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gabe der Schriftgelehrten war ja freilich zunächst die Feststellung und Bearbeitung des Gesetzes. Aber nach derselben Methode haben sie dann auch den religiösen Vorstellungskreis, speciell auch die messianischen Erwartungen bearbeitet und im Detail festgestellt. So wurde das poetische Bild zum gelehrten Dogma. Während in den idealen Zukunftsbildern der Propheten die Grenze des eigentlich und bildlich Gemeinten offenbar eine fliessende ist, wird von den Schriftgelehrten der späteren Zeit der heilige Text der Propheten beim Wort genommen, das poetische Bild dogmatisch versteift und eben dadurch auch der Charakter des ganzen Zukunftsbildes immer mehr ein äusserlich transcendenter. Es ist aber nicht nur das vorliegende Detail gesammelt und dogmatisch fixirt worden, sondern durch gelehrte Combination desselben auch neues Detail gewonnen worden, wie das eben die Art des haggadischen Midrasch ist (s. oben §. 25, III). Man brachte, um neue Aufschlüsse zu gewinnen, in scharfsinniger Weise die heterogensten Stellen in Beziehung zu einander, und stellte dadurch immer genauer und umfassender das Detail der messianischen Dogmatik fest. Immerhin war dieser gelehrte Stoff ein fliessender. Denn wirklich verbindlich, wie das Detail des Gesetzes, ist er nie geworden. Es stand also dem Einzelnen doch frei, bald mehr bald weniger sich davon anzueignen und ihn nach eigener Einsicht zu formen, so dass die messianische Hoffnung stets im Flusse blieb und uns bei den Einzelnen in sehr verschiedener Ausgestaltung entgegentritt.

Ueberhaupt ist noch zu bemerken, dass die hier charakterisirten Eigenthümlichkeiten der späteren messianischen Erwartung keineswegs überall in gleicher Weise sich finden. Die Herrschaft hat doch auch in der späteren Zeit die alte Hoffnung auf eine herrliche Zukunft des Volkes behalten. Diese bildet auch in dem Zukunftsbilde der späteren Anschauung die massgebende Grundlage. Jenachdem aber auf diese Grundlage die charakteristischen Eigenthümlichkeiten der späteren Anschauung stärker oder schwächer, so oder so umgestaltend einwirken, wird das alte Bild bald mehr bald weniger, bald in der einen bald in der andern Weise eigenthümlich modificirt und ergänzt.

Aber ist überhaupt diese Hoffnung stets im Volke lebendig geblieben? Ist sie nicht mit dem Absterben der alten Prophetie auch selbst abgestorben, und erst etwa durch die christliche Bewegung zu neuem Leben erweckt worden? Letzteres ist mehrfach behauptet worden, namentlich sofern es sich um die messianische Idee im engeren Sinne, um die Erwartung eines messianischen Königs handelt. Man meint, diese sei erst durch das Auftreten Jesu Christi wieder angeregt und dadurch auch in den Kreisen des Judenthums

