Page images
PDF
EPUB

römischen Bürgerrechtes gegeben waren, waren sehr erhebliche. Für die in den Provinzen Lebenden kommt vor allem in Betracht, dass ein Römer nur römischen Gerichten unterworfen war, in Civilsachen einem aus römischen Bürgern gebildeten Schwurgerichte 192), in Criminalsachen dem römischen Statthalter. Nur in den als liberae anerkannten civitates standen auch die römischen Bürger unter der Jurisdiction der nicht-römischen Behörden 193). Von einzelnen Vorrechten 194) sind besonders noch hervorzuheben: 1) die Freiheit von allen entehrenden Strafen, z. B. Geisselung und Kreuzigung 195), und 2) das jus provocationis oder appellationis, welche beiden Ausdrücke in der Kaiserzeit gleichbedeutend gebraucht werden und das Recht bezeichnen, gegen jedes Urtheil an den Kaiser zu appelliren. Es galt sowohl für Civil- wie für Criminalsachen 196). Mit dieser Appellation gegen ein gefälltes Urtheil ist nicht zu verwechseln die schon im Beginn des Processes gestellte Forderung, dass die Sache überhaupt vor dem Gericht des Kaisers in Rom zur Verhandlung komme. Nach der gewöhnlichen, jedoch nicht ganz sicher begründeten Ansicht wären die auf Leib und Leben angeklagten römischen Bürger auch zu dieser Forderung berechtigt gewesen 197).

Durch den Besitz des Bürgerrechtes in vielen hellenistischen Städten waren die Juden den übrigen Einwohnern gleichgestellt. Zu einer angesehenen Stellung konnten sie es freilich in diesen Communen im Durchschnitte doch nicht bringen. Gerade der Besitz des Bürgerrechtes ist vielmehr, wie wir gesehen haben, eine Quelle der Anfeindung und Verfolgung für sie geworden. An manchen Orten jedoch,

Stelle oben Anm. 144). Hierbei ist doch sicher nicht nur an geborene Italiker zu denken.

192) Rudorff, Römische Rechtsgeschichte II, 13.

193) Kuhn, Die städtische und bürgerl. Verfassung des römischen Reichs II, 24. Marquardt, Römische Staatsverwaltung I, 1881, S. 75 f.

194) S. darüber Rein, Art. civitas in Pauly's Enc. II, 392 ff., Winer RWB. I, 200 Art. „Bürgerrecht", und die von Beiden citirte Literatur.

195) S. Apostelgesch. 16, 37 ff. 22, 25 ff. und Pauly's Real-Enc. s. v. crux, lex Porcia und lex Sempronia.

196) S. Rein in Pauly's Real-Enc. s. v. appellatio und provocatio. Geib, Geschichte des römischen Criminalprocesses (1842) S. 675 ff.

197) Apgesch. 25, 10 ff. 21. 26, 32. Plinius Epist. X, 96 (al. 97): Fuerunt alii similis amentiae, quos quia cives Romani erant adnotavi in urbem remittendos. Geib, Gesch. des röm. Criminalprocesses S. 251. Wieseler, Chronologie des apostol. Zeitalters S. 383 ff. (der aber die von Paulus gestellte Forderung mit der eigentlichen appellatio verwechselt). Overbeck, Erklärung der Apostelgesch. S. 429 f. Mommsen, Römisches Staatsrecht II, 1 (1874) S. 245. Dass die römischen Bürger das genannte Verfahren als ein Recht fordern konnten, ist nicht völlig sicher. S. dagegen eine demnächst erscheinende Monographie von Ruprecht.

[ocr errors]

namentlich in Aegypten, haben die Juden zu gewissen Zeiten doch auch eine hervorragende Rolle im öffentlichen Leben gespielt. Die ersten Ptolemäer waren ihnen im Ganzen günstig gesinnt 198). Hohe Vertrauensposten erlangten sie unter einigen der späteren Ptolemäer. Ptolemäus VI Philometor und dessen Gattin Kleopatra vertrauten ihr ganzes Reich Juden an, und Befehlshaber der ganzen Heeresmacht waren die Juden Onias und Dositheus“ 199). Eine andere Kleopatra, die Tochter der beiden eben Genannten, ernannte im Kriege gegen ihren Sohn Ptolemäus Lathurus ebenfalls zwei Juden, Chelkias und Ananias, zu Befehlshabern ihres Heeres 200). Auch in der Römerzeit spielten manche reiche Juden in Alexandria noch eine hervorragende Rolle im öffentlichen Leben. Namentlich wissen wir, dass das Amt eines Alabarchen, d. h. wahrscheinlich des Ober-Zollpächters auf der arabischen Seite des Nil, mehrmals von reichen Juden verwaltet wurde: so von Alexander, dem Bruder des Philosophen Philo; später von einem gewissen Demetrius 201).

