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anzeigen sollen, daß nicht Sinnengenuß, sondern nur Fortpflanzung des Geschlechts der Zweck der Ehe sei. Hätte nun blos Olympiodoros uns diese Sage mitgetheilt, so würden wir leicht an eine ganz im Geiste des Neuplatonismus liegende Uebertragung der Erzählung von Jesu wunderbarer Geburt auf den göttlichen Meister dieser Schule denken; da aber doch eine solche Uebertragung bei Apulejus und Plutarch nicht anzunehmen ist und überdies Diogenes drei Gewährsmänner der vorchriftlichen Zeit für das Bestehen der Sage in Athen anführt, so müssen wir eine frühere Entstehung derselben annehmen und erinnern uns dabei des in der griechischen Welt sich so gern an große geschichtliche Persönlichkeiten anschließenden Heroencultus und der allgemein bekannten ähnlichen Sagen über die Geburt Alexander's des Großen. Daß indessen schon Speusippos dieser Fabel als einer zu seiner Zeit umlaufenden gedacht habe, wie Diogenes angibt, ist unglaublich und kann, wie wir bereits erwähnten, nur auf einem Misverständniß beruhen 30). Olympiodor und der Ungenannte 31) gedenken noch einer andern demselben Sagenkreise angehörenden Erzählung. Das Knäblein soll von seinen Aeltern, als sie dem Pan, den Nymphen und dem Apollo ein Opfer bringen wollten, auf dem Hymettos niedergelegt sein, wo dann Bienen heranflogen und ihm den Mund mit Honig anfüllten, als ein Vorzeichen der Süßigkeit seiner Rede. Da nun dieselbe Geschichte auch, nur nach dem Helikon verlegt, über Pindar erzählt wird 32), so haben wir in ihr eine jener Wandersagen, wie sie in alter und neuer Zeit immer wieder auf neue berühmte Häupter sich niederlaffend von Geschlecht zu Geschlecht hinüberschweben.

Viel verwirrender hat der Apollomythos auf die Bestimmung des Geburtstages, ja selbst des Geburtsjahres Platon's eingewirkt. Ueber das letztere bestanden im Alterthum drei verschiedene Meinungen, welche Diogenes seltsam genug durcheinanderwirft und im Grunde alle zugleich annimmt 33). Nach Athenäos 34) war Platon im Archontenjahre des Apollodoros, also Ol. 87, 3, (430/29), nach einer andern Angabe 35), deren Gewährsmänner wir nicht kennen, im Todesjahre des Perikles, Ol. 87, 4, (429/28), nach dem Grammatiker Apollodoros endlich 36) Ol. 88, 1, (428/27) mithin unter dem Archonten Diotimos, geboren. Die erste dieser Bestimmungen, der noch Ast und Böckh gefolgt sind, obgleich sie im Alterthum ganz vereinzelt stand, würde durch die Angabe bei Diogenes 37), daß Platon sechs Jahre nach dem Isokrates, dessen Geburt unter dem Archon Lysimachos Ol. 86, 1, (436/35) feststeht 38), geboren sei, einigen Halt gewinnen, wenn nur nicht der gewiß richtiger rechnende Pseudoplutarch einen Altersunterschied von sieben Jahren zwischen beiden Männern angenommen hätte 39). Hieraus folgt, daß auch dieser Schriftsteller die zweite, wie es scheint, am meisten bei den Alten verbreitete Ansicht theilte, die um so leichter Eingang finden mochte, da nach derselben der Niedergang des glänzendsten Trägers der alten politischen Zeit und der Aufgang des neuen Gestirns, von welchem eine neue Geisteswelt ausgehen sollte, bedeutsam genug in dasselbe Jahr fallen würden. Der Archontenname Ameinias, den Diogenes für jenes Jahr angibt und der ungenannte Biograph ihm gläubig nachschreibt 40), muß freilich entweder von einem Gedächtnißfehler des Verfassers, oder, was wahrscheinlicher ist, von einem sehr alten Schreibfehler herrühren;

da man nun doch unmöglich an den fast gleichlautenden Amynias des Jahres Ol. 89, 2 (423/22) denken konnte, so bot sich leicht der durch eine völlig correcte Operation herzustellende Epameinon dar41), der wirklich Eponymos des 4. Jahres der 87. Olympiade, also des Todesjahres des Perikles war. Hiermit würde dann auch die schon bei Hermippos vorkommende und fast allgemein angenommene Meinung 42), daß Platon 81 Jahre alt im Archontenjahre des Theophilos Or. 108, 1, (348/47) gestorben sei 43), im schönsten Einklange stehen. Dennoch ist jene Meinung, für welche, von den mehr indirecten Zeugnissen des Hermippos und des Pseudoplutarch abgesehen, eigentlich gar kein sicherer Gewährsmann aufzufinden ist, ebenso unerwiesen als unwahrscheinlich. Denn zunächst steht ihr jene schon durch den Namen ihres Urhebers, des Apollodoros trefflich empfohlene dritte Bestimmung entgegen, daß Platon Ol. 88, 1, (428/27) also ein Jahr nach des Perikles Tode, geboren sei 44). Für dieses Jahr spricht aber auch das unverächtliche Zeugniß des Hermodoros, der erzählt, daß Platon 28 Jahre alt mit andern Sokratikern nach Megara zum Eukleides gegangen sei 45), was, wie wir anderweitig wissen, sogleich nach dem Tode des Sokrates geschah. Da nun dieser in das 1. Jahr der 95. Olympiade (400/399) fällt, so ist die Angabe des Hermodoros mit ihrer scharfen, die runde Zahl 30 so geflissentlich vermeidenden Zeitbestimmung nur mit dem vom Apollodoros festgesetzten Geburtsjahr Platon's vereinbar.

