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§. 27. Schule und Synagoge.

.(* (לֹא עַם הָאָרֶץ חָסִיד) fromm sein

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Wer das Gesetz nicht kennt, der ist verflucht" (Joh. 7, 49), dies war die Grundüberzeugung des nachexilischen Judenthums. Damit war von selbst gegeben, dass Gesetzeskunde als das höchste, vor andern erstrebenswerthe Gut des Lebens geschätzt wurde. So erklingt denn auch in allen Tonarten die Mahnung: Hin zum Gesetz! Jose ben Joeser sagte: Dein Haus sei ein Versammlungshaus für Gesetzesgelehrte (2); lass dich bestäuben vom Staub ihrer Füsse, und trinke mit Durst ihre Lehren 1). Josua ben Perachja sagte: Verschaffe dir einen Lehrer (7) 2). - Schammai sagte: Mache das Gesetzesstudium zur bestimmten Beschäftigung (p)3). Rabban Gamaliel sagte: Setze dir einen Lehrer, so vermeidest du das Zweifelhafte 4). Hillel sagte: Ein Unwissender kann nicht wahrhaft Derselbe sagte: Je mehr Gesetzeslehre, desto mehr Leben; je mehr hohe Schule, desto mehr Weisheit; je mehr Berathung, desto vernünftiger Handeln. Wer Gesetzeskenntniss sich erwirbt, erwirbt sich das Leben in der zukünftigen Welt 6). --- R. Jose ha-Kohen sagte: Gieb dir Mühe das Gesetz zu erlernen, denn durch Erbschaft erlangt man es nicht). - R. Eleasar ben Arach sagte: Sei emsig im Studium des Gesetzes 8). - R. Chananja ben Teradjon sagte: Wenn zwei beisammen sitzen und sich nicht vom Gesetz unterhalten, so sind sie eine Versammlung von Spöttern, von welcher es heisst: Sitze nicht, da die Spötter sitzen. Wenn aber zwei beisammen sitzen und sich vom Gesetz unterhalten, so ist die Schechina unter ihnen gegenwärtig"). R. Simon sagte: Wenn drei an einem Tische zusammen speisen, und sich nicht vom Gesetz unterhalten, so ist es, als hätten sie von Todtenopfer genossen. Aber wenn drei an einem Tische zusammen speisen und sich vom Gesetz unterhalten, so ist es, als hätten sie am Tische Gottes gegessen 10). - R. Simon sagte: Wer im Wandern sich das Gesetz wiederholt, sich aber unterbricht und ruft: Wie schön ist dieser

1) Aboth I, 4.

2) Aboth I, 6.
3) Aboth I, 15.
4) Aboth I, 16.
5) Aboth II, 5.
6) Aboth II, 7.
7) Aboth II, 12.

8) Aboth II, 14.

9) Aboth III, 2; vgl. III, 6.

10) Aboth III, 3.

Baum! Wie schön ist dieser Acker! dem rechnet es die Schrift an, als wenn er sein Leben verwirkt 11). R. Nehorai sagte: Wandere immer nach einem Orte, wo Gesetzeslehre ist, und sage nicht, sie wird dir nachkommen, oder deine Gefährten werden sie dir erhalten; auch verlass dich nicht auf deinen eigenen Scharfsinn 12). - Derselbe R. Nehorai sagte: Ich lasse alle Gewerbe in der Welt bei Seite und lehre meinen Sohn nur Gesetz; denn dessen Lohn geniesst man in dieser Welt; und das Capital (1) bleibt stehen für die zukünftige Welt 13). Folgende Dinge haben kein Mass: die Pea, die Erstlinge, die Wallfahrt, die Mildthätigkeit, das Studium des Gesetzes. Folgendes sind Dinge, deren Zinsen () man in dieser Welt geniesst, während das Capital (7) stehen bleibt für die zukünftige Welt: Ehrerbietung vor Vater und Mutter, Mildthätigkeit, Friedenstiften unter Nebenmenschen und Studium des Gesetzes mehr als dieses alles 14). Ein Bastard, der das Gesetz kennt, geht selbst einem Hohenpriester im Range voran, wenn dieser ein Unwissender ist 15).

