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der Tag- und Nacht-Gleiche stehe, nämlich die Sonne im Zeichen der Frühlings-Tag- und Nacht-Gleiche, und der Mond ihr gegenüber im Zeichen der Herbst-Tag- und Nacht-Gleiche. Eben dieses Fragment zeigt uns, dass Aristobul sich keineswegs nur mit philosophischer Umdeutung des Pentateuchtextes beschäftigt hat, sondern dass er wirklich eine Darstellung und Erläuterung der mosaischen Gesetze gegeben hat. Indem er aber deren Sinn festzustellen suchte, wird er freilich, wie namentlich Origenes andeutet (contra Cels. IV, 51), vielfach das Gebiet der allegorischen Auslegung betreten haben. Ueber den philosophischen Standpunkt des Aristobulus geben die Fragmente keinen näheren Aufschluss. Man darf ohne Weiteres annehmen, dass er ein eklektischer war. Das Fragment über die Bedeutung des Sabbaths geht in eine pythagoreisirende Ausführung über die Kraft der Siebenzahl ein 26). Anderwärts beruft sich Aristobul nicht nur im Allgemeinen auf Pythagoras, Sokrates und Plato, sondern in einer specielleren Ausführung namentlich auf die peripatetische Lehre 27). Dass er dieser am meisten sich angeschlossen hat, ist durch das Zeugniss der Kirchenväter verbürgt, die ihn einstimmig als Peripatetiker bezeichnen 28).

Fast unbegreiflich ist es, dass manche neuere Gelehrte die Echtheit der ganzen Schrift Aristobul's bestritten haben (so z. B. Richard Simon, Hody, Eichhorn, Kuenen, Grätz, Joel). Das Bild, das wir durch die überlieferten Bruchstüche von der Schrift erhalten, stimmt so vollständig zu allem, was wir sonst von der Geistesrichtung des hellenistischen Judenthums wissen, dass zu irgend welchen Zweifeln schlechterdings keine Veranlassung vorliegt. Der einzige Grund gegen die Echtheit, der überhaupt Erwähnung verdient, ist die allerdings unbestreitbare Thatsache, dass Aristobul angebliche Verse des Orpheus, Hesiod, Homer und Linus citirt, die sicher von einem Juden gefälscht sind. Eine solche Dreistigkeit, meint man, sei in einem für den König Ptolemäus selbst bestimmten Werke nicht denkbar. Man geht bei dieser Argumentation von der Voraussetzung aus, dass die Verse von Aristobul selbst gefälscht sind. Diese Voraussetzung ist aber nicht nur unbeweisbar, sondern im höchsten Grade unwahrscheinlich. Die Verse stammen wahrscheinlich aus einem älteren jüdischen Werke (s. darüber unten Abschnitt VII) und sind von Aristobul in gutem Glauben an ihre Echtheit aufgenomAristobul thut damit nur dasselbe, was die späteren christ

men.

26) Zeller, Die Philosophie der Griechen III, 2 (3. Aufl.) S. 264. 27) Eus. Pr. ev. XIII, 12, 10-11

VII, 14.

28) Clemens Strom. I, 15, 72. V, 14, 97. Euseb. Praep. ev. VIII, 9 fin. Chron. ad Olymp. 151 (ed. Schoene II, 124 sq.).

IX, 6, 6.

lichen Apologeten auch gethan haben, ohne dass man darin bisher einen Grund gefunden hätte, die Echtheit ihrer Schriften zu bezweifeln.

Das ganze Werk Aristobul's soll nach einer Randbemerkung im cod. Laurentianus der Stromata des Clemens Alexandrinus noch gegen Ende des Mittelalters in einer Bibliothek zu Patmos vorhanden gewesen sein (zu Strom. I, 22, 150 bemerkt eine Hand des 15. oder 16. Jahrhunderts: Ἀριστοβούλου βίβλος αὕτη ἡ πρὸς τὸν Φιλομήτορα ἐστὶν εἰς τὴν Πάτ pov, y tywys oida, s. die Anm. in Dindorf's Ausg.). Ob diese Notiz Glauben verdient, ist doch sehr zu bezweifeln.

