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sind die eigentlich durchschlagenden; sie bilden das Centrum, um welches jene anderen gruppirt, und auf welches dieselben bezogen werden. Diese specifisch israelitischen Ideen haben aber in der späteren Zeit wieder ihre besondere Färbung erhalten durch die gesetzliche Auffassung des Verhältnisses zwischen Jahve und Israel. Der Gedanke, dass Gott dieses eine Volk zu seinem Eigenthum erkoren hat und ihm darum ausschliesslich seine Wohlthaten spendet, wird nun ergänzt durch den anderen, dass er ihm auch ein Gesetz gegeben hat, und sich dabei verpflichtet hat, ihm seine Wohlthaten unter der Voraussetzung zu spenden, dass es dieses Gesetz beobachtet. Den Kern des religiösen Bewusstseins bildet also jetzt der Satz, dass Gott dem Volke Israel viele Gebote und Satzungen gegeben hat, um ihm viel Lohn zu verschaffen2). Eine sehr einfache Beobachtung zeigte jedoch, dass dieser Lohn in der empirischen Gegenwart weder dem Volke als Ganzem noch dem Einzelnen in dem zu erwartenden Masse zu Theil werde. Je intensiver demnach jener Gedanke das Bewusstsein des Volkes wie des Einzelnen durchdrang, um so mehr musste sich der Blick auf die Zukunft richten, und zwar dies wieder um so lebhafter, je schlimmer die Gegenwart beschaffen war. Man darf daher sagen, dass in der späteren Zeit das religiöse Bewusstsein sich concentrirt um die Zukunftshoffnung. Die zu erwartende bessere Zukunft ist der eigentliche Zielpunkt, auf welchen alle anderen religiösen Ideen teleologisch bezogen werden. Wie das Thun des Israeliten wesentlich Gesetzesbeobachtung ist, so ist sein Glaube wesentlich Glaube an eine bessere Zukunft. Um beide Pole bewegt sich, wie schon oben bemerkt (S. 389 f.) das religiöse Leben des jüdischen Volkes in unserer Zeit. Man eifert für das Gesetz, um dereinst des Lohnes theilhaftig zu werden. Diese centrale Stellung der Zukunftshoffnung in dem religiösen Bewusstsein Israel's rechtfertigt es, dass wir auf sie speciell hier noch unsere Aufmerksamkeit richten.

I. Verhältniss zur älteren messianischen Hoffnung.

Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ist schon bei den alttestamentlichen Propheten ein wesentliches Moment ihres religiösen Bewusstseins. Sie ist dem Volke auch später nie ganz verloren gegangen, wenn sie auch nicht immer so lebendig war, wie es dann etwa seit der makkabäischen Erhebung in steigendem Masse wieder der Fall war. Im Laufe der Zeit hat aber diese Zukunftshoffnung

2) Makkoth III, 16.

doch sehr mannigfache Wandlungen erfahren. Auf dem Gebiete des Glaubens war ja die Freiheit der Bewegung eine viel grössere als auf dem Gebiete des Thuns. Während die gesetzlichen Vorschriften bis in ihr kleinstes Detail hinein verbindlich waren und darum unverändert von einer Generation der anderen überliefert werden mussten, war dem Glauben wenigstens ein relativ freierer Spielraum gestattet: sofern nur gewisse Grundlagen festgehalten wurden, konnte das individuelle Bedürfniss sich hier viel freier ergehen (s. oben §. 25 III: Halacha und Haggada). So ist denn auch die Zukunftshoffnung in sehr mannigfaltiger Weise ausgestaltet worden. Dabei lassen sich aber doch gewisse gemeinsame Grundlinien beobachten, durch welche im Durchschnitt die spätere messianische Hoffnung sich von der älteren charakteristisch unterscheidet. Die ältere messianische Hoffnung bewegt sich im Wesentlichen in dem Rahmen der gegenwärtigen Weltverhältnisse und ist nichts anderes als die Hoffnung auf eine bessere Zukunft des Volkes. Dass das Volk sittlich geläutert, von allen schlechten Elementen gereinigt werde, dass es unbehelligt und geachtet inmitten der Heidenwelt dastehen werde, indem seine Feinde entweder vernichtet oder zur Anerkennung des Volkes und seines Gottes gezwungen worden sind, dass es von einem gerechten, weisen und mächtigen Könige aus Davids Hause regiert werde, darum auch im Innern Gerechtigkeit, Friede und Freude herrschen werden, ja dass alle natürlichen Uebel aufgehoben und ein Zustand ungetrübter Seligkeit eintreten werde: dieses etwa sind die Grundzüge der Zukunftshoffnung der älteren Propheten. Dieses Bild hat aber in dem Bewusstsein der späteren Zeit, zum Theil schon bei den späteren Propheten, besonders aber in der nachkanonischen Zeit, sehr wesentliche Umgestaltungen erfahren.

