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an der Mühle mahlend verliess, so ist, wenn die Mühle still steht, das Haus unrein; wenn sie noch mahlt, nur das unrein, was jene mittelst Ausstreckung der Hand berühren kann u. s. w."54). Wenn also die Evangelien erzählen, dass die Pharisäer sich tadelnd äussern über Jesu freien Verkehr mit den „Zöllnern und Sündern", über sein Einkehren in deren Häusern (Marc. 2, 14-17. Mt. 9, 9-13. Luc. 5, 27-32), so entspricht dies genau dem hier dargelegten Standpunkte. Die Pharisäer haben sich in der That vom Volk des Landes „abgesondert", insofern sie den näheren Verkehr mit demselben gemieden haben. Der Name peruschim kommt ihnen darum mit Recht zu; ja sie hatten auch von ihrem Standpunkte aus keinen Grund, denselben abzulehnen.

Diese Exclusivität des Pharisäismus berechtigt allerdings dazu, ihn eine aloeots, eine Sonder-Richtung zu nennen, wie es sowohl im Neuen Testamente (Act. 15, 5. 26, 5) als von Josephus geschieht. Dabei bleibt aber doch bestehen, dass er der legitime und classische Repräsentant des nachexilischen Judenthums überhaupt ist. Er hat nur mit rücksichtsloser Energie die Consequenzen aus dessen Principien gezogen. Nur diejenigen sind das wahre Israel, welche das Gesetz auf's pünktlichste beobachten. Da dies im vollen Sinne nur die Pharisäer thun, so sind nur sie das eigentliche Israel, das sich zur übrigen Masse des Volkes verhält, wie dieses zu den Heiden.

Erst jetzt, nach dieser allgemeinen Charakteristik des Pharisäismus, kann auch die Frage nach seiner Entstehung erhoben und seine Geschichte kurz skizzirt werden. Seinem Wesen nach ist er so alt als das gesetzliche Judenthum überhaupt. Sobald einmal die pünktliche Beobachtung des Ceremonialgesetzes als das eigentliche Wesen des religiösen Verhaltens angesehen wird, ist der Pharisäismus im Princip vorhanden. Eine andere Frage ist aber, wann er zuerst als eine Sonder-Richtung, als eine Fraction innerhalb des jüdischen Volkes aufgetreten ist. Und in diesem Sinne lässt er sich nicht weiter hinauf verfolgen als bis in die Zeit der makkabäischen Kämpfe. An diesen betheiligten sich, wenigstens in der ersten Zeit, auch die „Frommen" (oi Aoidator, d. h. 7), die deutlich als eine besondere Fraction innerhalb des Volkes erscheinen (I Makk. 2, 42. 7, 12 ff.). Sie kämpfen zwar an der Seite des Judas für die väterliche Religion, aber sie sind nicht identisch mit der makkabäischen Partei 55). Offenbar vertreten sie, wie aus ihrem Namen zu

54) Tohoroth VII, 4. Vgl. überhaupt die in Anm. 47 angeführten Stellen.

55) Dies ist namentlich von Wellhausen (S. 78-86) treffend nachgewiesen worden, der eben darum mit Recht die Chasidäer mit den Pharisäern identificirt.