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Vgl. überhaupt: Richard Simon, Histoire critique du Vieux Testament p. 189. 499. Hody, De bibliorum textibus p. 50 sqq. Fabricius, Biblioth, graec. ed. Harles I, 164. III, 469 sq. Eichhorn, Allgem. Bibliothek der biblischen Literatur Bd. V (1793) S. 253–298. — Valckenaer, Diatribe de Aristobulo Judaeo, philosopho peripatetico Alexandrino, Lugd. Bat. 1806 (Hauptwerk). Gabler's Journal für auserlesene theolog. Literatur Bd. V (1810) S. 183-209 (Anzeige von Valckenaer's Werk). Winer in Ersch und Gruber's Allgem. Encyklop. Section I, Bd. 5 (1820), S. 266. Lobeck, Aglaophamus I (1829) p. 448. Gfrörer, Philo II, 71–121. Dähne, Geschichtl. Darstellung der jüd -alex. Religionsphilosophie II, 73-112. Fürst, Biblioth. Jud. I, 53 sq. Herzfeld, Gesch. des Volkes Jisrael III, 473 ff. 564 ff. Ewald, Gesch. des Volkes Israel IV, 335 ff. Teuffel, in Pauly's Real-Enc. I, 2 (2. Aufl.) S. 1600. Cobet im Λόγιος Ερμης Ι (1866) S. 173-177, 521. Zeller, Die Philosophie der Griechen III, 2 (3. Aufl.) S. 257–264. — Ueberweg, Grundriss 4. Aufl. I, 240 ff. Binde, Aristobulische Studien, 2 Thle. Glogau 1869-1870 (Gymnasialprogr.). Heinze, Die Lehre vom Logos (1872) S. 185-192. Kuenen, De godsdienst van Israël II (1870) p. 433–440. Freudenthal, Alexander Polyhistor S. 166-169. Grätz, Monatsschr. für Gesch. und Wissensch. des Judenth. 1878, S. 49-60, 97-109. Joel, Blicke in die Religionsgeschichte zu Anfang des zweiten christlichen Jahrhunderts (1880) S. 77-100.

3. Philo.

Dieselbe Richtung wie Aristobulus vertritt auch sein zwei Jahrhunderte jüngerer Landsmann Philo. Das Hauptbestreben ist auch bei ihm, die aus den griechischen Philosophen geschöpften Anschauungen als die echt jüdischen zu erweisen, was Philo bald für heidnische bald für jüdische Leser thut; für jene, um ihnen Achtung vor dem Judenthum einzuflössen, für diese, um sie zu einem Judenthum zu erziehen, wie es Philo selbst vertritt. Man darf wohl annehmen, dass es zwischen Aristobul und Philo auch noch andere Vertreter dieser Richtung gegeben hat. Denn sie tritt in Philo mit solcher Sicherheit und in so vollendeter Gestalt auf, wie es ohne geschichtliche Anknüpfung nicht denkbar ist. Von den etwaigen literarischen Erzeugnissen dieser Männer ist aber nichts auf uns gekommen.

Da Philo wegen seiner hervorragenden Bedeutung und wegen des Umfangs seiner uns erhaltenen Schriften eine gesonderte Darstellung erfordert § 34), so seien hier nur diejenigen seiner Schriften kurz erwähnt, bei welchen die philosophische Belehrung und Erörterung der Hauptzweck ist. Dahin gehören zunächst zwei seiner Hauptwerke über den Pentateuch, nämlich: 1) die Zyruara zai 26. eine kurze Erklärung der Genesis und des Exodus in Form von Fragen und Antworten, und 2) die Νόμων ἱερῶν ἀλληγορίαι, die umfangreichen allegorischen Commentare zu ausgewählten Stellen der Genesis in der Form des rabbinischen Midrasch. Sie sind das eigentliche philosophische Hauptwerk Philo's und bilden dem Umfange nach etwa die Hälfte der uns erhaltenen Schriften Philo's. Mit Erörterung philosophischer Fragen beschäftigen sich aber ferner: 3) die Schrift Περὶ τοῦ πάντα σπουδαῖον εἶναι ἐλεύθερον (Quod omnis probus liber), eigentlich nur die zweite Hälfte eines Werkes, dessen erste verloren gegangene Hälfte das Thema behandelte лì τοῦ δοῦλον εἶναι πάντα φαῦλον. 4) Περὶ προνοίας, 5) Αλέξανδρος ἢ περὶ τοῦ λόγον ἔχειν τὰ ἄλογα ζώα Näheres über alle diese Schriften s. in § 34. Die beiden zuletzt genannten sind auch dadurch von Interesse, dass in ihnen Philo zur Erörterung des Themas die Form des griechischen Dialoges wählt.

