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unbedingt zu verwerfen, weil die Mischna noch nichts davon weiss, vielmehr augenscheinlich voraussetzt, dass das Synedrium gerade in der letzten Zeit vor der Zerstörung des Tempels sich in der lischkath hagasith versammelt habe. Da die letzten vierzig Jahre vor der Zerstörung des Tempels auch als der Zeitraum bezeichnet werden, während dessen dem Synedrium die Urtheile über Leben und Tod genommen waren (s. oben Anm. 515), so will die talmudische Notiz wohl besagen, dass das Synedrium während dieser Zeit seine Sitzungen auch nicht mehr in dem gewohnten solennen Lokale habe halten dürfen oder gehalten habe, sondern an einem unansehnlichen Orte, in den Kaufläden" oder, da die Lesart mit dem Singular chanuth wohl vorzuziehen ist, in einem „Kaufladen". ist nämlich das gewöhnliche Wort für Kaufgewölbe, Kaufladen 526). Da es an einer Stelle heisst, dass das Synedrium später aus der chanuth nach Jerusalem gewandert sei 527), so hat man sich jene chanuth wohl ausserhalb der eigentlichen Stadt zu denken. Aber alle näheren Vermuthungen der Gelehrten über ihre Lage sind überflüssig, da die Sache selbst überhaupt ungeschichtlich ist 528). Wenn bei der Verurtheilung Jesu (Marc. 14, 53 ff. Matth. 26, 57 ff.) das Synedrium im Palaste des Hohenpriesters sich versammelte, so ist darin eine Ausnahme von der Regel zu erblicken, zu der man schon durch die nächtliche Stunde genöthigt war. Denn bei Nacht waren die Thore des Tempelberges geschlossen 529).

Singular chanuth.

S. die Stellen auch bei Selden, De synedriis II, 15, 7—8. Wagenseil zu Sota IX, 11 (in Surenhusius' Mischna III, 297), Levy, Neuhebr. Wörterb. II, 80 (s. v. m).

526) Z. B. Baba kamma II, 2. VI, 6. Baba mezia II, 4. IV, 11. Baba bathra II, 3. Der Plur. ♬ Taanith I, 6. Baba mezia VIII, 6. Aboda sara I, 4. Tohoroth VI, 3. Der Krämer heisst

527) Rosch haschana 31a.

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528) Die oben gegebene Erklärung des Ursprungs jener unhistorischen Notiz scheint mir jetzt die wahrscheinlichste. Eine andere s. in den Stud. und Krit. 1878, S. 625. Schon im Talmud wird über die Motive der Auswanderung des Synedriums nur unsicher hin und her gerathen, s. Aboda sara Sh, in deutscher Uebersetzung bei Ferd. Christian Ewald, Abodah Sarah, oder der Götzendienst (2. Ausg. 1868) S. 62-64.

529) Middoth I, 1. Andere Synedrialsitzungen im Palaste des Hohenpriesters sind nicht bezeugt. Denn Luc. 22, 54 ff. und Joh. 18, 13 ff. handelt es sich nur um ein Verhör vor dem Hohenpriester. Und Matth. 26, 3 ist die Ortsangabe ein späterer Zusatz des Evangelisten, vgl. Marc. 14, 1. Luc. 22, 2.

Eine ausführlichere Behandlung der Frage nach dem Versammlungsorte des grossen Synedriums 8. in meinem Aufsatze in den Stud. und Krit. 1878, S. 608-626. Daselbst S. 608 auch die ältere Literatur, die aber wegen kritikloser Benützung der Quellen nicht zu haltbaren Resultaten gelangt.