schliessen, die strengste Richtung, die mit besonderem Eifer auf Beobachtung des Gesetzes hielt. Sie sind also dieselbe Partei, die uns einige Decennien später unter dem Namen der pharisäischen" wieder begegnet. Wie es scheint, hatten sie in der griechischen Zeit, als die vornehmen Priester und die Obersten des Volkes hinsichtlich des Gesetzes eine immer laxere Richtung einschlugen, sich enger verbunden zu einer Gemeinschaft solcher, welche die pünktlichste Beobachtung des Gesetzes sich zur Pflicht machten. Als dann die Makkabäer die Fahne erhoben zum Kampf für den Glauben der Väter, haben auch diese „Frommen" sich an demselben betheiligt; aber doch nur so lange, als wirklich für den Glauben und das Gesetz gekämpft wurde. Als dies nicht mehr der Fall war, und das Ziel des Kampfes mehr und mehr die nationale Selbständigkeit wurde, scheinen sie sich zurückgezogen zu haben. Wir hören daher nichts mehr von ihnen unter Jonathan und Simon. Erst unter Johannes Hyrkan treten sie wieder auf, und zwar nun unter dem Namen der „,Pharisäer"; aber nun nicht mehr an der Seite der Makkabäer, sondern in feindlichem Gegensatz zu ihnen. Die Entwickelung der Dinge hatte dahin geführt, dass die priesterliche Familie der Makkabäer eine politische Dynastie begründete. Die alte hohepriesterliche Familie war verdrängt worden. In ihr politisches Erbe traten die Makkabäer oder Hasmonäer. Eben damit fielen ihnen aber auch wesentlich politische Aufgaben zu. Die Hauptsache war für sie jetzt nicht mehr die Durchführung des Gesetzes, sondern die Erhaltung und Erweiterung ihrer politischen Machtstellung. Die Verfolgung dieser politischen Ziele musste sie aber immer mehr von ihren alten Freunden, den „Chasidim" oder „Peruschim" trennen. Nicht als ob sie abgefallen wären vom Gesetz. Aber eine weltliche Politik war an sich kaum vereinbar mit jener gesetzlichen Aengstlichkeit und Peinlichkeit, welche die Pharisäer forderten. Es musste über kurz oder lang zum Bruch zwischen beiden Bestrebungen kommen. Dieser Bruch erfolgte unter Johannes Hyrkan. Während derselbe sich noch im Anfang seiner Regierung zu den Pharisäern hielt, sagte er sich später von ihnen los und wandte sich den Sadducäern zu. Die Veranlassung zum Bruch wird von Josephus zwar in sagenhafter Weise erzählt 56). Die Thatsache selbst, dass es unter Hyrkan zum Umschwung kam, ist aber durchaus glaubhaft. So finden wir denn die Pharisäer von nun an als die Gegner der hasmonäischen Priester-Fürsten. Sie waren es nicht nur unter Johannes Hyrkan, sondern auch unter Aristobul I und besonders unter Alexander Jannäus. Unter diesem, der als ein wilder Kriegsmann die religiösen

56) Antt. XIII, 10, 5-6.

Interessen ganz hintansetzte, kam es sogar zur offenen Revolution. Sechs Jahre lang lag Alexander Jannäus mit seinen Soldtruppen im Kampf gegen das von den Pharisäern geleitete Volk 57). Was er schliesslich erreichte, war doch nur die äussere Einschüchterung, nicht die wirkliche Ueberwindung des Gegners: die Pharisäer hatten mit ihrer Betonung der religiösen Interessen die Masse des Volkes auf ihrer Seite. Es ist daher nicht zu verwundern, dass Alexandra, um Frieden zu haben mit ihrem Volk, den Pharisäern die Herrschaft überliess. Deren Sieg war jetzt ein vollständiger: die ganze Leitung der inneren Angelegenheiten lag in ihren Händen. Alle von Hyrkan abgeschafften pharisäischen Satzungen wurden wieder eingeführt: sie beherrschten vollständig das öffentliche Leben des Volkes 58). Und dabei blieb es im Wesentlichen auch für alle Folgezeit. Unter allem Wechsel der Regierungen, unter Römern und Herodianern, behaup teten die Pharisäer ihre geistige Hegemonie. Sie hatten die Consequenz des Principes für sich. Und diese Consequenz verschaffte ihnen das geistige Uebergewicht. Zwar standen die sadducäischen Hohenpriester an der Spitze des Synedriums. Aber thatsächlich hatten nicht die Sadducäer, sondern die Pharisäer den massgebenden Einfluss auf die öffentlichen Angelegenheiten. So beschreibt uns Josephus wiederholt die Situation. Die Pharisäer haben die Menge des Volkes zum Bundesgenossen 59); besonders haben sie die Weiber in ihrer Hand 6). Sie haben den grössten Einfluss auf die Gemeinden, so dass alle gottesdienstlichen Handlungen, Gebete und Opfer nach ihren Anordnungen geschehen 61). Ihre Herrschaft über die Massen ist so unbedingt, dass sie selbst dann Gehör finden, wenn sie etwas gegen den König oder den Hohenpriester sagen 62). Infolge dessen vermögen sie am meisten den Königen entgegenzuwirken 63). Auch die Sadducäer halten sich daher in ihrem amtlichen Wirken an die Forderungen der Pharisäer, weil andernfalls die Menge sie nicht ertragen würde 64). Dieser grosse Einfluss, welchen die Pharisäer thatsächlich ausübten, ist nur die Kehrseite der exclusiven Stellung, die sie sich selbst gaben. Gerade deshalb, weil sie ihre Forderungen so hoch spannten und nur diejenigen als vollbürtige Israeliten anerkannten, die das Gesetz

