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als Trinkgefässe benützt werden. Zur Strafe dafür verliert er noch in derselben Nacht Reich und Leben. - Cap. 6: Darius der Meder, der Besieger und Nachfolger Belsazar's, lässt den Daniel, da er gegen des Königs Verbot zu seinem Gotte betet, in die Löwengrube werfen, wo er völlig unversehrt bleibt. Darius sieht infolge dessen seine Thorheit ein und erlässt einen Befehl, dass man im ganzen Reiche den Gott Daniel's verehre. — Auch bei diesen letzten vier Erzählungen (Cap. 3—6) ist der paränetische Zweck überall sofort zu erkennen; zugleich tritt auch der zeitgeschichtliche Hintergrund deutlich hervor. Unter den drei Königen ist überall Antiochus Epiphanes zu verstehen, der in seinem gottlosen Hochmuthe sich selbst überhoben hat (C. 4), die heiligen Geräthe aus dem Tempel zu Jerusalem weggeschleppt (C. 5), den Juden die Anbetung ihres Gottes verboten (C. 6) und die Verehrung heidnischer Götter von ihnen gefordert hat (C. 3). Es wird gezeigt, wie er zur Strafe dafür der Vernichtung werde preisgegeben, die von ihm verfolgten Juden aber wunderbar gerettet werden. Während also alle diese Erzählungen die von Antiochus verfolgten Gläubigen zur Standhaftigkeit ermuntern sollen, wird in dem zweiten Theil des Buches (Cap. 7-12) in verschiedenen Gesichten vom Standpunkte der chaldäischen Zeit aus die künftige Entwickelung der Weltereignisse geweissagt. Alle Gesichte stimmen darin überein, dass sie als letztes Weltreich das griechische weissagen, welches schliesslich ausläuft in das gottlose Regiment des Antiochus Epiphanes, der zwar nicht genannt, aber wiederholt deutlich gekennzeichnet ist. In sehr detaillirter Weise wird namentlich in dem letzten Gesichte (Cap. 10 bis 12) die Geschichte des Ptolemäer- und Seleucidenreiches (denn diese beiden sind unter dem Reich des Südens und dem Reich des Nordens zu verstehen) und ihrer mannigfaltigen Beziehungen zu einander geweissagt. Das Auffallendste dabei ist dies, dass die Weissagung immer genauer und detaillirter wird, je mehr sie sich der Zeit des Antiochus Epiphanes nähert. Die Geschichte dieses Königs wird geradezu, ohne dass sein Name genannt wird, mit aller Genauigkeit erzählt (11, 21 ff.). Es wird noch die Abschaffung des jüdischen Gottesdienstes, die Entweihung des Tempels und die Aufstellung des heidnischen Opferaltares, sowie der Beginn der makkabäischen Erhebung (11, 32-35) geweissagt. Hiermit aber bricht die Weissagung plötzlich ab, und der Verfasser erwartet nun, dass unmittelbar nach jenen Kämpfen das Ende eintreten und das Gottesreich anbrechen werde. Und es ist nicht etwa nur das 11. Capitel, wo die Weissagung mit dieser Zeit abbricht; sondern der Gesichtskreis des Verfassers geht überhaupt nicht über diese Zeit hinaus; auch nicht in den Gesichten von den vier Weltreichen (Cap. 2 und 7). Denn das vierte Weltreich ist nicht das römische, sondern das griechische, wie

bei unbefangener Betrachtung keinem Zweifel unterliegen kann (das erste ist das babylonische, das zweite das medische, das dritte das persische, das vierte das griechische).

Angesichts dieser Thatsachen wird heutzutage von allen Auslegern, die nicht schlechterdings durch dogmatische Gründe gebunden sind, anerkannt, dass unser Buch in der Zeit der makkabäischen Erhebung entstanden ist, und zwar genauer in den Jahren 167-165 vor Chr., nämlich noch vor der Wiedereinweihung des Tempels; denn dieses Ereigniss liegt noch ausserhalb des Gesichtskreises des Verfassers. Nur für diese Zeit hat das Buch überhaupt Sinn und Verstand. Denn sein ganzer Inhalt ist auf eine praktische Wirkung eben in dieser Zeit berechnet. Mit all seinen Erzählungen und Offenbarungen will es die Schaar der gesetzestreuen Israeliten einerseits zu standhaftem Festhalten am Gesetz ermuntern und andererseits sie trösten durch die gewisse Aussicht auf baldige Erlösung. Eben jetzt

