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namentlich in damaliger Zeit sich vielfach gestaltet hat. An einer berühmten Cultusstätte ein Opfer darbringen zu lassen, war sehr häufig nur der Ausdruck einer kosmopolitisch gewordenen Frömmigkeit, ja oft nur ein Act der Courtoisie gegen das betreffende Volk oder die betreffende Stadt, mit welchem man durchaus nicht ein bestimmtes religiöses Bekenntniss ablegen wollte. Was in dieser Hinsicht an anderen berühmten Cultusstätten geschah, weshalb sollte es nicht auch zu Jerusalem geschehen? Und das jüdische Volk und seine Priester hatten ihrerseits keinen Grund, die ihrem Gott erwiesene Ehrfurcht, selbst wenn sie nur ein Act der Höflichkeit war, abzuweisen. Die Vollziehung der Opfer war ja doch Sache der Priester; sie hatten für die correcte Vollziehung des Ritus zu sorgen. Wer für die Kosten aufkam, konnte relativ gleichgültig sein. Jedenfalls bestand kein religiöses Bedenken dagegen, eine Gabe auch von einem solchen anzunehmen, der sonst nicht in den Wegen des Gesetzes wandelte. So setzt denn schon das Alte Testament voraus, dass auch von einem Heiden (72) ein Opfer dargebracht werden kann 267). Das spätere Judenthum hat dann genau festgesetzt, welche Arten von Opfern auch von Heiden angenommen werden dürfen und welche nicht: anzunehmen sind nämlich alle Opfer, welche auf Grund eines Gelübdes oder als freiwillige Gabe dargebracht werden (alle 777 und 17); hingegen pflichtmässige Opfer, wie Sünd- und Schuldopfer, Geflügelopfer von Eiterflüssigen und von Wöchnerinnen und dergl. können von Heiden nicht dargebracht werden 268). Die zulässigen Opfer waren demnach Brandopfer, Speisopfer und Trankopfer 269). Daher wird bei den speciellen gesetzlichen Bestimmungen über diese häufig auch auf die Opfer der Heiden Rücksicht genommen 270).

Die Thatsache, dass von und für Heiden geopfert wurde, ist in ihrer Allgemeinheit am bestimmtesten bezeugt von Josephus bei Gelegenheit des Ausbruches der Revolution im J. 66, wo einer der ersten Acte eben der war, dass man beschloss keine Opfer mehr von

267) Lev. 22, 25 und dazu Dillmann. Es heisst hier, dass man fehlerhafte Opferthiere auch von einem Heiden nicht annehmen dürfe. Dabei ist also vorausgesetzt, dass man im Allgemeinen allerdings Opfer von Heiden annehmen darf.

268) Schekalim I, 5.

269) Mahlopfer schon deshalb nicht, weil sie nur im Stande levitischer Reinheit genossen werden durften (Lev. 7, 20—21).

270) Schekalim VII, 6. Sebachim IV, 5. Menachoth V, 3. 5. 6. VI, 1. IX, 8. Vgl. auch Hamburger, Real-Enc. für Bibel und Talmud, II. Abth., Art. „Opfer der Heiden".

