrasykles, wird man doch nicht leicht annehmen wollen; denn welcher Vergleichungspunkt ist wol zwischen jenem unnatürlichen Lüstling und dem keuschen und mäßigen Platon denkbar? Ueberdies war ja Aristokles kein so ungewöhnlicher Name. Die von Diogenes und Athenäos aufbewahrten Scherzworte der übrigen Komiker über Platon find im ganzen harmlos; nur wenige gehen auf seinen Charakter oder seine äußere Erscheinung, die meisten auf einzelne ungewöhnliche oder den Laien unverständliche Punkte seiner Lehre. So verspottet Theopompos im Hedychares die platonische Dialektik über Einheit und Zweiheit mit den Worten:,,Eins ist doch nicht Eins, die Zwei ist kaum zugleich auch Eins, wie Platon lehrt"; gehörte jener Dichter, wie Suidas nach Aristophanes angibt, noch der alten Komödie an, so kann dieser Scherz sich nicht, wie Meineke (Fragm. com. II, 2, p. 792) annimmt, auf die Stelle im Phädon S. 96, e — 97, a. b, sondern nur auf mündliche Erörterungen Platon's, höchstens auf die Dialektik über das Eine und Viele im zweiten Theil des Parmenides beziehen. Die meisten Dichter der mittlern Komödie waren jüngere Zeitgenoffen Platon's und konnten sein ganzes Leben während seiner Lehrthätigkeit mit ihren leicht über die Oberfläche hinschwebenden Wigworten be= gleiten. So hat der berühmte, in das athenische Bürgerrecht aufgenommene Thurier Alexis, einer der fruchtbarsten und geistvollsten Dichter, an fünf uns überlieferten Stellen des großen Philosophen gedacht. In der Meropis läßt er eine Frau sagen:

"

Du kommst zur guten Stunde mir, denn ohne Rath

Fand auf und ab spazierend ich, wie Platon that,

Gescheutes nichts, doch sind die Schenkel mir ganz matt“,

um die scheinbare Ergebnißlosigkeit der Philosophie und das Lehren Platon's im ermüdenden Auf- und Abwandeln zu bespötteln; denn

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