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Zweiter Theil.

Die inneren Zustände Palästina's und des

jüdischen Volkes

im Zeitalter Jesu Christi.

§. 22. Allgemeine Culturverhältnisse.

I. Mischung der Bevölkerung. Landessprache.

Die Stärke und Ausdehnung der jüdischen Bevölkerung in Palästina hat auch in der griechischen und römischen Zeit, wie in früheren Jahrhunderten, starke Schwankungen erfahren. Vom Beginn der hellenistischen Zeit bis zur makkabäischen Erhebung werden wir uns das jüdische Element in allmählichem Rückgang zu denken haben: das griechische Element drang siegreich vor. Ein starker Umschlag erfolgte jedoch durch die makkabäische Erhebung und ihre Nachwirkungen; durch sie gewann das Judenthum intensiv und extensiv wieder an Boden. Es consolidirte sich im Innern, und es breitete sich an den Grenzen fast nach allen Seiten hin weiter aus: nach Westen durch die Judaisirung der Städte Gazara, Jope und Jamnia (s. oben §. 7 und unten §. 23, I), nach Süden durch die gewaltsame Bekehrung der Idumäer unter Johannes Hyrkan (s. §. 8), nach Norden durch die Bekehrung der Ituräer unter Aristobul I s. §. 9), nach allen Seiten hin durch die Eroberungen des Alexander Jannäus. Allerdings war das Judenthum dieser hasmonäischen Fürsten seit Johannes Hyrkan nicht mehr das der Schriftgelehrten und Pharisäer. Aber auch sie vertraten doch in ihrer Weise die jüdische Religion und Nationalität, wie gerade das Beispiel des griechenfreundlichen" Aristobul I beweist. Durch Alexandra kam dann sogar die pharisäische Richtung wieder zur Herrschaft. Unter den Römern und Herodianern wurden zwar die hellenistisch-römischen Culturbestrebungen wieder nach Möglichkeit gefördert. Aber das pharisäische Judenthum war jetzt durch die Entwickelung der letzten zwei Jahrhunderte innerlich und äusserlich so gefestigt, dass sein Besitzstand hierdurch zunächst nicht wesentlich beeinträchtigt werden konnte. Erst die Erschütterungen der Kriege unter Vespasian und Hadrian haben ihm wieder grosse Verluste zugefügt.

Einigermassen genauer sind wir über die Ausdehnung der jüdischen Bevölkerung in Palästina nur für die Zeit des Josephus unterrichtet durch die Beschreibung des jüdischen Landes, welche er in

Schürer, Zeitgeschichte II.

1

seinem Bell. Jud. III, 3 uns giebt 1). Man ersieht hieraus

was

auch anderweitig bestätigt wird, dass von sämmtlichen Küstenstädten nur zwei eine vorwiegend jüdische Einwohnerschaft hatten, nämlich eben die in der Makkabäerzeit judaisirten Städte Jope und Jamnia. In allen übrigen Küstenstädten war das heidnische Element überwiegend (näheres s. §. 23, I). Im Binnenlande dagegen hatten die Landschaften Judäa, Galiläa und Peräa im wesentlichen jüdische Bevölkerung. Dazu kamen noch die östlich vom See Genezareth gelegenen Landschaften Gamalitis, Gaulanitis, Batanäa und Trachonitis, deren Bevölkerung aus Juden und Heiden gemischt war. Im weiteren Sinne müssen endlich zur jüdischen Bevölkerung auch die Samaritaner gerechnet werden.

Die Dreitheilung des jüdischen Gebietes in die drei Landschaften

wird auch in (עֵבֶר הַיַּרְדֵּן גְלִיל יְהוּדָה Judia, Galilia und Peria

der Mischna wiederholt vorausgesetzt 2). Das eigentliche Kernland war Judäa, das im Norden von Samarien, im Osten vom Jordan und dem todten Meere, im Westen vom Gebiet der philistäisch-hellenistischen Städte, im Süden vom peträisch-arabischen Reiche begrenzt wurde. Hier in Judäa war der Mittelpunkt des jüdischen Lebens; hier hatte sich nach dem babylonischen Exil die neue Ge