198) Jos. Apion. II, 4.

199) Apion. II, 5: Ὁ δὲ Φιλομήτωρ Πτολεμαῖος καὶ ἡ γυνὴ αὐτοῦ Κλεοπάτρα τὴν βασιλείαν ὅλην τὴν ἑαυτῶν Ἰουδαίοις ἐπίστευσαν, καὶ στρατηγοί πάσης τῆς δυνάμεως ἦσαν Ὀνίας καὶ Δοσίθεος Ἰουδαῖοι,

200) Antt. XIII, 10, 4. 13, 1–2. Chelkias und Ananias waren die Söhne des Hohenpriesters Onias IV, des Erbauers des Tempels zu Leontopolis.

201) Alexander, der Bruder des Philosophen Philo: Antt. XVIII, 6, 3. 8, 1. XIX, 5, 1. XX, 5, 2. Demetrius: Antt. XX, 7, 3. Vgl. über das Amt des Alabarchen meine Abhandlung in der Zeitschr. für wissenschaftl. Theol. 1875, S. 13-40, woselbst auch die ältere Literatur notirt ist. Hinzugekommen ist seitdem noch: Grätz, Die judäischen Ethnarchen oder Alabarchen in Alexandria (Monatsschr. für Gesch. und Wissensch. des Judenth. 1876, S. 209 f. 241 ff. 308 ff.), welcher die von mir gewonnenen Resultate zwar in wesentlichen Punkten acceptirt, aber mit allerlei Confusionen bereichert hat. Da die beiden von Josephus eswähnten Alabarchen angesehene Juden waren, so haben Viele den Alabarchen für den Vorsteher der alexandrinischen Judenschaft gehalten, ihn also mit dem jüdischen Ethnarchen identificirt. Dazu liegt aber nicht der mindeste Grund vor. Ich glaube vielmehr nachgewiesen zu haben, dass der àλaßáons (Edict. Just. XI, 2-3, Palladas Anthol. graec. ed. Jacobs t. III p. 121, Corp. Inscr. Graec. n. 4267, Münze von Teos bei Mionnet, Description de médailles antiques, Suppl. t. VI p. 379) mit dem doaßáezns (Corp. Inser. Graec. n. 4751, 5075, Cod. Just. IV, 61, 9, Cicero ad Atticum II, 17, Juvenal. I, 130) identisch ist und den obersten Zollpächter auf der arabischen Seite des Nil bezeichnet. S. bes. Cod. Just. IV, 61, 9 (Erlass der Kaiser Gratianus, Valentinianus und Theodosius): Usurpationem totius licentiae summovemus circa vectigal Arabarchiae per Aegyptum atque Augustamnicam constitutum, nihilque super transductionem animalium, quae sine praebitione solita minime permittenda est, temeritate per licentiam vindicari concedimus. Einige Schwierigkeit macht nur die in Lycien gefundene Inschrift Corp. Inser, Graec.

Mit Bezug hierauf sagt Josephus, dass die Römer den Juden zu Alexandria „die von den Königen ihnen verliehene Vertrauensstellung belassen hätten, nämlich die Bewachung des Flusses" 202). Ein vornehmer alexandrinischer Jude, Tiberius Alexander, der Sohn des eben genannten Alabarchen Alexander, hat sogar in der römischen Militär-Carrière die höchsten Stufen erklommen, freilich um den Preis des Abfalls von seiner väterlichen Religion 203). In Rom selbst sind die Juden zwar in der Gesellschaft auch ein einflussreicher Factor geworden. Zu einer solchen Stellung wie in Aegypten konnten sie es aber hier doch niemals bringen: dazu war die Kluft zwischen römischem und jüdischem Wesen zu tief und schroff 204).

