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Denn die Meinung, dass die älteren Targume im Zeitalter Jesu Christi entstanden seien, darf jetzt wohl als aufgegeben betrachtet werden. Sie gehören wahrscheinlich erst dem dritten oder vierten Jahrhundert nach Chr. an; jedenfalls giebt es keinen Beweis dafür, dass sie älter sind, wenn sie auch vielfach auf ältere exegetische Traditionen zurückgehen. Es steht also mit ihnen nicht anders, als mit den anderen rabbinischen Schriftwerken (Mischna, Talmud, Midrasch): dass sie zwar auf älteren Materialien fussen, aber in der uns vorliegenden Gestalt nicht mehr dem hier behandelten Zeitraum angehören. Die wesentlichen Grundzüge der messianischen Hoffnung des Judenthums in dieser späteren Zeit (um den Anfang des dritten Jahrhunderts n. Chr.) sind sehr gut zusammengefasst von dem Verfasser der Philosophumena, der sie folgendermassen schildert 20): ,Seinen Ursprung, sagen sie, werde der Messias haben aus David's Geschlecht, aber nicht aus einer Jungfrau und dem heiligen Geiste, sondern von Mann und Weib, wie es Allen bestimmt ist aus Samen geboren zu werden. Dieser, glauben sie, werde König sein über sie, ein kriegerischer und mächtiger Mann, der das ganze Volk der Juden versammeln und mit allen Völkern Krieg führen und den Juden Jerusalem als königliche Stadt aufrichten werde, in welche er das ganze Volk sammeln und wieder in den alten Zustand versetzen werde als ein herrschendes und den Opferdienst verwaltendes und lange Zeit in Sicherheit wohnendes. Darnach werde sich gegen sie insgesammt Krieg erheben; und in jenem Kriege werde der Messias durch's Schwert fallen. Nicht lange darnach werde das Ende und die Verbrennung der Welt erfolgen, und so werde sich das erfüllen, was man in Betreff der Auferstehung glaube, und werde einem Jeden die Vergeltung nach seinen Werken zu Theil werden".

ferner: Im. Schwarz, Jesus Targumicus, 2 partt. 4. Torgau 1758-59. Ayerst, Empr, Die Hoffnung Israels oder die Lehre der alten Juden von dem Messias, wie sie in den Targumen dargelegt ist. Aus dem Engl. übers. (52 S. 12), Frankf. a/M. 1851. Langen, Das Judenthum in Palästina S. 418–429.

20) Philosophum. ΙΧ, 30: Γένεσιν μὲν γὰρ αὐτοῦ [scil. τοῦ Χριστοῦ] ἐσομένην λέγουσιν ἐκ γένους Δαβίδ, ἀλλ' οὐκ ἐκ παρθένου καὶ ἁγίου πνεύματος, ἀλλ ̓ ἐκ γυναικὸς καὶ ἀνδρός, ὡς πᾶσιν ὅρος γεννᾶσθαι ἐκ σπέρματος, φάσ σκοντες τοῦτον ἐσόμενον βασιλέα ἐπ' αὐτούς, ἄνδρα πολεμιστὴν καὶ δυνατόν, ὃς ἐπισυνάξας τὸ πᾶν ἔθνος Ἰουδαίων, πάντα τὰ ἔθνη πολεμήσας, ἀναστήσει αὐτοῖς τὴν Ἱερουσαλὴμ πόλιν βασιλίδα, εἰς ἣν ἐπισυνάξει ἅπαν τὸ ἔθνος καὶ πάλιν ἐπὶ τὰ ἀρχαῖα ἔθη ἀποκαταστήσει βασιλεῖον καὶ ἱερατεῖον καὶ κατοι κοῦν ἐν πεπονθήσει ἐν χρόνοις ἱκανοῖς· ἔπειτα ἐπαναστῆναι κατ' αὐτῶν πόλεμον ἐπισυναχθέντων· ἐν ἐκείνῳ τῷ πολέμῳ πεσεῖν τὸν Χριστὸν ἐν μαχαίρη, ἔπειτα μετ ̓ οὐ πολὺ τὴν συντέλειαν καὶ ἐκπύρωσιν τοῦ παντὸς ἐπιστῆναι, καὶ οὕτως τὰ περὶ τὴν ἀνάστασιν δοξαζόμενα ἐπιτελεσθῆναι, τάς τε ἀμοιβὰς ἑκάστῳ κατὰ τὰ πεπραγμένα ἀποδοθῆναι.

III. Systematische Darstellung.

Zur Ergänzung dieses geschichtlichen Ueberblickes geben wir im Folgenden noch eine systematische Darstellung der messianischen Dogmatik, mit Zugrundelegung des Schema's, das sich aus der Apokalypse Baruch's und dem vierten Buch Esra von selbst ergiebt. Denn in diesen beiden Apokalypsen ist die eschatologische Erwartung am vollständigsten entwickelt.