Heiden anzunehmen 271). Von Seite der conservativen Gegenpartei wurde damals darauf hingewiesen, dass alle Vorfahren die Opfer von Heiden angenommen hätten", und dass Jerusalem in den Ruf der Gottlosigkeit kommen werde, wenn allein bei den Juden ein Ausländer nicht opfern könne 272). Aus der Geschichte sind wenigstens einzelne bemerkenswerthe Fälle dieser Art bekannt. Wenn von Alexander d. Gr. erzählt wird, dass er zu Jerusalem geopfert habe 273), so steht und fällt diese Thatsache freilich mit der Geschichtlichkeit seines Besuches in Jerusalem überhaupt. Aber die Erzählung als solche beweist, dass man von Seite des Judenthums. ein solches Verfahren ganz angemessen fand. Ptolemäus III soll ebenfalls in Jerusalem geopfert haben 274). Antiochus VII Sidetes sandte sogar, während er im offenen Krieg mit den Juden sich befand und die Hauptstadt Jerusalem belagerte, zur Zeit des Laubhüttenfestes Opfer in die Stadt, vermuthlich um den Gott des Feindes sich geneigt zu machen, während die Juden ihrerseits die Opfer als ein Zeichen der Frömmigkeit des Königs gerne annahmen 275). Als Marcus Agrippa, der hohe Gönner des Herodes im J. 15 vor Chr. nach Jerusalem kam, opferte er daselbst eine Hekatombe, also ein Brandopfer von hundert Stieren 276). Auch von Vitellius erzählt Josephus, dass er zur Zeit des Passa im J. 37 n. Chr. nach Jerusalem kam, um Gott zu opfern 277). Wie häufig solche Acte der Courtoisie oder der kosmopolitischen Frömmigkeit waren, kann man auch aus dem Umstande entnehmen, dass Augustus seinen Enkel Cajus Cäsar ausdrücklich belobte, weil er auf dem Wege von Aegypten nach Syrien nicht in Jerusalem angebetet habe 278). Tertullian kann daher mit Recht sagen, dass die Römer einst auch den Gott der Juden durch Opfer und ihren Tempel durch Weihgeschenke geehrt hätten 279). Und es wird nicht nur an Proselyten zu denken sein,

271) Bell. Jud. II, 17, 2-4.

272) Bell. Jud. II, 17, 4: ότι πάντες οἱ πρόγονοι τὰς ἀπὸ τῶν ἀλλογενῶν θυσίας ἀπεδέχοντο. - Β. J. II, 17, 3: καταψηφίσασθαι τῆς πόλεως ἀσέβειαν, εἰ παρὰ μόνοις Ἰουδαίοις οὔτε θέσει τις αλλότριος οὔτε προσκυνήσει.

273) Jos. Antt. XI, 8, 5.

274) Jos. contra Apion. II, 5 init.

275) Antt. XIII, 8, 2.

276) Antt. XVI, 2, 1. Opfer von dieser Grösse waren im Tempel zu Jerusalem nichts Ungewöhnliches. S. Esra 6, 17. Philo Legat, ad, Cajum §. 45 (Mang. II, 598). Orac. Sibyll. III, 576. 626.

277) Antt. XVIII, 5, 3.

278) Sueton. Aug. c. 93: Gajum nepotem, quod Judaeam praeterrehens apud Hierosolyma non supplicasset, conlaudavit.

279) Tertullian. Apologet. c. 26: cujus (Judaeae) et deum victimis et templum donis et gentem foederibus aliquamdiu Romani honorastis.

wenn Josephus den Altar zu Jerusalem den allen Hellenen und Barbaren ehrwürdigen Altar" nennt 280), und von der Stätte des Tempels sagt, dass sie von der ganzen Welt angebetet und bei den Fremden am Ende der Erde um ihres Rufes willen geehrt sei 281).

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In die Classe dieser für Heiden und in deren Namen dargebrachten Opfer gehört auch das Opfer für die heidnische Obrigkeit. Wie vor dem Exil die israelitischen Könige den Aufwand für die öffentlichen Opfer bestritten, so soll auch Cyrus angeordnet haben, dass der Bedarf für dieselben aus Staatsmitteln gedeckt werde, aber mit der Absicht, dass dabei auch für das Leben des Königs und seiner Söhne gebetet werde (Esra 6, 10). Bestimmter ist ein Opfer speciell für den König (ολοκαύτωσις προσφερομένη VлÈQ TO Basilios) bezeugt aus der Zeit der makkabäischen Bewegung (I Makk. 7, 33). Also selbst in jener Zeit, während ein grosser Theil des Volkes gegen den syrischen König Krieg führte, haben die Priester das, vermuthlich von den syrischen Königen gestiftete Opfer gewissenhaft dargebracht. In der römischen Zeit war eben dieses Opfer für die heidnische Obrigkeit die einzig mögliche Form, unter welcher das Judenthum ein gewisses Aequivalent leisten konnte für den sonst überall in den Provinzen gepflegten Cultus des Augustus und der Roma. Nach dem bestimmten Zeugnisse Philo's hat Augustus selbst angeordnet, dass für ewige Zeiten auf Kosten des Kaisers täglich zwei Lämmer und ein Stier geopfert werden sollten 282). Auf dieses Opfer für den Kaiser und das römische Volk beriefen sich die Juden ausdrücklich zur Zeit Caligula's, als man ihre Loyalität bezweifelte, weil sie sich der Aufstellung der kaiserlichen Statue im Tempel zu Jerusalem widersetzten 283). Und es wurde noch regelmässig dargebracht bis zum Ausbruch der Re

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280) Bell. Jud. V, 1, 3: τὸν Ἕλλησι πᾶσι καὶ βαρβάροις σεβάσμιον βωμόν.