1) Vor allem hat sich der Blick je länger desto mehr erweitert vom Volk auf die Welt: nicht nur die Zukunft des Volkes, sondern die Zukunft der Welt wird in's Auge gefasst. Während für die ältere Anschauung die Heidenvölker nur insofern in Betracht kamen, als sie zum Volke Israel in irgend welcher Beziehung standen, fasst die Erwartung der späteren Zeit immer bestimmter das Geschick aller Menschen, ja der ganzen Welt in's Auge. Das Gericht ist ursprünglich entweder ein Gericht, durch welches Israel geläutert wird, oder ein Gericht, durch welches die Feinde Israels vernichtet werden; später wird es zum Weltgericht, in welchem über das Schicksal aller Menschen und Völker entschieden wird, und zwar entweder durch Gott selbst oder durch seinen Gesalbten, den messianischen König Israels. Das ideale Reich der Zukunft geht nach der älteren Erwartung nicht wesentlich über

die empirischen Grenzen des heiligen Landes hinaus; nach der späteren Auffassung umfasst das Gottesreich der Zukunft die ganze Menschheit, die willig oder gezwungen unter dem Scepter Israel's zu einem Weltreiche vereinigt ist. Der Messias ist also Weltrichter und Weltbeherrscher. Ja auch die vernunftlose Creatur, Himmel und Erde, also die ganze Welt im strengen Sinne werden umgestaltet: die alte vernichtet und eine neue herrliche an ihrer Stelle geschaffen.

Diese Erweiterung der Zukunfts-Idee ist theilweise schon durch die Erweiterung des politischen Gesichtskreises herbeigeführt. Je mehr die kleinen Einzelstaaten von den grossen Weltreichen verschlungen wurden, desto näher lag es, auch das ideale Reich der Zukunft als ein Weltreich sich vorzustellen. Nach dem Untergang des letzten heidnischen Weltreiches nimmt Gott selbst das Scepter in die Hand und begründet ein Weltreich, in welchem er, der himmlische König, regiert durch sein Volk. Aber noch wichtiger als die Erweiterung des politischen Horizontes war für die Entwickelung der messianischen Idee die Erweiterung des Gottesbegriffes und der Weltanschauung überhaupt. Für die ursprüngliche Anschauung ist Jahve nur der Gott und König Israel's. Später wird er immer bestimmter und deutlicher als der Gott und König der Welt aufgefasst; womit auch wieder zusammenhängt, dass nun auch der Begriff der Welt" als eines einheitlichen, alles Seiende umfassenden Ganzen immer deutlicher in's Bewusstsein tritt. Wesentlich durch diese Erweiterung des religiösen Bewusstseins überhaupt ist es bedingt, dass auch die Zukunftserwartung sich immer universeller gestaltet.

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2) Mit dieser Erweiterung der Zukunftserwartung geht aber auf der andern Seite Hand in Hand eine viel bestimmtere Beziehung derselben auf das Einzel-Individuum. Auch dies hängt wieder zusammen mit der Entwickelung des religiösen Bewusstseins überhaupt. Ursprünglich ist Jahve der Gott des Volkes, der das Wohl und Wehe des Volkes mit seiner mächtigen Hand leitet. Auf das Geschick des Einzelnen wird dabei kaum reflektirt. Mit der Vertiefung des religiösen Bewusstseins musste aber mehr und mehr auch der Einzelne sich als Gegenstand der Fürsorge Gottes fühlen. Jeder Einzelne weiss sein Geschick in Gottes Hand und ist dessen gewiss, dass Gott ihn nicht verlässt. Die Erstarkung dieses individuellen Vorsehungsglaubens hat allmählich auch eine individuelle Gestaltung der Zukunftshoffnung zur Folge gehabt; freilich verhältnissmässig sehr spät: erst bei Daniel ist sie mit Bestimmtheit nachweisbar. Die Form, in der sie sich zunächst äussert, ist die des Auferstehungsglaubens. Indem der fromme Israelite dessen gewiss ist, dass auch sein persönliches und zwar dauerndes und ewiges Heil von Gott gewollt ist, erwartet er, dass er und jeder einzelne

Fromme Theil haben werde an der zukünftigen Herrlichkeit des Volkes. Wer also vor Verwirklichung derselben vom Tode ergriffen wird, der darf hoffen, dass er dereinst von Gott wieder auferweckt und in das Reich der Herrlichkeit versetzt werden wird. Der Zweck der Auferweckung ist demnach die Theilnahme an der herrlichen Zukunft des Volkes; und der Grund des Auferstehungsglaubens ist das immer kräftiger sich entwickelnde persönliche Heils-Interesse. Aber nicht nur das Heils-Interesse gestaltet sich individuell. Sondern die Reflexion richtet sich überhaupt bestimmter auf das künftige Geschick jedes Einzelnen, auch in malam partem. Gott führt im Himmel Buch über die Thaten jedes Einzelnen, wenigstens jedes Israeliten. Und auf Grund dieser himmlischen Bücher wird dann beim Gericht entschieden: Lohn und Strafe jedem Einzelnen genau nach Verdienst zugemessen. Dies hat dann wieder zur Folge, dass die Erwartung der Auferstehung sich verallgemeinert: nicht nur die Gerechten, sondern auch die Ungerechten werden auferstehen, um im Gericht ihr Urtheil zu empfangen. Doch ist diese Erwartung nie zu allgemeiner Gültigkeit gelangt: vielfach wird doch nur eine Auferstehung der Frommen erwartet. Endlich aber hat das individuelle Heilsinteresse sich auch nicht mehr begnügt mit der Auferstehung zum Zweck der Theilnahme am messianischen Reiche. Diese wird nicht mehr als die letzte und höchste Seligkeit betrachtet, sondern nach dieser noch eine höhere, ewige, himmlische Seligkeit erwartet: ein absoluter Verklärungszustand im Himmel, wie andererseits auch für die Gottlosen nicht mehr bloss Ausschluss vom messianischen Reiche, sondern ewige Qual und Pein in der Hölle.