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erst wieder lebendig geworden. In summarischer Weise ist diese Behauptung aufgestellt worden von Bruno Bauer und Volkmar besonnener und mit besserer Begründung von Holtzmann. Des letzteren Aufstellungen sind etwa diese. Nachdem in den letzten Jahrhunderten vor Christo die messianische Idee fast völlig erloschen war, sei sie auf dem Wege gelehrter Thätigkeit vermittelst rein literarischer Forschung" reconstruirt worden. Dieser Process der Neubildung sei zwar zur Zeit Jesu schon im Gange gewesen, habe seinen Abschluss aber erst in der christlichen Zeit und unter theilweisem Einflusse christlicher Ideen erhalten. Im Volksbewusstsein sei die messianische Idee zur Zeit Christi noch keineswegs lebendig gewesen. Ein wesentlicher Unterschied der späteren schulmässigen von der früheren prophetischen Messiasidee sei der, dass von den Propheten das Auftreten des Messias erst erwartet werde, nachdem zuvor Gott selbst in einer Entscheidungsschlacht die feindlichen Mächte vernichtet habe, während nach der späteren Dogmatik der Messias erscheine, um Gericht zu halten, und zwar ein Gericht in forensischer Form. Indem wir den letzteren Punkt vorläufig dahingestellt lassen, können wir das Urtheil über Holtzmann's Ansicht dahin zusammenfassen, dass er zwar entschieden im Rechte ist, wenn er den schulmässigen Charakter der späteren Messiasidee betont, im Unrechte aber, wenn er den letzten Jahrhunderten vor Christo die Messiasidee so gut wie gänzlich abspricht und auch zur Zeit Jesu sie noch nicht in's Volksbewusstsein übergegangen sein lässt. Letzteres widerstreitet der evangelischen Geschichte; und Ersteres kann Holtzmann nur aufrecht erhalten, indem er die entgegenstehenden Zeugnisse entweder ganz unbeachtet lässt (wie Henoch 90, 37-38; Orac. Sibyll. III, 46-50; Philo, de praem. et poen. §. 16), oder durch Anzweifelung ihrer Abfassungszeit beseitigt (wie das Psalterium Salomonis), oder auf gewaltsame Weise umdeutet (wie Orac. Sibyll. III, 652 ff., was auf Simon den Makkabäer gehen soll). In Wahrheit ist die messianische Idee wohl nie ganz erstorben gewesen, wenigstens nicht in ihrer allgemeineren Form, als Hoffnung auf eine bessere Zukunft des Volkes. Jedenfalls ist sie in den letzten Jahrhunderten vor Christo und namentlich zur Zeit Christi wieder sehr lebendig gewesen, wie gerade der Verlauf der evangelischen Geschichte zeigt: ohne dass Jesus etwas zur Belebung derselben thut, erscheint sie durchweg als im Volke lebendig. Und zwar tritt sie in der Regel auch schon in den letzten Jahrhunderten vor Chr. nicht nur in ihrer allgemeinen Form als Hoffnung auf eine bessere Zukunft des Volkes auf, sondern auch speciell als Hoffnung auf einen messianischen König. Dies wird erhellen, wenn wir im Folgenden 1) die Entwickelung der messianischen Idee in

ihrem geschichtlichen Verlaufe darstellen und sodann 2) eine systematische Uebersicht der messianischen Dogmatik geben.

II. Geschichtlicher Ueberblick.

Von tiefgehendem Einfluss auf die Gestaltung der messianischen Idee waren die (zwischen 167-165 vor Chr. entstandenen) Weissagungen des Buches Daniel. In der Zeit der Drangsal ( ne 12, 1), welche durch die wahnsinnigen Massregeln des Antiochus Epiphanes über Israel hereingebrochen war, weissagt der Prophet die nahe Errettung. Gott selbst wird Gericht halten über die Reiche dieser Welt und wird ihnen die Macht und die Herrschaft nehmen und sie vertilgen und vernichten für immer. Aber die Heiligen des Höchsten werden das Reich empfangen und werden es besitzen immer und immerdar. Alle Völker und Nationen und Zungen werden ihnen dienen; und ihr Reich wird nie zerstöret (7, 9-27. 2, 44). Auch die entschlafenen Gerechten werden daran Theil haben; denn sie werden. erwachen aus dem Erdenstaube zu ewigem Leben; die Abtrünnigen aber zu ewiger Schmach (12, 2). Ob der Verfasser jenes Reich der Heiligen des Höchsten mit einem messianischen König an der Spitze gedacht hat, ist nicht zu ersehen. Jedenfalls wird ein solcher nicht erwähnt. Denn der in Gestalt eines Menschen ( 7, 13) Erscheinende ist keineswegs der persönliche Messias, sondern, wie der Verfasser in der Auslegung deutlich und ausdrücklich sagt, das Volk der Heiligen des Höchsten (7, 18. 22. 27). Wie die Weltreiche durch Thiere dargestellt werden, welche aus dem Meere aufsteigen, so wird das Reich der Heiligen durch eine menschliche Gestalt dargestellt, welche aus den Wolken des Himmels herabkommt. Das Aufsteigen aus dem Meere, d. h. aus dem Abgrunde, deutet auf den widergöttlichen Ursprung jener; das Kommen vom Himmel auf den göttlichen Ursprung dieses. Der Kern der messianischen Hoffnung Daniel's ist also die Weltherrschaft der Frommen (s. bes. 2, 44. 7, 14. 27). Und zwar denkt der Verfasser diese nicht, wie es nach Cap. 7 scheinen könnte, durch einen blossen Richterspruch Gottes herbeigeführt. Vielmehr sagt er 2, 44 ausdrücklich, dass das Reich der Heiligen die widergöttlichen Weltreiche zermalmen und vernichten", d. h. also doch mit Waffengewalt überwinden werde, freilich unter Gottes Beistand und nach seinem Willen. Beachtung verdient noch, dass in unserem Buche zum erstenmale deutlich und bestimmt die Hoffnung einer leiblichen Auferstehung ausgesprochen ist (12, 2). Die messianische Hoffnung ist demnach hier ebenso wie früher die Hoffnung auf eine herrliche Zukunft des Volkes, aber mit der doppelten