4. Das vierte Makkabäerbuch.

Zu der philosophischen Literatur gehört auch das sogenannte vierte Makkabäerbuch. Denn das Judenthum, das der Verfasser empfiehlt, ist beeinflusst durch die stoische Philosophie.

Der Form nach ist dieses Schriftstück eine Rede. Es wendet sich in directer Anrede an die Leser oder Hörer (1, 1. 18, 1) 29. Da der Inhalt ein religiös-erbaulicher ist, so kann man es immerhin eine Predigt nennen und die Wahl dieser Form auf die Sitte religiöser Vorträge in den Synagogen zurückführen. Wenn aber Freudenthal (S. 4-36) mit besonderem Nachdruck behauptet, dass uns hier eine wirkliche Synagogen-Predigt vorliege, so ist dies nicht nur unbeweisbar, sondern auch unwahrscheinlich; denn das Thema, über welches gepredigt wird, ist nicht ein Text der heiligen Schrift, sondern ein philosophischer Satz.

Als Leser oder Zuhörer hat der Verfasser lediglich Juden im Auge (18, 1: ὦ τῶν Ἀβραμιαίων σπερμάτων ἀπόγονοι παῖδες

29) Ich citire nach der Capitel- und Vers-Eintheilung in Fritzsche's Ausgabe der Apokryphen.

Iogan2itα). Ihnen will er zeigen, dass es nicht schwer sei, ein frommes Leben zu führen, wenn man nur den Vorschriften der ,frommen Vernunft" folge. Denn die fromme Vernunft ist unbedingte Herrscherin über die Triebe" (1, 1: autodéблоτός ἐστι τῶν παθῶν ὁ εὐσεβὴς λογισμός). Dieser Satz ist das eigentliche Thema der Rede, dessen Sinn zunächst erläutert wird, und dessen Wahrheit dann durch Thatsachen aus der jüdischen Geschichte, namentlich durch das bewunderns werthe Martyrium des Eleasar und der sieben makkabäischen Brüder bewiesen wird. Ein grosser Theil des Inhaltes ist daher der Schilderung des Märtyrertodes dieser Glaubenshelden gewidmet. In der crass-realistischen Ausmalung der einzelnen Folterqualen beweist der Verfasser noch grössere Geschmacklosigkeit als das zweite Makkabäerbuch; und die vorausgesetzte Psychologie ist so widernatürlich wie möglich. Als Quelle scheint ihm das zweite Makkabäerbuch gedient zu haben. Es lässt sich wenigstens nicht beweisen, dass er aus dem grösseren Werke des Jason von Cyrene (II Makk. 2, 23) geschöpft habe, wie Freudenthal (S. 72-90) annimmt.

Der eigene Standpunkt des Verfassers ist vom Stoicismus beeinflusst. Der Grundgedanke der ganzen Rede ist ja der Grundgedanke der stoischen Ethik: die Herrschaft der Vernunft über die Triebe. Auch die Aufstellung der vier Cardinaltugenden (1, 18: φρόνησις, δικαιοσύνη, ἀνδρεία, σωφροσύνη) ist vom Stoicismus entlehnt. Irgendwie tiefer geht aber dieser Einfluss des Stoicismus beim Verfasser nicht. Selbst der Grundgedanke ist jüdisch umgebildet. Denn die Vernunft, welcher er die Herrschaft über die Triebe zuschreibt, ist nicht die Vernunft des Menschen an sich, sondern die fromme Vernunft, ὁ εὐσεβὴς λογισμός (1, 1. 7, 16. 13, 1. 15, 20. 16, 1. 18, 2), d. h. die nach der Norm des göttlichen Gesetzes sich richtende Vernunft (vgl. auch 1, 15 f.). Auch in der Beschreibung und Eintheilung der Affecte geht er seine eigenen Wege (s. Freudenthal S. 55 ff. Zeller III, 2, 276). Man würde ihm aber zu viel Ehre erweisen, wenn man ihn als philosophischen Eklektiker bezeichnen wollte. Er ist in philosophicis überhaupt nur Dillettant, etwa in der Manier des Josephus, der auch seinem Judenthum einen philosophischen Anstrich zu geben weiss. Von allen uns bekannten jüdischen Philosophen steht der Verfasser dem Pharisäismus relativ am nächsten; denn er rühmt an den makkabäischen Märtyrern gerade das pünktliche Festhalten am Ceremonialgesetz. Im Einzelnen sind von seinen jüdischen Anschauungen zwei als bemerkenswerth hervorzuheben, nämlich 1) sein Unsterblichkeitsglaube, der nicht die Form des pharisäischen Auferstehungsglaubens hat, sondern die auch bei anderen jüdischen Hellenisten uns begegnende Form des Glaubens