1. Letzte Drangsal und Verwirrung 21). Fast überall wo auf die letzten Dinge Bezug genommen wird, kehrt in verschiedenen Variationen der Gedanke wieder, dass dem Anbruch des Heiles eine Zeit besonderer Noth und Trübsal vorangehen müsse. Es war ja an sich ein naheliegender Gedanke, dass der Weg zum Glück durch Trübsal hindurchführe. Und im Alten Testamente war Aehnliches ausdrücklich geweissagt (Hosea 13, 13; Daniel 12, 1 und sonst). So bildete sich in der rabbinischen Dogmatik die Lehre von den

, den Wehen des Messias, welche seiner Geburt, d. h. seiner Ankunft, vorangehen müssen (der Ausdruck nach Hosea 13, 13; vgl. Matth. 24, 8: πάντα δὲ ταῦτα ἀρχὴ ὠδίνων. Marc. 13, 9: ἀρχαί odirov tavτa). Durch allerlei Vorzeichen wird sich das drohende Unheil ankündigen. Sonne und Mond werden sich verfinstern. Schwerter erscheinen am Himmel; Züge von Fussvolk und Reitern ziehen durch die Wolken (Orac. Sibyll. III, 795-807; vgl. II Makk. 5, 2-3. Joseph. B. J. VI, 5, 3. Tacit. Hist. V, 13). In der Natur geräth alles in Aufruhr und Verwirrung. Die Sonne scheint in der Nacht, und der Mond am Tage. Vom Holze tropft Blut, und der Stein lässt seine Stimme erschallen, und im süssen Wasser wird sich Salz finden (IV Esra 5, 1-13). Besäete Orte werden wie unbesäet erscheinen, und volle Scheuern werden leer gefunden werden, und die Quellen der Brunnen werden stehen bleiben (IV Esra 6, 18-28). Auch unter den Menschen werden alle Bande der Ordnung sich lösen. Sünde und Gottlosigkeit herrschet auf Erden. Und wie vom Wahnsinn ergriffen werden die Menschen sich gegenseitig bekämpfen. Freund ist gegen Freund, der Sohn gegen den Vater, die Tochter gegen die Mutter. Völker erheben sich gegen Völker. Und zu dem Kriege kommen noch Erdbeben, Feuer und Hungersnoth, wodurch

21) Vgl. Schoettgen, Horae Hebraicae II, 509 sqq. 550 sqq. Bertholdt, Christologia Judaeorum p. 45–54. Gfrörer, Das Jahrhundert des Heils II, 225 f. 300-304. Oehler in Herzog's Real-Enc. IX, 436 f. (2. Aufl. IX, 666). Renan, Der Antichrist (deutsche Ausg. 1873) S. 260 Anm. 1. Hamburger, Real-Enc. Art. „Messianische Leidenszeit" (S. 735-738).

die Menschen dahingerafft werden (Buch der Jubiläen in Ewald's Jahrbb. Bd. III, S. 23 f. Apocal. Baruch. 70, 2-8. IV Esra 6, 24. 9, 1-12. 13, 29-31. Mischna Sota IX, 15) 22). Vgl auch Mt. 24, 7-12. 21. Marc. 13, 19. Luc. 21, 23. I Kor. 7, 26. II Tim. 3, 1.

2. Elias als Vorgänger 23). Auf Grund von Maleachi 3, 23-24 erwartete man, dass der Prophet Elias wiederkommen werde, um dem Messias den Weg zu bereiten. Schon im Buche Jesus Sirach (48, 10-11) wird diese Anschauung vorausgesetzt. Bekannt ist, dass im Neuen Testamente häufig darauf Bezug genommen wird (s. bes. Matth. 17, 10. Marc. 9, 11; auch Mt. 11, 14. 16, 14. Me. 6, 15. 8, 28. Luc. 9, 8. 19. Joh. 1, 21). Und selbst in den christlichen Vorstellungskreis ist sie übergegangen 24). Als Zweck seiner Sendung wird nach Maleachi 3, 24 hauptsächlich der betrachtet: Friede zu stiften auf Erden und überhaupt alles Ungeordnete in Ordnung zu