5. Gerichtsverfahren. Dasselbe wird in der Mischna folgendermassen beschrieben 530). Die Beisitzer des Gerichtshofes sassen im Halbkreise (eigentl. wie die Hälfte einer runden Tenne), damit sie einander sehen konnten. Zwei Gerichtsschreiber standen vor ihnen, einer zur Rechten und einer zur Linken, und schrieben die Reden derer die lossprachen und derer die verurtheilten nieder 531). Vor ihnen sassen drei Reihen Jünger der Gelehrten. Jeder von ihnen kannte seinen Platz 532). Der Angeklagte hatte in demüthiger Haltung und im Trauergewande zu erscheinen 533). In Fällen, wo es sich um Leben oder Tod handelte, waren besondere Formen für Verhandlung und Urtheilssprechung vorgeschrieben. Es musste in solchen Fällen stets mit den Entlastungsgründen begonnen werden, erst dann durften die Belastungsgründe vorgebracht werden 531). Wer einmal zu Gunsten des Angeklagten gesprochen hatte, durfte nicht nachträglich zu dessen Ungunsten sprechen, wohl aber umgekehrt 535). Die anwesenden Jünger durften nur für, nicht gegen den Angeklagten das Wort ergreifen, während ihnen sonst beides gestattet war 536). Ein lossprechendes Urtheil durfte noch an demselben Tage, ein verdammendes erst am folgenden Tage gefällt werden 537). Die Abstimmung, zu welcher man sich erhob 538), begann „von der Seite, 72, d. h. beim jüngsten Gerichtsmitgliede, während sie sonst beim angesehensten begann 539). Zu einem lossprechenden Urtheile genügte einfache Majorität, zu einem verdammenden war eine Mehrheit von zwei Stimmen erforderlich 540). Sprachen daher von den 23 Richtern, welche im Ganzen nöthig waren, 12 frei, 11 schuldig, so war der Angeklagte frei; sprachen aber 12 schuldig, 11 frei, so musste die Zahl der Richter um zwei vermehrt werden, und da

530) Ueber das Gerichtsverfahren im Alten Testamente s. Winer RWB. Art. Gericht". Oehler Art. „Gericht und Gerichtsverwaltung bei den Hebräern in Herzog's Real-Enc. 1. Aufl. V, 57-61. Saalschütz, Das Mosaische Recht II, 593 ff. Keil, Handbuch der biblischen Archäologie (2. Aufl. 1875) §. 150. Köhler, Lehrbuch der biblischen Geschichte I, 359 ff.

531) Sanhedrin IV, 3. Auch bei Josephus wird einmal ò reapuateès tūs Borkig erwähnt, B. J. V, 13, 1.

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mit fortgefahren werden, bis entweder eine Freisprechung erfolgte oder die nöthige Majorität für das Schuldig erreicht war. Das Maximum, bis zu welchem man hiebei ging, waren 71541).

IV. Die Hohenpriester.

Literatur:

Selden, De successione in pontificatum Ebraeorum, Lib. I c. 11-12 (öfters nachgedruckt mit anderen Werken Selden's zusammen, z. B. in der Ausg. d. Uxor Ebraica, Francof. ad Od. 1673, auch in Ugolini's Thesaurus t. XII).

Lightfoot, Ministerium templi Hierosolymitani c. IV, 3 (Opp. ed. Roterodam.
I, 684 899.).

Reland, Antiquitates sacrae P. II c. 2 (ed. Lips. 1724, p. 146 sq.).
Anger, De temporum in actis apostolorum ratione (1833) p. 93 sq.
Ewald, Geschichte des Volkes Israel Bd. VI, 3. Aufl. 1868, S. 634.
Schürer, Die dogtis im Neuen Testamente (Stud. und Krit. 1872, S.
593-657).

Grätz, Monatsschr. für Geschichte und Wissensch. des Judenthums Jahrg. 1877, S. 450-454, und Jahrg. 1881, S. 49-64. 97-112.

Das hervorstechendste Merkmal der jüdischen Staatsverfassung in der nachexilischen Zeit ist dies, dass der oberste Priester zugleich Oberhaupt des staatlichen Gemeinwesens war. Wenigstens vom Beginn der griechischen Zeit bis zur römisch-herodianischen Herrschaft war er dies ganz unbestritten. Sowohl die Hohenpriester der vormakkabäischen Zeit als die hasmonäischen Hohenpriester waren nicht nur Priester sondern zugleich auch Fürsten. Und wenn auch ihre Macht einerseits durch die griechischen Oberherren andererseits durch die Gerusia beschränkt war, so war sie doch sehr stark befestigt durch das Princip der Lebenslänglichkeit und der Erblichkeit. Die höchste Steigerung priesterlicher Macht repräsentirt das Priester-Königthum der späteren Hasmonäer. Seit dem Auftreten der Römer und noch mehr unter den Herodianern haben sie allerdings viel von ihrer Macht eingebüsst. Die hasmonäische Dynastie wurde gestürzt, ja ausgerottet. Die Lebenslänglichkeit und Erblichkeit wurde aufgehoben. Sowohl Herodes als die Römer setzten nach Gutdünken die Hohenpriester ab und ein. Dazu kam das stetige Wachsthum der Macht des Pharisäismus und der rabbinischen Schriftgelehrsamkeit. Aber selbst dem Zusammenwirken aller dieser Faktoren gegenüber hat das Hohepriesterthum doch einen guten Theil seiner Macht bis zum Untergang des Tempels sich zu wahren gewusst. Auch jetzt noch standen die Hohenpriester an der