3) Die letzteren Momente hängen nun schon mit einer weiteren Eigenthümlichkeit zusammen, durch welche die Zukunftserwartung der späteren Zeit sich von der älteren unterscheidet: sie wird nämlich immer mehr transcendent, immer mehr in's Uebernatürliche, Ueberweltliche umgesetzt. Die ältere Zukunftshoffnung bleibt im Rahmen der gegenwärtigen Weltverhältnisse. Man erwartet eine Vernichtung der Feinde Israels, eine Läuterung des Volkes und eine herrliche Zukunft desselben. So ideal auch diese künftige Seligkeit vorgestellt wird, sie bleibt doch im Rahmen der gegenwärtigen Verhältnisse, die eben nur idealisirt werden. Für die spätere Anschauung werden Gegenwart und Zukunft immer mehr zu reinen Gegensätzen, die Kluft zwischen beiden immer schroffer, die Auffassung immer dualistischer. Mit dem Eintritt der messianischen Zeit beginnt ein neuer Weltlauf, ein neuer . Dieser künftige Weltlauf () ist aber in allen Stücken der reine Gegensatz zu dem gegenwärtigen Weltlauf (). Der gegenwärtige steht unter der Herrschaft der widergöttlichen Mächte, des Satans und

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seiner Engel: er ist darum in Sünde und Uebel versunken. Der künftige steht unter der Herrschaft Gottes und seines Gesalbten: in ihm herrscht darum lauter Gerechtigkeit und Seligkeit. Einen Zusammenhang zwischen beiden giebt es kaum. Durch einen wunderbaren Act Gottes wird der eine vernichtet und der andere in's Dasein gerufen. So sehr sich diese Anschauung auch an die ältere Vorstellung anlehnt, so ist dabei doch der Gegensatz zwischen Jetzt und Einst viel schärfer gespannt als in der früheren Anschauung. Die letztere sieht weit mehr auch in der Gegenwart schon das gnädige Walten Gottes. Nach der späteren Vorstellung könnte es fast scheinen, als ob Gott für die Gegenwart den satanischen Mächten das Regiment ganz überlassen habe, und erst für die künftige Welt die volle Ausübung seiner Herrschaft sich vorbehalten habe. Demgemäss wird auch das künftige Heil immer mehr als rein transcendentes aufgefasst. Alle Güter der künftigen Welt kommen von oben herab, vom Himmel, wo sie von Ewigkeit her präexistirt haben. Sie sind für die Heiligen dort aufbewahrt als ein Erbe", das ihnen dereinst wird zugetheilt werden. Insonderheit existirt dort bereits das vollkommene herrliche neue Jerusalem, das in der Vollendungszeit an Stelle des alten auf die Erde herabkommen wird. Ebenso befindet sich aber dort in der Gemeinschaft Gottes bereits der von Gott seit Ewigkeit erwählte vollkommene König Israel's, der Messias. Alles Gute und Vollkommene kann eben nur von oben herabkommen, weil alles Irdische in seinem gegenwärtigen Zustande das reine Widerspiel des Göttlichen ist. Zuletzt greift darum die Zukunftshoffnung überhaupt über das irdische Dasein hinaus. Auch nicht in dem Reich der Herrlichkeit auf der erneuerten Erde wird das letzte Heil gefunden, sondern in einem absoluten Verklärungszustande im Himmel. Wie das Heil selbst, so wird auch die Art seiner Verwirklichung immer mehr transcendent gedacht. Das Gericht ist ein forensischer Act, in welchem ohne Vermittelung irdischer Kräfte lediglich durch einen Urtheilsspruch Gottes oder seines Gesalbten über das Schicksal der Menschen entschieden wird; und die Vollziehung dieses Urtheils erfolgt nur durch übernatürliche Kräfte, durch einen wunderbaren Macht-Act Gottes, welcher das Alte vernichtet und die neue Ordnung der Dinge in's Dasein ruft.

4) Eine wesentlich neue Färbung hat endlich die messianische Hoffnung in der späteren Zeit auch dadurch erhalten, dass sie, wie überhaupt der gesammte religiöse Vorstellungskreis, durch die emsige Arbeit der Schriftgelehrten immer mehr dogmatisirt wurde. An Stelle der frischen religiösen Production trat die gelehrte Forschung in den Schriften der Propheten, durch welche das Detail des messianischen Zukunftsbildes dogmatisch festgestellt wurde. Die Auf

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