Solche Werthschätzung des Gesetzes musste nothwendig dazu treiben, dass alle Mittel aufgewendet wurden, um womöglich dem ganzen Volke die Wohlthat gründlichster Gesetzeskenntniss und Gesetzesübung zuzuwenden. Was die pharisäischen Schriftgelehrten in ihren Schulen als Gesetz Israel's festgestellt hatten, das musste Gemeingut des ganzen Volkes werden, sowohl theoretisch wie praktisch. Denn auf beides kam es an: auf die Kenntniss und auf die Ausübung des Gesetzes. Josephus rühmt es gerade als einen Vorzug des israelitischen Volkes, dass hier nicht einseitig das eine oder das andere bevorzugt werde, wie etwa die Spartaner nur durch Gewöhnung erzogen, nicht durch Unterricht (ἔθεσιν ἐπαίδευον, οὐ λόγοις, die Athener dagegen und die übrigen Hellenen mit dem theoretischen Unterricht sich begnügen und die Einübung vernachlässigen. Unser Gesetzgeber aber hat beides mit vieler Sorgfalt verbunden. Denn er liess weder die Uebung der Sitten stumm, noch die Lehre des Gesetzes unausgeführt 16). Der Unterricht, der die Voraussetzung der Ausübung bildete, begann schon in früher Jugend und zog sich

11) Aboth III, 7.

12) Aboth IV, 14.

13) Kidduschin IV, 14.

14) Pea I, 1.

15) Horajoth III, 8.

Vgl. überhaupt über Nothwendigkeit und Werth

des Gesetzesstudiums: Weber, System der altsynagogalen palästinischen Theo

logie (1880) S. 28-31.

16) Contra Apion. II, 16–17.

durch das ganze Leben des Israeliten hindurch. Für die Grundlegung hatte die Schule und Familie zu sorgen, für die Weiterführung die Synagoge.

I. Die Schule.

Literatur:

Ursinus, Antiquitates Hebraicae Scholastico - Academicae, Hafniae 1702 (auch in Ugolini's Thesaurus t. XXI).

Pacht, De eruditione Judaica (dissertatio, quam praeside A. G. Waehnero examini submittet auctor J. L. Pacht), Gotting. 1742. Handelt speciell p.

50-55: de ludis puerorum.

Andr. Georg Waehner, Antiquitates Ebraeorum vol. II (Gottingae 1742) p. 783-804: De eruditione Ebraeorum.

Ant. Theod. Hartmann, Die enge Verbindung des A. T. mit dem Neuen (1831) S. 377-384.

Gfrörer, Das Jahrhundert des Heils I, 186-192.

Winer RWB. Art. „Kinder“ und „Unterricht“ (hier auch noch mehr Literatur).

Herzfeld, Gesch. des Volkes Jisrael III, 243. 266-268.

Keim, Gesch. Jesu I, 424 ff.

Diestel, Art. „Erziehung" in Schenkel's Bibellex. II, 172 f.

Ginsburg, Art. „Education" in Kitto's Cyclopaedia of Biblical Literature.
S. R. Hirsch, Aus dem rabbinischen Schulleben. Frankf. a. M. 1871 (Progr.).
Elias van Gelder, Die Volksschule des jüdischen Alterthums nach talmudi-
schen und rabbinischen Quellen. Berl. 1872 (Leipziger Dissertat.).

Leop. Löw, Die Lebensalter in der jüdischen Literatur (Szegedin 1875) S. 195 ff. 407 ff.

Mos. Jacobson, Versuch einer Psychologie des Talmud (Hamburg 1878) S. 93-101.

Jos. Simon, L'éducation et l'instruction des enfants chez les anciens Juifs d'après la Bible et le Talmud. 3. ed. Leipzig 1879, O. Schulze. Hamburger, Real-Enc. für Bibel und Talmud, I. Abth. Art. „Erziehung“. II. Abth. Artt. „Lehrer, Mizwa, Schule, Schüler, Unterricht".

Nach Josephus' Behauptung hatte schon Moses verordnet: „dass die Knaben die wichtigsten Gesetze lernen sollten, da dies die beste Wissenschaft und des Glückes Ursache sei 17). „Er befahl, die Kinder in den Anfangsgründen des Wissens (Lesen und Schreiben) zu unterrichten und sie zu lehren, nach den Gesetzen zu wandeln und die Thaten der Vorfahren zu kennen. Dieses, damit sie sie nachahmten; jenes, damit sie mit den Gesetzen aufwachsend sie nicht überträten oder den Vorwand des Nichtwissens hätten" 18). Zu wie

17) Antt. IV, 8, 12: Μανθανέτωσαν δὲ καὶ οἱ παῖδες πρώτους τοὺς νόμους, μάθημα κάλλιστον καὶ τῆς εὐδαιμονίας αἴτιον.