das ist der Gedanke des Verfassers wo die Noth am, höchsten, ist auch das Heil am nächsten. Die Zeit der heidnischen Weltreiche ist abgelaufen. Das letzte derselben, welches zugleich das gottloseste und frevelhafteste ist, wird durch ein baldiges wunderbares Eingreifen Gottes in den Gang der Geschichte vernichtet werden; und die Weltherrschaft wird alsdann den Heiligen des Höchsten", den glaubenstreuen Israeliten gegeben werden. Sie werden das Reich ererben und es besitzen immer und immerdar. Das sollen die jetzt schwer Bedrückten und Verfolgten zu Trost und Ermunterung sich gesagt sein lassen.

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Das Buch ist theils in hebräischer, theils in aramäischer (chaldäischer) Sprache geschrieben (aramäisch: 2, 4-7, 28). Man sieht also daraus, dass eben damals das Aramäische als Volkssprache in Palästina durchdrang und das Hebräische verdrängte. Zwei Jahrhunderte später, zur Zeit Jesu Christi, ist dieser Process schon völlig abgeschlossen (s. oben S. 8).

Das hohe Ansehen, welches das Buch von Anfang an bei den gläubigen Israeliten genoss, erhellt am besten aus der Thatsache, dass es noch Aufnahme in den Kanon fand. Selbst das etwas ältere Spruchbuch des Jesus Sirach, das doch nach Form und Inhalt der althebräischen Literatur näher steht als das Buch Daniel, ist nicht mehr in den hebräischen Kanon gekommen. Offenbar ist der Grund beider Thatsachen der, dass das Buch Jesus Sirach unter dem wirklichen Namen seines Verfassers ausging, das Buch Daniel aber unter dem einer älteren Autorität. Sonst sind von gleichzeitigen literarischen Erzeugnissen nur noch eine Anzahl Psalmen in den Kanon gelangt, indem sie der schon bestehenden Psalmensammlung einverleibt wurden. Bekanntschaft mit Daniel finden wir bereits bei der ältesten Sibylle (Orac. Sibyll. III, 396-400, nur wenige Decennien später als Daniel); ferner I Makk. 2, 59-60 und Baruch 1, 15-18.

Die exegetische und kritische Literatur über das Buch Daniel ist verzeichnet bei: De Wette-Schrader, Einleitung in die kanon. und apokr. Bücher des A. T. (1869) S. 485 f. Kleinert, Abriss der Einleitung zum A. T. (1878) S. 59, 61. Reuss, Gesch. der heil. Schriften Alten Testaments (1881) § 464. Graf, Art. „Daniel in Schenkel's Bibellex. I, 564.