281) Bell. Jud. IV, 4, 3 (ed. Bekker V, 315, 2-4): % đề trò tis olovu της προσκυνούμενος χώρος καὶ τοῖς ἀπὸ περάτων γῆς ἀλλοφύλοις ἀκοῇ τετι· μημένος.

282) Philo, Legat. ad Cajum §. 23 (ed. Mang. II, 569): лρоστáğaç zai di αἰῶνος ἀνάγεσθαι θυσίας ἐνδελεχεῖς ὁλοκαύτους καθ ̓ ἑκάστην ἡμέραν ἐκ τῶν ἰδίων προσόδων, ἀπαρχὴν τῷ ὑψίστῳ θεῷ, αἳ καὶ μέχρι τοῦ νῦν ἐπιτελοῦν· ται καὶ εἰς ἅπαν ἐπιτελεσθήσονται. -Fast gleichlautend auch §. 40, ed. Mang. II, 592, wo noch die Bemerkung hinzugefügt ist: "oves elol dúo zai tavρος τὰ ἱερεῖα, οἷς Καῖσας ἐφῄδρυνε [1. ἐφήδυνε] τὸν βωμόν.

283) Jos. Bell. Jud. II, 10, 4: Ἰουδαῖοι περὶ μὲν Καίσαρος καὶ τοῦ δήμου τῶν Ῥωμαίων δὲς τῆς ἡμέρας θύειν ἔφασαν. - Aus letzteren Worten sieht man auch, dass das tägliche Opfer für den Kaiser, wie das Gemeindeopfer, auf Morgen und Abend vertheilt war.

volution im J. 66 n. Chr. 284). Nach dem Zeugnisse Philo's war es nicht nur ein Opfer für den Kaiser, sondern auch vom Kaiser gestiftet, wozu Augustus trotz seiner inneren Abneigung gegen das Judenthum durch politische Rücksichten sich wohl veranlasst fühlen konnte. Josephus behauptet freilich, dass es auf Kosten des jüdischen Volkes dargebracht worden sei 285). Möglicherweise hat er selbst nicht mehr gewusst, dass das zur Bestreitung des Opfers gestiftete Capital vom Kaiser herrührte. Bei besonderen Veranlassungen sind allerdings für den Kaiser sehr ansehnliche Opfer, wie es scheint, auf Gemeindekosten dargebracht worden; so z. B. zur Zeit Caligula's dreimal je eine Hekatombe, zuerst bei seinem Regierungsantritt, dann bei seiner Genesung von schwerer Krankheit, und zum drittenmal beim Antritt seines germanischen Feldzuges 286).

Ausser den Opfern sind dem Tempel von Jerusalem sehr häufig auch Weihgeschenke von Heiden gewidmet worden. Sehr ausführlich beschreibt z. B. Pseudo-Aristeas die prachtvollen Geschenke, welche Ptolemäus Philadelphus für den Tempel von Jerusalem stiftete, als er den jüdischen Hohenpriester um Uebersendung geeigneter Männer zur Uebersetzung des Alten Testamentes in's Griechische bat: zwanzig goldene und dreissig silberne Schalen, fünf Krüge und einen kunstvoll gearbeiteten goldenen Tisch 287). Gehört diese Geschichte auch in's Gebiet der Legende, so spiegelt sie doch die Sitte der Zeit getreu wieder. Denn dass die ptolemäischen Könige öfters Weihgeschenke für den Tempel von Jerusalem stifteten, ist auch sonst mehrfach bezeugt 288). In der römischen Zeit war dies nicht anders. Als Sosius im Verein mit Herodes Jerusalem erobert

284) Bell. Jud. II, 17, 2—4.