1) Es ist evident, dass Josephus a. a. O. (Bell, Jud. III, 3, 1—5) eine Beschreibung des jüdischen Landes geben will, d. h. derjenigen Gebiete von Palästina, welche ganz oder vorwiegend von Juden bewohnt waren. Denn alle heidnischen Gebiete sind von der Beschreibung ausgeschlossen und nur genannt, um die Grenzen des jüdischen Gebietes zu bestimmen. So beschreibt er zuerst Galiläa, welches begrenzt wird im Westen durch das Gebiet von Ptolemais, im Osten durch das von Hippos, Gadara u. s. w. (III, 3, 1); sodann Peräa, welches begrenzt wird im Norden durch das Gebiet von Pella, im Osten durch das von Gerasa, Philadelphia u. s. w. (III, 3, 3). Hierauf folgt die Beschreibung Samaria's (III, 3, 4), und endlich die von Judäa (III, 3, 5). Letzteres erstreckt sich vom Jordan bis Jope (uzqıç 'Ióлng), so dass also Jope nicht zu Judäa gerechnet ist. Die hellenistischen Küstenstädte sind sämmtlich von der Beschreibung ausgeschlossen; und Josephus sagt vom jüdischen Lande nur, es entbehre nicht der Genüsse, die vom Meere kommen, da es sich an den Küstenländern hinziehe (III, 3, 5: ἀφῄρηται δὲ οὐδὲ τῶν ἐκ θαλάσσης τερπνῶν ἡ Ἰουδαία, τοῖς παραλίοις κατατείνουσα). Zu den genannten vier Provinzen fügt dann Josephus noch anhangsweise hinzu: 1) das Gebiet von Jamnia und Jope, weil dies die einzigen Küstenstädte sind, welche vorwiegend von Juden bewohnt wurden (vgl. §. 23, I), und 2) die zum Königreich des Agrippa gehörigen Provinzen Gamalitis, Gaulanitis, Batanäa und Trachonitis, weil in diesen das jüdische Element wenigstens einen sehr starken Bruchtheil bildete. Von besonderem Interesse ist bei dieser ganzen Beschreibung, dass Josephus auch Samaria in dieselbe mit aufgenommen hat, offenbar weil er auch die Samaritaner ihrem Wesen nach doch als Juden betrachtet, wenn auch als heterodoxe.

2) Schebiith IX, 2. Kethuboth XIII, 10. Baba bathra III, 2.

meinde zunächst wieder organisirt; von hier war die makkabäische Erhebung ausgegangen; hier war bis zur Zerstörung der heiligen Stadt der Hauptsitz der gelehrten und erziehenden Thätigkeit der pharisäischen Schriftgelehrten. Von Judäa durch Samarien getrennt lag im Norden Galiläa, dessen Grenzen nach Norden das Gebiet von Tyrus, nach Westen das von Ptolemais, nach Osten der Jordan und der See Genezareth bezeichnen. Auch die Bevölkerung Galiläa's war im wesentlichen eine jüdische; denn die Einwohner dieser Gegend hatten sich dem samaritanischen Schisma nicht angeschlossen, wie man eigentlich nach der früheren gemeinsamen Geschichte des Reiches Ephraim erwarten könnte. Vielmehr war es gelungen wir wissen nicht mehr, wann und auf welche Weise, jedenfalls aber schon in der persischen Zeit auch in diesem District die Richtung, welche das Judenthum in der nachexilischen Zeit eingeschlagen hatte, zur Herrschaft zu bringen und so eine dauernde religiöse Gemeinschaft zwischen den Einwohnern Judäa's und Galiläa's zu stiften. Endlich jenseits des Jordan lag die dritte der jüdischen Landschaften, Peräa, das im Norden durch das Gebiet von Pella, im Osten durch die Gebiete von Gerasa, Philadelphia und Hesbon, im Süden durch das peträisch-arabische Reich begrenzt wurde. Auch in dieser so begrenzten Landschaft war die Bevölkerung eine wesentlich jüdische 3). Doch wird man weder in Galiläa noch in Peräa das jüdische Element als rein und unvermischt sich vorzustellen haben. Durch den bewegten Gang der Geschichte sind hier Juden und Heiden so oft und vielfach durcheinander geworfen worden, dass ein Durchdringen des jüdischen Elementes zu ausschliesslicher Herrschaft zu den Unmöglichkeiten gerechnet werden muss. Nur in Judäa wird dies durch die jahrhundertelange energische Wirksamkeit der Schriftgelehrten wenigstens annähernd erreicht worden sein.

Trotz der religiösen und nationalen Gemeinschaft der drei Landschaften hatten sich doch in Sitten und Gewohnheiten ihrer Bewohner auch mancherlei Unterschiede ausgeprägt, welche den drei Landschaften, ganz abgesehen von der wiederholt eintretenden politischen Trennung, eine gewisse Selbständigkeit des inneren Lebens verliehen. Die Mischna erwähnt z. B. kleine Unterschiede in eherechtlicher Beziehung zwischen Judäa und Galiläa), verschiedene

3) Vgl. z. B. Antt. XX, 1, 1 (Grenzstreit der Juden Peräa's mit den Philadelphenern); Bell. Jud. IV, 7, 4—6 (Theilnahme der Juden Peräa's am Aufstand). Auch die Mischna setzt durchweg Peräa (1) als von Juden bewohntes Land voraus, s. Schebiith IX, 2. Bikkurim I, 10. Taanith III, 6. Kethuboth XIII, 10. Baba bathra III, 2. Edujoth VIII, 7. Menachoth VIII, 3.

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4) Kethuboth IV, 12.

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