57) Antt. XIII, 13, 5.

58) Antt. XIII, 16, 2.

59) Antt. XIII, 10, 6: τὸ πλῆθος σύμμαχον ἐχόντων.

60) Antt. XVII, 2, 4: οἷς ὑπῆκτο ἡ γυναικωνίτις.

61) Antt. XVIII, 1, 3: τοῖς δήμοις πιθανώτατοι τυγχάνουσι κ. τ. λ.

62) Antt. XIII, 10, 5.

63) Antt. XVII, 2, 4. 64) Antt. XVIII, 1, 4.

nach der vollen Strenge ihrer Forderungen beobachteten, gerade deshalb imponirten sie der Menge, die in diesen exemplarisch Frommen ihr eigenes Ideal und ihre legitimen Führer anerkannte.

II. Die Sadducäer.

Nicht ebenso klar wie das Wesen der Pharisäer liegt das der Sadducäer vor Augen. Die spärlichen Angaben, welche die Quellen uns liefern, lassen sich nur schwer unter einen einheitlichen Gesichtspunkt bringen. Und es scheint, dass dies im Wesen der Sache begründet ist. Die Sadducäer sind keine so einheitliche und consequente Erscheinung wie die Pharisäer, sondern so zu sagen eine zusammengesetzte, welche von verschiedenen Ausgangspunkten aus zu begreifen ist.

Das hervorstechendste Merkmal ist zunächst dies, dass sie die Aristokraten sind. Als solche bezeichnet sie Josephus wiederholt. „Sie gewinnen nur die Wohlhabenden für sich, das Volk haben sie nicht auf ihrer Seite" 65). Zu wenigen Männern ist diese Lehre gelangt, jedoch zu den Ersten an Ansehen "66). Wenn Josephus hier davon spricht, dass diese Lehre" nur zu Wenigen gelangt sei, so hängt dies mit seiner ganzen Manier zusammen, die Pharisäer und Sadducäer als philosophische Richtungen zu schildern. Nimmt man diesen aufgetragenen Firniss weg, so bleibt als thatsächliche Angabe dies, dass die Sadducäer die Aristokraten sind, die Reichen (εὔποροι) und Hochgestellten (πρῶτοι τοῖς ἀξιώμασιν). Damit ist auch schon gesagt, dass sie vorzugsweise der Priesterschaft angehörten. Denn Priester waren es, die seit Beginn der griechischen, ja seit der persischen Zeit den jüdischen Staat regierten, wie überhaupt die Priesterschaft den Adel des jüdischen Volkes bildete 7). Zum Ueberfluss bezeugt auch das Neue Testament und Josephus ausdrücklich, dass die hohenpriesterlichen Familien der sadducäischen Partei angehörten 68). So richtig aber diese, zum erstenmal von Geiger mit Nachdruck vertretene, Anschauung ist, so darf sie doch nicht dahin verstanden werden, als ob die Sadducäer die Partei der Priester überhaupt gewesen wären. Der Gegensatz der Sadducäer zu den Pharisäern ist nicht ein Gegensatz der priesterlichen und

65) Antt. XIII, 10, 6: τοὺς εὐπόρους μόνον πειθόντων, τὸ δὲ δημοτι κὸν οὐχ ἑπόμενον αὐτοῖς ἐχόντων.