18) Apion. II, 25: Καὶ γράμματα παιδεύειν ἐκέλευσε [scil. τοὺς παῖδας], περί τε τοὺς νόμους ἀναστρέφεσθαι καὶ τῶν προγόνων τας πράξεις ἐπίστασ

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derholten malen rühmt Josephus den Eifer, mit welchem der Jugendunterricht betrieben wurde. ,,Mehr als um alles bemühen wir uns um die Kindererziehung und halten die Beobachtung der Gesetze und die ihnen entsprechende Frömmigkeit für die wichtigste Angelegenheit des ganzen Lebens" 19). Wenn man von uns irgend Einen nach den Gesetzen früge, würde er leichter alle hersagen, als seinen eigenen Namen. Da wir sie vom ersten Bewusstsein an erlernen, haben wir sie in unsern Seelen wie eingegraben; und selten ist ein Uebertreter, unmöglich aber die Abwendung der Strafe“ 20). Aehnlich äussert sich Philo. „Da die Juden ihre Gesetze für göttliche Offenbarungen halten und von frühester Jugend an in deren Kenntniss unterwiesen sind, so tragen sie das Bild des Gesetzes in ihrer Seele" 21). Sie werden so zu sagen von den Windeln an von Eltern und Lehrern und Erziehern noch vor dem Unterricht in den heiligen Gesetzen und den ungeschriebenen Sitten gelehrt, an Gott den einen Vater und Schöpfer der Welt zu glauben" 22). Von sich selbst rühmt Josephus, dass er schon im vierzehnten Lebensjahre eine so genaue Kenntniss des Gesetzes besessen habe, dass die Hohenpriester und die ersten Männer Jerusalems zu ihm kamen „um von ihm in Betreff der Gesetze Genaueres zu erfahren" 23). Es kann nach alledem nicht zweifelhaft sein, dass in den Kreisen des echten Judenthums der Knabe von zartester Kindheit an mit den Anforderungen des Gesetzes vertraut gemacht wurde 24).

θαι, τὰς μὲν ἵνα μιμῶνται, τοῖς δ ̓ ἵνα συντρεφόμενοι μήτε παραβαίνωσι μήτε σκῆψιν ἀγνοίας ἔχωσι. – Ueber γράμματα Anfangsgründe des Wissens

(Lesen und Schreiben) s. Passow's WB. 8. v.

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19) Apion. I, 12: Μάλιστα δὲ πάντων περὶ παιδοτροφίαν φιλοκαλοῦντες, καὶ τὸ φυλάττειν τοὺς νόμους καὶ τὴν κατὰ τούτους παραδεδομένην εὐσέβειαν ἔργον ἀναγκαιότατον παντὸς τοῦ βίου πεποιημένοι.

20) Apion. II, 18: Ἡμῶν δ ̓ ὁντινοῦν εἴ τις ἔροιτο τοὺς νόμους, οζον ἂν εἴποι πάντας ἢ τοὔνομα τὸ ἑαυτοῦ. Τοιγαροῦν ἀπὸ τῆς πρώτης εὐθὺς αἰσθήσεως αὐτοὺς ἐκμανθάνοντες ἔχομεν ἐν ταῖς ψυχαῖς ὥσπερ ἐγκεχαραγ μένους, καὶ σπάνιος μὲν ὁ παραβαίνων, ἀδύνατος δ ̓ ἡ τῆς κολάσεως παραίτησις.

21) Legat. ad Cajum §. 31, Mang. II, 577: Θεόχρηστα γὰρ λόγια τους νό μους εἶναι ὑπολαμβάνοντες, καὶ τοῦτο ἐκ πρώτης ἡλικίας τὸ μάθημα παι· δευθέντες, ἐν ταῖς ψυχαῖς ἀγαλματοφοροῦσι τὰς τῶν διατεταγμένων εἰκόνας.