22) Mischna Sota IX, 15 lautet nach Jost's Uebersetzung: Als Spuren des nahen Messias ist zu betrachten, dass der Uebermuth zunimmt; Ehrgeiz schiesst empor; der Weinstock giebt Früchte und der Wein ist doch theuer. Die Regierung wendet sich zu Ketzerei. Es giebt keine Zurecht weisung. Das Versammlungshaus [die Synagoge] wird der Unzucht gewidmet, Galiläa wird zerstört, Gablan wird verwüstet. Die Bewohner eines Gebietes ziehen von Stadt zu Stadt, ohne Mitleid zu finden. Die Wissenschaft der Gelehrten wird verhasst; die Gottesfürchtigen verachtet; die Wahrheit vermisst. Knaben beschämen Greise; Greise stehen vor Kindern. Der Sohn würdigt den Vater herab; die Tochter lehnt sich gegen die Mutter auf; Die Schwiegertochter gegen die Schwiegermutter; die Feinde eines Menschen sind seine Hausgenossen [vgl. Micha 7, 6. Matth. 10, 35-36. Luc. 12, 53]. Das Ansehen des ganzen Zeitalters ist hündisch, so dass der Sohn sich vor dem Vater nicht schämt“. Das ganze Stück gehört übrigens gar nicht zum echten Text der Mischna. Es fehlt z. B. in einem cod. Hamburg. (n. 156 des Steinschneider'schen Cataloges) und in der Editio princeps der Mischna, Neapel 1492. Da es im jerusalemischen Talmud steht, ist es wohl aus diesem in die Mischna hereingekommen.

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23) Vgl. Schoettgen, Horae Hebraicae II, 533 sqq. Lightfoot, Horae Hebr. zu Matth. 17, 10. Bertholdt, Christologia Judaeorum p. 58-68. Gfrörer, Das Jahrhundert des Heils II, 227–229. Alexandre, Oracula Sibyllina (1. ed.) II, 513-516. - S. K., Der Prophet Elia in der Legende (Monatsschr. f. Gesch. und Wissensch. des Judenth. 1863, S. 241-255, 281-296). ,,Elias who was to come" (Journal of sacred Literature and Biblical Record, New Series Vol. X, 1867, p. 371-376). Renan, Der Antichrist S. 321 Anm. Castelli, Il Messia secondo gli Ebrei p. 196–201. Weber, System der altsynagogalen paläst. Theologie S. 337-339.

5.

24) Commodian. Carmen apologet. v. 826 sq. Orac. Sibyll. II, 187-190 (christlichen Ursprungs):

Καὶ τόθ ̓ ὁ Θεσβίτης γε, ἀπ ̓ οὐρανοῦ ἅρμα τιταίνων

Οὐράνιον, γαίη δ' ἐπιβὰς, τότε σήματα τρισσὰ

Κόσμῳ ὅλῳ δείξει τε ἀπολλυμένου βιότοιο.

bringen (Me. 17, 11: ἀποκαταστήσει πάντα. Με. 9, 12: ἀποκαθι στάνει πάντα. Die Hauptstelle in der Mischna lautet folgendermassen 25): R. Josua sagte, ich habe von R Jochanan ben Sakkai die Ueberlieferung empfangen, welcher es von seinem Lehrer in gerader Linie als eine Ueberlieferung des Mose vom Sinai vernommen hat, dass Elias nicht kommen werde, überhaupt Familien unrein oder rein zu sprechen, zu entfernen oder aufzunehmen, sondern nur die mit Gewalt Eingedrungenen zu entfernen, und die mit Gewalt Entfernten aufzunehmen. Eine Familie Namens Beth Zerefa war jenseits des Jordan's, die ein gewisser Ben Zion mit Gewalt ausgeschlossen hatte. Noch eine andere Familie (unreinen Geblütes) war daselbst, die dieser Ben Zion mit Gewalt aufgenommen hat. Also dergleichen kömmt er, unrein oder rein zu sprechen, zu entfernen oder aufzunehmen. R. Jehuda sagt: nur aufzunehmen, aber nicht zu entfernen. R. Simon sagt: seine Sendung ist bloss Streitig keiten auszugleichen. Die Gelehrten sagen: weder zu entfernen, noch aufzunehmen, sondern seine Ankunft wird bloss zum Zweck haben, Frieden in der Welt zu stiften. Denn es heisst: Ich sende euch den Propheten Elia, der das Herz der Väter den Kindern, und das Herz der Kinder den Vätern zuwenden wird (Maleachi 3, 24)“. Zu der Aufgabe des Ordners und Friedestifters gehört auch die Entscheidung streitiger Processe. Daher heisst es in der Mischna, dass Geld und Gut, dessen Besitzer streitig, oder Gefundenes, dessen Besitzer unbekannt ist, liegen bleiben müsse,bis dass Elias kommt 26).— Vereinzelt findet sich auch die Ansicht, dass er den Messias salben 27), und dass er die Todten auferwecken werde 28). - Neben Elias wurde von Manchen auch noch der Prophet wie Moses erwartet, welcher Deut. 18, 15 verheissen wird (Ev. Joh. 1, 21. 6, 14. 7, 40), während von Andern diese Stelle auf den Messias selbst gedeutet wurde. Auch noch von andern Propheten als Vorläufern des Messias, wie z. B. Jeremias (Matth. 16, 14), finden sich Andeutungen im Neuen Testamente. In christlichen Quellen ist auch von einer Wiederkehr

25) Edujoth VIII, 7.