541) Sanhedrin V, 5.

Spitze des Synedriums, also der politischen Gemeinde. Auch jetzt noch waren es einige wenige bevorzugte Familien, aus denen fast stets die Hohenpriester genommen wurden. Sie bildeten also, wenn auch nicht mehr eine monarchische Dynastie, so doch noch eine einflussreiche Aristokratie unter der Oberherrschaft der Römer und Herodianer. Da die Reihenfolge der Hohenpriester bis zum Sturze der Hasmonäer aus der politischen Geschichte bekannt ist, so ist hier nur noch die Liste der Hohenpriester der herodianisch-römischen Zeit zu geben. Josephus sagt, dass es im Ganzen 28 gewesen seien 542). In der That ergiebt eine Zusammenstellung seiner einzelnen Notizen die folgenden 28 Namen 543).

a) Von Herodes (37-4 v. Chr.) eingesetzt:

1. Ananel (37-36 v. Chr.) aus Babylon, von geringer priesterlicher Herkunft, Antt. XV, 2, 4. 3, 1. Die rabbinische Ueberlieferung hält ihn für einen Aegypter 544).

542) Antt. XX, 10.

543) Die Liste dieser Hohenpriester ist schon von einigen griechischen Theologen auf Grund der von Josephus gegebenen Notizen zusammengestellt worden, nämlich 1) von dem christlichen Josephus in seinem Hypomnesticum 8. liber memorialis c. 2 (zuerst herausgeg. von Fabricius, Codex pseudepigraphus Vet. Test. t. II, dann auch bei Gallandi, Biblioth. Patrum t. XIV und Migne, Patrol, graec. t. CVI) und 2) von Nicephorus Constantinop. in seiner Chronographia compendiaria oder vielmehr, nach de Boor, von dem Ueberarbeiter dieser Chronographie (krit. Ausg. von Credner in zwei Giessener Universitätsprogrammen 1832-1838, II, 33 sq. und bes. von de Boor, Nicephori Const. opuscula Lips. 1880, p. 110-112). Auch Zonaras, der in den ersten sechs Büchern seiner Annalen den Josephus excerpirt, hat die Stellen über die Hohenpriester fast vollständig aufgenommen (Annal. V, 12-VI, 17). — Den Abschnitt über die Hohenpriester zur Zeit Jesu (Jos. Antt. XVIII, 2, 2) citirt auch Eusebius Hist. eccl. I, 10, 5-6 und Demonstr. evang. VIII, 2, 100; desgleichen das Chron. paschale ed. Dindorf I, 417. Unter den neueren Zusammenstellungen ist die correcteste die von Anger, mit welcher die unsrige ganz übereinstimmt. Eine ausführlichere Behandlung s. in meinem Aufsatz in den Stud. u. Krit. 1872, S. 597–607.

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544) In der Mischna Para III, 5 werden die Hohenpriester aufgezählt, unter welchen eine rothe Kuh verbrannt wurde (nach dem Gesetz Num. 19). In der nachhasmonäischen Zeit geschah dies unter folgenden drei Hohenpriestern: 1) Elioenai ben ha-Kajaph, 2) Chanamel dem Aegypter,

-die Or אליועיני בן הקייף וחנמאל המצרי וישמעאל בן פי אבי) Ismael ben Pi-abi (3

thographie der Namen nach cod. de Rossi 138). Chanamel der Aegypter kann nur unser Ananel sein. Freilich ist die Form des Namens ebenso unrichtig wie die Angabe des Heimathlandes. Auch die chronologische Reihenfolge ist falsch, da unter dem an erster Stelle genannten Elioenai nur der viel spätere Elionaios Sohn des Kantheras (Nr. 19) verstanden werden kann. -„Aegypter“ ist übrigens so viel wie Alexandriner, was in der That andere Hohepriester zur Zeit des Herodes waren, nämlich die Söhne des Boethos (Antt. XV, 9, 3).