Modification, dass das künftige Reich Israels als ein Weltreich gedacht ist und dass auch alle verstorbenen Frommen daran Theil haben werden.

In den Apokryphen des Alten Testamentes 3) kann die messianische Hoffnung wegen des vorwiegend geschichtlichen oder didaktischen Inhaltes dieser Schriften naturgemäss nicht stark hervorSie fehlt aber auch hier keineswegs. So finden sich beim Siraciden alle wesentlichen Momente der älteren messianischen Hoffnung: die Erwartung eines Strafgerichts über die Heiden (Sirach 32, 18. 19. 33, 1 ff.), einer Erlösung Israels von seinen Uebeln (Sirach 50, 24), einer Sammlung der Zerstreuten (33, 11), einer ewigen Dauer des Volkes (37, 25. 44, 13), ja einer ewigen Dauer der Dynastie Davids (47, 11). Auch in den übrigen Apokryphen begegnen wir bald dem einen, bald dem andern Momente: dass Gott über die Heiden Gericht halten (Judith 16, 17) und die Zerstreuten Israels wieder zu einem Volke sammeln werde (II Makk. 2, 18 Baruch 2, 27-35. 4, 36–37. 5, 5-9); dass das Volk auf ewig gegründet (II Makk. 14, 15), und der Thron Davids ein ewiger sein werde (I Makk. 2, 57).

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Der Verfasser des Buches Tobit hofft nicht nur, dass die Gerechten gesammelt und das Volk Israel erhöhet und Jerusalem aufs prächtigste mit Gold und Edelsteinen neu gebaut werde (Tobit 13, 12-18. 14, 7), sondern auch, im Anschluss an einige Propheten des A. T.'s, dass alle Heiden sich zum Gott Israels bekehren werden (Tobit 13, 11. 14, 6-7). In der hellenistischen Weisheit Salomonis tritt begreiflicherweise das nationale Moment zurück; ja der Verfasser kann vermöge seiner platonisirenden Anthropologie das wahre Heil für die Seele erst nach dem Tode erwarten. Für ihn ist daher das Wesentliche, dass die verstorbenen Gerechten einst Gericht halten werden über die Heiden (Sap. Sal. 3, 8. 5, 1; vgl. I Kor. 6, 2 f.). Völlig unbegründet ist die in der älteren Exegese herrschende Deutung des Gerechten in Sap. Salom. 2, 12-20 auf den Messias 1).

In reicher Fülle ergiesst sich der Strom messianischer Weissagung in den um 140 vor Chr. entstandenen ältesten jüdischen Sibyllinen. Freilich darf hieher nicht Sibyll. III, 286 sq. bezogen werden (Καὶ τότε δὴ θεὸς οὐρανόθεν πέμψει βασιλῆα, Κρινεῖ δ'

3) Vgl. hiezu: De Wette, Biblische Dogmatik S. 160 f. Oehler in Herzog's Real-Enc. Bd. IX, S. 422–425 (2. Aufl. IX, 653—655). Anger, Vorlesungen über die Geschichte der messianischen Idee S. 78 f. 84 f. Drummond, The Jewish Messiah p. 196 sqq.

