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Man hat erst in unsern Tagen die doppelte Frage aufgeworfen, ob überhaupt aus den noch vorhandenen Quellen ein Lebensbild Platon's geschöpft werden könne, das nicht Mythos, sondern Geschichte sei1), und ob, auch wenn dies möglich wäre, eine genauere Kenntniß dieses Lebens für das Verständniß seiner Lehre und seiner Schriften einen besonderen Werth habe 2). Müßte eine dieser beiden Fragen entschieden verneint werden, so würde ich nie unternommen haben, die nicht ganz unbeträchtliche Zahl der Lebensbeschreibungen und Lebensabrisse des großen Philosophen durch einen neuen Versuch zu vermehren; denn in dem einen Falle möchte ein solches Unternehmen vielleicht ein schäzenswerther Beitrag zu einer kritischen Geschichte der griechischen Literatur und des griechischen Geistes sein, der die Geschichte in Mythen und Dichtungen zu verhüllen liebt, in dem andern würde es zwar kein philosophisches, aber doch immer noch ein geschichtliches und allgemein menschliches Interesse haben können, in beiden Fällen aber dem Plane meines Werkes fern liegen, der nur darauf gerichtet ist, so viel als möglich den innigen Zusammenhang zwischen Platon's äußerem und innerem in seinen Schriften niedergelegten Leben nachzuweisen. Nun mögen ja wol die Meisten gern zugeben, daß

Steinhart, Platon's Leben.

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auch das stille Werk eines vom öffentlichen Leben zurückgezogenen, ganz in seiner Ideenwelt lebenden und nur durch Lehre und Schrift für die Welt wirksamen Philosophen um so besser werde gewürdigt werden, je genauer wir von dem Gange seines äußeren Lebens unterrichtet sind. Denn je urkräftiger und selbständiger ein großer Denker reinigend, umgestaltend, begeisternd in das Leben seiner Zeit eingreift, desto tiefer wird er gewiß sowol die Wechsel seiner eigenen Lebensschicksale, als der großen Weltgeschicke, deren Zeuge er war, in seinem Herzen bewegen, sie bald als Förderungen, bald als Hemmungen seines Werkes empfinden, und diese Eindrücke werden selbst in den reinen Formen seiner philosophischen Gedankenwelt wie in verklärter Darstellung wieder erscheinen. Wenn nun durch eine ganz einzige Gunst des Glückes uns sämmtliche Schriften eines Mannes, wie Platon, erhalten sind und wenn diese Schriften etwa funfzig Jahre seines Lebens vom beginnenden reifen Mannesalter bis zum höchsten Greisenalter erfüllen, so werden wir kaum für denkbar halten, daß nicht in ihnen auch sein äußeres Leben in seiner bald stürmischen, bald ruhig harmonischen Bewegung irgendwie sich abgespiegelt habe. Daß es aber möglich sei, einen festen, geschichtlichen Kern dieses Lebens herauszuschälen aus den Verdunkelungen einer schon früh an diese erhabene Gestalt angesetzten Mythenbildung und aus den Verzerrungen, in denen sich kleinlicher Neid, gemeine Klatschsucht und kindische Fabelei Jahrhunderte hindurch gefallen haben, daß wir doch etwas mehr von ihm wissen können, als etwa, daß er, der Sohn eines athenischen Bürgers, früh mit der vor sokratischen Philosophie vertraut geworden, dann in der Schule des Sokrates gebildet, mehrere Jahrzehnte in einem