22) Legat. ad Cajum §. 16, Mang. II, 562: Δεδιδαγμένους ἐξ αὐτῶν τρόπον τινὰ σπαργάνων ὑπὸ γονέων καὶ παιδαγωγῶν καὶ ὑφηγητῶν, καὶ πολὺ πρότερον τῶν ἱερῶν νόμων καὶ ἔτι τῶν ἀγράφων ἐθῶν, ἵνα νομίζειν τὸν πα τέρα καὶ ποιητὴν τοῦ κόσμου θεόν.

23) Vita 2.

24) Auch in den christlichen Gemeinden wurden bereits die Kinder in der heiligen Schrift unterwiesen, vgl. II Timoth. 3, 15: ἀπὸ βρέφους ἱερὰ γράμ ματα οἶδας.

Dass diese Erziehung zum Gesetz vor allem die Pflicht und Aufgabe der Eltern war, ist selbstverständlich. Aber es scheint, dass schon im Zeitalter Christi auch von Gemeindewegen durch Errichtung von Schulen für den Jugendunterricht gesorgt wurde. Zwar will es nicht viel besagen, wenn die spätere Sage erzählt, dass bereits Simon ben Schetach verordnet habe, dass die Kinder (mp) die Elementarschule (0) besuchen sollen 25). Denn dieser Simon ben Schetach ist überhaupt ein Ansatzpunkt für allerlei Sagen. Jedenfalls wird aber im Zeitalter der Mischna, also spätestens im 2. Jahrh. nach Chr., die Existenz von Elementarschulen vorausgesetzt. Es finden sich z. B. gesetzliche Bestimmungen hinsichtlich des (Gemeinde-Dieners), der die Kinder (p) am Sabbath im Lesen unterrichtet 26). Oder es wird festgesetzt, dass ein lediger Mann

Oder .(27 לא ילמוד אדם רוק סופרים ,nicht Kinderschule halten solle

es wird bestimmt, dass für gewisse Fälle das Zeugniss eines Erwachsenen gültig sei in Betreff dessen, was er einst als Kind (1p) in der Elementarschule (o ) gesehen habe 28). Es ist daher durchaus nicht unglaubwürdig, was eine spätere Tradition berichtet, dass Josua ben Gamla (= Jesus Sohn Gamaliel's) angeordnet habe, dass man Knaben-Lehrer (p) in jeder Provinz und in jeder Stadt anstelle und die Kinder im Alter von sechs oder sieben Jahren zu ihnen bringe 29). Der einzige in der Geschichte bekannte Jesus Sohn Gamaliel's ist der Hohepriester dieses Namens, um 63-65 nach Chr. (s. oben S. 171). Dieser wird also auch in der obigen Notiz gemeint sein. Da seine Massregel schon ein längeres Bestehen von Knabenschulen voraussetzt, so wird man sie unbedenklich in das Zeitalter Christi verlegen dürfen, wenn auch nicht als eine allgemeine und fest organisirte Institution.

25) jer. Kethuboth VIII, 11 (32 oben).

26) Schabbath I, 3.

27) Kidduschin IV, 13.

28) Kethuboth II, 10.

29) bab. Baba bathra 21a: „Rab Juda sagte im Namen des Rab: Wahrlich, es möge dieses Mannes zum Guten gedacht werden! Josua ben Gamla ist sein Name. Wäre er nicht gewesen, das Gesetz wäre in Israel vergessen worden. Denn anfangs, wer einen Vater hatte, den lehrte dieser das Gesetz; wer keinen hatte, der lernte das Gesetz nicht . . . . Später verordnete man, dass man Knabenlehrer in Jerusalem anstellen solle. . . . Allein, nur wer einen Vater hatte, den schickte dieser in die Schule; wer keinen hatte, ging nicht hinein. Da verordnete man, dass man in jeder Provinz Lehrer anstelle und die Knaben im Alter von sechzehn oder siebzehn Jahren zu ihnen schicke. Allein, über wen nun sein Lehrer ärgerlich wurde, der lief davon, bis Josua ben Gamla kam und verordnete, dass man in jeder Provinz und in

-Knabenlehrer anstelle und die Kin (בכל מדינה ומדינה ובכל עיר ועיר) jeder Stadt

der im Alter von sechs oder sieben Jahren zu ihnen bringe".

Schürer, Zeitgeschichte II.

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