4) Vgl. Reusch, Gehört Weisheit 2, 12-20 zu den messianischen Weissagungen? (Tüb. Theol. Quartalschr. 1864, S. 330-346).

ἄνδρα ἕκαστον ἐν αἵματι καὶ πυρὸς αὐγῇ), wo vielmehr von Cyrus die Rede ist). Auch auf den vios coio III, 775 kann man sich nicht berufen. Denn statt viór ist nach Alexandre's richtiger Vermuthung zu lesen vnóv. Und vollends verkehrt ist es, unter der zóon, in welcher nach Sibyll. III, 784-786 Gott wohnen wird, die Mutter des Messias zu verstehen (eine Deutung, zu welcher nach Langen's Vorgang 6) selbst Weiffenbach) sich hat verleiten lassen). Denn die zoon, hebr. 2, ist nichts anderes als Jerusalem. Aber nach Abzug aller dieser Stellen bleibt doch noch stehen, dass der ganze Abschnitt Sibyll. III, 652-794 fast ausschliesslich messianischen Inhalts ist, wenn auch des messianischen Königs nur im Eingang desselben kurz Erwähnung geschieht. Vom Aufgang her (άл Elioto), so heisst es hier, wird Gott senden einen König, welcher allem Krieg auf Erden ein Ende machen wird, die Einen tödtend den Andern die gegebenen Verheissungen erfüllend. Und er wird dies nicht nach eigenem Rathe thun, sondern den Befehlen Gottes gehorchend ). Bei seinem Auftreten (denn dies ist wohl die Meinung des Verfassers) sammeln sich die Könige der Heiden noch einmal zu einem Angriff gegen den Tempel Gottes und das heilige Land. Rings um Jerusalem herum bringen sie ihre Götzenopfer dar. Aber mit gewaltiger Stimme wird Gott zu ihnen reden; und alle kommen um durch die Hand des Unsterblichen. Die Erde wird erbeben, und die Berge und die Hügel werden einstürzen und der Erebus wird erscheinen. Und die Heidenvölker werden umkommen durch Krieg und Schwert und Feuer, weil sie gegen den Tempel ihre Speere geschwungen haben (663-697). Dann werden die Kinder Gottes in Ruhe und Frieden leben, da die Hand des Heiligen sie beschützt (698-709). Und die Heidenvölker, die dies sehen, werden gegenseitig sich selbst ermuntern, Gott zu loben und zu preisen und seinem Tempel Gaben zu senden und sein Gesetz anzunehmen, da es das gerechteste ist auf der ganzen Erde (710-726). Unter allen Königen der Erde wird dann Friede herrschen (743-760). Und Gott wird ein ewiges Reich aufrichten über alle Menschen.

5) Wie jetzt auch Hilgenfeld zugiebt (Zeitschr. für w. Th. 1871, S. 36), nachdem er es früher bestritten hatte (Apokalyptik S. 64. Zeitschr. 1860, S. 315).

6) Das Judenthum in Palästina S. 401 ff.

7) Quae Jesu in regno coelesti dignitas sit p. 50 sq.

8) Sibyll. III, 652-656:

Καὶ τότ' ἀπ' ἠελίοιο θεὸς πέμψει βασιλῆς,

Ὃς πᾶσαν γαῖαν παύσει πολέμοιο κακοῖο,

Οὓς μὲν ἄρα κτείνας, οἷς δ ̓ ὅρκια πιστὰ τελέσσας.
Οὐδέ γε ταῖς ἰδίαις βουλαῖς τάδε πάντα ποιήσει,
Ἀλλὰ θεοῦ μεγάλοιο πιθήσας δόγμασιν ἐσθλοῖς.

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