285) Joseph. contra Apion. II, 6 fin.: facimus autem pro eis [scil. imperatoribus et populo Romano] continua sacrificia; et non solum quotidianis diebus ex impensa communi omnium Judaeorum talia celebramus, verum quum nullas alias hostias ex communi neque pro filiis peragamus, solis imperatoribus hunc honorem praecipuum pariter exhibemus, quem hominum nulli persolvimus.

286) Philo, Legat. ad Cajum §. 45 (ed. Mang. II, 598). Opfer und Gebet für die heidnische Obrigkeit werden überhaupt empfohlen: Jerem. 29, 7. Baruch 1, 10-11. Aboth III, 2: R. Chananja Vorsteher der Priester sagte: Bete für das Wohl der Obrigkeit" (b, womit die heidnische Obrigkeit gemeint ist). Von christlicher Seite vgl. I Timoth. 2, 1-2. Clemens Romanus c. 61 und dazu das von Harnack (Patrum apostol. opp. I, 1 ed. 2, 1876, p. 103 sq.) gesammelte Material. Mangold, De ecclesia primaeva pro Caesaribus ac magistratibus Romanis preces fundente, 1881.

287) Pseudo-Aristeas in Havercamp's Ausgabe des Josephus II, 2, 108-111 (auch in Merx' Archiv I, 262-269); im Auszug bei Josephus Antt. XII, 2, 5—9. 288) II Makk. 3, 2. 5, 16. Joseph. Antt. XIII, 3, 4; contra Apion. II, 5 init,

hatte, weihte er einen goldenen Kranz 289). Marcus Agrippa schmückte bei seinem schon erwähnten Besuch in Jerusalem auch den Tempel mit Weihgeschenken 290). Unter den Tempelgefässen, welche Johannes von Gischala während der Belagerung einschmelzen liess, befanden sich auch Weinkrüge (azoatogóoo1), die vom Kaiser Augustus und seiner Gemahlin geschenkt waren 291). Ueberhaupt war es nichts Ungewöhnliches, dass Römer Weihgeschenke für den Tempel stifteten 292). So ist also doch selbst der exclusive Tempel von Jerusalem in gewissem Sinne kosmopolitisch geworden: auch er empfing die Huldigungen der ganzen Welt so gut wie die berühmten Cultusstätten des Heidenthums.

§. 25. Die Schriftgelehrsamkeit.

I. Kanonische Dignität der heiligen Schriften).

Die principiell entscheidendste Thatsache für das religiöse Leben des jüdischen Volkes in unserer Periode ist die, dass das Gesetz, welches nicht nur den priesterlichen Cultus, sondern überhaupt das ganze Leben des Volkes in seinen religiösen, sittlichen und socialen Beziehungen regelte, als ein von Gott selbst gegebenes anerkannt war. Jede Forderung desselben war eine Forderung Gottes an sein Volk; die pünktlichste Beobachtung desselben darum eine Pflicht der Religion, ja die oberste und im Grunde genommen einzige Pflicht der Religion. Die ganze Frömmigkeit des Israeliten ging darin auf, das von Gott ihm gegebene Gesetz mit Furcht und Zittern, mit dem Eifer eines geängsteten Gewissens in allen seinen Einzelheiten zu beobachten. Die Anerkennung dieser Dignität des Gesetzes als eines von Gott selbst gegebenen bedingt also den specifischen Charakter der israelitischen Frömmigkeit in unserer Periode.

289) Antt. XIV, 16, 4.

290) Philo, Legat. ad Cajum §. 37, ed. Mangey II, 589.

291) Bell. Jud. V, 13, 6. Vgl. Philo, Legat. ad Caj. §. 23, ed. Mang. II, 569. 292) B. J. IV, 3, 10 (Bekker V, 305, 20 sq.). Vgl. II, 17, 3.

1) Die Literatur über die Geschichte des alttestamentlichen Kanon's s. bei Strack Art. Kanon des A. T.'s" in Herzog's Real-Enc. Bd. VII, 2. Aufl. (1880) S. 450 f., und bei Schmiedel, Art. „Kanon" in Ersch und Gruber's Allgem. Encyklopädie Section II Bd. 32 (1582) S. 335 f.

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