IV. Religiöses Leben.

Die stetige Berührung mit der heidnischen Cultur konnte auch auf die innere Entwickelung des Judenthums in der Diaspora nicht ohne Einfluss bleiben. Namentlich da, wo die Juden durch Reichthum und sociale Stellung in den Stand gesetzt waren, sich die Bildungsmittel ihrer Zeit zu eigen zu machen - wie besonders in Alexandria, hat das Judenthum eine Richtung eingeschlagen, die von derjenigen des palästinensischen Judenthums doch wesentlich verschieden war. Der gebildete Jude in der Diaspora war nicht nur Jude sondern zugleich auch Grieche nach Sprache, Bildung und Sitte; und er war durch die Macht der Verhältnisse dazu gedrängt, nach einer Versöhnung und Vermählung jüdischen und hellenischen Wesens zu suchen (näheres s. §. 33 und 34). Aber im Grunde gilt dies eben doch nur von den höher Gebildeten; und selbst bei ihnen hat

4267 und die (in meiner Abhandlung noch nicht berücksichtigte) Münze von Teos. Allein in beiden Fällen kann der Titel aus Aegypten importirt sein.

202) Apion. II, 5 fin.: Maximam vero eis fidem olim a regibus datam conservare voluerunt, id est fluminis custodiam totiusque custodiae, nequaquam his rebus indignos esse judicantes. Die Worte totiusque custodiae sind jedenfalls corrumpirt. Vielleicht ist statt custodiae (= qvλaxñs) zu lesen Jaλάoons. Unter der custodia ist natürlich die Bewachung zum Zwecke der Zoll-Erhebung zu verstehen. Vgl. Caesar, Bell. Alexandr. c. 13: Erant omnibus ostiis Nili custodiae exigendi portorii causa dispositae. Naves veteres erant in occultis regiae navalibus, quibus multis annis ad navigandum non erant usi.

203) Antt. ΧΧ, 5, 2: τοῖς γὰρ πατρίοις οὐκ ἐνέμεινεν οὗτος ἔθεσιν. Vgl. über Tiberius Alexander oben §. 19.

[ocr errors]

204) Erwähnt sei hier nur noch, dass unter den im J. 66 n. Chr. von Florus in Jerusalem gekreuzigten Juden sich auch solche befanden, welche die römische Ritterwürde besassen (Bell. Jud. II, 14, 9). Ihre Hinrichtung durch Florus wird von Josephus mit Recht als eine besonders schwere Rechtsverletzung bezeichnet.

die jüdische Grundlage das Uebergewicht behalten. In noch höherem Masse war dies letztere bei der grossen Menge des jüdischen Volkes der Fall. Mochten diese Juden in der Diaspora auch die griechische Sprache als Muttersprache sich aneignen, mochte ihre Gesetzesbeobachtung vom Standpunkte des Pharisäismus aus noch so mangelhaft und nachlässig sein, mochten sie noch so Vieles als unwesentlich aufgegeben haben, was dem Pharisäer wesentlich und nothwendig erschien: im Grunde ihres Herzens sind sie doch Juden geblieben, die mit ihren Brüdern in Palästina in allem Wesentlichen sich eins wussten.

Ein Hauptmittel zur Erhaltung des väterlichen Glaubens in den Gemeinden der Diaspora waren die regelmässigen Sabbath-Versammlungen in den Synagogen. Es ist zweifellos, dass diese auch in der Diaspora überall stattfanden, wo überhaupt nur eine Gemeinde sich organisirt hatte. Nach Philo waren an den Sabbathen in allen Städten tausende von Lehrhäusern geöffnet, in welchen Einsicht und Mässigung und Tüchtigkeit und Gerechtigkeit und überhaupt alle Tugenden gelehrt wurden" 205). Der Apostel Paulus fand auf seinen Reisen in Klein-Asien und Griechenland überall jüdische Synagogen vor; so in Antiochia Pisidiä (Act. 13, 14), Ikonium (Act. 14, 1), Ephesus (Act. 18, 19. 26. 19, 8), Thessalonich (17, 1), Beria (17, 10), Athen (17, 17), Korinth (18, 4. 7). Josephus erwähnt Synagogen in Cäsarea und Dora an der phönicischen Küste 206). Auf Inschriften finden sich jüdische л00бενɣαí selbst in der Krim 207). In Städten, wo Juden in grösserer Anzahl wohnten, hatten sie auch mehrere Synagogen. So in Damaskus (Act. 9, 20), in Salamis auf Cypern (Act. 13, 5); in Alexandria sogar eine grosse Menge 208). Als besonders prachtvoll erwähnt Josephus die Synagoge zu Antiochia (d. h. die Haupt-Synagoge daselbst; denn jedenfalls gab es auch dort eine grössere Zahl). Die Nachfolger des Antiochus Epiphanes hatten ihr die ehernen Weihgeschenke (nur diese, nicht die kostbaren goldenen und silbernen) überlassen, welche Antiochus aus dem Tempel zu Jerusalem geraubt hatte; und die Juden Antiochia's selbst liessen. sich's angelegen sein, ihr Heiligthum (tò iɛpór) durch kostbare Weihgeschenke prächtig auszuschmücken 209). In Rom bestanden schon zur Zeit des Augustus eine grössere Anzahl von Synagogen, wie im Allgemeinen Philo bezeugt. Durch die Inschriften sind uns auch die

205) Philo, De septenario c. 6 (Mang. II, 282 Tischendorf, Philonea p. 23). S. die Stelle oben §. 27, Anm. 113.

