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Auch das Wiederauftreten von Gog und Magog wird auf Grund von Ezech. c. 38-39 erwartet, doch in der Regel erst nach Ablauf des messianischen Reiches als letzte Manifestation der widergöttlichen Mächte (Apoc. Joh. 20, 8-9) 48).

5. Vernichtung der feindlichen Mächte 49). Die Vernichtung der feindlichen Mächte erfolgt nach der alttestamentlichen Weissagung durch ein gewaltiges Strafgericht, welches Gott selbst über seine Widersacher hereinbrechen lässt 50). Am treuesten ist diese Anschauung festgehalten in der Assumptio Mosis, deren 10. Capitel mehrfach an Joel c. 3-4 erinnert. Hiemit am nächsten verwandt ist die Darstellung in der Grundschrift des Buches Henoch, insofern auch hier Gott selbst die Macht der heidnischen Völker vernichtet (90, 18—19), und dann das Gericht hält, bei welchem jedoch nur die abgefallenen und ungehorsamen Engel und die abtrünnigen Israeliten (die verblendeten Schafe) gerichtet werden (90, 20-27), während die übriggebliebenen Heidenvölker der Gemeinde Gottes sich unterwerfen (90, 30). Der Messias, der in der Assumptio Mosis überhaupt fehlt, erscheint hier erst nach dem Gerichte (90, 37). Beiden ist also gemeinsam, dass Gott selbst das Gericht hält. Die gewöhnliche Anschauung aber war, dass der Messias die feindlichen Mächte vernichten werde. Schon in der ältesten Sibylle (III, 652 ff.) tritt er auf, um allem Krieg auf Erden ein Ende zu machen, die Einen tödtend, den Andern die gegebenen Verheissungen erfüllend". Bei Philo (De praem. et poen. §. 16) heisst es von ihm, dass er zu Felde zieht und Krieg führt und grosse und volkreiche Nationen bezwingen wird". Noch deutlicher erscheint er im Psalterium Salomonis als Besieger der heidnischen Widersacher des Volkes Gottes, und es verdient hier besonders beachtet zu werden, dass er durch das blosse Wort seines Mundes (v 2óyo otóμatos avtov, nach Jes. 11, 4) seine Feinde darniederwirft (XVII, 27. 39). Völlig im Einklang mit diesen ältern Vorbildern wird dann namentlich in der Apokalypse Baruch's und im vierten Buche Esra die Vernichtung der heidnischen Weltmächte als das erste Geschäft des erschienenen Messias dargestellt (Apocal. Baruch. 39, 7-40, 2. 70, 9. 72, 2—6. IV Esra 12, 32–33. 13, 27-28. 35-38). Hiebei waltet nur der Unterschied ob, dass nach

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48) Vgl. Orac. Sibyll. III, 319 sqq. 512 sqq. Mischna Edujoth II, 10. Die Commentare zu Apoc. Joh. 20, 8-9. Die Artikel über Gog und Magog in den biblischen Wörterbüchern (Winer, Schenkel, Riehm); und in Herzog's Real-Enc. 2. Aufl. V, 263-265 (von Orelli). Uhlemann, Ueber Gog und Magog (Zeitschr. f. wissenschaftl. Theol. 1862, S. 265-286). Renan, Der Antichrist S. 356. Weber, System S. 369 ff.

49) Vgl. Gfrörer, Das Jahrhundert des Heils II, 232-234.

50) S. überhaupt: Knobel, Der Prophetismus der Hebräer I, 325 f. Schürer, Zeitgeschichte II.