Wer nun dennoch diesen Zeugnissen gegenüber noch an dem Glauben festhalten möchte, daß der Philosoph im Todesjahre des Perikles geboren sei, dem könnte jene allgemeine

Ueberlieferung, daß Platon, dessen Tod Ol. 108, 3. nicht zu bezweifeln ist, ein Alter von 81 Jahren erreicht habe, eine Stüße sein, wenn nur nicht diese Stütze selbst so morsch wäre. Denn der in solchen Sachen recht genaue Dionysios 46) will doch gewiß mit seiner Bemerkung, daß Platon noch 80 Jahre alt an seinen Dialogen künstlich gefeilt habe, auf sein Todesjahr und auf die allgemeine UeberLieferung hinweisen, daß er bis an seinen Tod unermüdet thätig geblieben sei. Sodann aber, was durchgreifender ist, verräth uns auch der Ungenannte, wie man auf die 81 Jahre gekommen ist. Er sagt, Platon habe sich auch durch die Zahl seiner Lebensjahre als ein apollonischer Mensch bewährt, da dieselbe das Quadrat der heiligen Musenzahl, wie diese das der heiligen Dreizahl darstelle 47). Da nun anzunehmen ist, daß solche pythagorisirende Zahlenspiele schon früh bei den Platonikern üblich waren, so ist leicht begreiflich, wie diese die Wahrheit doch nur um ein Geringes übersteigende Zahl der Jahre Platon's allgemeine Annahme finden konnte und wie dann aus ihr das geschichtlich gar nicht verbürgte Geburtsjahr Ol. 87, 4, hervorgehen mußte. Wir fürchten daher nicht, daß nach Ueberweg's gründlichen, zu demselben Ziele führenden Untersuchungen 48) jemand wieder von Ol. 88, 1 zu einer der beiden andern Annahmen zurückweichen werde.

Dagegen bestand über den Geburtstag des Philosophen im Alterthum nie ein Zweifel; denn der siebente Tag des Monats Thargelion, des elften des attischen Jahres, den Apollodoros als solchen angibt 49), wurde noch in späten Jahrhunderten in den Kreisen der Platoniker festlich begangen 50). Dieser Tag würde nun allerdings mit unserm

21. Mai, nach Ideler's Construction des metonischen Cyklus 51), nur dann zusammenfallen, wenn Platon nach der Angabe des Athenäos Ol. 87, 3, geboren wäre; denn nach den Berechnungen jenes Gelehrten wechselte in dem neunzehnjährigen Cyklus des Meton, der Ol. 87, 1, (432/31) beginnt, der Beginn der einzelnen Monate durch die siebenmalige Einschiebung von Schaltmonaten, sodaß nur in dem dritten Jahre des Cyklus der siebente Thargelion dem 21. Mai, im vierten aber, also Ol. 87, 4, dem zehnten, im fünften, Ol. 88, 1, dem wirklichen Geburtsjahr Platon's, dem 29. Mai entsprach 52). Zu jenem siebenten Tage des Thargelion würde nun auch die vorher erwähnte Angabe des Hermodoros, daß Platon, als er Athen verließ, 28 Jahre alt gewesen sei, auf das genaueste stimmen, da Sokrates bekanntlich Ol. 95, 1, in der zweiten Hälfte des Thargelion, in welcher das nach Delos gesandte heilige Staatsschiff zurückkehrte, hingerichtet wurde, eine Zeit, in welcher Platon sonach eben sein 28. Jahr zurückgelegt hätte. Dennoch drängt sich leicht ein Zweifel an der Richtigkeit jener Bestimmung auf. Derselbe siebente Tag des Thargelion wird vom Seneca, dessen scharfe Betonung dieses Umstandes jeden Zweifel ausschließt, daß er einer damals weit verbreiteten Ueberlieferung folgte, als Platon's Todestag genannt 53); der sechste aber desselben Monats wird selbst vom Apollodoros als des Sokrates Geburtstag angegeben 54). Nun würde man bei einer vollkommen beglaubigten Thatsache gern mit den Alten dieses fast symbolische Spiel des Zufalls, wie es ja in den menschlichen Dingen zuweilen vorkommt, bewundern; bei einer doch keineswegs zur Genüge verbürgten fühlt man sich leicht zu der schon von O.

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