Gelegentlich stehe hier noch ein kleiner Beitrag zur Auslegung von c. 9, 24-27. Der Verf. giebt dort Aufschluss über die 70 Jahre Jeremia's (Jerem. 25, 11-12), indem er sie in 70 Jahrwochen (7 70 Jahre) umdeutet. Und zwar zerlegt er sie in 7 +62 +1. Die ersten 7 Jahrwochen (also 49 Jahre) rechnet er, wie dem Zusammenhange nach nicht wohl zweifelhaft sein kann, von der Zerstörung Jerusalem's bis zum Auftreten des Cyrus, was ungefähr stimmt (588-537 v. Chr.). Die folgenden 62 Jahrwochen dagegen rechnet er vom Auftreten des Cyrus bis auf seine Zeit, und zwar genauer: bis ,ein Gesalbter ausgerottet werden wird", worunter wahrscheinlich die Ermordung des Hohenpriesters Onias III i. J. 171 zu verstehen ist. Nun sind aber v. J. 537-171 nur 366 Jahre, während 62 Jahrwochen 434 Jahre ergeben würden. Der Verf. hat also ungefähr 70 Jahre zu viel gerechnet. Man hat gemeint, dies sei nicht möglich, und hat daher die dem Zusammenhang allein entsprechende Erklärung auf verschiedene Weise zu umgehen gesucht. Dass aber ein solcher Irrthum in der That möglich ist, beweist auf's schlagendste der Umstand, dass z. B. auch Josephus sich in einem ähnlichen Irrthum befindet, wie aus folgenden drei Stellen hervorgeht: 1) Bell. Jud. VI, 4, 8 rechnet er vom zweiten Jahre des Cyrus bis zur Zerstörung Jerusalem's durch Titus (70 n. Chr.) 639 Jahre. Darnach fiele also das zweite Jahr des Cyrus 569 v. Chr. 2) Antt. XX, 10 rechnet er von der Rückkehr aus dem Exil (im ersten Jahre des Cyrus) bis auf Antiochus V Eupator (164–162) 414 Jahre. 3) Antt. XIII, 11, 1 rechnet er von der Rückkehr aus dem Exil (im ersten Jahre des Cyrus) bis auf Aristobul I (105-104) 481 Jahre. Das Auftreten des Cyrus fiele also nach 1) in d. J. 570 v. Chr., nach 2) etwa in d. J. 578, nach 3) in d. J. 586, während es in Wahrheit in d. J. 537 fällt. Josephus hat also 40-50 Jahre zu viel gerechnet. Noch genauer stimmt mit Daniel der jüdische Hellenist Demetrius überein, der von der Wegführung der zehn Stämme in's Exil bis auf Ptolemäus IV (222 vor Chr.) 573 Jahre rechnet, also genau wie Daniel um etwa 70 Jahre zu viel (s. die Stelle bei Clemens Alex. Strom. I, 21, 141; näheres über Demetrius s. unten §. 33). Offenbar folgt also Daniel einer auch sonst verbreiteten Ansicht, indem er für diesen Zeitraum etwa 70 Jahre zu viel ansetzt. Es fehlte eben damals noch an genügenden Hülfsmitteln für eine sichere Chronologie. Bei Daniel kann aber der Irrthum um so weniger befremden, als bei ihm die Ansetzung von 62 Jahrwochen für den betreffenden Zeitraum nur eine Consequenz seiner Deutung der jeremianischen Weissagung war.

2. Das Buch Henoch.

Unter den Gottesmännern des Alten Testamentes nimmt Henoch (neben Elias) insofern eine singuläre Stellung ein, als er von der Erde weg direct in den Himmel versetzt wurde. Ein solcher Mann musste ganz besonders geeignet erscheinen, der Welt Offenbarungen über die göttlichen Geheimnisse zu ertheilen, da er ja des unmittel

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baren Umgangs mit Gott gewürdigt worden ist. So ist denn schon frühzeitig, wahrscheinlich noch im zweiten Jahrh. vor Chr., eine apokalyptische Schrift unter seinem Namen ausgegangen, die dann später ergänzt und überarbeitet worden ist. Dieses Henochbuch ist bereits dem Verfasser der Jubiläen" und der Testamente der XII Patriarchen bekannt, und ist dann in der christlichen Kirche sehr beliebt geworden. Es wird bekanntlich schon im Judasbrief (Jud. 14-15) citirt und von vielen Kirchenvätern unbedenklich als eine echte Schrift Henoch's mit authentischen gottlichen Offenbarungen benützt, wenn es auch nie officiell von der Kirche als kanonisch anerkannt worden ist. Noch der byzantinische Chronist Georgius Syncellus (um 800 n. Chr.) citirt zwei grössere Stücke daraus (Syncell. Chron. ed. Dindorf I, 20-23 u. 42-47). Seitdem aber war das Buch verschollen und galt für verloren, bis im vorigen Jahrhundert die Kunde auftauchte, dass es sich in der abyssinischen Kirche in äthiopischer Uebersetzung erhalten habe. Der Engländer Bruce brachte im J. 1773 drei Handschriften davon nach Europa. Aber erst im J. 1821 wurde das Ganze durch die englische Uebersetzung von Laurence bekannt gemacht. Eine deutsche Uebersetzung lieferte Hoffmann, und zwar für Cap. 1--55 (1833) aus dem Englischen von Laurence, für Cap. 56 bis Schluss (1838) aus dem Aethiopischen nach einer neu verglichenen Handschrift. Der äthiopische Text wurde zuerst von Laurence 1838, dann nach fünf Handschriften von Dillmann 1851 veröffentlicht. Letzterer gab auch eine neue, wesentlich berichtigte deutsche Uebersetzung heraus (1853), welche seitdem die Grundlage aller Untersuchungen bildete. Eine wesentliche Förderung für das Verständniss des Buches schien zu hoffen, als ein kleines griechisches Fragment (c. 89, 42–49 umfassend) aus einem mit tachygraphischen Noten geschriebenen Codex Vaticanus (cod. gr. 1809) von Mai in Facsimile veröffentlicht (Patrum Nova Biblioth. Vol. II) und von Gildemeister entziffert wurde (Zeitschr. der DMG. 1855, S. 621-624). Denn nach Mai's Angabe schien es, dass der Codex noch weit mehr enthalte, als was veröffentlicht war. Aber leider hat eine erneute Untersuchung der Handschrift durch Gebhardt ergeben, dass sie ausser dem entzifferten Fragmente nichts weiter von Henoch enthält (Merx' Archiv Bd. II, 1872, S. 243).