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dem vierten Buche Esra diese Vernichtung ausschliesslich durch einen Richterspruch des Gesalbten Gottes erfolgt (13, 28: non tenebat frameam neque vas bellicosum, 13, 38: perdet eos sine labore per legem), während in der Apokalypse Baruch's zwar auch von forensischen Formen, zugleich aber auch von Kriegswerkzeug die Rede ist (ersteres 40, 1-2, letzteres 72, 6). Noch bestimmter als im vierten Buche Esra, wird in den Bilderreden des Buches Henoch das Gericht des Messias über die widergöttliche Welt als ein rein forensisches geschildert. Zwar könnte man versucht sein, auch diesem Buche die Anschauung von einem Vernichtungskampfe zuzuschreiben, da Cap. 46, 4-6 von dem Menschensohn gesagt ist, dass er die Könige und Mächtigen aufregt von ihren Lagern und die Zäume der Gewaltigen löst und die Zähne der Sünder zermalmt; dass er die Könige von ihren Thronen und aus ihren Reichen verstösst: und Cap. 52, 4-9: dass nichts auf Erden vor seiner Macht Stand zu halten vermag. Es wird kein Eisen geben für den Krieg, noch das Kleid eines Panzers: Erz wird nichts nützen, und Zinn wird nichts nützen, und nicht angeschlagen werden, und Blei wird nicht begehrt werden. Aber an andern Orten ist wiederholt davon die Rede, dass der Auserwählte, der Menschensohn, auf den Thron seiner Herrlichkeit sich setzen wird, um Gericht zu halten über die Menschen und über die Engel (45, 3. 55, 4. 69, 27. 61, 8-9). Und so wird auch in der Hauptstelle Cap. 62 das Gericht in rein forensischen Formen beschrieben. Der Herr der Geister sitzet auf dem Throne seiner Herrlichkeit (62, 2); und auch der Sohn des Weibes, der Menschensohn, sitzet auf dem Throne seiner Herrlichkeit (62, 5 ff.). Und die Könige und Mächtigen der Erde, wenn sie ihn sehen, werden in Furcht und Schrecken gerathen und ihn rühmen und preisen und anflehen und Barmherzigkeit von ihm erbitten (62, 4-9). Aber der Herr der Geister wird sie drängen, dass sie eilends hinweggehen vor seinem Angesicht; und ihre Angesichter werden mit Schande erfüllt werden und Finsterniss wird man darauf häufen. Und die Strafengel werden sie in Empfang nehmen, um Vergeltung an ihnen zu üben dafür, dass sie seine Kinder und Auserwählten misshandelt haben (62, 10-11). In den Targumen endlich finden wir wieder die Vorstellung, dass der Messias als ein mächtiger Kriegsheld seine Feinde im Kampfe besiegt. So bei Jonathan zu Jesaja 10, 27: Zermalmt werden die Völker durch den Messias"; und besonders Pseudo-Jonathan und Jeruschalmi zu Genesis 49, 11: Wie schön ist der König Messias, der aufstehen wird aus dem Hause Juda. Er gürtet seine Lenden und tritt auf den Plan und ordnet die Schlacht gegen seine Feinde und tödtet Könige". Man sieht eben, dass die allen gemeinsame Idee einer Vernichtung der widergöttlichen Mächte durch den Messias im

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Einzelnen sich sehr verschiedenartig gestaltet 51). Erst nach Vernichtung der Gottlosen kann nun die messianische Zeit eintreten. Denn so lange die Frevler in der Welt sind, so lange dauert Gottes Zorn; sowie sie aber von der Welt schwinden, weicht auch der göttliche Zorn von der Welt" 52).

6. Erneuerung Jerusalem's 53). Da das messianische Reich im heiligen Lande aufgerichtet wird (vgl. z. B. IV Esra 9, S), muss vor allem Jerusalem selbst erneuert werden. Es wurde dies aber in verschiedener Weise erwartet. Am einfachsten in der Art, dass man nur eine Reinigung der heiligen Stadt, namentlich von den Heiden, die sie jetzt zertreten", erwartete (Psalt. Salom. XVII, 25. 33), was sich nach der Zerstörung Jerusalem's zu einer Hoffnung der Wiedererbauung gestaltete, und zwar der Wiedererbauung zu einem ewigen Bau" (Schmone Esre, 14. Beracha). Daneben aber findet sich auch die Anschauung, dass schon in der vormessianischen Zeit ein viel herrlicheres Jerusalem, als das irdische ist, bei Gott im Himmel vorhanden sei, und dass dieses beim Anbruch der messianischen Zeit auf die Erde herabkommen werde. Die alttestamentliche Grundlage dieser Anschauung ist besonders Ezechiel 40-48, auch Jes. 54, 11 ff. c. 60. Haggai 2, 7-9. Sacharja 2, 6-17, indem man das an diesen Stellen beschriebene neue Jerusalem als jetzt schon im Himmel vorhanden dachte. Bekanntlich ist auch im Neuen Testamente öfters von diesem ἄνω Ἱερουσαλήμ (Gal. 4, 26), Ἱερουσαλὴμ ἐπουράνιος (Hebr. 12, 22), zawỳ) Tegovóaλýμ (Apocal. 3, 12. 21, 2. 10) die Rede;