nahe der Akademie gelegenen Garten gelehrt habe und im hohen Alter gestorben sei, daran glaubte ich doch nicht von vornherein verzweifeln zu dürfen. Denn selbst in den trüben und abgeleiteten Quellen, auf die uns bei Platon, wie bei fast allen großen Dichtern und Denkern Griechenlands, der Mangel gleichzeitiger Berichte beschränkt, tritt uns der Rest einer alten Ueberlieferung in so festen und gleichmäßigen Zügen entgegen, daß wir ohne eine die Grenzen der Kritik überschreitende und nur in subjectiven Verneinungen sich gefallende Skepsis ihr nicht allen Glauben versagen dürfen. Unsere Aufgabe ist daher, nach einer genauen Prüfung und Würdigung jener Quellen, das Leben Platon's in solcher Weise darzustellen, daß wir Wahrheit und Dichtung, auch wo sie am dichtesten ineinander verwachsen sind, möglichst scharf von einander scheiden und zugleich die höchst mannichfaltigen Ursprünge jener Erdichtungen aufzufinden uns bemühen. Die spätere Betrachtung seiner Schriften wird dann die Wechselbeziehung der feststehenden Thatsachen seines Lebens sowol zu der Entwickelung seiner schriftstellerischen Kunst, als zu der stufenweise fortschreitenden Ausbildung seiner Lehre nachzuweisen haben.

I.

Quellen für Platon's Leben.

1) Platon. Aristoteles. Platon's Zeitgenossen.

Wäre nicht die Biographie erst ein Erzeugniß der gelehrten Alexandrinerzeit gewesen, das überdies bei den Alten fast durchweg der historischen Kritik entbehrte und erst in der Zeit des römischen Kaiserthums zu künstlerischer Vollendung ausgebildet worden ist, so würden wir schwerlich unter den Verzeichnissen der zahlreichen Schriften, welche man mit Recht oder Unrecht dem Aristoteles zuschrieb, ein Leben Platon's vermissen 3). Ueberraschend aber bleibt es doch immer, daß derselbe Mann, der so vielseitig über Platon's Lehre in ihren verschiedenen Wendungen und Wandlungen, zuweilen anerkennend und aufnehmend, viel häufiger verwerfend und grundsäglich bekämpfend berichtet hat, nie, auch wo die Gelegenheit es bot und fast verlangte, ein paar vereinzelte Notizen ausgenommen 1), irgendeines Umstandes aus dem äußeren Leben seines großen Lehrers gedenkt. Er scheint dies auch in den verlorenen Schriften nicht gethan zu haben, da keine Angabe Späterer auf eine aristotelische Tradition zurückgeht. So fehlt uns nun gerade der ge

wichtigste Gewährsmann für Platon's Leben. Denn am wenigsten dürfen wir doch bei diesem selbst nach Berichten oder Zeugnissen über seine Lebensschicksale suchen. In ihm lebte noch der große, aller eitlen Selbstbespiegelung abholde Geist des früheren Alterthums, der ihm nicht nur verboten hätte, Denkwürdigkeiten aus seinem Leben niederzuschreiben, wenn diese Art der Schriftstellerei damals schon üblich gewesen wäre"), sondern ihn auch abhielt, sich selbst als mithandelnden Theilnehmer oder auch nur als stummen Zeugen in seinen großen sokratischen Lehrdramen einzuführen). Nur dreimal hat er, vielleicht um schon damals umlaufende Verdächtigungen und üble Nachreden zu entkräften, nicht unterlassen wollen, seiner selbst zu gedenken. In der Apologie führt ihn Sokrates zuerst unter den vertrauteren Schülern auf, deren Angehörige ihm bezeugen würden, daß er kein Verderber der Jugend sei), und nennt ihn sodann unter den Freunden, die sich für den Angeklagten mit einer Geldsumme verbürgen wollten 8); im Phädon endlich läßt Platon durch den Mund des Erzählers sein Fernbleiben von den letzten Gesprächen und dem Tode des geliebten Meisters mit Erkrankung entschuldigen 9). Gewiß ist auch das auffallend, daß Platon von den bedeutenden Schriftstellern, den großen Staatsmännern und Rednern seiner Zeit, selbst von solchen, die entweder Schüler des Sokrates waren, oder doch der sokratischen Geistesrichtung nicht fern standen, kaum irgendwo genannt wird 10); indessen würde es voreilig sein, daraus den Schluß zu ziehen, daß er zu allen jenen Männern in keinem persönlichen, zu einigen wol gar in einem feindlichen Verhältniß gestanden habe 11). Nur die gleichzeitigen Dichter der mittleren Komödie haben

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