2. Aristobul, der letzte Hasmonäer (35 v. Chr.) Antt. XV, 3. 1. 3.

Ananel zum zweitenmal (34 ff.) Antt. XV, 3, 3.

3. Jesus Sohn des Phabes, Antt. XV, 9, 3545).

4. Simon Sohn des Boethos oder, wie es nach anderen Angaben scheint, Boethos selbst, jedenfalls der Schwiegervater des Herodes, weil Vater der zweiten Mariamme (etwa 24-5 v. Chr.) Antt. XV, 9, 3. XVII, 4, 2. Vgl. XVIII, 5, 1. XIX, 6, 2. Die Familie stammte aus Alexandria Antt. XV, 9, 3.

5. Matthias Sohn des Theophilos (5-4 v. Chr.) Antt. XVII, 4, 2. 6, 4.

6. Joseph Sohn des Ellem, Antt. XVII, 6, 4546).

7. Joasar Sohn des Boethos (4 v. Chr.) Antt. XVII, 6, 4. b) Von Archelaus (4 vor-6 n. Chr.) eingesetzt: 8. Eleasar S. d. Boethos (4 ff.) Antt. XVII, 13, 1.

9. Jesus S. d. Zee Antt. XVII, 13, 1547).

Joasar zum zweitenmale, Antt. XVIII, 1, 1. 2, 1.

c) Von Quirinius (6 nach Chr.) eingesetzt:

10. Ananos oder Hannas S. d. Seth (6-15 n. Chr.) Antt. XVIII, 2, 1. 2. Vgl. XX, 9, 1. B. J. V, 12, 2. Es ist der aus dem Neuen Testamente bekannte Hohepriester, Ev. Luc. 3, 2. Joh. 18, 13-24. Ap.-Gesch. 4, 6.

d) Von Valerius Gratus (15-26 n. Chr.) eingesetzt: 11. Ismael S. d. Phabi (etwa 15-16 n. Chr.) Antt. XVIII, 2, 2548).

545) Bei Joseph. Hypomnest. 'Inoois ó rov Pavẞn, Zonaras Annal. V, 16 (ed. Bonnens. I, 433) Þáßntos, wie Josephus.

546) Ob dieser Joseph mit zu zählen ist, kann fraglich sein, da er nur aushülfsweise einmal am Versöhnungstag fungirte an Stelle des durch levitische Verunreinigung verhinderten Matthias. Indessen war er auf diese Weise doch wenigstens einen Tag lang factisch Hoherpriester, und ist von Josephus wohl mitgezählt, da sonst die Zahl 28 nicht herauskommt. Auch der christliche Josephus (Hypomnest. c. 2) hat ihn in sein Verzeichniss aufgenommen. Das seltsame Ereigniss wird auch in den rabbinischen Quellen öfters erwähnt (s. Selden, De successione in pontificatum Ebr. I, 11, ed. Francof. p. 160. Derenbourg, Histoire de la Palestine p. 160 not. Grätz, Monatsschrift 1881, S. 51 ff.). Der Hohepriester heisst dort s 17.

547) Er heisst bei Jos. Antt. XVII, 13, 1 Inoovs 2 oder Z (die Handschriften schwanken), Joseph. Hypomnest. 'Inooïs ò tov Z, Nicephorus Ἰησοῦς Ωσηέ. Ζonaras Annal. VI, 2 (ed. Bonnens. I, 472) παῖς Σεξο

548) Der Name des Vaters lautet bei Jos. Antt. XVIII, 2, 2, Euseb. Hist. eccl. I, 10, 5 ed, Heinichen, Zonaras Annal. VI, 3 (ed. Bonnens. I, 477) Þaßi,

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