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51) In einer Stelle des babylonischen Talmud (Sukka 52a) und seitdem öfters wird die Vernichtung der feindlichen Mächte nicht als Aufgabe des eigentlichen Messias, sondern als Aufgabe eines untergeordneten Messias, des , Messias Sohn Joseph's" (5) dargestellt. Derselbe heisst auch Messias Sohn Ephraim's", ist also der Messias der zehn Stämme; und hat nur die relativ untergeordnete Aufgabe einer Bekämpfung der gottwidrigen Mächte, in welchem Kampfe er fallen wird, während der Messias Sohn David's das Reich der Herrlichkeit aufrichtet. Vgl. über diese sehr späte Vorstellung: Bertholdt, Christologia Judaeorum p. 75-81. Gfrörer, Das Jahrhundert des Heils II, 258 ff. Oehler in Herzog's Real-Enc. IX, 440 (2. Aufl. IX, 669 f.). Wünsche, Die Leiden des Messias S. 109-121. Castelli, Il Messia p. 224-236, 342 sqq. Drummond, The Jewish Messiah p. 356 sqq. Weber, System S. 346 f. Hamburger, Real-Enc. II, 767-770 (Art. , Messias Sohn Joseph").

52) Mischna Sanhedrin X, 6 fin.

53) Vgl. Schoettgen, De Hierosolyma coelesti (Horae Hebraicae I, 1205-1248). Meuschen, Nov. Test, ex Talmude illustratum p. 199 sq. Wetstein, Nov. Test., zu Gal. 4, 26. Eisenmenger, Entdecktes Judenthum II, 839 ff. Bertholdt, Christologia Judaeorum p. 217-221. Gfrörer, Das Jahrhundert des Heils II, 245 ff. 308. Weber, System S. 356 ff.

vgl. auch Test. Dan. c. 5: véa legovoa2nu. Nach der Apokalypse Baruch's stand dieses himmlische Jerusalem ursprünglich, ehe Adam sündigte, im Paradiese. Als er aber Gottes Gebot übertrat, wurde es von ihm genommen und im Himmel aufbewahrt, wie auch das Paradies. Später wurde es dem Abraham im nächtlichen Gesichte gezeigt, und ebenso dem Moses auf dem Berge Sinai (Apoc. Baruch. 4, 2-6). Auch Esra sah es im Gesichte (IV Esra 10, 41-59). Dieses neue und herrliche Jerusalem wird also auf Erden erscheinen an der Stelle des alten, und seine Pracht und Schönheit wird die des alten um vieles übertreffen (Henoch 53, 6. 90, 28-29. IV Esra 7, 26. Vgl. auch Apocal. Baruch. 32, 4).

7. Sammlung der Zerstreuten 54). Dass an dem messianinischen Reiche auch die Zerstreuten Israel's Theil haben und zu diesem Zwecke nach Palästina zurückkehren würden, war so selbstverständlich, dass man auch ohne die bestimmten Weissagungen des Alten Testamentes diese Hoffnung gehegt haben würde. In poetischer Weise schildert das Psalterium Salomonis (Ps. XI), wie vom Abend und Morgen, vom Norden und von den Inseln her die Zerstreuten Israel's sich sammeln und nach Jerusalem ziehen. Zum Theil wörtlich damit übereinstimmend äussert sich das griechische Buch Baruch (4, 36–37. 5, 5-9). Philo sieht die Zerstreuten unter Führung einer göttlichen Erscheinung von überall her nach Jerusalem ziehen (De exsecrationibus §. 8-9). Auch die Weissagung des Jesaja, dass die Heiden-Völker selbst die Zerstreuten als Opfergaben zum Tempel zurückbringen werden (Jes. 49, 22. 60, 4. 9. 66, 20), kehrt im Psalterium Salomonis wieder (XVII, 34), während gleichzeitig die Sammlung auch als Werk des Messias dargestellt wird (Psalt. Salom. XVII, 28. Targum Jonathan zu Jerem. 33, 13). Nach dem vierten Buche Esra sind die zehn Stämme in ein bis dahin unbewohntes Land Namens Arzareth (so die lateinische Version) oder Arzaph (finis mundi, so die syrische Version) gezogen, um dort ihre Gesetze zu beobachten 55). Von da werden sie beim Anbruch der messianischen Zeit wieder zurückkehren; und der Höchste wird die Quellen des Euphrat verstopfen, damit sie herüber können (IV Esra 13,

54) Vgl. Gfrörer, Das Jahrhundert des Heils II, 235-238. Die Reihenfolge: 1) Erneuerung Jerusalem's, 2) Sammlung der Zerstreuten, nach dem Sohar bei Gfrörer II, 217 oben.