206) Cäsarea: Bell. Jud. II, 14, 4-5. Dora: Antt. XIX, 6, 3.

207) Corp. Inscr. Graec. t. II p. 1004 sq. Addenda n. 2114b. 2114bb.

208) Philo, Legat. ad Cajum §. 20 (Mang. II, 565): noλλai dé ɛloi xa9' ἕκαστον τμῆμα τῆς πόλεως.

209) Bell. Jud. VII, 3, 3.

Ueber

Namen der einzelnen Synagogengemeinden überliefert 210). all, wo Juden wohnten, wurde also an allen Sabbathen das Gesetz und die Propheten gelesen und erklärt, und die religiösen Satzungen gehalten. Die Sprache des Gottesdienstes war in der Regel ohne Zweifel die griechische211). Das Hebräische war ja den Juden in der Diaspora so wenig geläufig, dass sie es nicht einmal bei Grabschriften anwandten. Wenigstens die römischen Katakombeninschriften (aus den ersten Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung) sind fast ausschliesslich griechisch oder lateinisch (letztere in geringerer Zahl), nur etwa mit kurzen hebräischen Beischriften. Erst bei den Grabschriften aus Venosa (etwa aus dem sechsten Jahrhundert nach Chr.) sieht man, wie allmählich das Hebräische aufkommt 212). Aber auch sie sind noch vorwiegend griechisch oder lateinisch. Wenn selbst für derartige monumentale Zwecke das Hebräische nicht angewandt wurde, dann wird es für die mündlichen Vorträge beim Gottesdienst noch viel weniger gebraucht worden sein. Die Rabbinen in Palästina haben ausdrücklich für die Gebete: Schma, Schmone-Esre und Tischgebet, den Gebrauch jeder Sprache gestattet; nur für den Priestersegen und bestimmte einzelne Schriftabschnitte, wie die Formel beim Darbringen der Erstlinge und bei der Chaliza, wird der Gebrauch des Hebräischen unbedingt gefordert 213). Ein gewisser R. Levi bar Chaitha hörte einst in Cäsarea das Schma griechisch (no) recitiren 214). Dass man die heiligen Schriften in griechischer Sprache schreibe, wird ausdrücklich gestattet; und auch hier wieder nur für einzelne, zu bestimmten Zwecken geschriebene Abschnitte, wie die Tephillin und Mesusoth, der Gebrauch des Hebräischen gefordert 215). Wenn sonach sowohl beim mündlichen als

210) Philo, Legat. ad Cajum §. 23 (Mang. II, 568 sq.). S. die Stelle oben Anm. 133. Ueber die verschiedenen Namen der römischen Synagogengemeinden s. oben S. 516 f.

-

211) Vgl. hierüber, theils pro theils contra: Lightfoot, Horae hebr. in epist. I ad Corinthios, Addenda ad Cap. XIV (Opp. II, 933-940; stellt den gottesdienstlichen Gebrauch der LXX in Abrede). Hody, De Bibliorum textibus originalibus p. 224-228 (gegen Lightfoot). Diodati, De Christo graece loquente (Neapoli 1767) p. 108-110. Waehner, Antiquitates Ebraeorum I §. 253. Frankel, Vorstudien zu der Septuaginta S. 56 ff. Caspari, Quellen zur Geschichte des Taufsymbols III S. 269 f.

212) Hierauf hat namentlich Ascoli (Iscrizioni inedite 1880) aufmerksam gemacht. Vgl. meine Anzeige in der Theol. Litztg. 1880, 485 f.

213) Mischna Sota VII, 1-2. Vgl. oben S. 9.

214) jer. Sota VII, fol. 21b. S. die Stelle z. B. bei Buxtorf, Lex. Chald. col. 104 (8. v. rebs). Lightfoot, Opp. 11, 937. Levy, Neuhebr. Wörterb. I, 88.

215) Megilla I, 8: Zwischen den heiligen Schriften und den Tephillin oder

« PreviousContinue »