Um über Entstehung und Wesen dieses merkwürdigen Buches einigermassen in's Klare zu kommen, ist es vor allem nöthig, eine kurze Inhaltsübersicht zu geben.

Cap. 1, 1: Ueberschrift. Die Segensworte des Henoch über die Auserwählten und Gerechten. Cap. 1-5: Einleitung. Henoch berichtet, dass er ein Gesicht im Himmel sah, welches die Engel ihm

zeigten; und von ihnen hörte er die Geschichte aller künftigen Geschlechter: dass den Gottlosen ewige Verdammniss, den Gerechten aber ewiges Leben zu Theil werden wird. 6-11: Erzählung vom Fall der Engel, im Anschluss an Genesis 6, aber mit reichen Ausschmückungen. Gott ordnet an, welche Strafen die gefallenen Engel treffen sollen, und wie die Erde von ihrer Missethat und Bosheit zu reinigen sei. Beiderlei Befehle haben die Engel zu vollziehen. 12-16: Henoch, der mit den Engeln im Himmel verkehrt, wird von diesen auf die Erde gesandt, um den gefallenen Engeln das bevorstehende Strafgericht anzukündigen (Henoch erzählt hier wieder in der ersten Person). Als er sich seines Auftrages entledigt, bewegen ihn die gefallenen Engel, Fürbitte für sie bei Gott einzulegen. Aber Henoch wird mit seiner Fürbitte von Gott abgewiesen und erhält in einem neuen gewaltigen Gesichte den Auftrag, ihnen abermals den Untergang anzukündigen. 17-36: Henoch berichtet (in der ersten Person), wie er über Berge, Wasser und Ströme entrückt ward, und überall durch eigene Anschauung den geheimen göttlichen Ursprung aller Dinge und Vorgänge in der Natur kennen lernte. Auch das Ende der Erde wurde ihm gezeigt, und der Ort, an welchen die bösen Engel werden verbannt werden; und der Wohnort der abgeschiedenen Seelen, sowohl der Gerechten wie der Ungerechten; und der Baum des Lebens, welcher den auserwählten Gerechten verliehen werden wird; und der Strafort der verdammten Menschen; und der Baum der Erkenntniss, von welchem Adam und Eva gegessen hatten. -37-71: Das zweite Gesicht der Weisheit, welches sah Henoch, der Sohn Jared's", bestehend aus drei Bilderreden. 38-44: Erste Bilderrede. Henoch sieht in einem Gesichte die Wohnungen der Gerechten und die Lagerstätten der Heiligen. Er sieht auch die Myriaden mal Myriaden, welche vor der Herrlichkeit des Herrn der Geister stehen, und die vier Erzengel Michael, Rufael, Gabriel und Fanuel. Er sieht ferner die Geheimnisse des Himmels: Die Behälter der Winde und die Behälter der Sonne und des Mondes, endlich auch die Blitze und die Sterne des Himmels, welche alle einzeln mit Namen gerufen werden und darauf hören. 45-57: Zweite Bilderrede. Henoch erhält Aufschluss über den Auserwählten", den „Menschensohn“, d. h. über den Messias, sein Wesen und seinen Beruf: wie er Gericht hält über die Welt und sein Reich aufrichtet. 58-69: Dritte Bilderrede. Von der Seligkeit der Gerechten und Auserwählten; von den Geheimnissen des Blitzes und Donners; vom Gericht, welches der Auserwählte, der Menschensohn, halten wird. Eingeschaltet sind hier mehrere Stücke, welche den Zusammenhang unterbrechen und deutlich ihren Ursprung von einer andern Hand verrathen. 70-71: Schluss der Bilderreden. 72-82: Das Buch

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