an ein ewiges und seliges Fortleben der frommen Seelen im Himmel (13, 16. 15, 2. 17, 5. 18 fin.) 30), und 2) der Gedanke, dass der Märtyrertod der Gerechten zur Sühnung dient für die Sünden des Volkes (6, 29: καθάρσιον αὐτῶν ποίησον τὸ ἐμὸν αἷμα, καὶ ἀντίψυχοι αὐτῶν λάβε τὴν ἐμὴν ψυχήν. 17, 21: αντίψυχον γεγονότας τῆς τοῦ ἔθνους ἁμαρτίας) 31).

Als Verfasser wird von Eusebius und anderen Kirchenschriftstellern Josephus genannt. Diese Ansicht hat aber nur den Werth einer Hypothese. Denn das Buch erscheint noch in manchen Handschriften anonym, ist also sicherlich zunächst ohne den Namen des Verfassers ausgegangen. Gegen Josephus spricht namentlich der ganz andersartige Stil, sowie der Umstand, dass Josephus in den Antiquitäten das zweite Makkabäerbuch gar nicht benützt, es also nicht zu kennen scheint, während unsere Schrift ganz auf demselben fusst. Als Abfassungszeit nimmt man gewöhnlich das erste Jahrhundert nach Chr. an, hauptsächlich deshalb, weil das Buch noch vor der Zerstörung Jerusalems geschrieben sein müsse. Obwohl sich letzteres nicht beweisen lässt, wird jene Ansicht doch ungefähr das Richtige treffen, da ein jüngeres Buch wohl nicht mehr von der christlichen Kirche recipirt worden wäre.

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Ueber Titel und Verfasser sagt Eusebius, indem er von den Schriften des Josephus spricht, Hist. eccl. III, 10, 6: Πεπόνηται δὲ καὶ ἄλλο οὐκ ἀγεννὲς σπούδασμα τῷ ἀνδρὶ περὶ αὐτοκράτορος λογισμοῦ, ὅ τινες Μακκαβαϊκὸν ἐπέγραψαν κ. τ. λ. Hieronymus, De viris illustr. c. 13 (Vallarsi II, 851): Alius quoque liber ejus, qui inscribitur περὶ αὐτοκράτορος λογισμοῦ valde elegans habetur, in quo et Machabaeorum sunt digesta martyria. Idem, contra Pelagianos II, 6 (Vallarsi II, 749): Unde et Josephus Machabaeorum scriptor historiae frangi et regi posse dixit perturbationes animi non eradicari IV Makk. 3, 5). Aus der griechischen Uebersetzung von Hieron. de viris illustr. c. 13 ist der Artikel bei Suidas Lex. s. v. 'Iάσŋãos entnommen. Noch einige andere Schriftsteller, welche Josephus als Verfasser nennen, s. bei Grimm, Handb. S. 293 f. - Auch in den Handschriften wird das Buch häufig dem Josephus zugeschrieben (Grimm a. a. O. Freudenthal S. 117 ff.). — Die Bezeichnung als viertes Makkabäerbuch (Mazzaßalov d') findet sich bei Philostorgius und Syncellus und in einigen Bibelhandschriften, und zwar in letzteren ohne Nennung des Josephus als Verfasser (so bes. cod. Alex, und Sin.) — Näheres hierüber s. bei Freudenthal S. 117–120. Ueber die Benützung des Buches in der christlich-asketischen Literatur s. oben S. 742.

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30) Näheres hierüber bei Grimm, Exeget. Handb. S. 289 und Freudenthal S. 67-71. Bei der Feststellung des Einzelnen ist deshalb Vorsicht von nöthen, weil der Text nicht ganz frei von christlichen Interpolationen zu sein scheint. S. Freudenthal S. 165 ff. Eine solche Interpolation sind in Cap. 13, 16 die im cod. Alex. und Sin. fehlenden Worte sis rois nóknovę aitóv. Der Gedanke bleibt aber auch ohne diese im Wesentlichen derselbe.

31) Vgl. dazu Freudenthal S. 68.

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