55) Arzareth ist = 8, terra alia (IV Esra 13, 40); der hebräische Ausdruck Deut. 29, 27, welche Stelle in der Mischna Sanhedrin X, 3 auf die zehn Stämme bezogen wird (s. die folgende Anmerkung). Diese zweifellos richtige Erklärung hat zuerst Schiller-Szines sy gegeben (Journal of Philology, vol. III, 1870); hiernach Bensly, The missing fragment of the latin translation of the fourth book of Ezra (1875) p. 23 Anm.

39-47). Bei der Allgemeinheit der Hoffnung auf Sammlung der Zerstreuten ist es auffallend, dass überhaupt von Einzelnen, wie R. Akiba, die Rückkehr der zehn Stämme bezweifelt wurde 56). Aber aus der täglichen Bitte des Schmone Esre (10. Beracha): Erhebe ein Panier, um zu sammeln unsere Zerstreuten, und versammele uns von den vier Enden der Erde" ersieht man, dass solche Zweifel doch nur vereinzelt waren.

8. Das Reich der Herrlichkeit in Palästina. Das nunmehr anbrechende messianische Reich hat zwar den messianischen König an seiner Spitze. Aber sein oberster Beherrscher ist doch Gott selbst (vgl. z. B. Orac. Sibyll. III, 704-706. 717. 756-759. Psalt. Salom. XVII, 1. 38. 51. Schmone Esre, 11. Beracha. Joseph. Bell. Jud. II, 8, 1). Mit der Aufrichtung dieses Reiches wird also. die Idee des Königthums Gottes über Israel zur vollen Wirklichkeit und Wahrheit. Gott ist freilich auch jetzt schon Israel's König. Aber er übt sein Königthum nicht in vollem Umfange aus, hat vielmehr zeitweilig sein Volk den heidnischen WeltMächten preisgegeben, um es zu züchtigen wegen seiner Sünden. In dem herrlichen Zukunftsreiche aber nimmt er selbst wieder das Regiment in die Hand. Daher heisst es im Gegensatz zu den heidnischen Weltreichen das Reich Gottes (βασιλεία τοῦ θεοῦ, im Neuen Testamente namentlich bei Marcus und Lucas. Sibyll. III, 47-48: βασιλεία μεγίστη ἀθανάτου βασιλῆος. Vgl. Psalt. Salom. XVII, 4. Assumptio Mosis 10, 1. 3). Gleichbedeutend hiermit ist der bei Matthäus vorkommende Ausdruck βασιλεία τῶν οὐρανῶν „Reich des Himmels"57). Denn der Himmel" ist hier nach einem sehr gangbaren jüdischen Sprachgebrauch metonymische Bezeichnung

56) Sanhedrin X, 3 fin.: „Die zehn Stämme kommen niemals mehr zurück, denn es heisst von ihnen (Deut. 29, 27): Er wird sie in ein anderes Land schleudern wie diesen Tag. Also wie dieser Tag dahin geht und nicht wiederkehrt, so sollen sie auch dahingehen und nicht wiederkehren. So R. Akiba. R. Elieser aber sagt: Wie der Tag finster und wieder hell wird, so wird den zehn Stämmen, denen es finster ward, auch einst wieder Licht werden“.

57) Vgl. über diesen Ausdruck überhaupt: Schoettgen, De regno coelorum (Horae Hebraicae I, 1147--1152). Lightfoot, Horae zu Matth. 3, 2. Wetstein, Nov. Test., zu Matth. 3, 2. Bertholdt, Christologia Judaeorum p. 187-192. De Wette, Biblische Dogmatik S. 175-177. Tholuck, Bergpredigt S. 66 f. · Fritzsche, Evangelium Matthaei p. 109 sqq. (woselbst noch mehr Literatur). Kuinoel zu Matth. 3, 2. Ueberhaupt die Commentare zu Matth. 3, 2. Wichelhaus, Commentar zu der Leidensgeschichte (1855) S. 284 ff. Keim, Gesch. Jesu II, 33 ff. Schürer, Der Begriff des Himmelreiches aus jüdischen Quellen erläutert (Jahrbb. für prot. Theol. 1876, S. 166-187). Cremer, Bibl.-theol. Wörterb. s. v. Bagikɛia. Hierzu Theol. Litztg. 1883, 581.

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