26) Baba mezia III, 4—5. I, 8. II, 8. Vgl. auch Schekalim II, 5 fin.

27) Justin. Dial. c. Tryph. c. 8: Xqiròs dè el xal yɛyévŋtai nai čoti που, ἄγνωστός ἐστι καὶ οὐδὲ αὐτός πω ἑαυτὸν ἐπίσταται οὐδὲ ἔχει δύναμίν τινα, μέχρις ἂν ἐλθὼν Ἠλίας χρίσῃ αὐτὸν καὶ φανερὸν πᾶσι ποιήσῃ. Ibid. c. 49: Καὶ γὰρ πάντες ἡμεῖς τὸν Χριστὸν ἄνθρωπον ἐξ ἀνθρώπων προσδοκώμεν γενήσεσθαι καὶ τὸν Ηλίαν χρίσαι αὐτὸν ἐλVgl. auch Ev. Joh. 1, 31.

θόντα.

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28) Sota IX, 15 (ganz am Schluss): „Die Auferstehung der Todten kommt durch den Propheten Elia". - Die Erwartung gründet sich darauf, dass Elias im A. T. als Todtenerwecker erscheint.

des Henoch die Rede (Er. Nicodemi c. 25, und die patristischen Exegeten zu Apoc. Joh. 11, 3) 29).

3. Erscheinung des Messias. Nach diesen Vorbereitungen erscheint der Messias. Es ist nämlich keineswegs richtig, dass das vorchristliche Judenthum den Messias erst nach dem Gericht erwartet, und dass erst durch Einfluss des Christenthums die Vorstellung sich gebildet habe, der Messias selbst werde Gericht halten über seine Feinde. Denn nicht nur bei Baruch und Esra, nicht nur in den Bilderreden des Buches Henoch und in den Targumen (wo man überall etwa christlichen Einfluss annehmen könnte), sondern auch in der ältesten Sibylle (III, 652-656), in den salomonischen Psalmen (XVII, 24. 26. 27. 31. 38. 39. 41) und bei Philo (De praemiis et poenis §. 16), also in sicher vorchristlichen Dokumenten, erscheint der Messias zur Besiegung der antichristlichen Mächte. Und die entgegenstehende Anschauung, dass er erst nach dem Gericht auftreten werde, findet sich nur ganz vereinzelt, nämlich nur in der Grundschrift des Buches Henoch (90, 16-38). Es ist also von seinem Erscheinen ohne Zweifel an dieser Stelle zu reden.

Was zunächst seine Namen betrifft, so heisst er als der von Gott eingesetzte und gesalbte König Israels am häufigsten: Der Gesalbte, der Messias (Henoch 48, 10. 52, 4. Apocal. Baruch. 29, 3. 30, 1. 39, 7. 40, 1. 70, 9. 72, 2. Esra 7, 28-29, wo die lateinische Uebersetzung interpolirt ist, Esra 12, 32: Unctus), griech. Xotoros zvoíov (Psalt. Salom. XVII, 36. XVIII, 6. 8), hebr. (Mischna Berachoth I, 5), aram. s (Mischna Sota IX, 15) oder (beides häufig in den Targumim). Den Bilderreden des Buches Henoch eigenthümlich ist die Bezeichnung: der Menschensohn (46, 1-4. 48, 2. 62, 7. 9. 14. 63, 11. 69, 26-27. 70, 1), welche daraus entsprungen ist, dass man das Danielische Bild von der in den Wolken des Himmels kommenden Menschengestalt (welche nach dem Zusammenhange bei Daniel die Gemeinde und das Reich Gottes bedeutet) direct auf den Messias bezog. Insofern der Messias das erwählte Werkzeug Gottes ist und Gottes Liebe auf ihm ruht, heisst er der Auserwählte (Henoch 45, 3. 4. 49, 2. 51, 3. 5. 52, 6. 9. 53, 6. 55, 4. 61, 8. 62, 1) oder, wie der theokratische König im Alten Testamente, der Sohn Gottes (Henoch 105, 2. IV Esra 7, 28-29. 13, 32. 37. 52. 14, 9). Bei Henoch kommt einmal vielleicht in einer christlichen Interpolation, die Bezeichnung Sohn des Weibes vor (Henoch 62, 5). Dass er aus David's Geschlecht hervorgehen werde, war auf Grund der alttestamentlichen Weis

29) Vgl. Thilo, Cod. apocr. Nov. Test. p. 756-768, und die Commentare zu Apoc. Joh. 11, 3.

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