66) Antt. XVIII, 1, 4: εἰς ὀλίγους ἄνδρας οὗτος ὁ λόγος ἀφίκετο, τοὺς μέντοι πρώτους τοῖς ἀξιώμασι.

67) Joseph. Vita c. 1.

68) Apgesch. 5, 17. Antt. XX, 9, 1.

Schürer, Zeitgeschichte II.

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der strenggesetzlichen Partei, sondern ein Gegensatz der vornehmen Priester zu den Streng-Gesetzlichen. Die Pharisäer standen den Priestern an sich keineswegs feindlich entgegen. Im Gegentheil sie haben die gesetzlichen Bestimmungen über die Einkünfte der Priesterschaft reichlich zu deren Gunsten ausgelegt und ihnen an Erstlingen, Hebe, Zehnt, Erstgeburt u. s. w. ihr voll, gedrückt, gerüttelt und überflüssig Mass zuerkannt 69); auch die grössere Heiligkeit und höhere Rangstellung der Priester in der Theokratie entschieden anerkannt 70). Andererseits standen auch die Priester durchaus nicht alle dem Pharisäismus feindlich gegenüber. Es gab wenigstens in den letzten Decennien vor und in den ersten Decennien nach der Zerstörung des Tempels eine ganze Anzahl Priester, welche selbst dem Rabbinenstande angehörten 71). Die Gegner der Pharisäer waren demnach nicht die Priester als solche, sondern nur die vornehmen Priester: diejenigen, welche durch Besitz und Aemter auch im bürgerlichen Leben eine einflussreiche Stellung einnahmen.

Angesichts dieser Thatsache ist es eine ansprechende Vermuthung Geiger's (die er freilich für Gewissheit ausgiebt), dass die Sadducäer ihren Namen 72), addovzator 73) von jenem Priester Zadok haben, dessen Geschlecht seit Salomo's Zeit den priesterlichen Dienst zu Jerusalem verwaltete. Jedenfalls darf es gegenwärtig als ausgemacht gelten, dass der Name nicht, wie man früher

69) Vgl. in der Mischna die Tractate Demai, Terumoth, Maaseroth, Challa, Bikkurim, Bechoroth.

70) Chagiga II, 7: Die Kleider der Peruschim gelten als Midras (unrein) für die, welche Hebe essen (d. h. die Priester). Horajoth III, 8: Auch bei der Schriftlection in der Synagoge liess man den Priestern den Vortritt, Gittin V, 8.

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71) Schon dem Jose ben Joeser wird bezeugt, dass er ein unter der Priesterschaft war (Chagiga II, 7). Ein Joeser, welcher Tempelhauptmann, also ebenfalls Priester war, gehörte zu der Schule Schammai's (Orla II, 12). Bei Josephus kommt vor ein Ἰόζαρος ἱερατικοῦ γένους, Φαpisałos xai avτós (Jos. Vita 39). Josephus selbst war Priester und Pharisäer (Vita 1—2). Ferner werden erwähnt ein Rabbi Juda ha-Kohen (Edujoth VIII, 2), ein Rabbi Jose ha-Kohen (Edujoth VIII, 2. Aboth II, 8). — Am bekanntesten sind als priesterliche Schriftgelehrte Rabbi Chananja 10 (s. oben S. 304) und Rabbi Eleasar ben Asarja (s. oben S. 307 f.). — Auch Rabbi Ismael und Rabbi Tarphon sollen Priester gewesen sein (s. S. 309 und 311). 72) So heissen sie in der Mischna: Jadajim IV, 6-7. Erubin VI, 2. Makkoth I, 6. Para III, 7. Nidda IV, 2. Der Singular lautet Erubin VI, 2 p, was im cod. de Rossi 138 punktirt ist (Kamez und Pathach werden in dieser Handschrift oft verwechselt; an den übrigen Stellen ist der Name nicht vokalisirt).

73) So bei Josephus und im Neuen Testamente.

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